T 1434/16 () of 29.11.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T143416.20191129
Datum der Entscheidung: 29 November 2019
Aktenzeichen: T 1434/16
Anmeldenummer: 11001070.9
IPC-Klasse: E05B 65/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kraftfahrzeugschließsystem
Name des Anmelders: Brose Schliesssysteme GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Kiekert Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - Klarheit im Einspruchsbeschwerdeverfahren
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die am 02. Mai 2016 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch

gegen das Europäische Patent 2 354 391 zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung fand, dass keiner der Einwände unter Artikel 100 b), Artikel 100 c) oder Artikel 100 a) in Kombination mit Artikel 54 oder Artikel 56 EPÜ eine Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegenstanden.

III. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2007, teilte die Kammer unter anderem ihre vorläufige Meinung mit, dass die Einwände unter Artikel 100 b) EPÜ eher die im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfende Klarheit des Anspruchs als die Ausführbarkeit der Erfindung betrafen. Es wurde des Weiterem mitgeteilt, dass die Dokumente D2 und D3, sowie D11, D11' und D12 Merkmal I des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht zu offenbaren schienen.

IV. Am 29. November 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Bezüglich der Einwände unter Artikel 100 b) EPÜ, mangelnder Neuheit im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D2 bis D4, sowie die Frage ob die Dokumente D11, D11' und D12 in das Verfahren zugelassen werden sollten, verwiesen die Parteien auf ihren schriftlichen Vortrag.

V. Die Antragslage ist wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 354 391. Außerdem beantragte sie die Zulassung der Dokumente D11, D11' und D12 und beanstande die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 10 und insbesondere des Hilfsantrags 2, wie eingereicht mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2019.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, das heißt die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), oder die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 10, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 (Hilfsanträge 1 und 3 bis 10) sowie mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2019 (Hilfsantrag 2). Darüber hinaus beantragte sie, die Dokumente D11, D11' und D12 nicht in das Verfahren zuzulassen.

VI. Anspruch 1 wie erteilt, mit Merkmalskennzeichnung der Beschwerdeführerin, lautet:

A.|"Kraftfahrzeugschließsystem |

B.|mit mindestens einer Türschlosseinheit (2) |

C.|mit mechanischen Schließelementen wie Schlossfalle und Sperrklinke, |

D.|mit einem Öffnungsantrieb zum Auslösen der Schließelemente, |

E.|mit einem elektrischen Innenbetätigungselement (7) zum normal-betriebsmäßigen Ansteuern des Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente,|

F.|das mit dem Öffnungsantrieb der Türschlosseinheit (2) elektrisch-steuerungstechnisch verbunden ist, |

G.|wobei das elektrische Innenbetätigungselement (7) im von innen ausgehend verriegelten Zustand deaktiviert |

H.|und im von innen ausgehend verriegelten Zustand durch eine von innen ausgehende Entriegelung wieder aktivierbar ist, |

|dadurch gekennzeichnet, dass |

I.|das im von innen ausgehend verriegelten Zustand deaktivierte elektrische Innenbetätigungselement (7) bei einer ersten von innen ausgehenden Betätigung eine Entriegelung bewirkt und bei einer zweiten von innen ausgehenden Betätigung ein elektrisches Ansteuern des Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente der Türschlosseinheit (2) bewirkt."|

Die Hilfsanträge haben für diese Entscheidung keine Rolle gespielt.

VII. Die folgenden Entgegenhaltungen sind in der vorliegenden Entscheidung zitiert:

D1: |DE 199 28 230 A1|

D2: |DE 199 42 485 A1|

D3: |DE 199 34 128 A1|

D4: |DE 196 00 524 A1|

D11: |DE 101 10 564 A1|

D11':|US 6 441 512 B1 |

D12: |DE 100 11 563 A1|

E1: |DE 29 49 319 |

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Ausführbarkeit

Die Erfindung sei im Streitpatent nicht so offenbart, dass sie für den Fachmann ausführbar sei. Viele beanspruchte Merkmale seien nicht, oder nicht über die gesamte Breite, ausführbar.

Im Streitpatent sei nur beschrieben, dass vom Innenraum des Kraftfahrzeugs verriegelt werden könne. Bei dem als solches beanspruchten Kraftfahrzeugschließsystem, ohne Kraftfahrzeug, gebe es zwar ein "Innen" des Systems, wie das Innen der Türschlosseinheit, aber von dort sei ein Verriegeln nicht möglich. Ferner umfasse das beanspruchte System keine Merkmale, die ein Verriegeln ermöglichen könnten.

Das Merkmal "elektrisch-steuerungstechnisch" sei ebenso nicht über die gesamte Breite ausführbar. Die im Absatz [0012] des Streitpatents erwähnte drahtlose Signalübermittlung sei keine elektrische Verbindung und eine elektrische Verbindung habe wiederum mit "steuerungstechnisch" nichts zu tun. Die Einspruchsabteilung habe die Auffassung vertreten, der Begriff sei unklar und hat sich nicht in der Lage gesehen, zu bestimmen, welche Verbindungen davon umfasst sein sollen. Daraus folge, dass der Fachmann dieses Merkmal nicht über die gesamte beanspruchte Breite ausführen könne.

Es sei im Anspruch nicht beschrieben, durch welche technische Mittel das Innenbetätigungselement die Zustände "aktiviert" und "deaktiviert" einnehmen könne. Im Streitpatent werde ebenfalls nichts beschrieben oder gezeigt, was verhindern könnte, dass im Anschluss an eine Betätigung des Innenbetätigungselements der Öffnungsantrieb in Gang gesetzt werde.

Das Merkmal "Innenbetätigungselement" an sich sei ebenfalls nicht ausführbar, da es von einem Außenbetätigungselement nicht unterschieden werden könne. Ferner verlange das Streitpatent, siehe Absatz [0013], nur dass das Innenbetätigungselement von innen leicht und intuitiv erreichbar sein solle. Dies gelte jedoch auch für außen angebrachte Betätigungselemente, vor allem bei Kraftfahrzeuge die Türen ohne Fenster aufwiesen.

Laut Spalte 2, Zeilen 8 bis 11 solle das Merkmal "Öffnungsantrieb" auch nicht-elektrische Antriebe umfassen. Solche könnten allerdings nicht mithilfe des elektrischen Innenbetätigungselements ausgelöst werden. Damit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht über die gesamte Breite ausführbar.

Unzulässige Erweiterungen

Im Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung sei definiert, dass das elektrische Innenbetätigungselement im von innen ausgehend verriegelten Zustand deaktivierbar ist. Somit sei das Innenbetätigungselement im verriegelten Zustand nicht zwingend deaktiviert, eine Deaktivierung jedoch strukturell möglich.

Ein solcher Zustand sei technisch sinnvoll und könne zum Beispiel bei einem stillstehenden Fahrzeug ein schnelles Aussteigen ermöglichen. Beim Weiterfahren könne das Innenbetätigungselement jedoch deaktiviert werden.

Merkmal G des erteilten Anspruchs 1 verlange dagegen, dass das Innenbetätigungselement im von innen ausgehend verriegelten Zustand zwingend deaktiviert ist und somit nicht länger deaktivierbar sei. Dies stehe im Gegensatz zu dem ursprünglich eingereichten Anspruch und sei in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart.

Die Absätze [0007] und [0020] beschrieben, was bei der Betätigung eines schon deaktivierten Innenbetätigungselements passierte und nicht, dass ein von innen verriegelter Zustand mit einem deaktivierten Innenbetätigungselement einhergehe. Sie offenbarten daher nicht Merkmal G des erteilten Anspruchs 1.

Die Offenbarung in Absatz [0004] betreffe ausschließlich das aus dem Stand der Technik bekannte System. Dieser Absatz könne keine Brücke zum Kraftfahrzeugschließsystem des Streitpatents schlagen, da eine explizite Bezugnahme fehle und die Funktionen der unterschiedlichen Systeme nicht zwangsläufig die gleichen seien. Ferner gebe es in diesem Absatz keinen Bezug zu dem verriegelten Zustand mit deaktivierbarem Innenbetätigungselement des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1. Somit könne Absatz [0004] nicht zur Interpretation des ursprünglichen Anspruchs 1 dienen.

Merkmal G des erteilten Anspruchs 1 sei somit in der ursprünglichen eingereichten Anmeldung nicht offenbart.

Neuheit - D1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarte Kraftfahrzeugschließsystem nicht neu.

Figur 2 offenbare ein Kraftfahrzeugschließsystem mit mindestens einer Türschlosseinheit mit mechanischen Schließelementen wie Schlossfalle und Sperrklinke (9 und 10). Dieses sei mit einem Öffnungsantrieb 15 (Spalte 4, Zeilen 40-45) versehen. Normalerweise steuere der Türinnengriff 16 den Öffnungsantrieb elektrisch an (Spalte 4, Zeilen 63 bis 67 und Spalte 6, Zeilen 6 bis 12).

In Anspruch 24 wurde beschrieben, dass der Türinnengriff deaktiviert sein könnte. Dies entspreche einem verriegelten Zustand, von welchem der Türinnengriff durch Entriegelung in einem aktiven Zustand versetzt werden könnte.

Spalte 11, Zeilen 34 bis 40 beschreibe, dass das Schließsystem alle "Alternativen der Handhabung" erlaube, explizit auch ein "Doppelhub". Das System sei mit einer nachgeführten Mechanik als Redundanz versehen, welche jedoch in Spalte 5, Zeilen 52 bis 65 als nachteilig beschrieben sei. Im Normalzustand funktionierte das System elektrisch, wie in Spalte 4, Zeilen 63 bis 67 beschrieben. In Figur 2 wurde gezeigt, dass der elektrische Öffnungsantrieb 15 - wie auch im Anspruch 6 beschrieben - in einem separatem Zweig getrennt von der mechanischen Kraftkette wirksam sei. Dies bedeutete für den Fachmann, dass auch das elektrische Öffnen gemäß dem Doppelhubprinzip stattfand.

Das in D1 offenbarte System weise somit alle Merkmale des Anspruchs 1 auf.

Neuheit - D2

Spalte 1**(*), Zeilen 9 bis 27 der Entgegenhaltung D2 offenbare ein Kraftfahrzeugschließsystem mit den Merkmalen A bis D. Der Türaußengriff sei von Innenraum eines Kraftfahrzeugs leicht und intuitiv erreichbar und von einem Türinnengriff nicht zu unterscheiden. Er sei somit ein Innenbetätigungselement gemäß Merkmal E. Das System sei von innen deaktivierbar und aktivierbar.

Spalte 4, Zeilen 46 bis 49 beschreibe, dass die Steuerelektronik durch Berührung des Türaußengriffs aktiviert werde und laut Spalte 1, Zeilen 11 bis 21 das Schloss entriegele. Bei einer zweiten Betätigung werde - wie in Spalte 1, Zeilen 21 bis 25 beschrieben - ein elektrisches Ansteuern des Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente bewirkt.

Somit weise das in der Entgegenhaltung D2 offenbarte System alle Merkmale des Anspruchs 1 auf.

* Seitens der Kammer wird darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin sich im schriftlichen Vortrag auf Spalte 2 der Entgegenhaltung D2 bezogen hat. Dies ist jedoch ein eindeutiger Tippfehler, da die angesprochenen Merkmale und Funktionen in Spalte 1, und nicht in Spalte 2 offenbart sind.

Neuheit - D3

Das im Anspruch 1 der Entgegenhaltung D3 offenbarte Kraftfahrzeugverschluss weise eine Drehfalle 1, eine Sperrklinke 2, sowie einem Betätigungshebelsystem 3, 4 auf. Nach dem Ausführungsbeispiel umfasse dieses einen Türinnengriff 3. Beim Betätigen des Türinnengriffs 3 im verriegelten Zustand werde das Verriegelungssystem in Richtung Entriegeln geschwenkt (Spalte 5, Zeilen 49-54) und das System somit entriegelt. In dem entriegelten Zustand werde das Schloss beim erneuten Betätigen des Türinnengriffs geöffnet (Spalte 5, Zeile 65 bis Spalte 6, Zeile 4).

Laut Spalte 3, Zeilen 55 bis 60 soll es sich bei dem Ausführungsbeispiel um eine elektromotorisch angetriebene Sperrklinke handeln. Denkbar solle aber auch eine rein mechanisch auslösbare Sperrklinke sein. Werde diese elektromotorisch ausgelöst, so sei eine elektrische Verbindung zwingend vorzusehen. D3 offenbare somit implizit eine elektrische Verbindung zwischen dem Betätigungselement und dem elektromotorischen Antrieb.

Der Kraftfahrzeugverschluss funktioniere mit einer doppelhubigen Innenbetätigung, wie sie in Spalte 3, Zeilen 6 bis 11 beschrieben sei, und somit gemäß Merkmal I.

Das in D3 offenbarte System weise somit alle Merkmale des Anspruchs 1 auf.

Neuheit - D4

Das in den Figuren 1 bis 3, und Spalte 4, Zeile 19 bis Spalte 6, Zeile 31 offenbarte Kraftfahrzeugschließsystem weise eine Türschlosseinheit mit Schlossfalle 1.1, Sperrklinke 1.3 und einem Öffnungsantrieb 1.7 zum Auslösen der Schließelemente auf. Es verfüge über ein elektrisches Innenbetätigungselement 10.1, welches durch die Signalleitung 10.4 mit dem Öffnungsantrieb verbunden sei. Das Innenbetätigungselement sei im von innen ausgehend verriegelten Zustand deaktivierbar und durch eine von innen ausgehende Entriegelung durch die Eingabeeinrichtung 10.7 wieder aktivierbar, gemäß der in der Spalte 5, Zeilen 29 bis 35 beschriebenen Kindersicherung.

Durch eine erste Betätigung der inneren Handhabe raste die Sperrklinke 1.3 in den Absatz 1.19 der Schlossfalle 1.1. Dies könne als ein entriegelter Zustand angesehen werden. Durch eine weitere Betätigung werde der Elektromotor nochmals aktiviert, wobei die Schlossfalle von der Sperrklinke freigegeben werde. Somit werde eine zweihubige Aushubstellung der Kraftfahrzeugtür verwirklicht, wie in Spalte 5, Zeilen 7 bis 13 beschrieben.

Das in der Entgegenhaltung D4 offenbarte Kraftfahrzeugschließsystem weise somit alle Merkmale des Anspruchs 1 auf.

Zulassung der Dokumente D11, D11' und D12

Die Dokumente D11, D11' und D12 seien von höchster Relevanz und im Verfahren zu berücksichtigen, da sie die Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge vorwegnehmen.

Erfinderische Tätigkeit - Ausgehend von E1

E1 offenbare in Figur 1 ein Kraftfahrzeugschließsystem mit den Merkmalen A bis H, von welchem das Streitpatent ausgehe und vorauf die zweiteilige Form des Anspruchs 1 basiere. Bevor das Innenbetätigungselement 2 ein Ansteuern des Öffnungsantriebs bewirken könne, müsse das System zuerst mit dem Verriegelungs-/Entriegelungsknopf 6 entriegelt werden.

Das Unterscheidungsmerkmal I löse die technische Aufgabe, ein alternatives System mit einfacherem Aufbau bereitzustellen.

Für den Fachmann sei selbstverständlich, dass es keine Rolle spiele, ob der Verriegelungsknopf 6 zentral oder an der Tür angebracht sei. Angesichts der Lehre in E1 selbst, aber vor allem im Hinblick auf den in der Entgegenhaltung D1 beschriebenen Doppelhub, welcher - wie in Spalte 3, Zeilen 21 bis 26 beschrieben - den Aufbau vereinfache, sei es für den Fachmann naheliegend gewesen, die Funktionen der Entriegelung und des Ansteuerns des Öffnungsantriebs in einem Knopf zusammenzuführen.

Somit gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Erfinderische Tätigkeit - Ausgehend von D1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich durch Merkmal I von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Schließsystem.

Die zu lösende Aufgabe bestehe darin, den in D1 beschriebenen mechanischen Doppelhub elektrisch umzusetzen.

In E1 werde ein elektrischer Doppelhub offenbart, und somit würde dem Fachmann nahegelegt, den mechanischen Doppelhub in dem System der Entgegenhaltung D1 elektrisch umzusetzen.

Somit gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.

IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Ausführbarkeit

Der Fachmann wisse dass es bei einem KFZ Schließsystem notwendigerweise ein "Innen" und ein "Außen" gebe. Bei "Innen" handele es sich um dieselbe Seite, der auch das Innenbetätigungselement zugeordnet sei. Er wisse ebenso, dass ein Verriegelungszustand von innen hergestellt werden könne. Die Beschreibung des Streitpatents (Absatz [0011], Zeilen 20 bis 23) nenne hierzu ein Innensicherungselement, dargestellt als Innensicherungsknöpfchen, welches jeder Mensch aus dem Alltag kenne.

Damit sei - neben der vorschlagsgemäßen Entriegelung per Doppelhub - auch eine alternative Art der von innen ausgehenden Entriegelung aus der Patentschrift bekannt.

Der Fachmann verstehe, dass der Begriff "elektrisch-steuerungstechnisch" eine elektrische Kopplung die entweder ein entsprechendes Signal übertrage, oder eine Bestromung einer Leitung bedeute. Die in der Beschreibung genannten Beispiele einer elektrischen Leitung sowie ein BUS-System oder eine drahtlose Signalübermittlung seien dem Fachmann wohlbekannt.

Dass der verriegelte Zustand zunächst ein Auslösen der Schließelemente durch Betätigung des Innenbetätigungselements nicht zulasse, entspreche dem Prinzip einer Verriegelung eines Schlosses. Dass der verriegelte Zustand auch wieder durch Entriegelung aufgehoben werden könne und dabei das Innenbetätigungselement aktiviert werde, sei demgemäß das allgemein bekannte Prinzip einer Entriegelung.

Innenbetätigungselemente seien dem Fachmann ebenso bekannt. Selbst wenn sich diese von Außenbetätigungselementen nicht unterscheiden sollten, habe der Fachmann kein Problem die Erfindung auszuführen.

Die Umsetzung irgendeines Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente mache dem Fachmann keine Probleme und bedürfe keine ausführliche Erläuterung.

Unzulässige Erweiterung

Der im Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung definierte verriegelte Zustand, in dem das Innenbetätigungselement womöglich aktiviert sein könne, mache für den Fachmann keinen Sinn. Denn ein aktiviertes Innenbetätigungselement bewirke stets ein Ansteuern des Öffnungsantriebs zum Auslösen der Schließelemente. Somit erfolge bereits bei der einmaligen Betätigung ein Öffnen der Tür. Damit könne es sich aber auch nicht mehr um einen verriegelten Zustand handeln, sodass bereits der Wortlaut "von innen ausgehend verriegelten Zustand" für den Fachmann keinen Sinn ergebe.

Absatz [0005] der veröffentlichten Patentanmeldung offenbare, dass die Erfindung die Handhabung des bekannten Kraftfahrzeugschließsystems optimiere. Der Fachmann würde durch diese Bezugnahme verstehen, dass die verriegelten und entriegelten Zustände des erfindungsgemäßen Systems denen des aus dem Stand der Technik bekannten Systems entsprächen, so wie sie im Absatz [0004] beschrieben seien.

Merkmal G sei somit in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht offenbart.

Neuheit - D1

Der Kern des in der Entgegenhaltung D1 beschriebenen Kraftfahrzeugschließsystems sei eine Stelleinrichtung, welche die verschiedenen Zustände des Systems mechanisch kodiere. Daraus würde der Fachmann verstehen, dass der in Spalte 11 erwähnte Doppelhub bei einer Öffnung mit der Mechanik wirksam sei. Durch die Verwendung des Worts "Konstruktion" in diesem Zusammenhang werde betont, dass es sich um die mechanische Konstruktion des Schließmechanismuses handele. Im Normalfall werde die elektrische Öffnung beim Betätigen des Türinnengriffs sofort bewirkt, wie in Spalte 6, Zeilen 8ff. beschrieben.

Anspruch 24 beschreibe eine Kindersicherung und nicht einen verriegelten Zustand, von welchem der Türinnengriff durch eine Entriegelung in einem aktiven Zustand versetzt werden könne. Ferner sei der Türinnengriff mechanisch über eine Kraftwirkungskette 18 und nicht elektrisch-steuerungstechnisch mit dem Schlossmechanismus verbunden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich somit durch die Merkmale E bis I von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten System.

Neuheit - D2

D2 offenbare kein Innenbetätigungshebel, sondern einen Außenbetätigungshebel. Somit sei Merkmal E nicht offenbart.

Abgesehen davon zeige die Entgegenhaltung D2 keinen Doppelhub gemäß Merkmal I. Der Begriff Betätigung setze eine mechanische Bewegung des entsprechenden Hebels voraus. Eine Berührung sei keine Betätigung. Ferner ergebe sich aus dem Wortlaut des Anspruchs, dass in jedem Falle eine Wiederholung desselben Vorgangs - nämlich der Betätigung - gefordert sei und nicht, wie in D2, erst eine Berührung und dann eine Betätigung.

Neuheit - D3

D3 zeige Merkmal F nicht. Eine elektrische Verbindung des Türinnengriffs zu einem elektromotorischen Antrieb mache keinen Sinn, weil dann das Schalten des mechanischen Verriegelungssystems überflüssig wäre.

Neuheit - D4

D4 zeige das Merkmal I nicht. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Abschnitt in Spalte 5, Zeilen 7 bis 13, beziehe sich auf das Vorhandensein einer Hauptraststellung und einer Vorraststellung der Drehfalle. Mit dem Öffnungsvorgang habe dies nichts zu tun, da sich bei einem Ausheben der Sperrklinke die Drehfalle gleich in die Offenstellung drehe.

Zulassung von D11, D11' und D12

Die Entgegenhaltungen D11, D11' und D12 seien verspätet eingereicht.

In dem in den Entgegenhaltungen D11 und D11' offenbarten System sei kein motorisches, sondern ausschließlich ein manuelles Auslösen der Schließelemente der Türschlosseinheit vorgesehen, wie in Absatz [0016] in D11 beschrieben.

In dem in der Entgegenhaltung D12 offenbarten System werde keine erste und zweite Betätigung eines Innenbetätigungselements gemäß Merkmal I offenbart. Vielmehr erfolge ein motorisches Entriegeln der Sicherungsklinke gleichzeitig zum rein mechanischen Ausheben der Sperrklinke, wie im Absatz [0026] beschrieben.

Die Dokumente D11, D11' und D12 seien daher weit weniger relevant als die sich bereits im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen und sollten aus diesem Grund nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Erfinderische Tätigkeit - Ausgehend von E1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich durch Merkmal I von dem in der Entgegenhaltung E1 offenbarten Schließsystem.

Die dadurch zu lösende Aufgabe sei, wie im Absatz [0005] des Streitpatents beschrieben, das aus der Entgegenhaltung E1 bekannte System hinsichtlich der Handhabung zu optimieren.

In E1 selbst gebe es keine Hinweise, die den Fachmann veranlassen würden, den Verriegelungs-/Entriegelungsknopf 6 mit dem Innenbetätigungselement 2 zu kombinieren.

Die Entgegenhaltung D1 lehre den Fachmann, dass eine Doppelhubhandhabung bei einer mechanischen Redundanz als Sicherungsmerkmal vorgesehen werden könne. Der in Spalte 3 beschriebene vereinfachte Aufbau betreffe allein die Mechanik. Dies sei für den Fachmann jedoch kein Grund, die Elektronik des in der Entgegenhaltung E1 offenbarten Systems zu ändern.

Die Tatsache, dass kein elektrischer Doppelhub bekannt sei, obwohl schon lange mechanisch bekannt, sei ein weiteres Anzeichen dafür, dass der Gegenstand des Anspruchs auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Erfinderische Tätigkeit - Ausgehend von D1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich durch die Merkmale G bis I von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Schließsystem.

Die dadurch gelöste Aufgabe sei, eine verbesserte Bedienung bei gleicher Sicherheit zu bewirken.

Die Entgegenhaltung E1 lehre den Fachmann nicht, dass eine elektrischen Doppelhubhandhabung möglich wäre, sondern dass ein zentraler Verriegelungs-/Entriegelungsknopf vorzusehen sei.

Somit lege E1 den Fachmann nicht nahe, das in der Entgegenhaltung D1 offenbarte Schließsystem mit einem elektrischen Doppelhub gemäß Merkmal I zu versehen.

Entscheidungsgründe

1. Ausführbarkeit

Die Beschwerdeführerin hat schriftlich vorgetragen, dass das Streitpatent die Erfindung nicht genügend offenbare, damit sie für den Fachmann ausführbar sei (Artikel 100 b) EPÜ).

Die Einwände der Beschwerdeführerin betreffen jedoch die Bedeutung einiger Begriffe des Anspruchs - wie z.B. "Innen", "Außen" oder "elektrisch-steuerungstechnisch" - ohne darzulegen, warum die Erfindung im Hinblick auf das Patent nicht ausführbar sei. In der Tat offenbart das Streitpatent in den Absätzen [0009] bis [0020] in Detail ein Ausführungsbeispiel der beanspruchten Erfindung.

Im Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK 2007 teilte die Kammer deshalb ihre vorläufige Meinung mit, dass das Streitpatent die Erfindung so offenbare, dass sie von dem Fachmann ausgeführt werden könne.

Ferner wurde mitgeteilt, dass die Einwände der Beschwerdeführerin eher die Klarheit des Anspruchs als die Ausführbarkeit der Erfindung betrafen, und dass die Klarheit des erteilten Anspruchs im Beschwerdeeinspruchsverfahren nicht zu prüfen sei.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin zur vorläufigen Meinung der Kammer keine weitere Stellung genommen, sondern sich allein auf ihren schriftlichen Vortrag bezogen.

Mangels weiterer Argumente der Beschwerdeführerin hält die Kammer an ihre Meinung fest, dass die unter Artikel 100 b) EPÜ vorgetragenen Einwände die Klarheit des Anspruchs 1 betreffen und nicht die Ausführbarkeit der Erfindung.

Da die Klarheit eines erteilten Anspruchs im Einspruchsverfahren jedoch nicht zu prüfen ist, sind hierzu keine weiteren Ausführungen notwendig.

Daraus folgt, dass die unter Artikel 100 b) EPÜ vorgetragenen Einwände eine Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegenstehen.

2. Unzulässige Erweiterungen

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass das Merkmal G des erteilten Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe.

Anspruch 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldung definiert, dass das elektrische Innenbetätigungselement im von innen ausgehend verriegelten Zustand deaktivierbar ist. Im Merkmal G des erteilten Anspruchs 1 ist der Wortlaut derart geändert, dass das Innenbetätigungselement in diesem Zustand deaktiviert ist.

Im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 bestand also, zumindest rein sprachlich, die Möglichkeit eines verriegelten Zustands mit einem deaktivierbaren und somit noch nicht deaktivierten Innenbetätigungselement, während das erteilte Merkmal G dem verriegelten Zustand mit einem deaktivierten Innenbetätigungselement verknüpft.

Es gibt in der ursprünglichen Anmeldung, abgesehen von Anspruch 1, keine Beschreibung eines verriegelten Zustands mit einem deaktivierbaren und somit noch nicht deaktivierten Innenbetätigungselement. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, macht ein derartiger Zustand für den Fachmann keinen Sinn, da eine einmalige Betätigung eines aktiven Innenbetätigungselements eine sofortige Öffnung der Tür bewirken würde. Dies kann nicht als ein verriegelter Zustand verstanden werden.

Im Absatz [0005] der veröffentlichen Anmeldung (entsprechend Seite 1, Zeilen 22 bis 23 der ursprünglich eingereichten Anmeldung) wird beschrieben, dass die Erfindung das bekannte Kraftfahrzeugschließsystem hinsichtlich der Handhabung optimiert. Im Absatz [0007] (Seite 1, Zeilen 29 bis 34 der ursprünglich eingereichten Anmeldung) wird zudem offenbart, dass erfindungsgemäß die "zuvor erläuterte" zweischrittige Betätigung optimiert wird. Die "zuvor erläuterte" zweischrittige Betätigung wird im Absatz [0004] (Seite 1, Zeilen 13 bis 20 der ursprünglich eingereichten Anmeldung) beschrieben. In diesem Absatz wird offenbart, dass die Innenbetätigungselemente in diesem bekannten System mittels eines im Innenraum vorhandenen Verriegelungs-/Entriegelungsschalters aktiviert oder deaktiviert werden. Diese Passagen offenbaren dem Fachmann, dass eine Verriegelung mit einer Deaktivierung der Innenbetätigungselemente einhergeht und eine Entriegelung mit einer Aktivierung der Innenbetätigungselemente. Dies gilt sowohl im bekannten System wie auch im System nach der Anmeldung. Daraus folgt für den Fachmann, dass das Innenbetätigungselement in dem verriegelten Zustand deaktiviert ist.

Merkmal G ist somit für den Fachmann in diesen Passagen der ursprünglich eingereichten Anmeldung eindeutig und unmittelbar offenbart.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 geht daher nicht über die Offenbarung der ursprünglichen eingereichten Anmeldung hinaus. Der Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Streitpatents somit nicht entgegen.

3. Neuheit - D1

In der Entgegenhaltung D1 wird unstreitig ein Kraftfahrzeugschließsystem mit den Merkmalen A bis D mit Schlossfalle 9, Sperrklinke 10, Öffnungsantrieb 15 und Türinnengriff 16 offenbart, siehe Figur 2.

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass dieses System die Merkmale E und F nicht aufweise. Merkmal E definiert jedoch lediglich, dass das Innenbetätigungselement elektrisch ist und somit ein elektrisches Steuersignal oder Stromfluss bewirken kann. Merkmal F definiert, dass dieses Innenbetätigungselement mit dem Öffnungsantrieb, jedoch nicht notwendigerweise mit der Türschlosseinheit, "elektrisch-steuerungstechnisch" verbunden ist.

Der Türinnengriff 16 des Systems in D1 ist über eine Kraftwirkungskette 18 mit der Türschlosseinheit verbunden. In dieser befinden sich Sensoren, die über die Kraftwirkungskette angesteuert werden, siehe Spalte 6, Zeilen 8 bis 17. Es gibt zweifelsohne eine elektrisch-steuerungstechnische Verbindung zwischen dem entsprechenden Sensor und dem Öffnungsantrieb 15. Der Türinnengriff 16 sowie dessen Verbindung zum Öffnungsantrieb 15 des in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Systems fallen somit unter die Merkmale E und F des Anspruchs 1.

Der Vortrag der Beschwerdeführerin, wonach Spalte 11 erwähnt, dass alle "Alternativen der Handhabung" erlaubt sind, unter anderem "Doppelhub", und dass Spalte 4, Zeilen 63 bis 67, beschreibt, dass das System im Normalfall elektrisch, mithilfe des Öffnungsantriebs 15 öffnet, ist zutreffend. Es ist jedoch weder in diesen Passagen, noch in anderen von der Beschwerdeführerin erwähnten Passagen unmittelbar und eindeutig offenbart, dass eine Handhabung mit einem Doppelhub bei der im Normalfall elektrischen Öffnung verwirklicht wird.

Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 zumindest durch Merkmal I von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Schließsystem.

4. Neuheit - D2 bis D4

Im Bescheid der Kammer wurde mitgeteilt, dass insbesondere streitig schien, ob die in den Entgegenhaltungen D2 bis D4 offenbarten Kraftfahrzeugschließsysteme das Merkmal I aufwiesen.

Es wurde außerdem die vorläufige Meinung geäußert, dass Merkmal I in den Entgegenhaltungen D2 und D3 nicht offenbart schien. Ferner wurde angemerkt, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrem Vortrag zu D2 auf Textstellen bezog, die verschiedene Schließsysteme beschrieben.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin zu der Frage der Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber den Entgegenhaltungen D2 bis D4 nicht mehr Stellung genommen, sondern sich allein auf den schriftlichen Vortrag bezogen.

4.1 D2

Zunächst wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Textstellen in Spalte 1, Zeilen 9 bis 27, die sich auf einem bekannten konventionellen elektromechanischen Kraftfahrzeug-Türschließsystem mit Funkfernbedienung jedoch ohne Passive Entry-Funktion beziehen, mit Textstellen in Spalte 4, Zeilen 46 bis 49, die sich auf einem anderem, mit Bezug auf DE-A-195 21 024 erläuterten System beziehen, kombiniert. Dass das in Spalte 1 beschriebene System gemäß der Beschreibung in Spalte 4 funktioniert, geht aus diesen Passagen nicht hervor.

In den von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen Textstellen der Entgegenhaltung D2 ist somit nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, dass der in Spalte 1 beschriebene Türaußengriff bei einer ersten Betätigung eine Entriegelung und Aktivierung des Türaußengriffes gemäß Merkmal I bewirkt.

Ferner ist nach Auffassung der Kammer der Türaußengriff der Entgegenhaltung D2 nicht als ein Innenbetätigungselement gemäß Merkmal E anzusehen, da der Türaußengriff in einem verriegelten Zustand nur nach einer erfolgen Identifikation wirksam sein soll. Demgegenüber soll das das Innenbetätigungselement auch in dem verriegelten Zustand unabhängig von einer Identifikation des Benutzers reagieren. Folglich sind auch die Merkmale F, G und H, die mit Merkmal E verbunden sind, nicht in D2 offenbart.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit durch die Merkmale E bis I von dem in der Entgegenhaltung D2 offenbarten System.

4.2 D3

Aus den von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen Textstellen der Entgegenhaltung D3 geht nicht hervor, ob die in Spalte 3, Zeilen 54 bis 56 erwähnte elektromotorische Sperrklinke durch den Türinnengriff 3 oder durch andere Mittel angesteuert wird. Insbesondere wird eine elektrisch-steuerungstechnische Verbindung zwischen dem Türinnengriff 3 und der elektromotorisch angetriebenen Sperrklinke nicht erwähnt. Ferner wird beschrieben, dass eine rein mechanisch auslösbare Sperrklinke ebenso denkbar ist.

Daraus folgt, dass die Entgegenhaltung D3 nicht eindeutig und zweifelsfrei offenbart, dass die in Spalte 3, Zeilen 6 bis 11 erwähnte doppelhubige Innenbetätigung auch bei einem Schließsystem mit einer elektromotorischen Sperrklinke realisiert ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit zumindest durch die Merkmale E, F und I von dem in der Entgegenhaltung D3 offenbarten Schließsystem.

4.3 D4

In den von der Beschwerdeführerin zitierten Textstellen, insbesondere Spalte 5, Zeilen 7 bis 13 wird eine zweimalige Betätigung eines Innenbetätigungselements, bei der die erste Betätigung eine Entriegelung bewirkt und somit das Innenbetätigungselement aktiviert wird, nicht erwähnt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit zumindest durch Merkmal I von dem in der Entgegenhaltung D4 offenbarten Schließsystem.

5. Zulassung von D11, D11' und D12

Die Dokumente D11, sowie dessen Familienmitglied D11', und D12 sind nach der Beschwerdebegründung eingereicht. Deren Zulassung in das Verfahren liegt somit gemäß Artikel 13(1) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer.

Wie schon im Bescheid der Kammer mitgeteilt, ist Merkmal I in keinem dieser Dokumenten offenbart. Zu der vorläufigen Meinung der Kammer hat die Beschwerdeführerin nicht mehr Stellung genommen, sondern sich auf ihren schriftlichen Vortrag berufen.

In dem in der Entgegenhaltung D11/D11' offenbarten System ist ferner gar kein Öffnungsantrieb zum Auslösen von mechanischen Schließelemente vorhanden. Dieses Auslösen erfolgt vielmehr rein mechanisch, siehe z.B. D11 Absatz [0016]. Daraus folgt, dass zumindest die Merkmale D bis F und I in D11/D11' nicht offenbart sind.

In dem in der Entgegenhaltung D12 offenbarten System wird durch eine einmalige Betätigung des Türinnengriffes eine Ansteuerung eines elektromotorischen Aktuators bewirkt, siehe Absatz [0026]. Merkmal I ist daher nicht in D12 offenbart.

Da keiner der Entgegenhaltungen D11, D11' oder D12 relevanter als die schon im Verfahren sich befindlichen Dokumente ist, entschied die Kammer diese in das Verfahren nicht zuzulassen.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 Ausgehend von E1

Es ist unstreitig, dass das aus dem Entgegenhaltung E1 bekannte Schließsystem, welches der Ausgangspunkt für das Schließsystem des Streitpatents ist, die Merkmale A bis H des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1 aufweist, und dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Merkmal I davon unterscheidet.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist die im Streitpatent formulierte Aufgabe (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, I.D.4.3.2). Die Beschwerdeführerin hat nicht begründet, warum diese Aufgabe nicht gelöst wird. Die Kammer sieht somit, wie die Beschwerdegegnerin, die zu lösende Aufgabe darin, die Handhabung des bekannten Systems zu optimieren, wie sie im Absatz [0005] des Streitpatents formuliert ist.

Die E1 selbst enthält keine Lehre, die den Fachmann dazu veranlassen würde, die Funktion des Entriegelns auf das Innenbetätigungselement 2 zu übertragen, sondern befasst sich mit einer zusätzlichen Stromversorgung, um ein Öffnen nach einem Unfall zu gewährleisten.

Die D1 beschreibt zwar eine Handhabung mit Doppelhub, jedoch für die mechanische Redundanz eines Kraftfahrzeugschließsystems. Dass eine Handhabung mit Doppelhub auch bei einer elektrischen Betätigung verwendet wird, geht aus D1 nicht hervor. Der Fachmann wird daher durch D1 nicht nahegelegt, die Funktionen des Entriegelns auf ein Innenbetätigungselement des in der Entgegenhaltung E1 offenbarten Systems zu übertragen. Die Lehre in D1 ist vielmehr, dass eine Redundanz, falls vorgesehen, mit einer mechanischen Doppelhubhandhabung verwirklicht werden kann.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit für den Fachmann ausgehend von dem in der Entgegenhaltung E1 offenbarten Schließsystem nicht naheliegend.

Der Vollständigkeit halber wird erwähnt, dass die gleiche Begründung auch im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe, ein alternatives System mit einfacherer Handhabung bereitzustellen, gilt.

6.2 Ausgehend von D1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich zumindest durch Merkmal I von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Kraftfahrzeugschließsystem, siehe Punkt 3 oben.

Unabhängig davon, ob die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf der Grundlage der von der Beschwerdeführerin oder der von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe erfolgt, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Denn entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin wird in der Entgegenhaltung E1 weder ein elektrischer Doppelhub, noch eine zweimalige Betätigung eines gleichen elektrischen Innenbetätigungselements gemäß Merkmal I offenbart. Stattdessen ist ein zentraler Verriegelungs-/Entriegelungsknopf 6 zum Entriegeln, und ein davon getrenntes Innenbetätigungselement 2 für jede Tür offenbart, siehe Figur 2, Seite 6, zweiter und dritter Absatz. Diese Funktionsweise entspricht nicht der gemäß Merkmal I.

Somit enthält E1 keine Lehre, die den Fachmann veranlassen würde, die in der Entgegenhaltung D1 beschriebene Doppelhubhandhabung des dort offenbarten Kraftfahrzeugschließsystems elektrisch umzusetzen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit für den Fachmann auch ausgehend von dem in der Entgegenhaltung D1 offenbarten Schließsystem nicht naheliegend.

7. Keiner der von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände steht einer Aufrechterhaltung des Streitpatents wie erteilt entgegen. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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