European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T136916.20200922 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 September 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1369/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01962728.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | G07D7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR ECHTHEITSPRÜFUNG VON DOKUMENTEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Giesecke+Devrient Currency Technology GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Bundesdruckerei GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein) Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 1 295 262 in geänderter Form aufrechtzuerhalten (Art. 101 (3) a) EPÜ).
II. Der Einspruch war auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 (a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973 sowie Artikel 100 (c) EPÜ 1973 gestützt.
III. Es wird auf folgende Dokumente verwiesen:
E1: EP 0 706 698 B1
E2: DE 198 82 762 T1
E9: "Aufgepasst - Falschgeld! - 'Falsche Fünfziger' im Landkreis Garmisch-Partenkirchen", URL: www.mittelbayerische.de/polizei/bayernweit/aufgepasst-falschgeld..., veröffentlicht am 12. September 2014
IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellten die Parteien folgende Anträge:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 295 262 B1.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 3, alle eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 22. November 2019.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags liest sich wie folgt (die fettgedruckte Merkmalsnummerierung 1.1 bis 1.10 wurde analog der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Merkmalsnummerierung von der Kammer eingefügt):
1.1 Vorrichtung zur Echtheitsprüfung von Dokumenten, insbesondere Banknoten, Wert- oder Sicherheitsdokumenten, mit
1.2 - mindestens einer Meßeinrichtung (15) zur Messung von mindestens einem Echtheitsmerkmal an einem zu prüfenden Dokument (10) und
1.3 - mindestens einer Auswerteeinrichtung (16) zur Prüfung des gemessenen Echtheitsmerkmals anhand von Echtheitskriterien,
1.4 wobei die Auswerteeinrichtung (16) zur Echtheitsprüfung des Dokuments (10) anhand von Echtheitskriterien einer aus mehreren unterschiedlichen Echtheitsklassen ausgewählten Echtheitsklasse ausgebildet ist, wobei die Echtheitsklassen jeweils ein oder mehrere Echtheitskriterien umfassen und sich in mindestens einem Echtheitskriterium voneinander unterscheiden und
1.5 wobei die Anforderungen an die Echtheit je nach Echtheitsklasse unterschiedlich hoch sind, dadurch gekennzeichnet, daß
1.6 - die Meßeinrichtung (15) zur Messung von mindestens einem Zustandsmerkmal, welches den Zustand eines zu prüfenden Dokuments (10) charakterisiert, ausgebildet ist und
1.7 die Auswerteeinrichtung (16) zur Bestimmung des Zustands des Dokuments (10) aus dem gemessenen Zustandsmerkmal
1.8 sowie zur Auswahl der Echtheitsklasse in Abhängigkeit vom bestimmten Zustand des Dokuments (10) ausgebildet ist,
1.9 wobei saubere und unbeschädigte Dokumente mit wesentlich strengeren Echtheitskriterien geprüft werden als stark verschmutzte oder beschädigte Dokumente, und
1.10 - dem Dokument (10) die ausgewählte Echtheitsklasse zugeordnet wird, wenn deren Echtheitskriterien von dem Dokument (10) erfüllt werden.
VI. Der Vortrag der Parteien und ihre für die Entscheidung wesentlichen Argumente werden im Folgenden zusammengefasst:
a) Artikel 100 (c) EPÜ 1973
Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung (Merkmal 1.9) darstelle und somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. In der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 4, Zeilen 20 bis 24 sei die Auswahl einer Echtheitsklasse nur in Verbindung mit dem Verschmutzungsgrad des Dokuments offenbart und das Weglassen des Wortlauts "in Abhängigkeit vom Verschmutzungsgrad" erweitere den Anspruchsgegenstand in unzulässiger Weise.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass die in Anspruch 1 eingefügte Änderung in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart sei und somit keine unzulässige Erweiterung vorliege. Aus den ursprünglichen Unterlagen gehe zweifelsfrei hervor, dass einwandfreie Dokumente schärfer geprüft würden als nicht einwandfreie Dokumente. Basis hierzu gebe es auf Seite 4, Zeilen 12 bis 24 sowie in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 3 und 19.
b) Artikel 100 (a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973
Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E1 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Lehre aus E2 keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
Das Dokument E1 zeige eine Vorrichtung zur Echtheitsprüfung von Dokumenten, worin eine zweistufige Prüfung auf Echtheit in der Figur 1 und Spalte 3, Zeilen 29 bis 49 aufgezeigt sei ("first and second acceptance criterion"). Auch offenbare E1 in Spalte 1, Zeilen 26 bis 30 und 41 bis 44, dass eine Prüfung auf Echtheit und Zustand stattfinde, da nur darauf basierend die Akzeptanz eines Dokuments bestimmt werden könne. Hieraus ergebe sich, dass lediglich die Merkmale 1.8 und 1.9 in der E1 nicht offenbart seien. Diese seien aber durch E2, insbesondere Seite 49, erster Absatz nahegelegt, da dort genannt sei, dass die auf Seite 47, zweiter Absatz bis Seite 48, erster Absatz erläuterte Prüfung auf Doppelung von Geldscheinen auch für eine Echtheitsprüfung verwendet werden könne. Bei der Prüfung auf Doppelung stelle der Bediener den Empfindlichkeitsgrad der Dichtemessung für neue Banknoten höher ein als für gebrauchte Scheine, welche ein niedrigeres Empfindlichkeitsniveau erforderten. Somit sei offenbart, dass bei einer Echtheitsprüfung der Geldscheine die Empfindlichkeit der Messungen für neue Banknoten strenger eingestellt werden solle als für gebrauchte Banknoten. Auch wenn dies in E2 händisch durch den Bediener eingestellt werde, sei es für den Fachmann naheliegend, dies in der aus E1 bekannten Vorrichtung zu automatisieren, sodass sich die in Anspruch 1 definierte Vorrichtung unmittelbar daraus ergebe.
Des Weiteren argumentierte die Beschwerdeführerin, dass der im unabhängigen Anspruch 1 definierte Gegenstand aus der Zusammenschau der Lehre der E2 mit derjenigen der E1 oder ausgehend von der Lehre der E1 mit dem allgemeinen Fachwissen oder der Lehre der E9 naheliegend sei.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Meinung, dass der in Anspruch 1 definierte Gegenstand nicht durch die Zusammenschau der Lehren der Dokumente E1 mit E2 nahegelegt sei und folglich eine erfinderische Tätigkeit aufweise.
Im Dokument E1 fehle eine klare Trennung zwischen einem Zustandsmerkmal und einem Echtheitsmerkmal, E1 unterscheide lediglich zwischen akzeptablen und nicht akzeptablen Banknoten (Spalte 1, Zeilen 36 bis 40). Die Messung eines Zustandsmerkmals gemäß der Merkmale 1.6 und 1.7 fehle ebenso wie die Merkmale 1.8 und 1.9. Ausgehend von diesen Unterschieden würde sich die objektive technische Aufgabe stellen, die Zuverlässigkeit der Echtheitsprüfung zu erhöhen. Selbst wenn der Fachmann die Lehre der Doppelabzugsprüfung in E2 auf die Echtheitsprüfung übertrüge, würde er lediglich die Einstellmöglichkeit für die Vergleichsmessung im Schritt 402 (Fig. 7 der E2) vorab festlegen, um dann pauschal einen einheitlichen Stapel vergleichbarer Dokumente/Banknoten, z.B. nur neue Scheine, zu prüfen. Eine individuelle Echtheitsprüfung für jeden einzelnen Schein dem Zustand entsprechend sei nicht nahegelegt, was aber gerade die wesentliche Idee des Streitpatents darstelle. Somit ergebe sich aus der Zusammenschau der E1 mit E2 die im Anspruch definierten Vorrichtung nicht in naheliegender Weise.
Zu den weiteren Argumentationslinien (E2 mit E1, E1 mit dem allgemeinen Fachwissen oder E1 mit E9) vertrat die Beschwerdegegnerin die Meinung, dass diese noch weniger überzeugend seien und den in Anspruch 1 definierten Gegenstand nicht nahelegten.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
1.1 Artikel 100 (c) EPÜ 1973
1.1.1 Im Laufe des Prüfungsverfahrens wurde das Merkmal 1.9 "wobei saubere und unbeschädigte Dokumente mit wesentlich strengeren Echtheitskriterien geprüft werden als stark verschmutzte oder beschädigte Dokumente" aus der Beschreibung in den Anspruchswortlaut aufgenommen. Es basiert auf der Offenbarung Seite 4, Zeilen 20 bis 24 der ursprünglichen Beschreibung, wo es heißt: "Beispielsweise kann die Auswahl der Echtheitsklasse (...) in Abhängigkeit vom Verschmutzungsgrad des Dokuments erfolgen, wobei saubere und unbeschädigte Dokumente mit wesentlich strengeren Echtheitskriterien (...) geprüft werden können als stark verschmutzte oder beschädigte Dokumente".
1.1.2 Die Kammer ist der Meinung, dass trotz der Nichtaufnahme von "in Abhängigkeit vom Verschmutzungsgrad" in den Anspruchswortlaut der beanspruchte Gegenstand nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 100 (c) EPÜ 1973).
Im zweiten Absatz auf Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung sind Beispiele für einen Zustand eines Dokuments, wie Verschmutzungsgrad, Lappigkeit, Beschädigung, Fremdkörper u.ä., aufgelistet. Weiter wird erläutert, dass die Echtheit in Abhängigkeit des Zustands zu prüfen ist. Auch offenbart der gleiche Absatz, dass Dokumente in sehr gutem Zustand verschärft auf Echtheit geprüft werden (Seite 4, Zeile 29 bis Seite 5, Zeile 2) und dass die Auswahl der Echtheitsklasse beispielsweise in Abhängigkeit des Verschmutzungsgrads erfolgen kann (Seite 4, Zeilen 20 bis 24). Die Wortwahl von "beispielsweise" und "kann" ist nach Ansicht der Kammer so zu verstehen, dass der Verschmutzungsgrad lediglich ein mögliches Zustandsmerkmal darstellt, von dem die Auswahl der Echtheitsklasse abhängen kann. Insbesondere ist der Verschmutzungsgrad in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 4, Zeilen 16 bis 20, als eines dieser möglichen Zustandsmerkmale neben anderen genannt und auch auf Seite 4, Zeilen 20 bis 24 nur beispielhaft erwähnt.
Die gesamte Lehre des zweiten Absatzes auf Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung bis Seite 5, Zeile 2 handelt von einer zustandsabhängigen Echtheitsprüfung, wobei ein einwandfreies Dokument strengeren Echtheitskriterien unterzogen werden soll, als Dokumente, welche gewisse Abnutzungserscheinungen, wie Verschmutzung, Beschädigung o.ä. aufweisen. Die Auswahl der Echtheitsklasse erfolgt in Abhängigkeit des Zustands und nicht allein in Abhängigkeit des Verschmutzungsgrads. Dies spiegelt sich in der Angabe "stark verschmutzte oder beschädigte Dokumente" im Merkmal 1.9 wider, welche gemäß üblichem Verständnis der Konjunktion "oder" die drei Alternativen "stark verschmutzte", "beschädigte", "stark verschmutzte und beschädigte" Dokumente impliziert. Eine enge Verbindung des Merkmals 1.9 mit der Angabe, dass die Auswahl der Echtheitsklasse in Abhängigkeit vom Verschmutzungsgrad erfolgt, kann dabei schon deshalb ausgeschlossen werden, weil diese Angabe lediglich für die genannte erste und dritte Alternative, nicht aber für die zweite Alternative zutrifft.
Schließlich steht die Offenbarung in der detaillierten Beschreibung auf Seite 7, Zeile 26 bis Seite 8, Zeile 10 auch nicht im Widerspruch zur allgemeinen Darstellung im einleitenden Teil der Beschreibung (Seite 4, Zeile 12 bis Seite 5, Zeile 2). Abhängig vom Zustand werden die geprüften Dokumente in eine von mehreren Zustandsklassen eingeteilt (Seite 7, Zeile 26 bis Seite 8, Zeile 1) und die Auswahl der Echtheitsklasse erfolgt dann in Abhängigkeit der Zustandsklasse, wobei die Echtheitskriterien für Dokumente in sehr gutem Zustand strenger sind als für Dokumente in nur brauchbarem oder unbrauchbarem Zustand (Seite 8, Zeilen 3 bis 10).
Aus den genannten Offenbarungsstellen geht somit eindeutig hervor, dass die Auswahl der Echtheitsklasse in Abhängigkeit vom Zustand des Dokuments erfolgt, und dass hierbei saubere und unbeschädigte Dokumente strenger geprüft werden als stark verschmutzte und/oder beschädigte Dokumente.
Eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung liegt daher nicht vor. Vielmehr geht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hervor.
1.2 Artikel 100 (a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973
1.2.1 Nächstkommender Stand der Technik
Beide Parteien waren sich einig, dass das Dokument E1 einen geeigneten nächstkommenden Stand der Technik darstellt. Die Kammer erkennt keinen Grund, sich dieser Auffassung nicht anzuschließen.
Das Dokument E1 offenbart (die Verweise in Klammern im folgenden Absatz beziehen sich auf E1) eine Vorrichtung zur Echtheitsprüfung von Banknoten (Spalte 1, Zeilen 3 bis 5) mit mindestens einer Messeinrichtung (1) zur Messung von mindestens einem Parameter an einem zu prüfenden Dokument (2) und einer Auswerteeinrichtung (Entscheidungseinheit 14 und Kontrolleinheit 15) zur Prüfung des gemessenen Parameters anhand von Akzeptanzkriterien, wobei die Auswerteeinrichtung (14, 15) zur Akzeptanzprüfung des Dokuments (2) anhand von Akzeptanzkriterien einer aus mehreren unterschiedlichen Akzeptanzklassen ausgewählten Akzeptanzklasse ausgebildet ist (Fig. 1; Spalte 2, Zeilen 25 bis 34; Spalte 4, Zeile 45 bis Spalte 5, Zeile 1), wobei die Akzeptanzklassen jeweils ein oder mehrere Akzeptanzkriterien (Akzeptanzbereiche TAi und TBi in Hinblick auf xi) umfassen und sich in mindestens einem Akzeptanzkriterium voneinander unterscheiden (siehe Fig. 1; Unterscheidung entsprechend der Intervalle, welche von TAi und TBi vorgegeben werden) und wobei die Anforderungen an die Akzeptanz je nach Akzeptanzklasse unterschiedlich hoch sind (definiert durch die Akzeptanzbereiche TAi und TBi), wobei die Messeinrichtung (1) zur Messung von mindestens einem weiteren Merkmal (xi mit i=1,2,...N; Sp. 3, Z. 29 bis 49) ausgebildet ist und die Auswerteeinrichtung (14, 15) dem Dokument (10) die ausgewählte Akzeptanzklasse zuordnet, wenn die Akzeptanzkriterien von dem Dokument erfüllt werden.
In einer weiteren Argumentationslinie ist die Beschwerdeführerin von Dokument E2 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen. Auch wenn die in Dokument E2 offenbarte Vorrichtung zur Echtheitsprüfung von Dokumenten/Banknoten ausgelegt ist und zwei in Abtastköpfen integrierte Messsensoren umfasst, so geht die dortige Offenbarung nicht darüber hinaus, mit den Sensoren zwei unterschiedliche Eigenschaften, insbesondere Echtheit und Nennwert, zu messen, wobei die Messung und Auswertungen der beiden Eigenschaften völlig unabhängig voneinander erfolgt (siehe E2, Seite 24, letzter Absatz bis Seite 25, erster Absatz; Fig. 4). Die Kammer hält die Wahl von E2 als nächstkommendem Stand der Technik für weniger aussichtsreich als diejenige von E1.
1.2.2 Unterscheidende Merkmale
In Bezug auf die Lehre des Dokuments E1 ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass nur die Merkmale 1.8 und 1.9 nicht offenbart seien, wohingegen die Beschwerdegegnerin der Meinung ist, dass auch die Merkmale 1.6 und 1.7 nicht aus diesem Dokument hervorgingen.
Hierzu merkt die Kammer folgendes an:
Die in E1 genannte Akzeptanz ("acceptability") wird für die Einteilung des Dokuments in sogenannte Echtheitsklassen herangezogen, sodass die Akzeptanzklassen mit den in Anspruch 1 definierten Echtheitsklassen identifiziert werden können. Die in Dokument E1 verwendete Akzeptanz und die hierfür gemessenen Parameter fordern aber entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht, zwischen Zustand und Echtheit zu unterscheiden bzw. Zustandsmerkmale und Echtheitsmerkmale getrennt zu messen und zu bestimmen. In E1, Spalte 1, Zeilen 23 bis 49 wird lediglich offenbart, dass nicht akzeptable Banknoten entweder gefälscht oder in einem schlechten Zustand sind und akzeptable Banknoten echt und in einem guten Zustand sind. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass getrennte Messungen für Echtheit und Zustand durchgeführt werden, geschweige denn, dass Echtheit und Zustand explizit aus den Messungen bestimmt würden. Die Akzeptanz erlaubt lediglich, Rückschlüsse auf Echtheit und Zustand zu ziehen, ohne dazu beizutragen, zwischen diesen Kategorien zu unterscheiden. Vielmehr wird sie als übergeordneter Begriff von Echtheit und Zustand betrachtet.
Daher kann die in E1 offenbarte Messeinrichtung zwar als zur Messung eines Zustandsmerkmals ausgebildet angesehen werden, die Auswerteeinrichtung bestimmt aber den Zustand nicht getrennt von der Echtheit, sondern der Zustand fließt lediglich in die Akzeptanz des Dokuments mit ein. Der Zustand wird jedoch in E1 nicht explizit bestimmt. Folglich liegt Merkmal 1.6 vor, Merkmal 1.7 allerdings nicht.
Schließlich offenbart E1 nach Meinung der Kammer auch nicht die zweistufige Auswahl der Echtheitsklasse in Abhängigkeit vom bestimmten Zustand. Die Einteilung in Akzeptanzklassen, welche in Figur 1 der E1 gezeigt ist, zeigt drei Akzeptanzklassen:
- außerhalb des Bereichs TA,
- innerhalb des Bereichs TB und
- innerhalb von TA, aber außerhalb von TB.
Die Einteilung eines Dokuments in eine dieser drei Klassen basiert auf dem oder den gleichen Parametern xi. Eine Einteilung auf Grundlage eines ersten Parameters (Bestimmung des Zustands; Merkmal 1.7) und eine Überprüfung der Echtheitskriterien mit Hilfe eines separaten weiteren Parameters (des Echtheitsmerkmals; Merkmal 1.2), welcher in Abhängigkeit des zuvor bestimmten Zustands und somit in Abhängigkeit des ersten Parameters erfolgt (wie in Merkmal 1.8 definiert), ist in E1 nicht aufgezeigt. Somit fehlt in E1 das Merkmal 1.8.
Auch kann dem Dokument E1 nicht entnommen werden, dass die Prüfkriterien (die Bereiche TA und TB bzw. die zulässigen Abweichungen A und B) sich in Abhängigkeit des zuvor bestimmten Zustands ändern (strengere Prüfkriterien bei tadellosen Dokumenten, weniger strenge Prüfkriterien bei verschmutzten oder beschädigten Dokumenten), sodass auch Merkmal 1.9 nicht in E1 offenbart ist.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich daher durch die Merkmale 1.7 bis 1.9 von der aus E1 bekannten Vorrichtung.
1.2.3 Wirkung und objektive technische Aufgabe
Die durch die unterscheidenden Merkmale erzielte Wirkung wird in einer zuverlässigeren Echtheitsbestimmung gesehen, bei der die Anzahl der falsch klassifizierten Dokumente reduziert wird. Somit wird die durch die beanspruchte Vorrichtung gelöste Aufgabe in der Erhöhung der Zuverlässigkeit der Echtheitsbestimmung gesehen. In dieser Formulierung der gestellten Aufgabe waren sich die Parteien einig.
1.2.4 Naheliegen - E1 in Kombination mit E2
Das Dokument E2, welches ebenfalls die Echtheitsprüfung von Banknoten betrifft, gibt auf Seite 49, erster Absatz einen konkreten Hinweis, die Vorgehensweise einer Dichtemessung zur Vermeidung von Banknoten-Doppelungen (Seite 47, letzter Absatz bis Seite 48, erster Absatz) auch für die Echtheitsprüfung von Banknoten anzuwenden. Die dort aufgezeigte Vorgehensweise umfasst, dass der Empfindlichkeitsgrad der Dichtemessung für neue Scheine höher bzw. strenger eingestellt werden kann, als für gebrauchte Scheine (Seite 47, letzter Satz bis Seite 48, erster Satz). Hierbei wird der Empfindlichkeitsgrad vom Bediener für die Überprüfung eines ganzen Stapels vergleichbarer Banknoten manuell an der Vorrichtung eingestellt.
Würde der Fachmann diese Lehre in der Vorrichtung gemäß E1 integrieren, würde er den Empfindlichkeitsgrad je nach Zustand des zu untersuchenden Banknotenstapels vorab manuell einstellen. Er würde zunächst die Banknoten stapelweise entsprechend ihrem Zustand sortieren und dann diese Banknotenstapel auf Akzeptanz mit der Vorrichtung aus E1 untersuchen, wobei je nach Zustand die Messempfindlichkeit (die Bereiche TA und TB bzw. die zulässigen Abweichungen A und B in E1) manuell durch den Benutzer eingestellt werden würde. Dies zu Automatisieren führt allerdings entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht zum Anspruchsgegenstand, denn die Scheine würden erst ihrem Zustand entsprechend stapelweise vorsortiert, um sie dann entsprechend der Lehre der E2 stapelweise auf Echtheit mit strengeren Echtheitskriterien für neue Scheine und schwächeren Echtheitskriterien für gebrauchte Scheine zu prüfen.
Es erscheint aber nicht naheliegend, die in E1 gemessenen Parameter xi in eine zweistufige Prüfung aufzuspalten und zunächst ein Dokument auf dessen Zustand zu untersuchen, diesen dann zu bestimmen, um dann davon abhängig in einem getrennten weiteren Schritt die Echtheit zu überprüfen. Eine individualisierte (im Gegensatz zu der genannten stapelweisen) Echtheitsprüfung, bei der für jeden Geldschein einzeln zunächst ein Zustand bestimmt wird, und abhängig vom Zustand die Echtheitskriterien individuell ausgewählt und überprüft werden, ergibt sich nach Meinung der Kammer nicht aus der Zusammenschau der Lehre der E1 mit derjenigen der E2. Eine solche individualisierte, zweistufige Dokumentenprüfung, wie sie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen wurde, ist aber nach Meinung der Kammer als wesentliches Merkmal des Streitpatents anzusehen, insbesondere da dies explizit im Anspruchswortlaut definiert ist. In der Definition der Merkmale 1.7 und 1.8 heißt es nämlich, dass die Zustandsbestimmung für jedes Dokument individuell erfolgt: "Bestimmung des Zustands des Dokuments (10)" und "vom bestimmten Zustand des Dokuments" (Hervorhebung durch die Kammer).
Somit kommt die Kammer zu dem Schluss, dass eine individuelle Überprüfung der Banknoten, so wie in Anspruch 1 definiert, aus der Zusammenschau der Lehren der E1 und E2 nicht nahegelegt wird.
1.2.5 Naheliegen - weitere Argumentationslinien
Nach Ansicht der Kammer sind die weiteren, von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumentationslinien (E1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, E1 in Kombination mit E9 oder E2 in Kombination mit E1) ebenfalls nicht überzeugend.
Ausgehend von der E1 gibt es für den Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens keinen Hinweis, die Akzeptanzbestimmung in eine Zustandsbestimmung und eine davon abhängige Echtheitsbestimmung aufzuspalten, selbst unter der Annahme, dass es dem Fachmann bekannt ist, dass die Echtheitsprüfung einer Banknote von deren Zustand beeinflusst wird.
Um solches Fachwissen zu belegen hat die Beschwerdeführerin das Dokument E9 vorgelegt. Die Kammer stellt fest, dass E9 aufgrund seines Veröffentlichungsdatums im Jahre 2014 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ 1973 zu zählen ist und als Polizeimeldung auch nicht das Fachwissen des relevanten Fachmanns widerspiegelt. Somit kann E9 weder das allgemeine Fachwissen am Prioritätsdatum belegen, noch als Dokument in der Argumentation herangezogen werden.
Ausgehend von der Lehre der E2 in Kombination mit der Lehre der E1 wird der in Anspruch 1 definierte Gegenstand ebenfalls nicht nahelegt. Wie bereits oben in Absatz 1.2.1 genannt, ist bereits die Wahl von E2 als nächstkommendem Stand der Technik nicht überzeugend. Selbst wenn allerdings von E2 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen wird, würde der Fachmann aus den unter Punkt 1.2.4 genannten Gründen auch bei umgekehrter Argumentation zunächst eine Vorsortierung der zu untersuchenden Dokumente/Banknoten durchführen. Diese vorsortierten Dokumentenstapel würden dann ihrem Zustand entsprechend auf Echtheit geprüft. Eine individualisierte, zweistufige Echtheitsüberprüfung gemäß dem im Anspruch 1 definierten Gegenstand wird folglich auch durch die Kombination der Lehre der E2 mit derjenigen der E1 nicht nahegelegt.
1.2.6 Der Gegenstand des Streitpatents beruht folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973).
2. Schlussfolgerung
Da das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ insbesondere bezüglich Zulässigkeit der Änderungen und erfinderischer Tätigkeit genügen, ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu bestätigen und somit die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Artikel 101 (3) a) EPÜ und Artikel 111 (1) EPÜ 1973).
Die Prüfung der Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin ist nicht notwendig.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.