T 1319/16 () of 17.6.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T131916.20190617
Datum der Entscheidung: 17 Juni 2019
Aktenzeichen: T 1319/16
Anmeldenummer: 05850422.6
IPC-Klasse: G01F 23/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUR BESTIMMUNG UND/ODER ÜBERWACHUNG DER PROZESSGRÖßE FÜLLSTAND EINES FÜLLGUTS IN EINEM BEHÄLTER
Name des Anmelders: Endress+Hauser SE+Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja
Neuheit - geänderte Ansprüche)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) richtet ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 05850422.6 zurückgewiesen worden ist.

Während des erstinstanzlichen Prüfungsverfahrens wurden folgende Dokumente genannt:

D1: US 6 178 817 B1

D2: WO 2004 065799 A2

D3: EP 0 780 664 A2

D4: US 3 477 290 A.

In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Prüfungsabteilung die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß den damals geltenden Anträgen nicht neu im Hinblick auf die Druckschrift D1 sei.

II. In ihrer Erwiderung auf eine der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügte Mitteilung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin neue Anmeldungsunterlagen ein.

Auf eine telefonische Rücksprache mit dem Berichterstatter der Kammer hin reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Mai 2019 Ansprüche 1 bis 5, Seiten 1 bis 10 der Beschreibung und Zeichnungsblatt 1/1 als Hauptantrag sowie weitere Anmeldungsunterlagen als Hilfsantrag ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Anmeldungsunterlagen gemäß Hauptantrag, hilfsweise auf der Grundlage der Anmeldungsunterlagen gemäß Hilfsantrag, zu erteilen.

Daraufhin wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

III. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Füllstandsmessgerät zur Bestimmung und/oder Überwachung der Prozessgröße Füllstand eines Füllguts in einem Behälter, umfassend:

- ein Gehäuseteil (2) mit einem Innenraum (17), wobei das Gehäuseteil (2) an dem Behälter befestigbar ist,

- ein leitfähiges Element (3), das sich im montierten Zustand in den Behälter hineinerstreckt und das mit dem Gehäuseteil (2) über eine lösbare und wiederverschließbare Verbindung (4) gekoppelt ist, wobei die Verbindung (4) im Innenraum (17) angeordnet ist,

- ein Isolationselement (11), welches in einem definierten Bereich zwischen dem leitfähigen Element (3) und dem Gehäuseteil (2) angeordnet ist,

- eine erste Prozessdichtung (9), und

- eine zweite Prozessdichtung (8),

wobei die erste Prozessdichtung (9) zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Gehäuseteil (2) und dem Isolationselement (11), und die zweite Prozessdichtung (8) zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Isolationselement (11) und dem leitfähigen Element (3) angeordnet sind, dass der Innenraum (17) zum Füllgut hin spaltfrei abgedichtet ist, und

wobei das Füllstandsmessgerät den Füllstand des Füllguts über ein kapazitives Messverfahren oder über ein konduktives Messverfahren oder über die Laufzeit von an dem leitfähigen Element (3) entlang geführten hochfrequenten Messsignalen ermittelt."

Der Anspruchssatz gemäß Hauptantrag beinhaltet auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 5, die sich auf bevorzugte Ausführungen des Füllstandsmessgeräts nach Anspruch 1 richten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Änderungen

Der geänderte Anspruch 1 gemäß dem geltenden Hauptantrag ergibt sich aus der Kombination der Merkmale der Ansprüche 1 bis 4, 7 und 8 wie ursprünglich eingereicht mit der linken Ausführungsvariante der Fig. 2 (vgl. Absatz [0031], Zeilen 1 bis 8) und den folgenden Passagen der Beschreibung der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht: Absatz [0013]; Absatz [0014], Zeilen 1 bis 6; Absatz [0018], Zeilen 3 bis 5; und Absatz [0028], Zeilen 1 und 2. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag entsprechen jeweils den abhängigen Ansprüchen 5, 6, 9 und 10 wie ursprünglich eingereicht.

Die vorgenommenen Änderungen der Beschreibung betreffen die Würdigung des Standes der Technik (Dokumente D1 bis D4) (Regel 27 (1) b) EPÜ 1973) und die Anpassung an die beanspruchte Erfindung (Artikel 84 und Regel 27 (1) c) EPÜ 1973).

Die Anmeldungsunterlagen gemäß Hauptantrag erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

3. Hauptantrag - Neuheit

3.1 In ihrer Entscheidung hat die Prüfungsabteilung die Auffassung vertreten, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß den damals geltenden Anträgen nicht neu gegenüber der Druckschrift D1 sei.

Die Druckschrift D1 offenbart ein Füllstandsmessgerät zur Bestimmung und Überwachung der Prozessgröße Füllstand eines Füllguts in einem Behälter (Zusammenfassung und Fig. 4 zusammen mit der entsprechenden Beschreibung in Spalte 4, Zeile 28 bis Spalte 6, Zeile 26). Das Füllstandsmessgerät besteht aus einem an dem Behälter befestigbaren Gehäuseteil (44), einem leitfähigen Element (42 und 60), das sich im montierten Zustand in den Behälter hineinerstreckt und das mit dem Gehäuseteil gekoppelt ist, ein Isolationselement (66a, 66b und 66c), das in einem definierten Bereich zwischen dem leitfähigen Element und dem Gehäuseteil (2) angeordnet ist, und eine erste und eine zweite Dichtung (102, 104). Bei dem Füllstandsmessgerät wird der Füllstand des Füllguts über die Laufzeit von an dem leitfähigen Element entlang geführten hochfrequenten Messsignalen ermittelt (Spalte 3, zweiter und dritter Absatz, und Spalte 5, dritter Absatz).

Die Merkmale des Anspruchs 1 gemäß den der Entscheidung zugrunde liegenden Anträgen, die sich auf die Kopplung zwischen dem leitfähigen Element und dem Gehäuseteil und auf die erste und die zweite Dichtung beziehen, wurden während des Beschwerdeverfahrens konkretisiert und klargestellt, sodass die entsprechenden Merkmale des Anspruchs 1 gemäß dem geltenden Hauptantrag nunmehr erfordern, dass

a) das leitfähige Element mit dem Gehäuseteil über eine lösbare und wiederverschließbare Verbindung gekoppelt ist, wobei die Verbindung im Innenraum des Behälters angeordnet ist, und

b) die erste und die zweite Dichtung Prozessdichtungen darstellen, wobei die erste Prozessdichtung zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Gehäuseteil und dem Isolationselement, und die zweite Prozessdichtung zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Isolationselement und dem leitfähigen Element angeordnet sind, dass der Innenraum des Behälters zum Füllgut hin spaltfrei abgedichtet ist.

Das leitfähige Element des Füllstandsmessgeräts der Druckschrift D1 besteht aus einem inneren Teil (60) und einem äußeren Teil (42), die miteinander über eine lösbare und wiederverschließbare Verbindung (64, 70) gekoppelt sind (Spalte 4, Zeilen 55 bis 58 und Zeilen 64 bis 67); diese Verbindung liegt aber außerhalb des Gehäuseteils und ermöglicht nur die Montage und die Wiedermontage des äußeren Teils des leitfähigen Elements. Der innere Teil (60) des leitfähigen Elements ist mit dem Gehäuseteil über eine Verbindung (66a und 68) gekoppelt, die im Innenraum angeordnet ist; diese Verbindung stellt aber keine lösbare und wiederverschließbare Verbindung dar, u.a. weil das Isolationselement im Körperhohlraum des Gehäuseteils eingeschlossen ist (Spalte 6, Zeilen 19 bis 22 i.V.m. Fig. 4) und der innere Teil des leitfähigen Elements und das Isolationselement während der Herstellung derart fest zusammengebaut sind, dass der innere Teil nur durch teilweise Zerstörung des Isolationselements gelöst werden könnte (siehe Spalte 4, Zeilen 58 bis 64 und Anspruch 3). Somit ist das Merkmal a) neu gegenüber der Druckschrift D1.

Die zwei Dichtungen (102, 104) des Füllstandsmessgeräts der Druckschrift D1 bestehen aus O-Ring-Dichtungen, die - wie von der Prüfungsabteilung argumentiert - jeweils das Gehäuseteil 44 gegen Teile des Isolationselements (66b, 66c) sowie Teile des Isolationselements (66b, 66c) gegen den inneren Teil des leitfähigen Elements (60) im Wesentlichen frontbündig spaltfrei abdichten. Die zwei Dichtungen sind aber im Innenraum des Gehäuseteils angeordnet und stellen daher keine Prozessdichtungen im beanspruchten Sinne dar, insbesondere keine Prozessdichtungen, die jeweils zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Gehäuseteil und dem Isolationselement, und zum Füllgut hin derart frontbündig zwischen dem Isolationselement und dem leitfähigen Element angeordnet sind, dass der Innenraum des Behälters zum Füllgut hin spaltfrei abgedichtet ist. Somit ist auch das Merkmal b) neu gegenüber der Druckschrift D1.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist daher neu gegenüber der Druckschrift D1.

3.2 Die Druckschrift D2 offenbart ein Füllstandmessgerät (Zusammenfassung und Fig. 1 bis 3) mit einem Gehäuseteil (13) und einem leitfähigen Element (1), das eine isolierende Schicht aufweist (Seite 6, Zeilen 17 bis 20) und mit dem Gehäuseteil über eine lösbare und wiederverschließbare Verbindung gekoppelt ist (Seite 3, Zeilen 16 bis 18, und Seite 7, Zeilen 4 bis 6). Die Verbindung zwischen dem leitfähigen Element und dem Gehäuseteil weist Dichtungselemente (O-Ring 6 bzw. Schneidring 4, usw.) auf, die im Innenraum des Gehäuseteils angeordnet sind (Seite 6, Zeile 21 bis Seite 7, Zeile 25). Der Druckschrift D2 sind aber keine Prozessdichtungen mit den beanspruchten Merkmalen entnehmbar.

3.3 Die Druckschrift D3 offenbart ein Füllstandmessgerät (Zusammenfassung zusammen mit Fig. 1 bis 3 und 14 und der entsprechenden Beschreibung) mit einem Gehäuseteil (32 und 68; 406), einem leitfähigen Element (50; 402) und, in einer der Varianten (Fig. 14), einem Isolationselement (426, 434) im Innenraum des Gehäuseteils. Der Endteil des leitfähigen Elements weist einen kegelstumpfförmigen Vorsprung auf, der zwischen zwei Teile des Gehäuseteils gesteckt ist (Fig. 3 und 14, und Spalte 10, Zeilen 25 bis 36), sodass das leitfähige Element mit dem Gehäuseteil zwar lösbar und wiederverschließbar verbunden ist, aber nur in dem Sinne, dass das leitfähige Element durch Auseinanderbauen des Gehäuseteils gelöst bzw. wiederverschlossen werden kann. Das Füllstandmessgerät weist auch eine Dichtung zwischen dem leitfähigen Element und dem Gehäuseteil (Dichtung 64 in Fig. 3, und Spalte 15, Zeilen 15 bis 19) bzw. eine Reihe von im Innenraum des Gehäuseteils angeordneten Dichtungen (O-Ringe 422, 432, 436 und 438 in Fig. 14, und Spalte 19, Zeilen 6 bis 55) auf. Die Druckschrift D3 offenbart somit keine Prozessdichtungen mit den beanspruchten Merkmalen.

3.4 Die Druckschrift D4 offenbart ein Füllstandmessgerät (Fig. 1 und 2 und die entsprechende Beschreibung) mit einem Gehäuseteil (24), einem leitfähigen Element (1), dessen Endteil mit dem Inneren des Gehäuseteils über eine Verbindung gekoppelt ist, und einem Isolationselement (20 und 26), das zwischen dem leitfähigen Element und dem Gehäuseteil angeordnet ist. Der Endteil des leitfähigen Elements ist aber mit dem Inneren des Gehäuseteils (24) fest verbunden. Außerdem weist das Füllstandmessgerät eine Dichtungsanordnung auf, deren Elemente (O-Ringe bzw. Hülsen 20, 21, 25, 31 und 42 in Fig. 2 und Spalte 4, Zeilen 62 bis 71) im Innenraum des Gehäuseteils angeordnet sind. Die Druckschrift D4 offenbart daher keine lösbare und wiederverschließbare Verbindung des leitfähigen Elements und auch keine Anordnung von Prozessdichtungen mit den beanspruchten Merkmalen.

3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 und der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag ist somit neu gegenüber dem vorhandenen Stand der Technik (Artikel 54 (1) EPÜ 1973).

4. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Die Druckschrift D1 stellt den nächstkommenden Stand der Technik dar.

Der technische Effekt, der durch die Unterscheidungsmerkmale a) und b) (vgl. Nr. 3.1 oben), insbesondere durch die beanspruchte Anordnung von Prozessdichtungen, bewirkt wird, besteht darin, einen Austausch einzelner Komponenten des Füllstandsmessgeräts, wie z.B. des leitfähigen Elements bzw. der Dichtungen, durch Demontage und Wiedermontage des Füllstandsmessgeräts zu ermöglichen (vgl. Absätze [0008], [0012], [0013], [0018] und [0028]), ohne dabei eine dichte und spaltfreie Verbindung zwischen den Komponenten zu beeinträchtigen (vgl. Absätze [0013], [0018] und [0028]).

Die durch die beanspruchte Erfindung gelöste objektive Aufgabe kann daher darin gesehen werden, zu ermöglichen, einzelne Teile des Füllstandsmessgeräts ohne großen Aufwand auszutauschen, ohne dabei die technischen Anforderungen des Füllstandsmessgeräts zu beeinträchtigen.

Füllstandsmessgeräte mit einem leitfähigen Element, das mit dem Gehäuseteil des Füllstandsmessgeräts über eine im Innenraum angeordnete, lösbare Verbindung derart gekoppelt ist, dass ein Austauschen des leitfähigen Elements ermöglicht wird, sind bereits bekannt, siehe z.B. die Druckschriften D2 und D3 (vgl. Nr. 3.2 und 3.3 oben). Allerdings würde der Fachmann weder durch die Druckschrift D2 bzw. D3 noch durch den übrigen vorhandenen Stand der Technik (Druckschrift D4) eine Anregung erhalten, das Füllstandsmessgerät der Druckschrift D1 so zu modifizieren, dass er zur beanspruchten Kombination von Merkmalen - insbesondere zu der beanspruchten Anordnung von Prozessdichtungen, vgl. Nr. 3.1 oben, Merkmal b) - gelangen würde.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 und der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973).

5. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der Hauptantrag gewährbar ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit der folgenden Fassung zu erteilen:

- Ansprüche: Nr. 1 bis 5 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2019;

- Beschreibung: Seiten 1 bis 10 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2019; und

- Zeichnungen: Blatt 1/1 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2019.

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