T 1311/16 () of 9.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T131116.20190409
Datum der Entscheidung: 09 April 2019
Aktenzeichen: T 1311/16
Anmeldenummer: 12172151.8
IPC-Klasse: C09J 7/04
C09J 11/02
H01B 13/012
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Klebeband mit textilem Träger für die Kabelbandagierung
Name des Anmelders: tesa SE
Name des Einsprechenden: certoplast Technische Klebebänder GmbH
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (nein)
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.

II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf der Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.

III. Die im Rahmen des Einspruchsverfahrens vor der Einspruchsabteilung eingereichten Dokumente umfassten:

D1: "Farbstoffe - eine Übersicht", Dr. Horst Berneth,

Bayer AG, 2001

D5: DE 10 2008 056 554 A1

D7: WO 97/47690 A1

D8: CH 550 226 .

IV. Das erteilte Patent enthält sieben Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:

"1. Klebeband, bestehend aus einem textilen Träger und aus einer auf mindestens einer Seite des Trägers aufgebrachten Klebeschicht, wobei der Träger durch eine Mischung aus Farbstoffen und/oder Pigmenten eingefärbt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Mischung aus gelben und roten Farbstoffen und/oder Pigmenten besteht, der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment aus einer Azo-Verbindung besteht oder der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst."

Die Ansprüche 2 bis 5 sind abhängige Ansprüche, und die Ansprüche 6 und 7 betreffen die Verwendung des anspruchsgemäßen Klebebandes zum Ummanteln von langgestrecktem Gut.

V. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück, da:

- der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe;

- das Patent die Erfindung ausreichend offenbare, so dass ein Fachmann sie ausführen könne; und

- der beanspruchte Gegenstand gegenüber D5 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

VI. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Einsprechende (nachfolgend "Beschwerdeführerin") Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das angegriffene Patent vollständig zu widerrufen.

Mit der Beschwerdebegründung reichte sie die folgenden Dokumente ein:

D10: Produktkatalog "Textile Effects - Huntsman

positive list for ZDHC and H&M RSL", Basel, März

2013

D11: EP 1 607 459 A1 .

VII. Die Patentinhaberin (nachfolgend "Beschwerdegegnerin") beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das angegriffene Patent auf Grundlage der Hilfsanträge I oder II, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 3. Januar 2017, aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus beantragte sie, D10 und D11 nicht zum Verfahren zuzulassen.

VIII. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung hat die Kammer am 29. Januar 2019 eine Mitteilung erlassen, worin sie ihre vorläufige Meinung erläutert hat.

IX. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin nochmals eine Seite (D10') des bereits eingereichten Dokuments D10 ein.

X. Mit Schreiben vom 6. März 2019 reichte die Beschwerdegegnerin einen weiteren Produktkatalog der Firma Huntsman ein und beantragte, dieses Dokument zum Verfahren zuzulassen:

D12: Produktkatalog "Textile Effects - Towards Zero

Discharge of Hazardous Chemicals - Huntsman

Positive List", Basel, November 2011.

XI. Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin für den Fall, dass D10 nicht zum Verfahren zugelassen würde, auch D12 nicht zum Verfahren zuzulassen.

XII. Am 9. April 2019 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Beide Parteien hielten an ihren schriftlich gestellten Anträgen fest. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

XIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

- In der ursprünglich eingereichten Anmeldung finde sich keine Stütze für die zweite alternative Farbmischung des Anspruchs 1, wonach der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst. Die Kombination der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 biete keine ausreichende Offenbarung, zumal der Rückbezug des ursprünglichen Anspruchs 4 auf Anspruch 3 zu einem unauflösbaren Widerspruch führe. Auch die Beschreibung und die Beispiele der ursprünglichen Anmeldung würden die zweite Alternative des Anspruchs 1 nicht stützen.

- Die Erfindung sei nicht ausführbar, da in dem Patent kein Weg zur Ausführung der Erfindung durch geeignete Beispiele angegeben sei. Sowohl die Gegenbeispiele 1 und 2 als auch die Beispiele 3 und 4 seien nicht nachvollziehbar, und die Ausführungsformen der Figuren 1 bis 4 fielen nicht unter den Anspruch 1. Das in den Gegenbeispielen 1 und 2 erwähnte "TERASIL Orange GL" sei - wie aus D10 ableitbar - nicht erhältlich gewesen. Auch das in den Beispielen 3 und 4 verwendete "TERATOP Yellow HL-RS 200% Orange GL" existiere nicht. Ein Fachmann müsse aus einer Vielzahl an Möglichkeiten, z.B. in Bezug auf den Träger, geeignete Farbstoffe, Färberezepturen und Färbeverfahren, auswählen, um geeignete Ausführungsformen aufzufinden.

- Der beanspruchte Gegenstand beruhe gegenüber D5 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D1, D7 oder D8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

- Ausgehend von D5 sei die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, ein Klebeband mit einem orangefarbenen textilen Träger entsprechend den Vorgaben für Hybridautos zur Verfügung zu stellen.

- Ein Fachmann würde auf der Suche nach Farbstoffen zum Färben von Polyesterfasern in D1 fündig werden, worin gelehrt werde, dass ein gelber Farbstoff auf Anthrachinon-Basis beim Färben von Kunststoffen und insbesondere Polyester gebräuchlich sei und durchweg eingesetzt werde. Der auf der Seite 21 wiedergegebene rote Farbstoff sei eine Azo-Verbindung, und eine Mischung von Anthrachinon- und Azo-Verbindungen sei üblich. Damit seien die Maßnahmen des Anspruchs 1 durch eine Kombination von D5 mit D1 nahegelegt.

- D7 beschäftige sich mit Farbstoffmischungen, die brillant, farbstark und stabil ausgelegt seien. Dabei kämen Azo- und Anthrachinon-Verbindungen zum Einsatz. Die fraglichen Farbstoffe seien auch zum Färben textiler Materialien und insbesondere Polyester sowie anderer synthetischer Materialien geeignet. Folglich sei auch D5 in Kombination mit D7 in der Lage, den Gegenstand der Anspruchs 1 nahezulegen.

- Auch D8 vermittle eine Anregung, die in Anspruch 1 beschriebenen Farbstoff- bzw. Pigmentmischungen auszuwählen, um zu der gewünschten orangefarbenen Färbung zu gelangen. D8 befasse sich mit Farbstoffen, die auch für die Herstellung von "Polyester-Trikotgewebe" geeignet seien. Nach den Erläuterungen in Anspruch 1 von D8 würden die Farbstoffe durch die Kombination eines Anthrachinon- und Azo-Grundkörpers hergestellt und eigneten sich nicht nur zum Färben von Polyesterfasern, sondern auch von beschichteten Textilien bzw. beschichteten Geweben. Die in D8 vorgestellten Farbstoffe seien darüber hinaus licht- und migrationsecht. Somit würden beide Alternativen 1 und 2 des Anspruchs 1 durch D5 in Kombination mit D8 nahegelegt.

XIV. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:

- Anspruch 1 erfülle die in Art. 123(2) EPÜ niedergelegten Anforderungen. Die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 4 sowie die entsprechenden Textstellen auf Seite 5 der ursprünglich eingereichten Anmeldung seien die Basis für Anspruch 1 des angegriffenen Patents. Beispiel 3 der ursprünglich eingereichten Anmeldung stütze die zweite Alternative des Anspruchs 1.

- Die Erfindung sei für einen Fachmann als ausführbar anzusehen. Die Offenbarung der Erfindung sei an einen Fachmann gerichtet, und es bestünden keine Zweifel, dass die Angaben in dem angegriffenen Patent einen Fachmann in die Lage versetzten, den Erfindungsgegenstand problemlos nachzustellen.

- Der beanspruchte Gegenstand beruhe gegenüber D5 als nächstliegendem Stand der Technik, allein oder in Kombination mit einem der weiteren Dokumente, auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von D5 sei die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung von Klebebändern mit einem orangefarbenen Träger zu sehen, die in einem Test nach LV 312 auch bei Temperaturen von 125°C beziehungsweise 150°C keine signifikante Farbverblassung nach einer Testdauer von 3000 h aufwiesen. Keines der zitierten Dokumente gebe einen Hinweis, dass die in Anspruch 1 definierte Farbstoff- bzw. Pigmentmischung geeignet sein könnte, diesen Effekt zu erzielen.

Entscheidungsgründe

HAUPTANTRAG (DAS PATENT WIE ERTEILT)

1. Merkmalsanalyse des erteilten Anspruchs 1

Anspruch 1 betrifft:

(1.1) ein Klebeband, bestehend aus einem textilen

Träger und aus einer auf mindestens einer Seite

des Trägers aufgebrachten Klebeschicht,

(1.2) wobei der Träger durch eine Mischung aus

Farbstoffen und/oder Pigmenten eingefärbt ist,

(1.3) wobei die Mischung aus gelben und roten

Farbstoffen und/oder Pigmenten besteht,

(1.4a) der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment

auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff

und/oder das rote Pigment aus einer Azo-

Verbindung besteht (nachfolgend auch als

"Alternative 1" bezeichnet) oder

(1.4b) der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment

auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff

und/oder das rote Pigment eine Mischung von

Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen

umfasst (nachfolgend auch als "Alternative 2"

bezeichnet)."

2. Änderungen

2.1 Anspruch 1 basiert auf einer Kombination der Ansprüche 1 bis 4 der ursprünglich eingereichten Anmeldung (nachfolgend werden Ansprüche der ursprünglich eingereichten Anmeldung auch als ursprüngliche Ansprüche abgekürzt). Strittig war, ob die Alternative 2 des erteilten Anspruchs 1 durch die ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 gestützt wird.

2.2 Die ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 lauten wie folgt:

"3. Klebeband nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment aus einer Azo-Verbindung besteht."

"4. Klebeband nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst."

2.3 Der ursprüngliche Anspruch 3 betrifft die Alternative 1 des erteilten Anspruchs 1, bei der der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert und der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment aus einer Azo-Verbindung besteht. Der ursprüngliche Anspruch 4 beschreibt auf den ersten Blick nur, dass der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst. Aufgrund des expliziten Rückbezugs auf den ursprünglichen Anspruch 3 ist jedoch das Merkmal "der gelbe Farbstoff und/oder das gelbe Pigment auf Anthrachinon basiert" von der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 mitumfasst.

2.4 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin steht das Merkmal im ursprünglichen Anspruch 3, dass der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment aus einer Azo-Verbindung besteht, aufgrund der abschließend auszulegenden Formulierung auch im Widerspruch zu der offenen Formulierung des ursprünglichen Anspruchs 4, wonach der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst. Nach Ansicht der Kammer legt der Fachmann aber die Kombination der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 so aus, dass das Merkmal "der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment aus einer Azo-Verbindung besteht" des ursprünglichen Anspruchs 3 durch das Merkmal "der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfasst" des ursprünglichen Anspruchs 4 ersetzt wird.

Die Kammer kann daher dem Einwand der Beschwerdeführerin nicht folgen, dass die Kombination der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 zu einem für den Fachmann nicht aufzulösenden Widerspruch führe. Vielmehr offenbart der explizite Rückbezug im ursprünglichen Anspruch 4 auf den Anspruch 3 bei technisch sinnvoller Würdigung die Alternative 2 des erteilten Anspruchs 1.

2.5 Diese Auslegung der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4 wird auch durch die Textstelle auf Seite 5, Zeilen 24 und 25, der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt, die lautet:

"Des Weiteren können der rote Farbstoff und/oder das rote Pigment eine Mischung von Anthrachinon-Verbindungen und Azo-Verbindungen umfassen."

Diese Textstelle ist allgemein gültig und umfasst die Alternative 2 des erteilten Anspruchs 1. Der Ansicht der Beschwerdegegnerin ist auch dahingehend zuzustimmen, dass Beispiel 3 ein Ausführungsbeispiel der Erfindung darstellt, das sich hinsichtlich der Farbstoff- bzw. Pigmentmischung unter die Alternative 2 des Anspruchs 1 subsumieren lässt.

Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags die in Art. 123(2) EPÜ niedergelegten Anforderungen. Demgemäß steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents nicht entgegen.

3. Zulassung der Dokumente D10 und D12

3.1 Der Produktkatalog D10 der Firma Huntsman wurde von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Somit ist D10 Teil des Vorbringens der Beschwerdeführerin nach Artikel 12(2) VOBK.

3.2 Die Beschwerdegegnerin beantragte, D10 nicht zum Verfahren zuzulassen, da D10 nachveröffentlicht sei. Somit könne D10 nicht beweisen, dass es die Farbstoffe der Gegenbeispiele 1 und 2 zum Prioritätszeitpunkt nicht gab. Als Gegenbeweis reichte sie einen weiteren Produktkatalog D12 der gleichen Firma ein. Auch D12 ist nachveröffentlicht, liegt aber näher am Prioritätsdatum als D10.

3.3 Nach Ansicht der Kammer liefern im vorliegenden Fall sowohl D10 als auch D12 technische Hintergrundinformationen zur Frage, um welche Farbstoffe es sich in den Gegenbeispielen 1 und 2 bzw. den Beispielen 3 und 4 des angegriffenen Patents handelt. D10 und D12 sind in Bezug auf die Farbstoffe der Beispiele 3 und 4 weitgehend gleichwertig (vgl. Seite 21 von D10 und Seite 19 von D12). Ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied zwischen D10 und D12 besteht darin, dass auf Seite 17 von D12 auch der Farbstoff der Gegenbeispiele 1 und 2 erwähnt ist. Beide Dokumente, D10 vom März 2013 und D12 vom November 2011, zeigen, dass die entsprechenden Farbstoffe der Beispiele und Gegenbeispiele - im Falle von D12 - nur wenige Monate nach dem Prioritätstag des angegriffenen Patents, dem 14. Juli 2011, angeboten wurden. Somit wurden beide Dokumente zum Verfahren zugelassen (Artikel 12(4) bzw. 13(1) VOBK).

4. Ausreichende Offenbarung

4.1 Der erteilte Anspruch 1 bezieht sich auf eine bestimmte Mischung aus Farbstoffen und/oder Pigmenten, mit deren Hilfe der nicht näher spezifizierte textile Träger des beanspruchten Klebebandes eingefärbt ist. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin führen die im angegriffenen Patent gemachten Angaben zu Farbstoffen, Trägermaterialien und Färbeverfahren zu einer praktisch unendlichen Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten, wobei aber der von der Rechtsprechung geforderte mindestens eine Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung fehle bzw. nicht zu erkennen sei. Erschwerend komme dabei noch hinzu, dass die Gegenbeispiele 1 und 2 und die Beispiele 3 und 4 nicht nacharbeitbar seien.

4.2 Wie von der Einspruchsabteilung festgestellt worden ist, erhält ein Fachmann aus den Abschnitten [0016], [0017] und [0020] des angegriffenen Patents Informationen über die zu verwendenden Anthrachinon-Farbstoffe bzw. Anthrachinon-Pigmente und Azo-Farbstoffe. In den Abschnitten [0041] bis [0044] wird das Färben der Trägers näher erläutert. Die Abschnitte [0022] bis [0040] liefern Angaben zum textilen Träger.

Von der Beschwerdeführerin wurden keine experimentellen Daten eingereicht, die Zweifel daran entstehen lassen könnten, dass die anspruchsgemäß geforderte Einfärbung des textilen Trägers nicht möglich sein könnte. Das auf die Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten gerichtete Argument der Beschwerdeführerin basiert auf nicht näher substantiierten Vermutungen und betrifft im Grunde die Breite des Anspruchs. Dieses Argument ist unter erfinderischer Tätigkeit zu behandeln.

4.3 Der Beschwerdeführerin ist dahingehend zuzustimmen, dass das in Figur 1 beschriebene Polyestergewebe nicht mit der anspruchsgemäß geforderten Mischung gemäß der Alternative 1 oder 2 eingefärbt ist, sondern mit nur einem Farbstoff auf Anthrachinonbasis, und somit kein Ausführungsbeispiel der Erfindung darstellt (dies gilt analog auch für die Figuren 2 bis 4).

4.4 Die Kammer ist aber der Ansicht, dass in den Beispielen 3 und 4 unter die Alternativen 1 und 2 fallende Farbstoffmischungen beschrieben sind, die aus den folgenden Gründen auch nacharbeitbar sind.

Bereits aus den Klammerausdrücken "Anthrachinon-Grundkörper" und "Mischung Azo- und Anthrachinon-Grundkörper" des Beispiels 3 und "Anthrachinon-Grundkörper" und "Azo-Grundkörper" des Beispiels 4 ist entnehmbar, dass es sich bei den gelben bzw. roten Farbstoffen bzw. Pigmenten der Beispiele 3 und 4 um anspruchsgemäße Azo- bzw. Anthrachinon-Farbstoffe bzw. Pigmente der Alternativen 1 und 2 handelt. Die Aussage der Beschwerdeführerin, dass das Merkmal (1.4b) (d.h. die Alternative 2) keine Stütze in den Beispielen finde, ist somit nicht zutreffend.

In den Beispielen 3 und 4 ist die Angabe "TERATOP Yellow HL-RS 200% Orange GL" offensichtlich fehlerhaft. Dies wird aus den von der Beschwerdeführerin bzw. Beschwerdegegnerin eingereichten, nachveröffentlichten Dokumenten D10 und D12 deutlich, worin "TERATOP Yellow HL-RS 200%" ohne die zusätzliche Angabe "Orange GL" als kommerziell erhältlicher Polyesterfarbstoff aufgeführt ist (vgl. Seite 21 von D10; und Seite 19 von D12). Somit ist offensichtlich, dass in den Beispielen 3 und 4 nicht "TERATOP Yellow HL-RS 200% Orange GL", sondern "TERATOP Yellow HL-RS 200%" gemeint war. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es sich bei "Orange GL" in den Beispielen 3 und 4 um ein zusätzliches Farbpigment handele, teilt die Kammer daher nicht.

Darüber hinaus ist aus Seite 19 von D12 zu entnehmen, dass auch "TERATOP Red HL-R-01" und "TERATOP Red HL-S" kommerziell erhältliche Polyesterfarbstoffe sind. Die fehlende Angabe "TERATOP" vor "Red HL-R-01" und "Red HL-S" in den Beispielen 3 und 4 wird nicht nur von der Beschwerdeführerin, sondern auch von der Kammer als ein offensichtlicher Fehler angesehen.

Aus Seite 17 von D12 ist zu entnehmen, dass es sich auch bei "TERASIL Orange GL" (Gegenbeispiele 1 und 2) um einen kommerziell erhältlichen Polyesterfarbstoff handelt. Das auf D10 gestützte Argument der Beschwerdeführerin, wonach "TERASIL Orange GL" zum Prioritätszeitpunkt nicht verfügbar gewesen sei, weil dieser Farbstoff in D10 nicht beschrieben ist, wird somit durch D12 widerlegt.

D12 stützt daher, dass die Farbstoffe der Beispiele 3 und 4 (und der Gegenbeispiele 1 und 2) nur wenige Monate nach dem Prioritätszeitpunkt kommerziell erhältlich waren. Daher teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, dass die erfindungsgemäßen Beispiele 3 und 4, sowie die Gegenbeispiele 1 und 2, nicht nacharbeitbar seien. Es wurden keine Beweise von Seiten der Beschwerdeführerin vorgebracht, die belegen könnten, dass es diese Farbstoffe zum Prioritätszeitpunkt des angegriffenen Patent nicht gegeben hat.

Daher ist die Kammer der Ansicht, dass die Beispiele 3 und 4 Wege aufzeigen, mit welchen Farbstoffmischungen ein textiler Träger eingefärbt werden kann. Dabei hat die Kammer die von den Parteien eingereichten, nachveröffentlichten Dokumente D10 und D12 berücksichtigt, weil sie von den Parteien als relevant für den Stand der Technik am Prioritätstag angesehen wurden und die Kammer diese Auffassung nachvollziehen konnte.

Somit ist die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Demgemäß steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents nicht entgegen.

5. Neuheit

Mangelnde Neuheit war nicht Gegenstand der Beschwerde.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 Nächstliegender Stand der Technik

Beide Parteien waren der Ansicht, dass D5 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Kammer sieht keine Veranlassung, davon abzuweichen.

D5 beschreibt ein Klebeband, das aus einem Trägermaterial besteht, auf dem eine Klebemasse aufgebracht ist, wobei das Trägermaterial ein textiler Träger sein kann (vgl. Abschnitt [0027] von D5) und rot oder weiß eingefärbt sein kann (vgl. Abschnitt [0026] von D5).

Beide Parteien sahen den Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und D5 in der Auswahl der Farbstoff- bzw. Pigmentmischung gemäß der Alternative 1 oder der Alternative 2. Diese Ansicht teilt die Kammer.

6.2 Die zu lösende Aufgabe

Es bestand Uneinigkeit zwischen den Parteien, ob aus dem Unterschied gegenüber D5 ein Effekt gezeigt wurde.

Von der Beschwerdeführerin wurde argumentiert, dass die Beispiele 3 und 4 nicht nacharbeitbar seien und daher keinen Effekt gegenüber D5 zeigen können. Somit sah die Beschwerdeführerin die zu lösende Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines alternativen Klebebandes mit einem orange eingefärbten textilen Träger.

Die Beschwerdegegnerin machte gegenüber D5 eine erhöhte Temperaturbeständigkeit des gefärbten textilen Trägers, d.h. kein signifikantes Verblassen nach einer Testdauer von 3000 Stunden in einem Test nach LV 312 auch bei Temperaturen von 125°C bzw. 150°C, geltend. Sie stützte sich dabei auf einen Vergleich der Gegenbeispiele 1 und 2 mit den Beispielen 3 und 4. Sie sah die zu lösende Aufgabe gegenüber D5 darin, ein Klebeband mit einem orange eingefärbten textilen Träger mit einer verbesserten Temperaturbeständigkeit bereitzustellen.

Wie unter Punkt 4.4 im Rahmen der Ausführbarkeit ausgeführt, haben die Beispiele 3 und 4 (und auch die Gegenbeispiele 1 und 2) eine Aussagekraft hinsichtlich der anspruchsgemäßen Farbstoffmischungen. Ein Vergleich der Beispiele 3 und 4 mit den Gegenbeispielen 1 und 2 ist auch geeignet, um den erfindungsgemäß eingefärbten Träger mit dem in D5 beschriebenen Träger zu vergleichen. Die Gegenbeispiele 1 und 2 sind nämlich hinsichtlich der orangefarbenen Einfärbung des Trägers und des Vorhandenseins eines Azo-Farbstoffs sogar näher an dem in Anspruch 1 beschriebenen Träger als dem in D5 allgemein beschriebenen weiß oder rot eingefärbten Träger.

In den Beispielen 3 und 4 sind Farbstoffmischungen gemäß den Alternativen 1 und 2 von Anspruch 1 realisiert. Gemäß dem angegriffenen Patent führt die Verwendung von Farbstoffmischungen der Alternative 1 (Beispiel 4) und der Alternative 2 (Beispiel 3) zu einer verbesserten Temperaturklasse T3 gegenüber den Gegenbeispielen 1 und 2 (Temperaturklasse T2), d. h. ein erfindungsgemäß eingefärbter textiler Träger weist eine verbesserte Temperaturbeständigkeit auf. Auch wenn nicht eindeutig angegeben ist, welcher textile Träger in den Beispielen verwendet worden ist, so gibt es keinen Hinweis darauf, dass in den Beispielen 3 und 4 und den Gegenbeispielen 1 und 2 unterschiedliche Träger verwendet wurden. Nach Ansicht der Kammer wurde somit gezeigt, dass dieser Effekt auf die eingesetzte Farbmischung, d. h. das Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5, zurückzuführen ist.

Das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument der Beschwerdeführerin, wonach völlig unklar sei, ob eine Farbstoffmischung aus beliebigen Mengenanteilen eines Anthrachinon-Farbstoffs und eines Azo-Farbstoffs eine verbesserte Temperaturbeständigkeit ergeben kann, wurde im Rahmen der Diskussion der Ausführbarkeit vorgebracht. Die Kammer hält diesen Vortrag jedoch für ein Argument, das anzweifelt, ob eine verbesserte Temperaturbeständigkeit über den gesamten beanspruchten Bereich erzielbar ist, und somit für eine Frage, die im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen ist.

In Abwesenheit entsprechender experimenteller Daten teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass diese Argumentation lediglich auf einer Spekulation beruht. Daher kann dieses Argument für sich genommen nicht belegen, dass der in den Beispielen 3 und 4 gezeigte Effekt nicht über den gesamten beanspruchten Bereich erzielbar ist.

6.3 Somit wird die objektive technische Aufgabe ausgehend von D5 in der Bereitstellung eines Klebebandes mit einer verbesserten Temperaturbeständigkeit eines orange eingefärbten textilen Trägers gesehen.

6.4 Im Hinblick auf die vorherige Diskussion der Beispiele geht die Kammer davon aus, dass diese Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand gelöst wird.

6.5 Naheliegen der Lösung

Es bleibt nun zu prüfen, ob ein Fachmann aus einem der Dokumente D1, D7 oder D8 eine Anregung zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe durch Einsatz einer anspruchsgemäßen Farbmischung erhält.

D1 erwähnt zwar auf Seite 20, Zeilen 9 bis 11, dass Azo-Farbstoffe zum Färben von Polyester eingesetzt werden. Im gleichen Satz erwähnt D1 jedoch auch, dass sie die farbschwächeren Anthrachinon-Farbstoffe verdrängen. Auf den Seiten 21 und 22 von D1 sind rote Azo-Farbstoffe erwähnt. Auf den Seiten 44 und 45 sind zwar Anthrachinon-Farbstoffe erwähnt. Es sind jedoch keine gelben oder roten Anthrachinon-Farbstoffe beschrieben, sondern nur blaue oder grüne Anthrachinon-Farbstoffe.

Ein Fachmann erhält aus D1 keinen Hinweis, dass eine Mischung gemäß der Alternative 1 oder 2 zu einer verbesserten Temperaturbeständigkeit eines damit orange eingefärbten textilen Trägers führen könnte.

Die Kammer teilt die Meinung der Einspruchsabteilung, dass sich D7 nicht mit Färbemitteln zur Erzeugung gefärbter Textilträger mit verbesserter Langzeit-Hochtemperaturbeständigkeit befasst. Auf Seite 17, Zeilen 8 bis 16, von D7 ist zwar erwähnt, dass die Farbstoffmischungen auch zum Färben von synthetischen Materialien wie Polyestern und insbesondere für textile Materialien geeignet sind. Die in D7 beschriebenen Farbstoffmischungen sind jedoch zur thermischen Übertragung und insbesondere in Thermotransferdruckverfahren geeignet.

Die Kammer ist daher der Ansicht, dass auch D7 keine Anregung dahingehend vermittelt, dass eine Farbstoff- bzw. Pigmentmischung der Alternative 1 oder 2 zu einer verbesserten Temperaturbeständigkeit eines damit orange eingefärbten Trägers führen könnte.

D8 betrifft Küpenfarbstoffe und nicht Färbemittel zur Erzeugung gefärbter textiler Träger mit verbesserter Temperaturbeständigkeit. Darüber hinaus lehrt D8 keine Farbstoff- bzw. Pigmentmischung. In D8 geht es vielmehr um ein Verfahren zur Herstellung eines Küpenfarbstoffs, in dem Azo-Farbstoff-Komponenten bzw. polycyclische Chinon-Komponenten, wie Anthrachinone, als Chromophore mit einer 1,3,5-Triazinverbindung umgesetzt werden, um eine Farbstoffverbindung mit beiden Chromophoren in einem Molekül zu bilden (vgl. die chemische Formel in dem Patentanspruch von D8).

Somit kann D8 keine Anregung vermitteln, die Farbstoff- bzw. Pigmentmischung der Alternative 1 oder 2 in Betracht zu ziehen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass keines der von der Beschwerdeführerin angeführten Dokumente D1, D7 oder D8 einen Hinweis vermittelt, dass eine verbesserte Temperaturbeständigkeit eines orange eingefärbten textilen Trägers durch eine Farbstoff- und/oder Pigmentmischung der Alternative 1 oder 2 erreicht werden könnte.

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber D5 in Kombination mit einem der Dokumente D1, D7 oder D8 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gilt mutatis mutandis für den Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 sowie der Verwendungsansprüche 6 und 7, die einen Rückbezug auf zumindest einen der Produktansprüche aufweisen.

HILFSANTRÄGE I und II

7. Da der Hauptantrag bereits gewährbar war, bestand keine Notwendigkeit über die Hilfsanträge I und II zu entscheiden.

8. Zulassung des Dokuments D11

Über die Zulassung des Dokuments D11 musste nicht entschieden werden, da dieses Dokument für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist, wie auch von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zugestanden wurde.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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