T 1195/16 () of 23.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T119516.20201123
Datum der Entscheidung: 23 November 2020
Aktenzeichen: T 1195/16
Anmeldenummer: 05850238.6
IPC-Klasse: F01N3/28
F01N13/14
F01N13/18
F01N1/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GEHÄUSE FÜR EIN BAUTEIL EINER ABGASANLAGE
Name des Anmelders: Faurecia Emissions Control Technologies,
Germany GmbH
Name des Einsprechenden: Friedrich Boysen GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
RPBA2020 Art 011 (2020)
European Patent Convention Art 111(1) (2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0204/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen (Patentinhaberin und Einsprechende) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 3. März 2016, in der festgestellt wurde, dass das Patent in geänderter Fassung gemäß einem Hilfsantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. In der Folge wird auf die Bezeichnung "Beschwerdeführerin" verzichtet, so dass die Parteien nur in ihrer Eigenschaft als Patentinhaberin und Einsprechende angesprochen werden.

III. Mit der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem entschieden, die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichte Entgegenhaltung

D12 : WO-A-97/04221

in das Verfahren zuzulassen, da sie zumindest für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit prima facie relevant erschien. D12 wurde schließlich als neuheitsschädlich für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 2 gemäß dem der Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrag angesehen.

IV. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen. In der Mitteilung vom 8. Mai 2020 gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) wurde den Parteien die vorläufige Beurteilung der Sache durch die Kammer erläutert. Unter anderem bezweifelte die Kammer, dass D12 alle Merkmale des Anspruchs 2 offenbarte. Mangels anderer Neuheitseinwände erschien dann eine Diskussion über die erfinderische Tätigkeit erforderlich. Weder die angefochtene Entscheidung noch die Beschwerden der Parteien enthielten Argumente hierzu, ausgehend von D12 als nächstliegendem Stand der Technik und auf Grundlage der vorläufig als unterscheidend anzusehenden Merkmale. Die Kammer stellte die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung in Aussicht.

V. In einer weiteren Mitteilung mit Datum vom 14. Juli 2020 nahm die Kammer Stellung zu den Schreiben der Parteien in Antwort auf die Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK. Insbesondere zur Frage, ob erfinderische Tätigkeit diskutiert werden könnte, führte die Kammer in Punkt 1.3 aus, dass sie zumindest prima facie selbst zu prüfen habe, ob das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ erfüllt sei und der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstünde und zwar unabhängig davon, ob eventuell verspätet vorgetragene Argumente im Verfahren zu berücksichtigen wären oder nicht. Die Kammer äußerte prima facie Zweifel, dass die möglicherweise als unterscheidend anzusehenden Merkmale gegenüber D12 erfinderische Tätigkeit begründen könnten.

VI. Am 23. November 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

VII. Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung vom 8. Juli 2016 eingereichten Hauptantrags aufrecht zu erhalten, hilfsweise die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hilfsantrag 1), weiter hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung vom 8. Juli 2016 eingereichten Hilfsantrags 2 aufrecht zu erhalten.

Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

VIII. Die Ansprüche des Hauptantrags entsprechen denen des der Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrags.

IX. Anspruch 2 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (die Merkmalsbezeichnungen in eckigen Klammern wurden von der Kammer hinzugefügt) :

"[M1] Gehäuse für ein Bauteil einer Abgasanlage,

[M2] mit einer ersten (12) und einer zweiten Halbschale (34),

[M3] die wenigstens abschnittsweise mittels eines Randabschnittes (20; 36) miteinander verbunden sind, und

[M4] mit wenigstens einer Öffnung (18; 38) für ein Rohr (22), das mit dem Gehäuse (10; 30) verbunden werden soll,

[M5] wobei sich eine Breite der Randabschnitte (20; 36) zur Öffnung (18; 38) hin verringert und

[M6] die Randabschnitte (20; 36) an der Öffnung (18; 38) auslaufen,

dadurch gekennzeichnet, dass

[M7] das Rohr (22) mittels einer Schweißnaht (24) mit dem Gehäuse (10; 30) verschweißt ist,

[M8] wobei die Breite der Randabschnitte (20; 36) im Bereich der Öffnung (18; 38) maximal gleich der Höhe der Schweißnaht (24) ist,

[M9b] wobei die Breite der Randabschnitte (20; 36) im Bereich der Öffnung (18; 38) etwa ein Drittel der normalen Breite der Randabschnitte (20; 36) beträgt."

Der Wortlaut des Anspruchs 1 ist für die hier zu treffende Entscheidung nicht relevant, da über den Gegenstand von Anspruch 1 nicht entschieden werden musste. Sein Gegenstand unterscheidet sich aber von dem des Anspruchs 2 sowieso nur dadurch, dass im letzten Merkmal die Breite der Randabschnitte etwa die Hälfte, statt etwa ein Drittel, ihrer normalen Breite beträgt (Merkmal "M9a").

Da eine Entscheidung über die Hilfsanträge der Patentinhaberin nicht erforderlich ist, kann auf die Wiedergabe der entsprechenden Ansprüche verzichtet werden.

X. Hinsichtlich der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 2 des Hauptantrags gegenüber dem in D12 offenbarten Stand der Technik bestritt die Patentinhaberin die Offenbarung der Merkmale M1, M5, M6, M8 und M9b. Bezugnehmend auf Absätze 2 und 17 der Patentschrift argumentierte sie, dass der Abgaskrümmer aus D12 für den Fachmann kein Gehäuse für ein Bauteil einer Abgasanlage im Sinne von Anspruch 1 bilde. Im üblichen Sinne des Wortes werde ein Gehäuse für die Aufnahme oder Umschließung von anderen Bauteilen verwendet, im Falle der in Absatz 2 genannten Anwendungen also von Katalysator- oder Filter-Substraten oder z.B. Dämmmatten zur Erzielung einer schalldämmenden Wirkung. Der Abgaskrümmer nehme eben kein Bauteil in seinem Inneren auf, sondern ähnele in seiner Struktur eher einem Rohr, in dessen eines Ende das Ende eines anderen Rohres eingesteckt sei. Die Aufnahme eines anderen Bauteils in ihm wäre darüber hinaus technisch sinnlos. Der Abgaskrümmer weise zum Beispiel auch nicht die gleichen Materialeigenschaften auf wie Gehäuse für die in Absatz 2 des Patents genannten Zwecke. Figuren 1 und 2 der D12 offenbarten unerklärbare widersprüchliche Ausführungsbeispiele hinsichtlich des Vorhandseins einer Schweißnaht und des Verlaufs der Randabschnitte im Bereich der Öffnung für das Rohr. In Figur 1, die keine Schweißnaht zeige, liefe der schmälere Randabschnitt nicht an der Öffnung aus sondern habe bereits im Abstand von dieser eine Breite von Null, entgegen der Definition von M5 und M6. In Figur 2 erfülle die dargestellte Schweißnaht nicht Merkmal M8 für beide Randabschnitte. Die notwendigerweise in Figur 1 der D12 anzunehmende umlaufende Kehlnaht könne ebenfalls nicht die Höhe des breiteren Randabschnitts einschließen. Figuren 1 und 2 seien darüber hinaus nicht geeignet, absolute Abmessungen und davon abgeleitete Breitenverhältnisse zu entnehmen, siehe auch T 204/83. D12 beschäftige sich nicht mit der Dimensionierung der Randabschnitte und ihrer Höhe relativ zur Schweißnaht, so dass ihren Figuren in dieser Hinsicht und in Hinsicht auf die mit diesen Merkmalen im Streitpatent verfolgte Zielsetzung, einen Steifigkeitssprung im Bereich der Gehäuseöffnung zu verringern, keine technische Lehre entnommen werden kann. Darüber hinaus sei Anspruch 1 auf ein Gehäuse im verschweißten Zustand gerichtet, das Merkmal M9b also im Stand der Technik nicht am Gehäuse im unverschweißten Zustand zu ermitteln, sondern im verschweißten, wie auch in Figur 3 des Patents gezeigt. Das Breitenverhältnis wäre dann zum Beispiel anhand eines Schliffbildes an dem Ort zu bestimmen, an dem das noch unaufgeschmolzene Gehäusematerial in die Naht übergeht.

Entgegen ihrem schriftlich vorgetragenen Argumenten gegen eine Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung, argumentierte die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung, dass auf Grundlage der abschließend von der Kammer festgestellten unterscheidenden Merkmale von Anspruch 1 gegenüber D12 und der Auslegung der D12 bisher keine Diskussion über erfinderische Tätigkeit stattgefunden habe und eine Zurückverweisung unter diesen Umständen angemessen sei.

XI. Die Einsprechende argumentierte, dass alle Merkmale von Anspruch 2 in D12 offenbart seien. Insbesondere bilde das Sammlergehäuse, in welches drei Rohre eingeführt sind, ein Gehäuse für ein Bauteil. Der Anspruch sei aufgrund der vielen unbestimmten Ausdrücke sehr breit auszulegen. Demnach könne auch D12 breit ausgelegt werden. Ihre Figuren hätten jedenfalls hinsichtlich des Verlaufs der Randabschnitte und hinsichtlich der Schweißnaht eine erkennbare und ausführbare Lehre zum technischen Handeln. Zum Beispiel könne Figur 2 entnommen werden, dass die Randabschnitte des Gehäuses entsprechend Merkmalen M5 und M6 unzweifelhaft an der Öffnung auslaufen. Ebenso Randabschnitte, die in die Schweißnaht hineinlaufen, womit sie also gleiche Höhe aufweisen und damit Merkmal M8 vorwegnehmen. Die im Vergleich zu Figur 1 gezeigten abweichenden Winkel der übereinanderliegenden Randabschnitte resultierten aus dem Aufschmelzen bei ihrer Verschweißung. Merkmal M9b, welches sich auf die Breite der Randabschnitte vor ihrer Verschweißung beziehe, könne somit entweder unter Berücksichtigung der Materialstärke zumindest für den breiteren Randabschnitt aus Figur 1 ermittelt werden, wobei ja keine absoluten Abmessungen betrachtet werden, sondern nur abgeleitete Verhältnisse. Berücksichtigt man die Breite der Ausdrücke "normale Breite", "im Bereich der Öffnung" und "etwa ein Drittel" reiche schon der reine Augenschein um Merkmale M8 und M9b zu erkennen. Dabei kann das Breitenverhältnis an beliebiger Stelle "im Bereich der Öffnung" genommen werden, d.h. im Bereich, in dem sich die Randabschnitte in ihrer Breite verringern, nehmen sie jedes Maß zwischen normaler Randbreite und 0, bzw. Materialstärke der Gehäusewand, an.

Hinsichtlich einer Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung trug die Einsprechende vor, dass erfinderische Tätigkeit der Ansprüche des Hauptantrags nicht vor der Einspruchsabteilung diskutiert worden war.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Der Gegenstand von Anspruch 2 ist neu gegenüber dem aus D12 bekannten Stand der Technik, Artikel 54 (1) und (2) EPÜ.

Die Kammer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Merkmale M8 und M9b nicht offenbart sind, die von der Patentinhaberin ebenfalls bestritten Merkmale M1, M5 und M6 hingegen schon, was im Folgenden begründet wird. Die Offenbarung aller anderen Merkmale von Anspruch 2 war zwischen den Parteien unstreitig, so dass auf eine vollständige Merkmalsanalyse hier verzichtet werden kann.

2. Die behauptete Offenbarung der genannten Merkmale gründet zu großen Teilen auf den Figuren der D12. Bei der Beurteilung der Offenbarung der Merkmale in den Figuren berücksichtigt die Kammer daher die in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelten Prinzipien. Die auch von den Parteien herangezogenen Entscheidung T 204/83 (ABl. EPA, 1985, 310, Leitsatz und Gründe 4, 6, 7) stellt in ihrem Leitsatz heraus: "Ausschliesslich zeichnerisch dargestellte Merkmale gehören dann zum Stand der Technik, wenn der Fachmann dem nur gezeichneten Merkmal auch ohne Beschreibung eine technische Lehre entnehmen kann. Abmessungen, die sich aus einer Schemazeichnung nur durch Nachmessen ergeben, gehören nicht zum Offenbarungsgehalt eines Dokuments."

3. D12 offenbart einen Abgasrohrkrümmer, der aus zwei miteinander verschweißten Halbschalen besteht, die zusammen das Sammlergehäuse 4 bilden. In dem Sammlergehäuse werden drei von einer Brennkraftmaschine kommende Abgasrohre 1-3 zusammengefasst, siehe Seite 4, Zeilen 25 bis 28 sowie Figuren 1 bis 3.

4. Anspruch 2 ist auf ein "Gehäuse für ein Bauteil einer Abgasanlage" gerichtet. Die Kammer findet, dass dieser Wortlaut nicht mehr definiert, als die Eignung des Gehäuses für ein beliebiges Abgasanlagen-Bauteil verwendet werden zu können. Das aus zwei­ Halbschalen bestehende Sammlergehäuse der D12 wird für einen Abgaskrümmer, also ein Bauteil einer Abgasanlage, verwendet. Die Kammer sieht anhand des gewählten Wortlauts keine weiteren strukturellen Unterschiede im Vergleich zu dem Gehäuse aus D12. Abgesehen davon, dass die zum Beispiel in Absatz 2 des Streitpatents genannten Verwendungen derartiger Gehäuse für Katalysatoren, Dieselpartikelfilter oder Schalldämpfer im Anspruch nicht definiert sind, und auch kein Grund erkennbar ist, dass die Beschreibung den Anspruch einschränken könnte, wurden von der Patentinhaberin keine technischen Gründe bzw. strukturellen Merkmale genannt, die das in D12 gezeigte Gehäuse für die genannten Zwecke grundsätzlich ungeeignet erscheinen lassen. Die Behauptung allein, dass die Aufnahme anderer Komponenten in dem Sammlergehäuse der D12 technisch sinnlos sei, überzeugt die Kammer nicht. Auch wenn in dem Abgaskrümmer der D12 keine weiteren Komponenten vorhanden sind, so spricht technisch nichts dagegen, in dem Gehäuse bei Einsatz für einen anderen Zweck, irgendeine Komponente, sei es nur eine Matte aufzunehmen. Ebenso ist die Kammer nicht überzeugt von dem Argument, dass die Materialeigenschaften, die im Anspruch sowieso keinen Ausdruck finden, in D12 notwendigerweise andere wären, als die, die für die in Absatz 2 genannten (den Anspruch aber nicht einschränkenden) Verwendungen gebraucht wären. Das Material des aus zwei verschweißten Halbschalen bestehenden Sammlergehäuses D12 muss nicht technisch ungeeignet für die genannten Bauteile sein.

Merkmal M1 ist deshalb in D12 offenbart.

5. Auch wenn die Figuren der D12 nicht explizit als schematisch bezeichnet werden, stellen sie keine technischen Zeichnungen dar, die unmittelbar für die Produktion des Gegenstands von D12 dienen können. Dazu fehlen die üblichen Bemaßungen, Materialangaben, usw. Ob und inwieweit die gezeigten Details in ihren Größenverhältnissen im fertigen Produkt vorliegen sollen, lässt sich ebenfalls nicht eindeutig und unmittelbar bestimmen. Folglich sieht die Kammer die Zeichnungen ihrer Natur nach eher als rein schematisch an.

6. Die Kammer kann der Einsprechenden dahingehend folgen, dass der Fachmann den Figuren 1 und 2 der D12 eindeutig und unmittelbar die technische Lehre entnehmen kann, dass sich die Breite der schmäleren und breiteren rechtwinklig abgebogenen Randabschnitte (23) zur Öffnung des Gehäuses 4 hin verringert. Zwar ist, wie die Patentinhaberin zurecht entgegnet, in Figur 1 der schmälere Randabschnitt kurz vor der Öffnung endend gezeigt. Die Kammer sieht aber auch diesen Randabschnitt, wie den breiteren Randabschnitt in Figur 1 und beide Randabschnitte in Figur 2, im weitesten Sinne als "an der Öffnung" auslaufend an. Die unterschiedlichen Neigungen der sich verjüngenden Randabschnitte in Figuren 1 und 2 widersprechen jedenfalls nicht der insoweit eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung hinsichtlich ihrer Breitenverringerung und ihres Auslaufens an der Öffnung (im weitesten Sinne).

Folglich sind Merkmale M5 und M6 offenbart.

7. Die Kammer findet dagegen die Argumente der Einsprechenden zur Offenbarung der Merkmale M8 und M9b nicht überzeugend. Diese Merkmale sind aus D12 nicht eindeutig und unmittelbar ableitbar.

7.1 Obwohl Figur 2 im Gegenteil zur Figur 1 eine Vielzahl von Schweißnähten darstellt, kann der Fachmann der Figur 2 bezüglich des Höhenverhältnisses der Schweißnaht 25 zur Breite der Randabschnitte im Bereich der Öffnung keine Lehre zum technischen Handeln entnehmen, insbesondere nicht, dass die Breite maximal gleich der Schweißnahthöhe ist (M8). Die an der Stirnseite des Gehäuses umlaufende Schweißnaht ist zwar im oberen Teil von Figur 2 erkennbar in der Höhe entsprechend der Stärke der aufeinanderliegenden Wandstärken der Gehäusehalbschalen dargestellt. Im unteren Teil der Abbildung ist die Schweißnaht zumindest noch insoweit erkennbar, dass sie an die beiden sich auf einen Punkt hin verjüngenden Randabschnitte angrenzt. Allerdings ist die Darstellung an dieser Stelle aufgrund der ineinanderlaufenden Strichdicken, die die Grenzen der Randabschnitte zeichnerisch darstellen, nicht so genau, als dass der Fachmann hier eine eindeutige technische Lehre hinsichtlich des Höhenverhältnisses entnimmt. Auch aus der gedanklichen Fortsetzung der im oberen Bereich der Zeichnung, wie erwähnt, etwas präziser dargestellten (umlaufenden) Schweißnaht 25 kann kein eindeutiger Schluss gezogen werden, wie sie an den auslaufenden Randabschnitten im Bereich der Öffnung ausgestaltet ist. D12 beschreibt zwar auf Seite 6, Zeilen 15 bis 28 die Verbindung der beiden Gehäusehalbschalen mittels einer umlaufenden Schweißnaht im Bereich der stirnseitigen Öffnung und einer Schweißnaht längs der übereinanderliegenden Randabschnitte. Aber auch hier ist nicht unmittelbar und eindeutig ableitbar, ob es sich z.B. um einen einzigen, durchgehenden Schweißgang handelt und vor allem nicht, dass der Schweißnahthöhe im Verhältnis zu den Randabschnitten eine Bedeutung im Sinne von Merkmal M8 zukommt.

7.2 Darüber hinaus kann der Fachmann den Figuren 1 und 2 der D12 keine technische Lehre hinsichtlich einer quantifizierten Breitenreduzierung der Randabschnitte (M9b) entnehmen, die über eine offensichtlich beabsichtigte Verringerung der Breite der Randabschnitte und eines Auslaufens an der Öffnung hinausgeht (M5 und M6). Wie stark, bzw. um welchen (wenn auch nur ungefähren) Wert sich die Breite der Randabschnitte im Bereich der Öffnung im Vergleich zu den Randabschnitten konstanter Breite, die als Randabschnitte normaler Breite angesehen werden können, verringert haben soll, ob die verjüngten Randabschnitte zum Beispiel möglichst auf Materialstärke auslaufen sollen, wie es zum Beispiel der schmälere Randabschnitt in Figur 1 im anscheinend unverschweißten Zustand oder beide Randabschnitte in Figur 2 im verschweißten Zustand signalisieren könnten, oder ob die Breite im Bereich der Öffnung in einem (unbestimmten) Maß reduziert sein soll, wie es der breitere Randabschnitt in Figur 1 zeigt, kann nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit festgestellt werden. Da die Figuren, wie zuvor erwähnt, keine technischen Zeichnungen sind, sind sie jedenfalls für eine direkte Messung von Dimensionen der gezeigten Merkmale und der auf solchen Messungen beruhenden Bildung von Verhältnissen nicht geeignet, und noch weniger ist es der reine Augenschein. Dass eine entsprechende technische Lehre aus der Beschreibung der D12 ableitbar wäre, wurde nicht behauptet und auch die Kammer hat hierfür keinen Hinweis gefunden. Folglich ist Merkmal M9b nicht offenbart.

7.3 Die Kammer kann zwar der Einsprechenden dahingehend zustimmen, dass die unbestimmten Ausdrücke "im Bereich der Öffnung", "etwa ein Drittel" und "der normalen Breite" ebenso wie die auch unter Berücksichtigung der Figuren und Beschreibung des Streitpatent nicht zu klärende Frage, ob die Materialstärke der Gehäusehalbschalen bei der Bestimmung der jeweiligen Breite der Randabschnitte zu berücksichtigen ist oder nicht, eine entsprechend breite Auslegung des Anspruchs rechtfertigt. Dies ändert dennoch nichts an der Feststellung einer fehlenden Offenbarung von M9b in D12, mangels einer für den Fachmann erkennbaren technischen Lehre hinsichtlich einer Verringerung der Breite der Randabschnitte an der Öffnung auf einen bestimmten Wert oder bestimmten Wertebereich ("etwa 1/3") im Vergleich zu ihrer zuvor konstanten ("normalen") Breite.

7.4 Das Argument der Einsprechenden, wonach die Breite der Randabschnitte in Figur 2 sich ausgehend von einem Abschnitt konstanter, d.h. normaler Breite auf nahezu Null verringert und damit notwendigerweise alle Werte von Eins bis Null durchläuft, also auch irgendwo im Bereich der Öffnung zwangsläufig den Wert ein Drittel annimmt, überzeugt die Kammer auch nicht. Auch wenn der genaue Ort, an dem Merkmal M9b am beanspruchten Gehäuse im Bereich der Öffnung ermittelt werden soll, im Anspruch nicht definiert ist und somit eine breite Auslegung prinzipiell gerechtfertigt ist, geht die Auslegung der Einsprechenden, dass dieser Wert nur irgendwo einmal angenommen werden soll, über das fachmännische Verständnis hinaus. Die Kammer ist der Meinung, dass der Fachmann Merkmal M9b im beanspruchten Kontext nicht auf einen Ort im Bereich der Öffnung bezogen versteht, der Teil eines Abschnitts ist, in dem die relative Breite kontinuierlich zu- bzw. abnimmt, insbesondere hier von etwa 1 auf etwa 0 abnimmt. In sich verjüngenden Abschnitten kann der Fachmann zwar an jedem Ort eine relative Breite bestimmen, aber der Fachmann würde einem solchen Abschnitt, insbesondere nicht den in Figur 2 der D12 dargestellten kontinuierlich sich verjüngenden Randabschnitten eine relative Breite von etwa 1/3 im Bereich der Öffnung zuschreiben.

7.5 Dahingestellt bleiben kann, ob Merkmal M9b im verschweißten oder im unverschweißten Zustand ermittelt werden muss. Das Merkmal wird nach Merkmal M7 aufgeführt, was für seine Auslegung im Sinne der Patentinhaberin, den verschweißten Zustand betreffend, hinzudeuten scheint. Allerdings offenbart, wie von der Einsprechenden argumentiert, die Beschreibung des Streitpatents in Absatz 17 im Zusammenhang mit dem "erfindungsgemäßen Gehäuse" nach Figur 2 das Merkmal auch für den unverschweißten Zustand. Da der Fachmann D12 diesbezüglich überhaupt keine Lehre entnimmt, kommt es auf diese Frage also nicht an. Aus ähnlichen Gründen kann auch dahingestellt bleiben, an welchem Ort genau im Bereich der Öffnung des Gehäuses Merkmal M9b zu bestimmen ist. Für die Auslegung der Patentinhaberin, dass dies im verschweißten Zustand im Übergang der Schweißnaht zum nicht aufgeschmolzenen Material des Randabschnitts z.B. anhand eines Schliffbilds zu ermitteln sei, findet sich weder im Anspruch noch in anderen Teilen des Patents eine Stütze. Auch wenn eine solche Bestimmung vom Anspruch nicht ausgeschlossen ist, sind aufgrund der Breite des Anspruchs auch andere Stellen im Bereich der Gehäuseöffnung nicht ausgeschlossen, wie z.B., aber auch nicht abschließend, durch Figur 2 des Patents angedeutet, im unverschweißten Zustand.

8. Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 2 neu gegenüber D12. Andere Neuheitseinwände wurden nicht vorgetragen. Anspruch 2 erfüllt somit das Erfordernis der Artikel 54 (1) und (2) EPÜ.

9. Zurückverweisung - Artikel 11 VOBK 2020 und 111 EPÜ

Die angefochtene Entscheidung wurde im Rahmen des ihr zugrundeliegenden Hauptantrags sowie des für gewährbar erachteten Hilfsantrags auf der Grundlage getroffen, dass die Merkmale M8 und M9b aus D12 bekannt sind. Ob diese Merkmale erfinderische Tätigkeit begründen können, wurde daher in der angefochtenen Entscheidung nicht diskutiert.

Die zuvor begründete Feststellung der Kammer, dass diese Merkmale nicht aus D12 bekannt sind, ändert folglich den Gegenstand des Verfahrens.

In ihrer zweiten Mitteilung vom 14. Juli 2020 hatte die Kammer prima facie Bedenken geäußert hinsichtlich der Frage, ob die unterscheidenden Merkmale überhaupt einen technischen Effekt gegenüber D12 bewirken. Daraufhin hat die Patentinhaberin weitere Argumente und Beweismittel vorgebracht, die dann auch nur prima facie geprüft wurden und weitere zu diskutierende Fragen aufwarfen, z.B. welche Relevanz die vorgelegten Vergleichsversuche hätten, da sie anscheinend gegenüber einem anderen Stand der Technik und nicht gegenüber D12 durchgeführt worden waren. Eine Diskussion dieser Fragen vor der Kammer würde also bedeuten, dass die Kammer den Sachverhalt diesbezüglich erstmals selbst ermitteln müsste, was dem in Artikel 12 (2) VOBK 2020 angegebenen vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, zuwiderläuft.

Diese Umstände bilden besondere Gründe im Sinne des Artikels 11 VOBK 2020, die eine Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung angemessen erscheinen lassen. Auch die Parteien haben sich in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer für eine Zurückverweisung ausgesprochen.

Die Kammer hat daher entschieden, die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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