European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2017:T109116.20170622 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 Juni 2017 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1091/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09782383.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08L 83/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SILICONELASTOMERE MIT VERBESSERTER EINREISSFESTIGKEIT | ||||||||
Name des Anmelders: | Wacker Chemie AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Momentive Performance Materials GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (Hauptantrag: ja) Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (Hilfsantrag: ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin richtet sich gegen die am 7. März 2016 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent EP 2 334 736 widerrufen wurde.
II. Die ursprüngliche Anmeldung enthielt unter anderem den folgenden Anspruch:
"1. Additionsvernetzbare Siliconmassen (M), enthaltend
(A) 100 Gewichtsteile Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan mit mindestens 2 Alkenylgruppen pro Molekül, einer Viskosität von mindestens 1 000 000 mPa.s und höchstens 0,3 mol-% Alkenylgruppen,
(B) SiH- funktionelles Vernetzungsmittel,
(C) Hydrosilylierungskatalysator,
(D) 10-80 Gewichtsteile eines verstärkenden Füllstoffs mit einer spezifischen Oberfläche von 50 m**(2)/g bis 350 m**(2)/g und
(E) Siliconöl mit einer Viskosität von 20-5000 mPa.s, dessen Reste ausgewählt werden aus Phenyl- und C1-6-Alkylresten, wobei mindestens 5 mol-% aller Reste Phenylreste sind."
III. Das erteilte Patent enthielt unter anderem den folgenden Anspruch 1 (in dieser Entscheidung werden Hinzufügungen und Streichungen gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 1 in Fett bzw. [deleted: durchgestrichen] angegeben):
"1. Additionsvernetzbare Siliconmassen (M), enthaltend
(A) 100 Gewichtsteile Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan mit mindestens 2 Alkenylgruppen pro Molekül, einer Viskosität von mindestens 1, 000 000 mPa.s, einem OH Gehalt < 50 Gew.-ppm und höchstens 0,3 mol-% Alkenylgruppen,
(B) SiH-funktionelles Vernetzungsmittel,
(C) Hydrosilylierungskatalysator,
(D) 10-80 Gewichtsteile eines verstärkenden Füllstoffs mit einer spezifischen Oberfläche von 50 m**(2)/g bis 350 m**(2)/g und
(E) Siliconöl mit einer Viskosität von 20-5000 mPa.s, dessen Reste ausgewählt werden aus Phenyl- und C1-6-Alkylresten, wobei mindestens 5 mol-% aller Reste Phenylreste sind."
IV. Einspruch gegen das Patent wurde eingelegt, wobei die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100(a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100(b) EPÜ und Artikel 100(c) EPÜ geltend gemacht wurden.
V. Die angefochtene Entscheidung wurde auf Grundlage eines mit Schreiben vom 13. August 2014 eingereichten Hauptantrags und eines während der mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2016 eingereichten Hilfsantrags getroffen.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautete:
"1. Additionsvernetzbare Siliconmassen (M), vernetzbar zu Siliconelastomeren mit einer Härte von höchstens 60 Shore A enthaltend
(A) 100 Gewichtsteile Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan mit mindestens 2 Alkenylgruppen pro Molekül, einer Viskosität von mindestens 1, 000 000 mPa.s bei einer Temperatur von 25°C, einem Si-gebundenen OH Gehalt < 50 Gew.-ppm und höchstens 0,3 mol-% Alkenylgruppen,
(B) SiH-funktionelles Vernetzungsmittel,
(C) Hydrosilylierungskatalysator,
(D) 10-80 Gewichtsteile einer Kieselsäure als [deleted: eines] verstärkenden Füllstoff[deleted: s] mit einer spezifischen Oberfläche nach BET von [deleted: 50] 80 m**(2)/g bis 350 m**(2)/g und
(E) Siliconöl mit einer Viskosität von 20-5000 mPa.s bei einer Temperatur von 25°C, dessen Reste ausgewählt werden aus Phenyl- und C1-6-Alkylresten, wobei mindestens 5 mol-% aller Reste Phenylreste sind."
Anspruch 1 des Hilfsantrags entsprach Anspruch 1 des Hauptantrags, wobei im Merkmal (A) der Begriff "Si-gebundenen" gestrichen wurde.
VI. In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung, dass:
- der Hauptantrag, wegen der im Merkmal (A) vom erteilten Anspruch 1 durchgeführten Änderung "einem Si-gebundenen OH Gehalt < 50 Gew.-ppm" anstatt "einem OH-Gehalt < 50 Gew.-ppm", die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ nicht erfülle. Insbesondere müsse gemäß erteiltem Anspruch 1 die Summe aller möglichen Spezies, die einen OH-Gehalt in der A-Komponente verursachen könnten, eine Konzentration von kleiner als 50 Gew.-ppm haben, was nicht mehr der Fall gemäß dem Anspruch 1 des Hauptantrags sei. Zum Beispiel sei im Merkmal (A) vom Anspruch 1 des Hauptantrags keine Limitierung bzgl. der Menge von über Kohlenstoff gebundenen OH Gruppen festgelegt;
- der Hilfsantrag, wegen der im Merkmal (A) vom ursprünglichen Anspruch 1 durchgeführten Änderung "einem OH-Gehalt < 50 Gew.-ppm", die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfülle.
VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und beantragte in ihrer Beschwerdebegründung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hauptantrag, ggf. gemäß dem einzigen Hilfsantrag, welche mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden. Diese Anträge waren identisch mit dem Hauptantrag und mit dem Hilfsantrag der strittigen Entscheidung.
VIII. Mit Brief vom 12. Juli 2016 zog die Einsprechende ihren Einspruch zurück.
IX. In einem Bescheid datiert vom 13. Dezember 2016 in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2017 hat die Kammer Ihre vorläufige Meinung über die geltenden Anträge dargelegt. Es wurde insbesondere dargelegt, warum es schien, dass die Entscheidung der ersten Instanz bezüglich den beiden geltenden Anträgen bestätigt werden könne (Absätze 5.2.2 und 7.2).
X. Mit Schreiben vom 23. März 2017 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der geplanten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage.
XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 22. Juni 2017 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin stattfand, verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
XII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.
Hauptantrag - Artikel 123(3) EPÜ
a) Im Gegensatz zur Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, sei kein Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan gemäß Komponente A) bekannt, welches für die Vorbereitung von additionsvernetzbaren Siliconmassen eingesetzt werden könnte, welche über Kohlenstoff gebundene OH Gruppen verfügten.
b) Es seien weder in den Ansprüchen noch in der Beschreibung, inklusiv Beispiele, Hinweise auf eine mögliche Substitution von OH Gruppen an Kohlenwasserstoffgruppen zu finden.
c) Somit führe die im Merkmal (A) von Anspruch 1 durchgeführte Änderung zu keiner unzulässigen Erweiterung nach Artikel 123(3) EPÜ.
Hilfsantrag - Artikel 123(2) EPÜ
d) Die im Merkmal (A) durchgeführte Änderung "einem OH Gehalt < 50 Gew.-ppm" sei auf Seite 4, Zeilen 11-12 der ursprünglichen Anmeldung offenbart und somit nach Artikel 123(2) EPÜ zulässig.
XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hauptantrag, hilfsweise gemäß dem Hilfsantrag, jeweils erneut eingereicht mit der Beschwerdebegründung und wie sie bereits der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerdegegnerin hat mit Brief vom 12. Juli 2016 ihren Einspruch zurückgenommen und ist nicht mehr Partei in diesem Beschwerdeverfahren (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPAs, 8. Auflage, 2016, IV.C.4.3.1). Da das Streitpatent widerrufen wurde, wird jedoch das Verfahren fortgesetzt (Rechtsprechung supra, IV.C.4.3.3).
2. Die ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführerin war bei der mündlichen Verhandlung nicht anwesend. Die mündliche Verhandlung wurde gemäß Regel 115(2) EPÜ fortgesetzt. Während der Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin so behandelt, als stützte sie sich lediglich auf ihr schriftliches Vorbringen (Artikel 15(3) VOBK). |
Hauptantrag
3. Artikel 123(3) EPÜ
3.1 Nach Artikel 123(3) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass der Schutzbereich erweitert wird. Ferner ist gemäß Artikel 69(1), Satz 2 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des Artikel 69 EPÜ der Schutzbereich des europäischen Patentes im Lichte der Beschreibung auszulegen (Rechtsprechung supra, II.E.2.3.1).
3.2 Im vorliegenden Fall stellt sich daher die Frage, ob alle additionsvernetzbaren Siliconmassen gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 unter den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 fallen.
3.3 Anspruch 1 vom Hauptantrag unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 u.a. dadurch, dass das Alkenylgruppen haltige Polydiorganosiloxan (A) durch einen "Si-gebundenen OH Gehalt < 50 Gew-ppm" anstatt durch "einem OH Gehalt < 50 Gew.-ppm" charakterisiert ist.
3.3.1 Die Einspruchsabteilung war der Meinung, dass gemäß dem geltenden Anspruch 1 nur die Si-OH Spezies von diesem Merkmal (A) umfasst werden, gemäß dem erteilten Anspruch 1 jedoch alle möglichen Spezies, welche eine OH-Gruppe aufweisen, u.a. Reste des Alkenylgruppen haltigen Polydiorganosiloxans, die eine OH Gruppe enthalten, umfasst werden.
3.3.2 In diesem Zusammenhang ist es relevant, die Frage zu beantworten, ob der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan, welches z.B. über Kohlenstoff gebundene OH Gruppen verfügt, ausschließt.
a) Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPAs sollten bei der Prüfung eines Anspruchs unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen ausgeschlossen werden. Jedoch sollte bei der Auslegung des Schutzbereichs nicht die Absicht des Verfassers eines Anspruchs maßgeblich sein, sondern vielmehr die in einschlägigen Fachkreisen allgemein anerkannte Bedeutung der in diesem Anspruch definierten technischen Merkmale (Rechtsprechung supra, II.E.2.3.3).
b) Im vorliegenden Fall ist der Begriff "mit einem OH Gehalt < 50 Gew.-ppm" im geltenden Anspruch 1 in keiner
Weise auf irgendwelche OH Gruppen limitiert (ob Si-gebunden oder sonst im Alkenylgruppen haltigen Polydiorganosiloxan vorhanden) und es wurde nicht gezeigt, dass es einen Grund gibt, diesem Begriff aufgrund der Patentspezifikation eine eingeschränkte Bedeutung zu verleihen. Insbesondere enthält die Patentspezifikation keine Information darüber, welche die Definition des OH Gehalts einschränkt. Ferner ist die einzige Passage der Beschreibung, die einen OH Gehalt betrifft, der Absatz 8, welcher den erteilten Anspruch 1 widerspiegelt und einen OH Gehalt offenbart (d.h. keinen Si-gebundenen OH Gehalt).
Somit ist im vorliegenden Fall der Einwand der Beschwerdeführerin, dass die im geltenden Anspruch 1 definierte Komponente (A) Verbindungen mit z.B. über Kohlenstoff gebundenes OH ausschließt, zurückzuweisen.
c) Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass ihr kein Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan gemäß Komponente A), welches für die Vorbereitung von additionsvernetzbaren Siliconmassen eingesetzt werden könnte, bekannt sei, welches über Kohlenstoff gebundene OH Gruppen verfüge.
Jedoch reicht eine solche Stellungnahme nicht aus, um Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan, welches z.B. über Kohlenstoff gebundene OH Gruppen verfügt, von der Definition gemäß Merkmal A) vom erteilten Anspruch 1 auszuschließen. Insbesondere wurden keine Beweismittel vorgelegt oder Argumente vorgebracht, welche darlegen würden, dass solche Komponenten im vorliegenden technischen Gebiet unlogisch wären oder keinen technischen Sinn machen würden.
Aus diesem Grund ist dieses Argument nicht überzeugend.
3.4 Somit erfüllt der Hauptantrag nicht die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ.
Hilfsantrag
4. Artikel 123(2) EPÜ
4.1 Wie in der Entscheidung G 2/10 (ABl. EPA 2012, 376) dargelegt (siehe insbesondere die Punkte 4.5.1, 4.5.2 und 4.5.4 der Entscheidungsgründe), ist für die Frage, ob eine Änderung ein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ darstellt, zu prüfen, ob die durchgeführte Änderung dazu führt, dass der Fachmann neue technische Informationen erhält, die er der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen würde. Ob der Fachmann neue Informationen erhält, hängt davon ab, wie er den geänderten Anspruch verstehen würde und ob er unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens diesen Gegenstand als zumindest implizit in der Anmeldung offenbart ansehen würde.
4.2 Anspruch 1 unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 u.a. dadurch, dass das Alkenylgruppen haltige Polydiorganosiloxan (A) durch einen "OH Gehalt < 50 Gew-ppm" charakterisiert ist.
4.3 Die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage auf Seite 4, Zeilen 9-11 der ursprünglichen Offenbarung betrifft den "Si-gebundenen OH Gehalt" und nicht den "OH Gehalt" gemäß dem vorliegenden Anspruch 1. Es wird bemerkt, dass der zweite Satz dieses Absatzes durch den Wortlaut "besonders bevorzugt" den ersten Satz spezifiziert und deshalb auch den Si-gebundenen OH-Gehalt betrifft.
Dadurch dass in Bezug auf den Hauptanspruch die Kammer zur Schlussfolgerung gekommen ist, dass der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 "Alkenylgruppen haltiges Polydiorganosiloxan mit einem OH Gehalt < 50 Gew.-ppm", solches Alkenylgruppen haltigen Polydiorganosiloxan, das z.B. über Kohlenstoff gebundene OH Gruppen verfügt, nicht ausschließt, hat der Begriff "OH Gehalt" gemäß dem Merkmal (A) vom Anspruch 1 eine breitere (mehr generische) Bedeutung als der Begriff "Si-gebundenen OH Gehalt" (mehr spezifisch) gemäß der oben zitierten Passage auf Seite 4 der ursprünglichen Offenbarung. Unter solchen Umständen ist der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 aus der von der Beschwerdeführerin zitierten Passage der ursprünglichen Offenbarung nicht direkt und unmittelbar zu entnehmen.
4.4 Somit erfüllt der Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.