European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T093316.20190423 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 April 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0933/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07002586.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06F 3/01 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zum Betreiben von zumindest zwei Funktionskomponenten eines Systems, insbesondere eines Fahrzeugs | ||||||||
Name des Anmelders: | AUDI AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Haupt-, Hilfsanträge 1 bis 3 (nein) Zulassung ins Verfahren - Hilfsantrag 4 (nein): verspätet und "neuer Fall" |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der vorliegenden europäischen Patentanmeldung aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) bezüglich eines Hauptantrags und drei Hilfsanträgen gegenüber dem folgenden Stand der Technik:
D1: DE-A-10 2004 038965
kombiniert mit
D2: US-A-2005/0212751 oder
D4: US-A-2004/0143440.
II. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder hilfsweise auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 3, die alle der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, zu erteilen.
III. Mit der Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Beschwerde mit. Hierbei erhob sie insbesondere Einwände nach Artikel 83, 84 und 56 EPÜ.
IV. Am 23. April 2019 fand die anberaumte mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen weiteren Hilfsantrag ("Hilfsantrag 4") einreichte. Alle vorliegenden Anträge wurden erörtert.
Die Beschwerdeführerin beantragte abschließend, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage eines der folgenden Anträge:
- Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (eingereicht als "Hilfsantrag"), beide eingereicht mit Schreiben vom 11. April 2012;
- Hilfsantrag 2 und Hilfsantrag 3, beide eingereicht mit Schreiben vom 10. September 2015;
- Hilfsantrag 4, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 23. April 2019.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betreiben von zumindest zwei Funktionskomponenten (16d, 16e) eines Systems (1), bei welchem
- eine Funktion und/oder ein Betriebszustand einer ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) abhängig von Gesten eines Bedieners (2) eingestellt wird, wobei eine vorgebbare Mehrzahl unterschiedlicher Gesten für das Einstellen einer Funktionskomponente (16d, 16e) zugrunde gelegt wird und zumindest eine der Gesten bei beiden Funktionskomponenten (16d, 16e) einer jeweils komponentenspezifischen Einstellung einer Funktion und/oder einem Betriebszustand zugeordnet wird, und
- abhängig von einem Erfassen einer Geste durch eine Erfassungsvorrichtung (16a) eine der erfassten Geste zugeordnete Funktion und/oder ein Betriebszustand der ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) eingestellt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
eine der Funktionskomponenten (16d, 16e) zum weiteren Bedienen durch zumindest ein akustisches Signal ausgewählt wird, welches der Funktionskomponente (16d, 16e) spezifisch zugeordnet wird, und die Art der Einstellung einer Funktion und/oder eines Betriebszustands abhängig von der örtlichen Durchführung der zugeordneten Geste ausgeführt wird."
VI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 hat folgenden Wortlaut (mit markierten Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags):
"Verfahren zum Betreiben von zumindest zwei Funktionskomponenten (16d, 16e) eines Systems (1), bei welchem
- eine Funktion und/oder ein Betriebszustand einer ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) abhängig von Gesten eines Bedieners (2) eingestellt wird, wobei eine vorgebbare Mehrzahl unterschiedlicher Gesten für das Einstellen einer Funktionskomponente (16d, 16e) zugrunde gelegt wird und zumindest eine der Gesten bei beiden Funktionskomponenten (16d, 16e) einer jeweils komponentenspezifischen Einstellung einer Funktion und/oder einem Betriebszustand zugeordnet wird, und
- abhängig von einem Erfassen einer Geste durch eine Erfassungsvorrichtung (16a) eine der erfassten Geste zugeordnete Funktion und/oder ein Betriebszustand der ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) eingestellt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
eine der Funktionskomponenten (16d, 16e) zum weiteren Bedienen durch zumindest ein akustisches Signal ausgewählt wird, welches der Funktionskomponente (16d, 16e) spezifisch zugeordnet wird, [deleted: und]
die Art der Einstellung einer Funktion und/oder eines Betriebszustands abhängig von der zeitlichen Dauer
und/oder örtlichen Durchführung der zugeordneten Geste ausgeführt wird
eine einer erfassten Geste zugeordnete Einstellung einer Funktion und/oder eines Betriebszustands einer Funktionskomponente (16d, 16e) vor dem Ausführen der Einstellung akustisch und/oder visuell durch eine Einrichtung, insbesondere eine MMI-Einrichtung, bestätigt wird und
das Einstellen der Funktion und/oder des Betriebszustands der Funktionskomponente (16d, 16e) erst dann ausgeführt wird, wenn eine akustische
und/oder eine visuelle Bestätigung der Einrichtung vom Bediener (2) akustisch und/oder durch eine Geste bestätigt wird."
Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 enthält alle Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 und umfasst zusätzlich die folgende Passage am Ende:
"und zumindest eine Geste durch einen Bediener (2) individuell vorgegeben wird und individuell durch den Bediener (2) einer Funktion und/oder einem Betriebszustand einer Funktionskomponente (16d, 16e) zugeordnet wird."
Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 enthält alle Merkmale von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und umfasst zusätzlich den folgenden Absatz am Ende: "und eine von einem Bediener (2) zugrunde gelegte Geste durch diesen ausgeführt und von der Erfassungsvorrichtung (16a) zur weiteren Zugrundelegung erfasst und abgespeichert wird." Anspruch 1 von Hilfsantrag 4 hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betreiben von zumindest zwei Funktionskomponenten (16d, 16e) eines Fahrzeugs (1), bei dem eine Funktion und/oder ein Betriebszustand einer ausgewählten der Funktionskomponenten (16d, 16e) abhängig von Gesten einer Hand (21, 22) eines Bedieners (2) eingestellt wird, wobei die Funktion
und/oder der Betriebszustand der ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) abhängig von der erfassten Geste des Bedieners (2) eingestellt wird, wobei eine vorgebbare Mehrzahl unterschiedlicher Gesten für das Einstellen einer Funktionskomponente (16d, 16e) zugrunde gelegt wird und zumindest eine der Gesten bei beiden Funktionskomponenten (16d, 16e) einer jeweils komponentenspezifischen Einstellung einer Funktion
und/oder einem Betriebszustand zugeordnet wird, indem die unterschiedlichen Gesten vorab als fester Satz vorgegeben werden und zumindest eine Geste komponentenspezifisch einerseits einer Funktion
und/oder einem Betriebszustand der ersten Funktionskomponente (16d, 16e) und andrerseits [sic] einer Funktion und/oder einem Betriebszustand der zweiten Funktionskomponente (16d, 16e) zugeordnet wird, wobei:- eine der Funktionskomponenten (16d, 16e) zum weiteren Bedienen durch zumindest ein akustisches Signal ausgewählt wird, welches der Funktionskomponente (16d, 16e) spezifisch zugeordnet ist, wobei als akustisches Signal ein Audiosignal erzeugt wird, welches ein durch den Bediener (2) erzeugter Pfeifton ist,- eine Geste durch eine Erfassungsvorrichtung (16a), die als Detektor zur dreidimensionalen Objekterfassung, insbesondere als Kamera, ausgebildet ist, erfasst wird, zu welchem Zweck die Erfassungsvorrichtung (16a) mit ihrem Erfassungsbereich (16b) derart orientiert ist, dass ein Lenkrad (15) und der Bediener (2) des Fahrzeugs (1) beobachtet werden, und- abhängig vom Erfassen der Geste durch die Erfassungsvorrichtung (16a) die der erfassten Geste zugeordnete Funktion und/oder der Betriebszustand der ausgewählten Funktionskomponente (16d, 16e) eingestellt wird."
Entscheidungsgründe
1. Die Erfindung
Die vorliegende Erfindung betrifft die sprach- und gestenbasierte Bedienung von Funktionskomponenten (wie z.B. der Klimaanlage bzw. dem Audio-System) in einem Kraftfahrzeug. Hierzu wird vorzugsweise die betreffende Komponente durch Spracheingaben ausgewählt und dann eine Einstellung der ausgewählten Komponente mittels durch eine im Fahrzeug eingebaute Kamera erfasste Gesten vorgenommen.
Laut Anmeldung besteht die durch die Erfindung gelöste Aufgabe darin, "ein Verfahren und eine Vorrichtung zu schaffen, bei der eine Mehrzahl an Komponenten eines Systems mittels Gestik und Akustik aufwandsarm und sicher betrieben werden können" (vgl. Seite 2, Zeilen 31-34 der ursprünglichen Anmeldung).
2. HAUPTANTRAG
Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst folgende einschränkende Merkmale (gemäß der Merkmalsgliederung der Kammer):
Verfahren zum Betreiben von zumindest zwei Funktionskomponenten eines Systems,
A) bei welchem eine Funktion und/oder ein Betriebszustand einer ausgewählten Funktionskomponente abhängig von Gesten eines Bedieners eingestellt wird,
B) wobei eine vorgebbare Mehrzahl unterschiedlicher Gesten für das Einstellen einer Funktionskomponente zugrunde gelegt wird und zumindest eine der Gesten bei beiden Funktionskomponenten einer jeweils komponentenspezifischen Einstellung einer Funktion und/oder einem Betriebszustand zugeordnet wird,
C) wobei abhängig von einem Erfassen einer Geste durch eine Erfassungsvorrichtung eine der erfassten Geste zugeordnete Funktion und/oder ein Betriebszustand der ausgewählten Funktionskomponente eingestellt wird,
D) wobei eine der Funktionskomponenten zum weiteren Bedienen durch zumindest ein akustisches Signal ausgewählt wird, welches der Funktionskomponente spezifisch zugeordnet wird,
E) wobei die Art der Einstellung einer Funktion
und/oder eines Betriebszustands abhängig von der örtlichen Durchführung der zugeordneten Geste ausgeführt wird.
2.1 Auslegung von Anspruch 1
2.1.1 In Bezug auf Merkmal E), insbesondere auf die Formulierung "örtliche Durchführung", folgt die Kammer der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Auslegung, dass der Ausdruck "örtliche Durchführung der zugeordneten Geste" so zu interpretieren sei, dass die Durchführung der entsprechenden Geste durch den Bediener vom Erfassungsbereich der in Merkmal C) beanspruchten Erfassungsvorrichtung erfasst werden kann.
2.1.2 Demzufolge ist die Kammer der Auffassung, dass der obige Ausdruck nicht unklar, aber sehr breit auszulegen ist.
2.2 Neuheit und erfinderische Tätigkeit
Der beanspruchte Gegenstand ist zwar neu, beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Die Gründe hierfür sind wie folgt:
2.2.1 Die Kammer schließt sich im Wesentlichen der in der Beschwerdebegründung vorgetragenen Beurteilung der Offenbarung von Dokument D1 an, wonach D1 - mangels der zusätzlichen Möglichkeit von Spracheingaben im beschriebenen kamerabasierten Gestenerfassungssystem - keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung betrachtet die Kammer das Dokument D4 als geeigneteren Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in diesem Fall, da es - wie die vorliegende Erfindung - das akustische (sprachbasierte) Auswählen der jeweiligen zu bedienenden Funktionskomponente und die Funktionseinstellung der bereits ausgewählten Funktionskomponente über eine generelle
Mensch-Maschine-Schnittstelle ("HMI") lehrt (siehe z.B. "Abstract" von D4).
2.2.2 Nach Auffassung der Kammer offenbart D4 die folgenden einschränkenden Merkmale von Anspruch 1:
Verfahren zum Betreiben von zwei Funktionskomponenten (z.B. "entertainment system"; "vehicle climate system") eines Systems ("vehicle control system"; siehe z.B. Absatz [0020] und Fig. 1),
A) bei welchem eine Funktion ("secondary vehicle function") einer ausgewählten Funktionskomponente ("vehicle control mode") abhängig von Eingaben eines Bedieners ("vehicle occupant"; "user") eingestellt wird (siehe z.B. Absatz [0020]),
B) wobei eine vorgebbare Mehrzahl unterschiedlicher Eingaben ("entering in the HMI") für das Einstellen einer Funktionskomponente zugrunde gelegt wird und zumindest eine der Eingaben bei beiden Funktionskomponenten einer jeweils komponentenspezifischen Einstellung einer Funktion zugeordnet wird (siehe z.B. Absätze [0026] bis [0030]; Fig. 3 bis 8),
C) abhängig von einem Erfassen einer Eingabe durch eine Erfassungsvorrichtung ("human machine interface HMI 22") eine der erfassten Eingabe zugeordnete Funktion der ausgewählten Funktionskomponente eingestellt wird (siehe Absätze [0026] bis [0030]; Fig. 3 bis 8),
D) wobei eine der Funktionskomponenten zum weiteren Bedienen durch ein akustisches Signal ausgewählt wird, welches der Funktionskomponente spezifisch zugeordnet wird (siehe z.B. Absatz [0025]: "... The user selects a control mode to enter by ... saying the name of the control mode to enter ..."; Fig. 2),
E) wobei die Art der Einstellung einer Funktion abhängig von der Durchführung der zugeordneten Eingabe ausgeführt wird (siehe Absätze [0026] bis [0030]; Fig. 3 bis 8).
2.2.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit von der Offenbarung von D4 lediglich darin, dass die Funktion der ausgewählten Funktionskomponente durch zu erfassende Gesten eingestellt wird. Folglich ist dieser Gegenstand neu gegenüber D4 (Artikel 54 EPÜ).
2.2.4 Die durch Anspruch 1 zu lösende objektive technische Aufgabe besteht nach Ansicht der Kammer in der "Ermöglichung von flexiblen Eingabemöglichkeiten der Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) von D4 zur Funktionseinstellung". Einer solchen Formulierung hat die Beschwerdeführerin weder schriftlich noch mündlich widersprochen.
2.2.5 Ausgehend von dieser Aufgabe und der Lehre von D4 (siehe insbesondere Absatz [0023]: "... Example of human machine interfaces include ... touch panel displays, ... , cameras, and the like"), würde der Fachmann auf dem Gebiet der grafischen Bedieneroberflächen nach Möglichkeiten der berührungsempfindlichen oder optischen (kamerabasierten) Eingabeerfassungen Ausschau halten und würde z.B. kamerabasierte Gestenerfassungssysteme gemäß D1 (siehe z.B. Zusammenfassung; Fig. 1 und 2) oder D2 (siehe z.B. Absätze [0040] und [0047]; Fig. 2) berücksichtigen.
Zur Lösung der obigen Aufgabe würde demnach der Fachmann den Einsatz von fahrerspezifischen Gesten, die z.B. mit solchen optischen Erfassungsvorrichtungen detektiert werden können, ins Auge fassen und die in D4 verwendete Mensch-Maschine-Schnittstelle ohne erfinderisches Zutun entsprechend implementieren, zumal in D4 auf den Einsatz von Kameras im Zusammenhang mit der grafischen Bedieneroberfläche ("HMI") hingewiesen wird.
2.2.6 Mithin ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch gegenüber Dokument D4 kombiniert mit D1 oder D2 (Artikel 56 EPÜ).
2.2.7 Zu dieser bereits in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK angeführten Einschätzung der Kammer hat die Beschwerdeführerin schriftlich nichts vorgetragen. Sie argumentierte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass das Dokument D1 eine ganz spezielle Form der kamerabasierten Gestenerfassung in einem Kraftfahrzeug lehre und daher der Fachmann diesen Stand der Technik zur Lösung der obigen technischen Aufgabe nicht heranzöge. Insbesondere wäre bei der Gestenerfassung in D1 nur eine zweidimensionale Bilderfassung - im Gegensatz zur dreidimensionalen Gestenerfassung gemäß der vorliegenden Anmeldung - möglich, die eine spezielle Bildkontrasteinstellung notwendig mache und mithin zu einer entscheidenden Einschränkung bei der Gestenerfassung führe.
Dieses Argument überzeugt die Kammer schon deshalb nicht, da Anspruch 1 keinerlei Informationen über die Art der Gestenerfassung, insbesondere über eine kamerabasierte Bilderfassung, zu entnehmen ist. Vergleiche mit dem Stand der Technik in Bezug auf die Dimensionalität (2D oder 3D) der Bilderfassung bzw. etwaige Bildkontrasteinstellungen gehen somit vollständig ins Leere.
2.3 Aus den obigen Gründen ist der Hauptantrag nach Artikel 56 EPÜ nicht gewährbar.
3. HILFSANTRÄGE 1 BIS 3
Anspruch 1 der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags im Wesentlichen darin, dass er zusätzlich angibt, dass (mit Hervorhebungen durch die Kammer)
F) die Art der Einstellung einer Funktion und/oder eines Betriebszustands abhängig von der zeitlichen Dauer und/oder örtlichen Durchführung der zugeordneten Geste ausgeführt wird (Hilfsanträge 1 bis 3);
G) eine einer erfassten Geste zugeordnete Einstellung einer Funktion und/oder eines Betriebszustands einer Funktionskomponente vor dem Ausführen der Einstellung akustisch und/oder visuell durch eine Einrichtung bestätigt wird und das Einstellen der Funktion und/oder des Betriebszustands der Funktionskomponente erst dann ausgeführt wird, wenn eine akustische und/oder eine visuelle Bestätigung der Einrichtung vom Bediener akustisch und/oder durch eine Geste bestätigt wird (Hilfsanträge 1 bis 3);
H) zumindest eine Geste durch einen Bediener individuell vorgegeben und individuell durch den Bediener einer Funktion und/oder einem Betriebszustand einer Funktionskomponente zugeordnet wird (Hilfsanträge 2 und 3);
I) eine von einem Bediener zugrunde gelegte Geste durch diesen ausgeführt und von der Erfassungsvorrichtung zur weiteren Zugrundelegung erfasst und abgespeichert wird (Hilfsantrag 3).
3.1 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1.1 Die Ausführungen bezüglich des Hauptantrags gemäß Punkt 2.2 oben gelten mutatis mutandis auch für Anspruch 1 der vorliegenden Hilfsanträge.
3.1.2 In Bezug auf Merkmal F) ist dem Anspruchswortlaut zu entnehmen, dass eine etwaige Erfassung der zeitlichen Dauer einer Geste nur optional ("und/oder") zur "örtlichen Durchführung" der Geste beansprucht wird und folglich den Gegenstand von Anspruch 1 nicht weiter einschränkt.
Selbst wenn eine solche Einschränkung tatsächlich vorläge, lehrt z.B. die Druckschrift D1, dass die Gestenerfassung abhängig von der Gestenzeitdauer (siehe z.B. Absatz [0027]: "... einen Zeitgeber 18 zur Überwachung der Bewegung der Handfläche oder der Fingerspitze bezüglich der Zeitdauer, während der die Handfläche oder Fingerspitze bewegt wird ..." oder auch Absatz [0049]; Fig. 9 und 10) und innerhalb einer "Bildaufnahmezone 3a", d.h. "örtlich", erfolgt (siehe z.B. Absatz [0029]; Fig. 2).
3.1.3 Das Merkmal G) wird ferner durch D4 vorweggenommen. Dort wird gelehrt, dass im Zuge der Bedienung der Funktionskomponenten eine Rückmeldung an den Fahrer erfolgt (siehe z.B. Absatz [0026], dritter Satz: "After the vehicle occupant selects the climate control mode ..., the vehicle control system provides feedback to the occupant that the system is indeed in the climate control mode ..."; siehe hierzu auch Absätze [0027] bis [0030]).
3.1.4 Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht erfinderisch gegenüber der Kombination aus Dokument D4 und D1 (Artikel 56 EPÜ).
Hierzu hat die Beschwerdeführerin nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer keine weiteren Kommentare vorgetragen.
3.1.5 Die Merkmale H) und I) der Hilfsanträge 2 und 3 werden in D4 nicht eindeutig offenbart. Die individuelle Zuordnung und Umsetzung von benutzerspezifischen Gesten gemäß diesen Merkmalen hängt jedoch nach Ansicht der Kammer nicht von objektiven technischen Erwägungen, sondern von subjektiven Nutzerpräferenzen ab. Daher folgt die Kammer der durch die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung im Sinne der weiteren Unterscheidungsmerkmale H) und I) angepassten objektiven Aufgabe der "Implementierung von flexiblen Eingabemöglichkeiten einer Mensch-Maschine-Schnittstelle, die von einem bestimmten Nutzer (physiologisch) auch durchgeführt werden können".
Eine solche benutzerbasierte und damit individualisierte Konfiguration von verschiedenen Gestentypen ist z.B. aus D2 bekannt (siehe z.B. Absatz [0142]: "... gestures may have different functions depending on a particular context at the time ... to allow users to assign device functions to pre-defined gestures. The functions may be context-based such that some gestures may have different functions depending on an application in use, a device state or a modeled environment. Handheld devices ... may allow different users of the same device to assign different functions to the same gesture ..."; Fig. 6, Block 69). Die Kammer ist der Ansicht, dass der Fachmann der grafischen Bedieneroberflächen zur Lösung der obigen objektiven Aufgabe die Lehre von D2 anwenden und somit gemäß Merkmale H) und I) die subjektiven Präferenzen der jeweiligen Nutzer erfassen und in einem herkömmlichen Computer-Speicher ablegen würde. Somit würde der Fachmann eine routinemäßige Implementierung einer nutzerbasierten Gestenanpassung durchführen.
3.1.6 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann nicht neben D1 auch noch D2 zur Lösung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe heranziehen würde, geht ins Leere, weil die Begründung in Punkt 3.1.5 nur auf der Kombination von D4 und D2 beruht (siehe auch Punkte 2.2.6 und 3.1.2, erster Absatz, oben). Auch das Argument, dass sich D2 mit ganz anderen Gesten, nämlich mit auf der Bewegung mit mobilen Geräten ("handheld devices") basierenden Gesten, befasse, ist nicht durchgreifend, da Anspruch 1 solche, eventuell mit Hilfsgeräten durchgeführten, Gesten nicht ausschließt und D2 nicht ausschließlich auf dem Einsatz von Mobilgeräten basiert (siehe z.B. Absatz [0128]: "... In particular embodiments, non-hand-held devices or devices that do not otherwise detect motion for input may also be able to model their environment and to behave based on the environment modeled ...").
3.1.7 Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 nicht erfinderisch gegenüber der Kombination aus Dokument D4 und D2 (Artikel 56 EPÜ).
3.2 Aus den obigen Gründen sind auch die Hilfsanträge 1, 2 und 3 nicht nach Artikel 56 EPÜ gewährbar.
4. HILFSANTRAG 4
4.1 Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals eingereichten Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags im Wesentlichen darin, dass er zusätzlich angibt, dass (mit Hervorhebungen durch die Kammer)
J) das beanspruchte System ein Fahrzeug ist;
K) Gesten einer Hand erfasst werden;
L) die unterschiedlichen Gesten vorab als fester Satz vorgegeben werden;
M) das einzugebende akustische Signal ein durch den Bediener erzeugter Pfeifton ist;
N) die Erfassungsvorrichtung als Detektor zur dreidimensionalen Objekterfassung, insbesondere als Kamera, ausgebildet ist;
O) die Erfassungsvorrichtung mit ihrem Erfassungsbereich derart orientiert ist, dass ein Lenkrad und der Bediener des Fahrzeugs beobachtet werden.
4.2 Zulassung ins Verfahren (Artikel 13(1) VOBK)
4.2.1 Im Beschwerdeverfahren wird die Zulassung des nach Einreichung der Beschwerdebegründung eingereichten Vorbringens insbesondere durch Artikel 13(1) VOBK geregelt, wonach bei der Ausübung der diesbezüglichen Ermessensbefugnis der Kammer "die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie" zu berücksichtigen sind.
4.2.2 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin schriftlich nicht auf die in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK angeführten Einwände der Kammer vor der mündlichen Verhandlung reagiert. Erst in der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin versucht, den ausstehenden Einwänden der Kammer Rechnung zu tragen, also in einem sehr späten Stadium des gesamten Verfahrens.
4.2.3 Darüber hinaus wurden im neuen Hilfsantrag etliche Merkmale hinzugefügt, die in erheblichem Maße aus der Beschreibung entnommen wurden (siehe Merkmale K), M) und O) oben) und die weder im Erteilungsverfahren noch im Beschwerdeverfahren Gegenstand der Diskussionen und der Sachprüfung waren. Demzufolge ist die Kammer der Auffassung, dass hierdurch ein "neuer Fall" geschaffen wird, der einer erstinstanzlichen, beschwerdefähigen Entscheidung vorenthalten wurde und der die prozessuale sowie sachliche Komplexität des Falls erheblich erhöht.
4.2.4 Zudem würde die Zulassung dieses sehr spät eingereichten Hilfsantrags und dessen neuen Gegenstands eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung mit einer eventuell notwendigen zusätzlichen Recherche erforderlich machen. Dies würde wiederum der gebotenen Verfahrensökonomie entgegenstehen.
4.3 Aus den vorstehenden Gründen hat die Kammer entschieden, den Hilfsantrag 4 in Ausübung ihres durch Artikel 13(1) VOBK eingeräumten Ermessens nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.