European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T092216.20200630 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Juni 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0922/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09780856.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | G07D7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR PRÜFUNG DER ECHTHEIT EINES DOKUMENTS, COMPUTERPROGRAMMPRODUKT, PRÜFGERÄT UND DATENVERARBEITUNGSSYSTEM | ||||||||
Name des Anmelders: | Bundesdruckerei GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 09 780 856.2 zurückzuweisen.
Der Hauptantrag und der Hilfsantrag 1 wurden wegen mangelnder Klarheit (Art. 84 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Art. 52 (1) und 56 EPÜ) zurückgewiesen. Die Hilfsanträge 2 und 3 wurden gemäß Regel 137 (3) und (5) EPÜ, die Hilfsanträge 4 bis 7 gemäß Regel 137 (3) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen.
II. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche: 1 bis 9 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 8. September 2015
Beschreibung: Seiten 1, 1a und 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer; Seiten 3 bis 17 der veröffentlichten Fassung
Zeichnungen: Blätter 1/3 bis 3/3 der veröffentlichten Fassung
III. Es wird auf folgende Dokumente verwiesen:
D1: US 2006/0078186 A1
D2: WO 2004/107278 A1
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des einzigen im Verfahren verbliebenen Antrags lautet wie folgt:
Verfahren zur Prüfung der Echtheit eines Ausweisdokuments (100) mit folgenden Schritten:
- Aufnahme eines ersten Bildes des Ausweisdokuments mit ersten Bildaufnahmeparametern,
- Erkennung einer Information in dem ersten Bild, wobei die Information die Angabe eines Dokumententyps beinhaltet oder wobei aus der Information ein Dokumententyp des Ausweisdokuments ableitbar ist,
- Durchführung einer Datenbankabfrage mit Hilfe der Information zur Abfrage von zweiten Bildaufnahmeparametern,
- Aufnahme eines zweiten Bildes des Ausweisdokuments mit den zweiten Bildaufnahmeparametern, wobei die zweiten Bildaufnahmeparameter dokumententypspezifische Parameter bezüglich der Beleuchtung des Ausweisdokuments und bezüglich der Belichtung eines optischen Sensors, mit Hilfe dessen das zweite Bild aufgenommen wird, beinhalten,
- Überprüfung von ein oder mehreren Sicherheitsmerkmalen des Ausweisdokuments anhand des zweiten Bildes,
wobei zumindest eines der Sicherheitsmerkmale fluoreszierend ist, und
wobei die Aufnahme des ersten Bildes in einem ersten Frequenzbereich und die Aufnahme des zweiten Bildes in einem zweiten Frequenzbereich erfolgen, wobei die ersten und zweiten Frequenzbereiche voneinander verschieden sind, und
wobei es sich bei dem ersten Frequenzbereich um einen IR-Frequenzbereich und bei dem zweiten Frequenzbereich um einen UV-Frequenzbereich handelt und wobei die Erkennung der Information in dem ersten Bild mittels optischer Zeichenerkennung erfolgt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Anmeldung
Die Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Prüfung der Echtheit eines Ausweisdokuments, wobei mit Hilfe eines Infrarot-Sensors ein erstes Bild aufgenommen wird, in dem mittels optischer Zeichenerkennung eine Information zur Bestimmung des Dokumententyps erkannt wird. Diese Information wird für eine Datenbankabfrage herangezogen, um für eine zweite Bildaufnahme mit einem UV-Sensor die Aufnahmeparameter Belichtung und Beleuchtung optimal einzustellen. Bei der zweiten Bildaufnahme wird die Echtheit des Ausweisdokuments mit Hilfe der für den Dokumententyp spezifischen, durch den UV-Sensor angeregten, fluoreszierenden Sicherheitsmerkmale überprüft. Außerdem sind ein Computerprogrammprodukt, ein elektronisches Gerät sowie ein Datenverarbeitungssystem beansprucht, auf oder in welchen das Verfahren zur Prüfung von Ausweisdokumenten implementiert ist.
3. Mangelnde Klarheit (Art. 84 EPÜ)
3.1 Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, dass im unabhängigen Anspruch 1, welcher auf ein Verfahren gerichtet ist, der Wortlaut "wobei zumindest eines der Sicherheitsmerkmale fluoreszierend ist" eine Unklarheit hervorrufe, da dies ein Merkmal des zu prüfenden Gegenstands definiere und kein Verfahrensmerkmal darstelle.
3.2 Die Kammer vertritt die Meinung, dass der strittige Wortlaut im Lichte der gesamten Anmeldeunterlagen verstanden werden muss, und in diesem Zusammenhang keine Unklarheit hervorruft.
Der Wortlaut kann nur mit folgender Auslegung verstanden werden:
Der Dokumententyp des zu prüfenden Ausweisdokuments wird durch Analyse des ersten Bildes bestimmt. Im Anschluss daran wird mit Hilfe des zweiten Bildes die Echtheit des Ausweisdokuments geprüft. Dazu werden mit Hilfe des zweiten Bildes Sicherheitsmerkmale im Ausweisdokument überprüft, welche charakterisierend für den vorher (mit Hilfe des ersten Bildes) bestimmten Dokumententyp sind. Eines dieser Sicherheitsmerkmale, wenn vorhanden, ist fluoreszierend. Somit werden bei der Überprüfung des Ausweisdokuments auf Echtheit bei der Aufnahme des zweiten Bildes Beleuchtung, Belichtung und UV-Frequenzbereich entsprechend dem Sicherheitsmerkmal angepasst, um auf die möglicherweise vorhandene Fluoreszenz zu testen. Somit schränkt der strittige Wortlaut lediglich die zweiten Bildaufnahmeparameter insoweit ein, dass diese so gewählt werden müssen, dass das zu testende Sicherheitsmerkmal mit Hilfe seiner Fluoreszenz und dem dafür verwendeten UV-Sensor getestet werden kann.
Ein Klarheitsmangel kann folglich nicht erkannt werden.
4. Erfinderische Tätigkeit (Art. 52 (1) und 56 EPÜ)
4.1 Nächstkommender Stand der Technik
Die Prüfungsabteilung hat, nach Meinung der Kammer zu Recht, das Dokument D1 als nächstkommenden Stand der Technik herangezogen, worin ein System zur Echtheitsprüfung von Dokumenten offenbart ist.
Hierbei werden mindestens zwei Sensoren verwendet, wobei der erste Sensor den Typ des Dokuments bestimmt und der zweite Sensor das zuvor ermittelte Dokument auf Echtheit prüft (Fig. 2). Auch wenn das Dokument D1 bevorzugt magnetische Sensoren zur Echtheitsprüfung von Geldscheinen zeigt, so offenbart es in [0054], dass sowohl für die Echtheitsprüfung ("authentication"), als auch für die Dokumententypermittelung ("denomination") die magnetischen Sensoren ausgetauscht ("replace") werden können, und zwar explizit gegen IR- oder UV-Sensoren.
Des Weiteren offenbart das Dokument D1, dass über eine Datenbankabfrage die für die zweite Messung vorteilhaften Sensorparameter abhängig vom Dokumententyp abfragbar sind ([0042]).
Auch wenn die in Dokument D1 gezeigten Ausführungsbeispiele den speziellen Fall der Echtheitsprüfung von Geldscheinen aufzeigen, so offenbart D1 in [0065], dass das System auch für andere Dokumententypen, wie beispielsweise Ausweisdokumente, anwendbar ist. Außerdem ist die Kammer der Auffassung, dass die in [0065] genannte Bedingung eines magnetischen Sicherheitsmerkmals nur dann vorliegen muss, wenn magnetische Sensoren verwendet werden. Werden gemäß dem Hinweis in [0054] die magnetischen Sensoren gegen andere Sensoren, insbesondere gegen die aufgezählten optischen Sensoren, ausgetauscht, so müssen selbstverständlich die genannten magnetischen Parameter beziehungsweise magnetischen Sicherheitsmerkmale durch die diese Sensoren betreffenden physikalischen Parameter beziehungsweise Sicherheitsmerkmale zur Echtheitsprüfung ausgetauscht werden.
Schließlich offenbart das Dokument D1 in [0050] auch, dass das zu prüfende Dokument, in einem rechteckigen Bereich, gemäß [0051] sogar über die gesamte Länge und Breite des Dokuments, optisch abgetastet werden kann. Hierbei wird reflektiertes Licht mit einem optischen Sensor, wie beispielsweise einer Fotodiode oder einer CCD, aufgenommen und anschließend ausgewertet, um den Dokumententyp zu bestimmen. Dies offenbart nach Meinung der Kammer keine Bildaufnahme, welche die Erkennung von Information mittels optischer Zeichenerkennung einschließt. Eine optische Abtastung mit Hilfe einer CCD schließt keine "Bildaufnahme" im wörtlichen Sinn ein, welche für eine Zeichenerkennung zwingend notwendig wäre, sondern beschränkt sich auf eine ein- oder zweidimensionale Messung elektrischer Signale mit Hilfe eines optischen Sensors. Darüber hinaus ist auch nicht offenbart, dass die CCD zwingend eine zweidimensionale CCD ist.
4.2 Unterscheidende Merkmale
Somit unterscheidet sich das im unabhängigen Anspruch 1 definierte Verfahren von der in Dokument D1 offenbarten Lehre durch folgende Merkmale:
- Der erste Sensor, welcher den Dokumententyp bestimmt, macht eine "Aufnahme eines ersten Bildes" zur Erkennung einer Information, wobei diese Erkennung "mittels optischer Zeichenerkennung erfolgt".
- Die Bildaufnahmeparameter für das zweite Bild betreffen die Beleuchtung des Dokuments und die Belichtung des optischen Sensors.
4.3 Objektive technische Aufgabe
Die objektive technische Aufgabe, welche durch die unterscheidenden Merkmale gelöst wird, wird in einem alternativen Verfahren zur Echtheitsprüfung von Dokumenten gesehen, welches die Zuverlässigkeit der Echtheitsprüfung erhöht.
4.4 Problem-Lösungs-Ansatz
Die Lösung dieser genannten objektiven technischen Aufgabe wird durch die oben genannten unterscheidenden Merkmale erreicht. Sie ist nach Ansicht der Kammer und entgegen der Meinung der Prüfungsabteilung aus folgenden Gründen nicht durch die Kombination der Lehren der Dokumente D1 mit D2 nahegelegt.
Die Lehre des Dokuments D1 offenbart, wie unter Punkt 4.2 bereits ausgeführt, keine Bildaufnahme und daran geknüpfte Zeichenerkennung.
Auch zeigt das Dokument D2 nach Meinung der Kammer keine Zeichenerkennung basierend auf einer Bildaufnahme. Die von der Prüfungsabteilung zitierten Absätze in der Beschreibung von Dokument D2 (S. 10 und S. 11, jeweils letzter Absatz) offenbaren, dass eine Abtastung und Überprüfung des Geldscheins zeilenmäßig erfolgt und die daran geknüpfte Auswertung sich auf die Auswertung elektrischer Signale beschränkt, ähnlich der Funktionsweise eines Barcode-Lesers. Eine Bildaufnahme mit anschließender Zeichenerkennung ist in Dokument D2 nicht offenbart; das Suchen nach gefälschten Punkten in einem Buchstaben ("T") und die darauf basierende Suche nach gefälschten Seriennummern ist keine Zeichenerkennung aus einem Bild und darf nicht mit dieser gleichgesetzt werden. Es handelt sich hier lediglich um ein zunächst eindimensionales Abtasten des Dokuments, wobei die zweidimensionale Prüfung des Dokuments durch eine iterative eindimensionale Abtastung mit jeweiligem Versatz in der zweiten Dimension erfolgt. Dies ist keine zweidimensionale Bildaufnahme. Eine optische Zeichenerkennung aus einem aufgenommenen Bild ist folglich weder in Dokument D1 noch in Dokument D2 offenbart.
Somit kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann die Lehren der Dokumente D1 und D2 überhaupt kombinieren würde, denn selbst wenn er dies täte, käme er durch die Kombination dieser Lehren noch nicht zu der beanspruchten Bildaufnahme mit Zeichenerkennung.
Eine mangelnde erfinderische Tätigkeit kann somit basierend auf der Kombination der Lehre des Dokuments D1 mit der des Dokuments D2 nicht überzeugend begründet werden.
Aus der Offenbarung entweder nur des Dokuments D1 oder der Kombination der Lehren der Dokumente D1 und D2 entnimmt der Fachmann nach Meinung der Kammer auch nicht unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig, dass er die gezeigte zeilenmäßige Signalauswertung in naheliegender Weise durch eine Bildauswertung mit Zeichenerkennung ersetzen könnte. Dies ist nach Meinung der Kammer nur in rückschauender Betrachtungsweise möglich, weswegen auch in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen keine mangelnde erfinderische Tätigkeit begründet werden kann.
Somit beruht der in Anspruch 1 definierte Gegenstand des einzigen im Verfahren verbliebenen Antrags auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.
5. Die Ansprüchen 2 bis 9 beziehen sich alle auf den unabhängigen Anspruch 1 zurück, sodass die darin definierten Gegenstände ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ beruhen.
6. Fazit
Da die Anmeldeunterlagen gemäß dem einzigen im Verfahren verbliebenen Antrag und die Erfindung, die sie zum Gegenstand haben, den Erfordernissen des EPÜ genügen, ist ein Patent auf Grundlage dieser Unterlagen zu erteilen (Art. 97 (1) und 111 (1) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angegriffene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
- Ansprüche: 1 bis 9 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 8. September 2015
- Beschreibung: Seiten 1, 1a und 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer; Seiten 3 bis 17 der veröffentlichten Fassung;
- Zeichnungen: Blätter 1/3 bis 3/3 der veröffentlichten Fassung