T 0760/16 () of 16.5.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T076016.20190516
Datum der Entscheidung: 16 Mai 2019
Aktenzeichen: T 0760/16
Anmeldenummer: 05813246.5
IPC-Klasse: B60J 1/20
B60J 7/00
B60R 5/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ROLLOANORDNUNG FÜR EIN FAHRZEUG
Name des Anmelders: Webasto SE
Name des Einsprechenden: BOS GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(3)
Schlagwörter: erweiterter Schutzumfang (nein)
Neuheit (ja)
erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 814 753 wurde mit der am 19. Februar 2016 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung in geänderter Form aufrechterhalten. Dagegen wurde von der Einsprechenden form- und fristgerecht gemäß Artikel 108 EPÜ Beschwerde eingelegt.

II. Es fand am 16. Mai 2019 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form gemäß der angefochtenen Entscheidung (Hauptantrag), hilfsweise auf der Basis der Hilfsanträge 1 bis 4 (eingereicht am 7. Oktober 2016) beantragt.

III. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Rolloanordnung für ein Fahrzeug mit mindestens einer Rollobahn (10) und mindestens einem Wickelrohr (12) zum Auf- und Abwickeln der Rollobahn, wobei die Rollobahn entlang beider seitlichen Randbereiche jeweils mindestens ein flexibles, flaches Führungsband (18) aufweist, welches sich entlang der Ausziehrichtung des Rollos erstreckt und welches in einer Führung (20) geführt ist, die Führung eine Kulisse beinhaltet, in der das Führungsband geführt ist und welche eine Austrittsspalte (22) aufweist, durch die die Rollobahn aus der Führung austritt, wobei das Führungsband so geführt ist, dass dessen Grundfläche (31) im Wesentlichen parallel zu benachbarten Bereich der Rollobahn geführt ist und Formgebung und Dimensionierung

von Austrittsspalte und Führungsbahn so bemessen sind, dass das Führungsband nicht von selbst aus der Führung austreten kann, wobei das Führungsband (18) in einem Führungskanal (23) innerhalb der Führung (20) geführt ist, wobei ein Boden (27) des Führungskanals in einer Ebene parallel zur ausgezogenen Rollobahn (10) verläuft, dadurch gekennzeichnet, dass die Öffnung des Austrittsspalts (22) kleiner ist als die Breite der Grundfläche (31) des Führungsbands (18) und der Querschnitt des Führungsbands an mindestens zwei Punkten (25, 23b) am Führungskanal (23) gegen eine Verdrehung seiner Längsachse abgestützt ist, und die Rollobahn (10) im Bereich des Seitenrands des Führungsbands (18) fixiert ist."

IV. Die Einsprechende legte dar, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags zu einem im Hinblick auf den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erweiterten Schutzumfang führe. Dies ergebe sich insbesondere durch die Streichung von "im Wesentlichen" im Merkmal "wobei das Führungsband so geführt ist, dass dessen Grundfläche (31) im Wesentlichen parallel zu benachbarten Bereich der Rollobahn geführt ist" (siehe Merkmal M1.8 entsprechend der Gliederung des Anspruchs 1 in der angefochtenen Entscheidung). Eine exakt parallel zur Rollobahn verlaufende Führung des Führungsbands sei gerade durch den Wortlaut "im Wesentlichen" im erteilten Anspruch 1 ausgeschlossen, im Einklang mit der vorgesehenen lichten Höhe des Führungskanals (siehe Patentschrift (im Folgenden als EP-B bezeichnet), [0024], Zeilen 16-19), die keine derartige exakt parallele Führung erlaube.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei im Hinblick auf E1 (US-A-5 163 495) nicht neu, da die strittigen Merkmale M1.7 ("die Führung eine Kulisse beinhaltet, in der das Führungsband geführt ist und welche eine Austrittsspalte (22) aufweist, durch die die Rollobahn aus der Führung austritt") und M1.13 ("und die Rollobahn (10) im Bereich des Seitenrands des Führungsbands fixiert ist") aus E1 bekannt seien.

Aus E1 sei nämlich eine Führung zu entnehmen, die eine Kulisse 20, 30 (Figuren 2, 3A) beinhalte, in der das Führungsband 40 geführt sei, wobei die Kulisse 20, 30 einen Austrittsspalt aufweise, durch den die Rollobahn 2 aus der Führung hinaustrete (siehe Figur 2); zudem sei auch die Rollobahn 2 im Bereich des Seitenrands des Führungsbands fixiert (siehe Stich oder Naht 41; Spalte 4, Zeilen 7-13).

Alternativ sei der Anspruchsgegenstand auch aus der Ausführungsform gemäss Figur 6 bekannt, wobei in diesem Fall das strittige Merkmal M1.8 (siehe oben) ebenfalls aus E1 hervorgehe. Tatsächlich sei dort das Führungsband 146, 148 parallel zu der Rollobahn 142 geführt, da es sich auch beim Streitpatent eben nur um eine im Wesentlichen parallele Führung handle.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei im Hinblick auf E4 (EP-A-1 588 880) nicht neu. Das strittige Merkmal M1.8 sei aus der Figur 3 zu entnehmen, da dort die Grundfläche des Führungsbands 18 (d.h. die Fläche, die zwischen den seitlichen, auf dem Boden der Führungsschiene abgestützten Begrenzungen der Unterseite des Führungsbands liege) offensichtlich im Wesentlichen parallel zur Rollobahn geführt sei.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei im Hinblick auf die Ausführungsform der Figur 6 in E1 und auf das fachübliche Können nicht erfinderisch. Der Fachmann, in seinem Bestreben die Gesamthöhe der Führungsanordnung zu reduzieren, werde in naheliegender weise den Winkel zwischen den beiden miteinander verbundenen Abschnitten 146, 148 des Führungsbands verkleinern (z.B. durch das Verkleben beider Abschnitte, wie in Spalte 6, Zeilen 28-31 suggeriert, wobei ein Klebeband entsprechender, passender Dicke auszuwählen sei) und somit unmittelbar zu einer Führung gelangen, bei der die Grundfläche des Führungsbands parallel zu der Rollobahn geführt sei.

V. Die Patentinhaberin führte aus, dass der sich aus dem Gegenstand des Anspruchs 1 (des Hauptantrags) ergebende Schutzumfang gegenüber dem Schutzumfang des erteilten Anspruchs nicht erweitert sei. Speziell umfasse der Wortlaut "im Wesentlichen parallel" im erteilten Anspruch 1 unzweifelhaft auch den Spezialfall der exakten parallelen Führung der Grundfläche, wie im Anspruch 1 beansprucht. Das Streichen von "im Wesentlichen" stehe auch nicht im Widerspruch zu dem Vorhandensein einer lichten Höhe des Führungskanals, "die geringfügig grösser ist als die des Führungsbandes 18 zusammen mit der Tasche der Rollobahn 10" (EP-B, [0024], Zeilen 16-19). Ein geringfügiges Spiel sei für eine Führung des Führungsbandes mit geringer Reibung notwendig und es ermögliche dennoch eine parallele Führung desselben.

Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Hauptantrag) im Hinblick auf E1 sei gegeben. Die Ausführungsform gemäß Figuren 2, 3A zeige nicht die besagten Merkmale M1.7 und M1.13, während die Ausführungsform gemäß Figur 6 das Merkmal M1.8 nicht zeige, da die Grundfläche des Führungsbandes nicht parallel zur benachbarten Rollobahn liege.

Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Hauptantrag) im Hinblick auf E4 sei gegeben, da E4 das besagte Merkmal M1.8 nicht offenbare. In der Tat impliziere dieses Merkmal unmissverständlich, dass die Grundfläche des Führungsbandes parallel zur Fläche der Rollobahn liege oder angeordnet sei, wie auch aus der Beschreibung (siehe [0025]) und den erfindungsgemäßen Figuren von EP-B explizit hervorgehe.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 weise im Hinblick auf E1 eine erfinderische Tätigkeit auf, da das Merkmal M1.8 nicht nahegelegt sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Aus dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags lässt sich gegenüber dem erteilten Anspruchsgegenstand keine Erweiterung des Schutzumfangs ableiten.

Zunächst kann sich aus der Streichung des Wortlauts "im Wesentlichen" im Merkmal M1.8 ("wobei das Führungsband so geführt ist, dass dessen Grundfläche (31) im Wesentlichen parallel zu benachbarten Bereich der Rollobahn geführt ist") generell keine Erweiterung des Schutzumfangs ergeben, da der Begriff "im Wesentlichen parallel" in der Regel (und dieser ist kein Ausnahmefall) den Begriff "parallel" mit umfasst, womit diese Streichung lediglich zu einer Einschränkung des Schutzumfangs führt.

Der Schutzumfang ist damit beschränkt auf Gestaltungen, in denen die Grundfläche des Führungsbandes parallel zur benachbarten Rollobahn geführt ist, wobei der Begriff nicht mathematisch, sondern technisch funktional auszulegen ist:

Da zur "Führung" des beweglichen Bandes ein gewisses Spiel im Führungskanal erforderlich ist, wie von der Patentinhaberin selbst in der mündlichen Verhandlung zugegeben (bedingt durch die vorgesehene lichte Höhe des Führungskanals (siehe Patentschrift (im Folgenden als EP-B bezeichnet), [0024], Zeilen 16-19), sind minimale Neigungen des Führungsbandes gegenüber der Ebene der Rollobahn, die sich nur aufgrund des vorzusehenden Spiels und etwaiger Fertigungstoleranzen ergeben, vom Merkmal M1.8 "parallel zu benachbarten Bereich der Rollobahn geführt" noch erfasst. Stärkere Neigungen, die sich durch eine nicht allein spielbedingte größere lichte Höhe des Führungskanals ergeben, wie etwa in Figur 6 von EP-B gezeigt, sind dagegen ausgeschlossen.

Die Anforderungen von Artikel 123 (3) EPÜ sind folglich erfüllt.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist im Hinblick auf E1 neu (Artikel 54 EPÜ).

In der Ausführungsform gemäß Figuren 2 und 3A sind nach Auffassung der Kammer die Merkmale M1.7 und M1.13 nicht erfüllt. Insbesondere folgt die Kammer der Auffassung der Patentinhaberin, wonach die Strukturteile 20, 30 (Figur 2) nicht als "Kulisse" im Sinne von Merkmal M1.7 des Anspruchs 1 anzusehen sind, weil nach dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns die "Kulisse" üblicherweise das Bauteil darstellt, welches das Führungsband direkt und unmittelbar führt. Hingegen sind die Strukturteile 20, 30 in Figur 2 eher als äußere Gehäuseteile der Führung zu betrachten. Zudem ist auch Merkmal M1.13 nicht erfüllt, da E1 aussagt, dass die Rollobahn im Allgemeinen ("generally") in der Mitte des Führungsbandes mit diesem befestigt ist (E1, Spalte 4, Zeilen 7-9).

Eine Befestigung in Bereichen, die näher zum Rand als zur Mitte liegen, ist weder explizit offenbart, noch kann sie als Ausnahme von dem regelmäßigen ("generally") Befestigungsort als implizit offenbart angesehen werden, da sie bei den Ausführungsformen, auf die sich die zitierte Textstelle in E1 bezieht, technisch auch keinen Sinn ergeben würde. "Generally in the middle" offenbart daher nur eine Anbringung entweder genau in der Mitte oder im Bereich der Mitte, nicht aber eine "im Bereich des Seitenrandes des Führungsbandes" wie von M1.13 gefordert.

Die Ausführungsform gemäß Figur 6 in E1 weist das Merkmal M1.8 nicht auf. Die Kammer ist der Auffassung, in Übereinstimmung mit der Meinung der Patentinhaberin, dass dieses Merkmal eine (unter Berücksichtigung des notwendigen Spieles und etwaiger Toleranten, s.o.) parallele Lage der Grundfläche des Führungsbandes zu der benachbarten Rollobahn voraussetzt und erfordert. Dies ergibt sich auch im Zusammenhang mit dem Kontext des Anspruchs 1, insbesondere im Zusammenhang mit den weiteren Merkmalen, wonach das Führungsband ein "flaches Führungsband" ist und wonach der "Boden (27) des Führungskanals in einer Ebene parallel zur ausgezogenen Rollobahn verläuft". Ein solches Führungsband, mit einer parallel zur Rollobahn angeordneten Grundfläche ist in Figur 6 von E1 eindeutig nicht offenbart.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist im Hinblick auf E4 neu (Artikel 54(3) EPÜ). E4 offenbart nämlich nicht das Merkmal M1.8 und dies aus denselben Gründen wie bereits oben in Verbindung mit der Ausführungsform gemäß Figur 6 in E1 dargelegt.

5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist durch E1 und die allgemeinen Kenntnisse des Fachmanns nicht nahegelegt (Artikel 56 EPÜ). Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann, ausgehend von der Ausführungsform gemäß Figur 6 von E1, nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Merkmal M1.8 gelangen würde. In dem Bestreben, die Gesamthöhe der Führungsanordnung zu reduzieren, könnte zwar der Fachmann den zwischen den beiden Abschnitten des Führungsbandes eingeschlossenen Winkel reduzieren.

Es würde jedoch wegen der Stärke der zur Sicherung des Gegenlagers nötigen Flansche 132, 134, der mittigen Anordnung und Befestigung der Rollobahn zwischen den beiden sich schräg seitlich abstützenden Führungsbändern 146, 148 und der erforderlichen lichten Höhe des Austrittsspaltes zwischen den Flanschen 132, 134 nicht zu einer Gestaltung kommen, bei denen die Führungsbänder parallel im Sinne von M1.8 geführt sind. Auch die Wahl eines besonders dicken Doppelklebebandes als Befestigungsmittel 150, das die Stärke eines Flansches plus die des halben Austrittsspaltes haben müsste, ist ohne den rückschauenden Wunsch, den Wortlaut der erfindungsgemäßen Merkmale zu verwirklichen, nicht nahegelegt.

Zudem ist auch festzustellen, dass die Führungsanordnung gemäß Figur 6 in E1 bereits eine im Vergleich zu den Führungsanordnungen der Figuren 2, 3A (und 3B) beträchtlich geringere Höhe aufweist, derart dass für eine weitere Reduzierung der Bauhöhe kaum noch Spielraum besteht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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