T 0688/16 () of 22.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T068816.20190722
Datum der Entscheidung: 22 Juli 2019
Aktenzeichen: T 0688/16
Anmeldenummer: 07801699.5
IPC-Klasse: A47L 15/48
A47L 15/00
A47L 15/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR BEURTEILUNG UND SICHERSTELLUNG DER THERMISCHEN HYGIENEWIRKUNG IN EINER MEHRTANKGESCHIRRSPÜLMASCHINE
Name des Anmelders: MEIKO Maschinenbau GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: WINTERHALTER GASTRONOM GMBH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention R 99(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention R 116(2)
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Neuheit - (ja)
Spät eingereichter Antrag - Antrag identisch mit dem im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenen Hilfsantrag
Orientierungssatz:

siehe Gründe 1,2

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0258/03
T 0154/04
T 2193/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0350/17
T 0966/17
T 1174/18
T 1776/18
T 1662/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Post gegeben am 13. Januar 2016, das europäische Patent Nr. 2 053 959 nach Artikel 101(2) und 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin am 22. März 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 20. Mai 2016 eingereicht.

III. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ, Artikel 100(b) und Artikel 100(c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Hauptantrag wegen einer unzulässigen Änderung nicht die Erfordernisse des Artikels 100 (c) EPÜ erfüllte, dass der Hilfsantrag 1 wegen mangelnder Neuheit nicht die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ erfüllte, und dass die Hilfsanträge 2 und 3 wegen offensichtlich mangelnder Neuheit nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht zum Verfahren zuzulassen seien, und hat daher das Patent widerrufen.

Dabei hat sie unter anderen die folgende Druckschrift berücksichtigt:

D10: WO 2006 / 097 294 A1

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 29. April 2019 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zu den Sachfragen mit. Die mündliche Verhandlung fand am 22. Juli 2019 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

V. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Grundlage ihres Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, welcher dem Hilfsantrag 3, der in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde, entspricht. Hilfsweise beantragt sie, die Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber D10 festzustellen und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

VI. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Weiter beantragt sie den Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Falls im Beschwerdeverfahren die Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D10 bejaht wird, beantragt sie die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung

VII. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Beurteilung und Sicherstellung der thermischen Hygienewirkung in einer Mehrtank-spülmaschine, in welcher mindestens ein Sensor (40; 50, 51, 52, 53) angeordnet ist, welcher die Temperatur innerhalb mindestens einer Behandlungszone (4, 14, 18, 25) an eine Maschinensteuerung (36), insbesondere der Steuerung der Mehrtankspülmaschine übermittelt,

mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

a) der Erfassung der Temperatur innerhalb mindestens einer der Behandlungszonen (4, 14, 18, 25) durch den Sensor (40, 50, 51, 53),

b) der Ermittlung des in mindestens einer der Behandlungszonen (4, 14, 18, 25) auf das zu reinigende Spülgut erfolgten Wärmeeintrags anhand der gemäß a) ermittelten Temperatur,

c) dem sich daran anschließenden Vergleich des in der mindestens einen Behandlungszone (4, 14, 18, 25) erfolgten Wärmeeintrags mit einem vorgegebenen Wärmeeintrag und

d) einem abhängig vom Resultat des gemäß Verfahrensschritts c) durchgeführten Vergleichs der Wärmeeinträge erfolgenden Variieren der Transportgeschwindigkeit des Spülguts durch die Mehrtankspülmaschine oder einer Variation der Temperatur theta in mindestens einem sich auf die Wärmeeinträge auswirkenden Verfahrensparameter als Stellgröße in einem Regelkreis für mindestens eine der Behandlungszonen (4, 14, 18, 25),

wobei bei der Temperaturerfassung durch mindestens einen stationär angeordneten Sensor eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone (4, 14, 18, 25) erfolgt."

VIII. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Die Beschwerde sei begründet und darum zulässig. Der jetzige Hauptantrag sei zuzulassen. Der unabhängige Anspruch 1 sei neu gegenüber D10.

IX. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der jetzige Hauptantrag sei erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Hilfsantrag 3 vorgelegt worden und nicht zugelassen worden, da er prima facie nicht neu gegenüber D10 sei. Da die Beschwerdebegründung keine Angaben dazu enthalte, warum die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung falsch gewesen sei, sei die Beschwerde unzulässig. Der Hauptantrag sei nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen, weil er von der Einspruchsabteilung als verspätet nicht zugelassen wurde. Zudem sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber D10.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende bestreitet die Zulässigkeit der Beschwerde. Da die Beschwerde-begründung nicht auf die Ausübung des Ermessens durch die Einspruchsabteilung eingehe, setze sie sich nicht mit dem eigentlichen Grund des Widerrufs bezüglich des jetzigen Hauptantrags, welcher der Einspruchsabteilung als Hilfsantrag 3 vorgelegt wurde, auseinander.

1.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin darin zu, dass eine Beschwerde, die keinen Zusammenhang mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung aufweist, nicht in demselben rechtlichen und faktischen Rahmen liegt, wie das Einspruchsverfahren, und somit unzulässig wäre (RdBK, 8. Auflage 2016, IV.E.2.6.5).

Im vorliegenden Fall beruht die Nichtzulassung des Hilfsantrags 3 (jetziger Hauptantrag) zwar auf einer Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung. Die Abteilung hat nämlich den Antrag, der erst während der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, als verspätet angesehen und ihn dann aufgrund einer Ermessens-entscheidung nach Maßgabe des Artikels 114(2) EPÜ nicht zugelassen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass der Gegenstand von Anspruch 1 offensichtlich nicht neu sei, da das Dokument D10 insbesondere das Merkmal

"eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone erfolgt" (nachfolgend Merkmal 1.7.4)

offenbare, siehe die Punkte 7.2 und 7.6 der Begründung.

1.2 In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin dargelegt, warum sie den Hauptantrag insbesondere wegen des Merkmals 1.7.4 als neu gegenüber D10 ansieht. Die Beschwerdebegründung gibt explizit denselben rechtliche Grund an wie die angegriffene Entscheidung (Beschwerdebegründung, Seite 3 oben: "Artikel 54(3) EPÜ"; Seite 9, Zusammenfassung: "Es liegt Neuheit gegenüber dem Dokument D10 vor."). Zudem gibt sie auch die faktischen Gründe an, aus denen sich nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt, d.h. weshalb Anspruch 1 des jetzigen Hauptantrags nicht gegen Artikel 54 EPÜ verstößt (Seite 3, letzter Absatz i.V.m. Seiten 4-9). Dieser Tatsachenvortrag setzt sich mit den Gründen der Entscheidung zum fehlenden Unterscheidungsmerkmal gegenüber D10 auseinander. Daraus kann die Kammer ohne großen Aufwand verstehen, warum die Beschwerdeführerin meint, dass die Entscheidung falsch war.

Somit erfüllt die Beschwerde die Erfordernisse des Artikels 108 i.V.m. Regel 99 (2) EPÜ und ist zulässig.

2. Hauptantrag - Zulassung zum Beschwerdeverfahren

Die Kammer ist außerdem zu der Auffassung gelangt, dass die (Nicht-)Zulassung des Hilfsantrags 3 überhaupt nicht im Ermessen der Einspruchsabteilung stand.

2.1 Die Entscheidung führt Artikel 114(2) EPÜ als Rechtsgrundlage an, siehe Punkt 7.6 der Begründung. Aus diesem Artikel lässt sich nur ein Ermessen, Tatsachen und Beweismittel zuzulassen oder nicht, ableiten. Ein Ermessen, verspätet eingereichte Anträge nicht zuzulassen, basiert dagegen auf Regel 116(2) EPÜ, ist aber demzufolge nur dann anzuwenden, wenn der Patentinhaberin die Gründe mitgeteilt worden sind, die der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen und sie aufgefordert worden ist, bis zu einer in Regel 116(1) EPÜ genannten Frist, neue Unterlagen einzureichen. Dabei ist dann Regel 116(1) EPÜ, Sätze 3 und 4, entsprechend anzuwenden, d.h. solche Anträge, die dann nach einer solchen negativen Mitteilung nach der Regel 116(1) Frist eingereicht werden, brauchen nicht berücksichtigt werden, soweit sie nicht wegen einer Änderung des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalts zuzulassen sind. Somit ist das Ermessen durch eine Mitteilung, dass Gründe der Aufrecht-erhaltung des Patents entgegenstehen, bedingt. Dies geht auch aus den damalig geltenden Prüfungsrichtlinien (2015) E-V.2.2 b) hervor.

2.2 Im vorliegenden Fall erfolgte jedoch keine negative Mitteilung, sondern eine Mitteilung, wonach nach vorläufiger Sicht der Abteilung keiner der Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstanden, siehe Punkt 9 des Anhangs zur Ladung. Ohne negative Mitteilung hätte auch Regel 116(2) EPÜ keine Anwendung finden können. Im Gegenteil, wegen der Änderung der vorläufigen Sichtweise der Abteilung erst in der mündlichen Verhandlung hätte der Patentinhaberin die Möglichkeit geboten werden müssen, durch Einreichung eines neuen Antrags darauf entsprechend zu reagieren, siehe hierzu auch die Prüfungsrichtlinien E.II.8.6 und E.V.2.2 (a) in der Fassung von 2015. Einem solchem Antrag kann dann nicht mehr die Zulassung mit der Begründung verweigert werden, er sei verspätet.

In diesem Zusammenhang teilt die Kammer nicht die Sicht der Beschwerdegegnerin, wonach der Hilfsantrag 3 zumindest deswegen als verspätet anzusehen sei, da er erst mit der zweiten gebotenen Möglichkeit während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde. Aus der Niederschrift geht nämlich nicht hervor, dass die Einspruchsabteilung ihre Zurückweisung des Hilfsantrags 1 wegen mangelnder Neuheit gegenüber D10 begründet hat, siehe Punkt 5. Daher steht nicht fest, dass die Patentinhaberin bereits bei der ersten ihr gebotenen Möglichkeit zur Einreichung eines geänderten Antrags die Gründe der Einspruchsabteilung für den Befund mangelnder Neuheit gegenüber D10 kannte.

2.3 Die von der Beschwerdegegnerin unter Verweis auf G 7/93 und T 2193/09 entwickelte Argumentationslinie, wonach die Beschwerdeführerin hätte darlegen müssen, warum die erste Instanz ihr Ermessen nach falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder willkürlich ausgeübt hat, betrifft die Überprüfung einer erstinstanzlichen Ermessensentscheidung durch die Beschwerdekammer. Für den vorliegenden Fall sind diese Argumente nicht relevant, da die Zulassung des Hilfsantrags 3 aus den vorangehend genannten Gründen gerade nicht im Ermessen der Einspruchsabteilung lag.

2.4 Mit Ausnahme des Umstands, dass der damals gültige Hilfsantrag 3 von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen wurde, sind für die Kammer keine Gründe ersichtlich, aus denen der bereits mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollte.

Folglich entschied die Kammer in Ausübung ihres eigenen Ermessens, den Hauptantrag in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, Artikel 12(4) VOBK.

3. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Beurteilung und Sicherstellung der thermischen Hygienewirkung in einer Mehrtankspülmaschine, in welcher mindestens ein Sensor stationär angeordnet ist, welcher die Temperatur innerhalb mindestens einer Behandlungszone an eine Maschinensteuerung übermittelt. Anhand der erfassten Temperatur wird der in mindestens einer der Behandlungszonen auf das zu reinigende Spülgut erfolgte Wärmeeintrag ermittelt und anschließend mit einem vorgegebenen Wärmeeintrag verglichen. Abhängig vom Resultat dieses Vergleichs wird entweder die Transportgeschwindigkeit des Spülguts durch die Mehrtankspülmaschine oder die Temperatur theta in mindestens einem sich auf die Wärmeeinträge auswirkenden Verfahrensparameter als Stellgröße in einem Regelkreis für mindestens eine der Behandlungszonen variiert. Bei der Temperaturerfassung erfolgt eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone.

4. Neuheit

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach das Verfahren zur Beurteilung und Sicherstellung der thermischen Hygienewirkung in einer Mehrtankspülmaschine nach Anspruch 1 aus D10 bekannt sei.

4.1 Das zum Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gehörende Dokument D10 offenbart unbestritten ein Verfahren zur Beurteilung und Sicherstellung der thermischen Hygienewirkung in einer Mehrtankspülmaschine, in welcher mindestens ein Sensor angeordnet ist, welcher die Temperatur innerhalb mindestens einer Behandlungszone an eine Maschinensteuerung, insbesondere der Steuerung der Mehrtankspülmaschine übermittelt, mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

a) der Erfassung der Temperatur innerhalb mindestens einer der Behandlungszonen durch den Sensor,

b) der Ermittlung des in mindestens einer der Behandlungszonen auf das zu reinigende Spülgut erfolgten Wärmeeintrags anhand der gemäß a) ermittelten Temperatur,

c) dem sich daran anschließenden Vergleich des in der mindestens einen Behandlungszone erfolgten Wärmeeintrags mit einem vorgegebenen Wärmeeintrag und

d) einem abhängig vom Resultat des gemäß Verfahrensschritts c) durchgeführten Vergleichs der Wärmeeinträge erfolgenden Variieren der Transportgeschwindigkeit des Spülguts durch die Mehrtankspülmaschine oder einer Variation der Temperatur theta in mindestens einem sich auf die Wärmeeinträge auswirkenden Verfahrensparameter als Stellgröße in einem Regelkreis für mindestens eine der Behandlungszonen, wobei die Temperaturerfassung durch mindestens einen stationär angeordneten Sensor erfolgt (Seite 7, zweiter und dritter Absatz).

4.2 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin bestreitet nur, dass D10 auch offenbart, dass bei der Temperaturmessung eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone erfolgt.

Im Hinblick auf dieses Merkmal vertritt die Beschwerdegegnerin unter Verweis auf T 154/04 die Auffassung, dass eine Prognose die rein abstrakte, gedankliche Tätigkeit eines Benutzers der Mehrtankspülmaschine betreffe, folglich als nicht-technisches Merkmal anzusehen sei, und daher in Bezug auf die Neuheit unberücksichtigt bleiben könne. Die Kammer teilt zwar die Auffassung, wonach Neuheit und erfinderische Tätigkeit nur auf technische Merkmale gestützt werden können, und wonach nichttechnische Merkmale "als solche" bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Demzufolge kann auch eine rein abstrakte, gedankliche Tätigkeit die Neuheit nicht begründen, siehe hierzu auch RdBK, 8. Auflage 2016, I.C.5.2.8 oder I.D.9.1. Weiterhin ergibt sich der technische Charakter aus den physischen Merkmalen eines Gegenstandes oder aus der Verwendung technischer Mittel, siehe T 258/03 (ABl.2004, 575).

In diesem Fall ist die Kammer der Meinung, dass die beanspruchte Prognose jedoch kein nichttechnisches Merkmal "als solches" betrifft, und insbesondere keine rein abstrakte, gedankliche Tätigkeit ist. Vielmehr ist dieses Merkmal in engem Zusammenhang mit dem Merkmal a) und den darauffolgenden Schritten zu verstehen. So fordert das letzte Merkmal des Anspruchs, dass die Prognose bei der Temperaturerfassung durch den stationären Sensor erfolgt. Auf die Temperaturerfassung, wobei der Präambel zufolge die Werte an eine Maschinensteuerung übermittelt werden, folgt die Ermittlung des Wärmeeintrags, der Vergleich und dann eine Anpassung der Transportgeschwindigkeit oder, über einen Verfahrensparameter als Stellgröße, eine Anpassung der Temperatur. Somit ist die Prognose des Wärmeeintrags durch Extrapolation der Temperaturwerte im Zuge der Temperaturerfassung mittels des Sensors, und der anschließenden Übermittlung an die Maschinensteuerung für die Ermittlung des Wärmeeintrags, dem Vergleich und der Variation der Transportgeschwindigkeit bzw. der die Temperatur bestimmenden Stellgröße zu verstehen. Daher ist die Prognose als integraler Teil eines inhärent technischen Verfahrens zu sehen, der in die Erfassung und Steuerung fest eingebunden ist. Dies impliziert entsprechende Anpassungen in Form technischer Mittel, z.B. zur zeitaufgelösten Aufzeichnung historischer Temperaturwerte sowie auch zur Übermittlung des Ergebnisses für die Variation. Etwas anderes wird auch nicht von der Beschreibung gelehrt, die auf ein technisches Verfahren zum energieeffizienten Betrieb einer Mehrtankspülmaschine mit fest installierten Temperatursensoren gerichtet ist (Absätze 38 bis 58).

Da eine "Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone" nicht rein gedanklich ist, sondern als ein technisches Merkmal anzusehen ist, muss die Kammer nun prüfen, ob eine solche Prognose in D10 offenbart wird.

4.3 Das Merkmal "Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone" betrifft bei einer zum Verständnis bereiten Leseweise die Vorhersage des zukünftigen Wärmeeintrags. Laut "Brockhaus" ist nämlich eine Prognose "die wissenschaftlich fundierte Aussage über den voraussichtlichen Verlauf einer zukünftigen Entwicklung".

In D10 wird der Wärmeeintrag bestimmt, indem die Temperatur z.B. in der Spülzone erfasst und danach an die Steuerung übermittelt wird. Die Steuerung errechnet daraus den bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Wärmeeintrag in Form der übertragenen Wärmeäquivalente, siehe Seite 6, Zeile 35 bis Seite 7, Zeile 12. Anschließend erfolgt bei Bedarf eine Korrektur der Prozessparameter wie z.B. der Temperatur des Nachspülwassers, siehe Seite 7, Zeilen 22-25. Im Lichte dieses Verfahrensprinzips stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden dahingehend zu, dass das im detaillierten Ausführungsbeispiel der D10 beschriebene Verfahren auch eine Variante umfasst, bei welcher eine Temperaturmessung in der Spülzone 4 zur Erhöhung der Frischwassertemperatur in der Klarspülzone 18 herangezogen wird, siehe Seite 13, Zeilen 7-17.

Anders als von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin dargelegt, findet in D10 nicht nur ein Soll/Ist-Vergleich zwischen den zur Sicherstellung der Hygienewirkung insgesamt geforderten Wärmeäquivalenten und den zum Zeitpunkt der Temperaturmessung in der Spülzone bereits übertragenen Wärmeäquivalenten statt. Abhängig vom Ergebnis dieses Soll/Ist-Vergleiches wird nämlich zusätzlich noch eine Anpassung der Prozessparameter durchgeführt. Dabei betrifft die Anpassung der Frischwassertemperatur den zum Zeitpunkt der Temperaturmessung in der Spülzone 4 noch nicht erfolgten, und damit zukünftigen Wärmeeintrag in der Klarspülzone 18, da sie in Förderrichtung stromab der Spülzone 4 angeordnet ist und folglich erst in der Zukunft vom Spülgut passiert wird. Bei der Höhe der angepassten Frischwassertemperatur muss die Steuerung implizit auch den nach der Anpassung möglichen Wärmeeintrag durch die Klarspülzone vorhersehen, da das Verfahren unter der Maßgabe eines sicheren Erreichens der geforderten Wärmeäquivalente am Ende der Mehrtankspülmaschine durchgeführt wird, siehe Seite 7, Zeilen 22-25. Sicher erreicht werden die Wärmeäquivalente aber nur, wenn der zukünftige Wärmeeintrag ausreichend hoch ist.

Folglich findet in D10 eine Vorhersage, und damit eine Prognose des zukünftigen Wärmeeintrags durch die Klarspülzone statt.

4.4 Anders als von Anspruch 1 gefordert, erfolgt die Prognose in D10 jedoch nicht auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone:

4.4.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden darin zu, dass unter einer Extrapolation die Bestimmung eines Verhaltens über den gesicherten Bereich hinaus zu verstehen ist. Die Beschwerdegegnerin diskutiert den Fall einer Temperaturmessung in der Spülzone 4. Hier stellen auch aus Sicht der Kammer die erfassten Temperaturen in der Spülzone den gesicherten Bereich dar, da sie nur dort bekannt sind. Deswegen könnte die Korrektur der Temperaturen in der nachfolgenden Pumpenklarspülzone 14 und der Frischwasserklarspülzone 18 anhand der bekannten Temperaturen in der Spülzone durchaus als eine Extrapolation angesehen werden. Bei dieser Sichtweise wären die zu korrigierenden Temperaturen in den Behandlungszonen 14 und 18 aber nicht die Grundlage der Extrapolation, sondern deren Ergebnis; es handelt sich in diesen nachfolgenden Zonen also um Temperaturwerte, die über den gesicherten Bereich (Temperaturwerte in der Spülzone) hinaus bestimmt worden sind.

4.4.2 Im Gegensatz zur Sichtweise der Beschwerdegegnerin umfasst die beanspruchte Extrapolation aber nicht jedwede Abschätzung eines Temperaturwertes in einer nachfolgenden Behandlungszone. Stattdessen ist das Merkmal "Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone" wegen der Pluralform "Temperaturwerte" und der Singularform "einer ... Behandlungszone" auf mehr als einen Temperaturwert pro Behandlungszone gerichtet. Bei einer normalen Lesart dieses Merkmals betrifft die Extrapolation vollständig die nachfolgende Behandlungszone. Sowohl der gesicherte Bereich an historischen Temperaturwerten als auch die Werte, die darüber hinaus ermittelt werden, müssen in der nachfolgenden Behandlungszone liegen. Folglich müssen mehrere historische Temperaturwerte für die nachfolgende Behandlungszone als Grundlage oder Datenbasis für die Extrapolation der dortigen Temperaturwerte bekannt sein (beispielsweise mehrere Temperaturwerte für die nachfolgende Frischwasserklarspülzone 18, von denen jeder in einem anderen vergangenen Betriebszyklus der Mehrtankspülmaschine ermittelt wurde). Eine solche Datenbasis mit mehreren bekannten Temperaturwerten für dieselbe Behandlungszone wird gerade nicht in D10 offenbart, wo eine eventuelle Extrapolation auf Basis einer einzigen gemessenen Temperatur in der jetzigen Behandlungszone, z.B. der Spülzone 4, durchgeführt würde.

4.4.3 Auch der Verweis der Beschwerdegegnerin auf Seite 14, Zeilen 1-27 der D10 führt zu keinem anderen Ergebnis, da dort lediglich "einzuleitende Gegenmaßnahmen" angesprochen werden (Zeile 7). Diese allgemeine Formulierung offenbart nicht, auf welcher Grundlage die Einleitung der Gegenmaßnahmen erfolgt. Daher wird auch dort nicht offenbart, dass eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer nachfolgenden Behandlungszone erfolgt.

4.5 Aus diesen Gründen offenbart das Dokument D10 nicht, dass bei der Temperaturmessung eine Prognose des Wärmeeintrags auf Basis einer Extrapolation der Temperaturwerte einer in Transportrichtung des Spülguts gesehen nachfolgenden Behandlungszone erfolgt. Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags, entgegen dem Befund der angegriffenen Entscheidung, neu gegenüber der Offenbarung der D10, Artikel 54 EPÜ.

5. Zurückverweisung

Da ein Beschwerdeverfahren in erster Linie dazu dient, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu prüfen, ist eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 111(1) EPÜ in den Fällen in Betracht zu ziehen, in denen die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung auf der Basis eines Patentierbarkeitserfordernisses(hier Neuheit) getroffen, jedoch über weitere erhobene Einwände (hier Zulässigkeit der Änderungen, Klarheit, Ausführbarkeit und erfinderische Tätigkeit) nicht entschieden hat.

Da im vorliegenden Fall auch die Parteien eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung beantragt haben, hält die Kammer eine solche Zurückverweisung für angebracht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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