T 0628/16 (Blasformmaschine/KRONES) of 30.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T062816.20201130
Datum der Entscheidung: 30 November 2020
Aktenzeichen: T 0628/16
Anmeldenummer: 10175180.8
IPC-Klasse: G05B19/409
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Behandeln von Behältnissen mit mobiler Anzeige
Name des Anmelders: Krones AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 112(1)(a) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 21 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - alle Anträge (nein): Juxtaposition von trivialen Merkmalen
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik und der Fachperson (nein): Beantwortung der Vorlagefragen nicht erforderlich
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/98
G 0001/14
J 0016/90
T 0698/10
T 1841/11
T 1742/12
T 2057/12
T 0025/13
T 1248/13
T 0405/14
T 0694/15
T 1450/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der vorliegenden europäischen Patentanmeldung. Die Zurückweisungsgründe waren unter anderem mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags wie auch der Hilfsanträge 1a und 1 bis 6 im Hinblick auf das folgende Dokument:

D1: GB 2 422 234 A.

Die Entscheidung der Prüfungsabteilung stützte sich zudem auf die folgenden Dokumente:

D2: EP 1 393 880 A1

D4: DE 38 13 590 A1

D5: DE 199 51 233 A1.

II. Die Beschwerdeführerin reichte im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 6. November 2020 neue Anspruchssätze gemäß einem (neuen) Hauptantrag und Hilfsanträgen 1', 1a', 2' bis 6' ein.

III. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2020 überreichte die Beschwerdeführerin zwei Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer (vgl. Punkt 9 unten). Sie beantragte zudem, die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Basis des (neuen) Hauptantrags, hilfsweise der Hilfsanträge 1', 1a', 2' bis 6', oder 1a, 1 bis 6 zu erteilen.

IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Vorrichtung (1) zum Behandeln von Behältnissen (10), mit wenigstens einer Behandlungseinrichtung (2), welche die Behältnisse (10) in einer vorgegebenen Weise behandelt, einer Transporteinrichtung (4), welche die Behältnisse (10) entlang eines vorgegebenen Transportpfads transportiert, mit einer Steuerungseinrichtung (12) zum Steuern der Vorrichtung, mit einer Eingabeeinheit (14), über welche durch einen Benutzer Informationen an die Vorrichtung eingebbar sind, und mit wenigstens einer tragbar ausgeführten Informationsausgabeeinheit (20) zur Ausgabe von Informationen an den Benutzer, welche in Kommunikationsverbindung mit der Eingabeeinheit (14) bringbar ist;

dadurch gekennzeichnet, dass

die Informationsausgabeeinheit (20) eine Befestigungseinrichtung (34) aufweist, welche eine lösbare Befestigung der Informationsausgabeeinheit (20) an unterschiedlichen Bereichen der Vorrichtung (1) aufweist, wobei die Vorrichtung (1) eine Lokalisierungseinheit (30) aufweist, um eine Position der Informationsausgabeeinheit (20) bezüglich der Vorrichtung (1) zu bestimmen, und wobei die Lokalisierungseinheit (30) ein Bakensystem aufweist, wobei an der Vorrichtung eine Vielzahl von Baken angeordnet ist [sic], welche in der Lage sind, durch ein Zusammenwirken genau die tatsächliche

Position der Informationsausgabeeinheit (20) zu bestimmen."

V. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1' enthält das folgende zusätzliche Merkmal (iv), welches an Anspruch 1 des Hauptantrags angehängt wurde:

(iv) "... wobei unter der Behandlung von

Behältnissen (10) eine Herstellung von

Kunststoffvorformlingen, eine Blasumformung von

Kunststoffvorformlingen zu Kunststoffbehältnissen,

ein Befüllen von Behältnissen (10), ein

Sterilisieren von Behältnissen (10), ein

Etikettieren von Behältnissen (10), ein

Transportieren von Behältnissen (10) verstanden

wird."

VI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1a' enthält im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags das folgende zusätzliche Merkmal:

(iv-a) "... und auf der Informationsausgabeeinheit (20)

diejenigen Informationen ausgegeben werden,

welche gerade für diejenigen Anlagenteile

relevant sind, in denen sich die

Informationsausgabeeinheit (20) befindet."

VII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 2' basiert auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 1' und enthält das folgende zusätzliche Merkmal:

(v) "... und wobei die Informationsausgabeeinheit (20)

eine Identifikationseinheit aufweist, welche die

Informationsausgabeeinheit (20) der

Eingabeeinheit (14) zuordnet."

VIII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 3' basiert auf Anspruch 1 von Hilfsantrag 2' und enthält das folgende zusätzliche Merkmal:

(vi) "... und wobei in der Informationsausgabe-

einheit (20) eine Adresse abgelegt ist, welche die

Informationsausgabeeinheit (20) eindeutig

identifiziert."

IX. Anspruch 1 von Hilfsantrag 4' enthält das folgende zusätzliche Merkmal, welches an den Anspruch 1 von Hilfsantrag 3' angehängt wurde:

(vii) "..., und wobei in einer Speichereinrichtung (26)

der Informationsausgabeeinheit (20) eine Historie

über durchgeführte Änderungen ablegbar ist."

X. Anspruch 1 von Hilfsantrag 5' enthält das folgende zusätzliche Merkmal im Vergleich zu Anspruch 1 von Hilfsantrag 4':

(viii) "..., und wobei einzelne Anlageteile sind dazu

eingerichtet [sic] und dafür vorgesehen, ein

Identifikationssignal auszugeben, welches

diese eindeutig identifiziert, so dass die

Informationsausgabeeinheit (20) eindeutig

feststellen kann, mit welchen Anlageteilen oder

mit welcher Eingabeeinheit (14) sie

kommuniziert."

XI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 6' entspricht Anspruch 1 von Hilfsantrag 5' mit dem folgenden zusätzlichen Merkmal:

(ix) "..., wobei eine Bedienung der Vorrichtung (1)

durch die Informationsausgabeeinheit (20)

verhindert ist, und die Informationsausgabe-

einheit (20) ein passives Gerät darstellt, welches

zu Informationszwecken für den Benutzer dient,

wobei jedoch eine Steuerung der Vorrichtung (1)

oder auch ein aktives Ändern von Daten und Werten,

welche für den Betrieb der Vorrichtung (1)

relevant sind, nicht möglich ist."

XII. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 und 1a sind identisch zu den jeweiligen Ansprüchen 1 von Hilfsantrag 1' bzw. 1a'.

Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2 bis 6 unterscheiden sich dadurch von den entsprechenden Ansprüchen der Hilfsanträge 2' bis 6', dass der Ausdruck "Eingabeeinheit" in dem zusätzlichen Merkmal (v) durch "Eingabeeinrichtung" ersetzt wird.

Zudem wird in den Hilfsanträgen 4 bis 6 in dem Merkmal (vii) der unbestimmte Artikel in dem Ausdruck "einer Speichereinrichtung" durch den bestimmten Artikel "der Speichereinrichtung" ersetzt.

Schließlich wird in den Hilfsanträgen 5 und 6 in Merkmal (viii) der Ausdruck "mit welchen Anlageteilen oder mit welcher Eingabeeinheit sie kommuniziert" durch den Ausdruck "mit welchen Anlageteilen oder durch welche Eingabeeinrichtungen sie kommuniziert" abgeändert.

Entscheidungsgründe

1. Der Gegenstand der Anmeldung

1.1 Die Anmeldung betrifft eine Vorrichtung zum Behandeln von Behältnissen, insbesondere von Getränkebehältnissen. Derartige Maschinen, wie z.B. Etikettier-, Füll- oder Blasmaschinen, weisen üblicherweise ein Bedienpult bzw. eine Eingabeeinheit auf, die in der Regel stationär oder schwenkbar an der Maschine angeordnet sind. In der Praxis werden in dem Bedienpult hinterlegte Werte, wie beispielsweise Einstellwerte oder Hinweise zur Fehlerbeseitigung, auch an solchen Stellen benötigt, die aus der Position des Bedienpults nicht einsehbar bzw. nicht erreichbar sind. Der Anmeldung liegt laut der ursprünglichen Beschreibung daher die Aufgabe zugrunde, "die Bedienung der Vorrichtung zu vereinfachen und die Bedienzuverlässigkeit für derartige Anlagen zu erhöhen" (vgl. Seite 2, Zeilen 16 bis 18).

Zur Lösung dieser Aufgabe weist die Vorrichtung wenigstens eine tragbare Informationsausgabeeinheit zur Ausgabe von Informationen an den Benutzer auf, die wenigstens mittelbar in Kommunikationsverbindung mit der Eingabeeinheit zur Bedienung der Anlage bringbar ist. Zudem wird die Informationsausgabeeinheit mit einer Befestigungseinrichtung versehen, welche eine lösbare Befestigung der Informationsausgabeeinheit an unterschiedlichen Bereichen der Vorrichtung, beispielsweise mit einem Magneten, ermöglicht. Außerdem weist die Vorrichtung ein sog. "Bakensystem" als Lokalisierungseinheit auf, um eine Position der Informationsausgabeeinheit bezüglich der Anlage zu bestimmen. Auf diese Weise können auf der tragbaren Informationsausgabeeinheit diejenigen Informationen ausgegeben werden, welche für diejenigen Anlagenteile relevant sind, in denen sich die Informationsausgabeeinheit befindet (siehe ursprüngliche Anmeldung, Seite 1, Zeilen 1 bis 7; Seite 2, Zeilen 1 bis 18; Seite 3, Zeilen 20 bis 25; Seite 4, Zeilen 1 bis 10 und Seite 6, Zeilen 1 bis 12).

2. Hauptantrag

2.1 Die Beschwerdeführerin bestritt, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden kann.

2.2 In der angefochtenen Entscheidung argumentierte die Prüfungsabteilung, dass das Dokument D1 wie die vorliegende Anmeldung "sehr große Anlagen" betreffe, welche von dem Benutzer nicht vollständig einsehbar seien (siehe D1, z.B. Seite 1, zweiter Absatz; Seite 7, erster Absatz, vorletzter Satz; Seite 14, zweiter Absatz). Zudem sei D1 auf denselben Zweck wie die vorliegende Anmeldung gerichtet, nämlich die Bedienung der Anlage zu vereinfachen (vgl. D1, z.B. Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2, erster Absatz). Daher wurde D1 als erfolgversprechendster Ausgangpunkt für eine Entwicklung, die zur beanspruchten Erfindung führe, angesehen.

2.3 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Bereich "große Anlagen" einen unübersehbaren Stand der Technik betreffe. Dem einleitenden Teil der vorliegenden Anmeldung sei insgesamt nicht die allgemeine Problemstellung entnehmbar, dass die Bedienung irgendeiner "sehr großen Anlage" vereinfacht werden solle, sondern dass die Bedienung einer Behältnisbehandlungsvorrichtung vereinfacht werden solle, welche selbst bereits ein fest angeordnetes "Bedien-Panel", also bereits eine

Bediener-Maschine-Schnittstelle aufweise.

D1 beschreibe ein Prozesssteuersystem, wie es in der chemischen oder der Erdöl-Industrie verwendet werde. Ein solches umfasse einen zentralen Prozess-Controller, welcher mit mindestens einem Host oder einem Bediener-Arbeitsplatz verbunden sei. D1 betreffe also eine industrielle Großanlage, bei der die "out in the plant" durchzuführenden Tätigkeiten Reparaturarbeiten oder den Betrieb aufrechterhaltende Maßnahmen wären. Im Gegensatz hierzu betreffe die vorliegende Anmeldung unter anderem die Aufgabe, neben einer Fehlerbeseitigung auch eine Umrüstung der Anlage zu erleichtern. Zudem handele es sich bei einer Behältnisbehandlungsvorrichtung um keine "industrielle Großanlage", sondern um einen Anlagenteil einer in einer (einzigen) Fabrikhalle angeordneten Anlage. Hierdurch ergäben sich gänzlich unterschiedliche Anforderungen an die Absicherung der Anlagen und Materialanforderungen der Gehäuseteile. D1 stelle daher keinen realistischen Ausgangspunkt für die Lösung der vorliegenden Aufgabe dar.

Es solle vielmehr das Dokument D2 als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden. D2 weise nämlich mehr strukturelle Gemeinsamkeiten als Dokument D1 mit der Erfindung auf.

2.4 Obgleich prinzipiell jeder Stand der Technik, der realistischerweise die erfinderische Tätigkeit eines Anspruchsgegenstands in Abrede stellen kann, als "nächstliegender Stand der Technik" bzw. als geeigneter Ausgangspunkt in Frage kommt (siehe z.B. T 405/14, Gründe, Punkt 19; T 1742/12, Gründe, Punkt 9 oder T 694/15, Gründe, Punkt 12) ist festzuhalten, dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern mehrere Kriterien zur Bestimmung des regelmäßig heranzuziehenden "nächstliegenden Stands der Technik" entwickelt hat, von denen die folgenden beiden vornehmlich angewandt werden (siehe z.B. T 698/10, Gründe, Punkt 3):

a) Gemäß dem ersten Kriterium sollte der nächstliegende Stand der Technik einen Gegenstand betreffen, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung, oder der eine ähnliche technische Aufgabe oder Verwendung betrifft oder zumindest in einem nah verwandten technischen Gebiet liegt.

b) Gemäß einem zweiten, oft verwendeten Kriterium ist der nächstliegende Stand der Technik der, der die größte Anzahl von gemeinsamen relevanten Merkmalen verglichen mit der beanspruchten Erfindung aufweist.

2.5 Sowohl D1 als auch die vorliegende Anmeldung betreffen das technische Gebiet der Prozessautomatisierung, speziell der Anlagensteuerungstechnik. Zudem geht es sowohl in der Anmeldung als auch in D1 darum, Anlagenelemente zu inspizieren sowie Fehler zu beseitigen und dabei Informationen zu lokalen Anlagenelementen Benutzern verfügbar zu machen (siehe D1, Seite 1, erster und letzter Absatz; Seite 13, letzter Absatz; Seite 21, vorletzter Absatz und ursprüngliche Anmeldung, Seite 2, Zeilen 9 bis 14 und Seite 9, erster Absatz). Weiterhin ist unbestritten, dass D1 eine Steuerungseinrichtung mit einer Eingabeeinheit und einer tragbar ausgeführten Informationsausgabeeinheit zeigt. Die Informationsausgabeeinheit kommuniziert mit der Eingabeeinheit und weist eine Lokalisierungseinheit auf, um die Position der Informationsausgabeeinheit bezüglich der Vorrichtung zu bestimmen. D1 ist daher auf denselben Zweck wie die vorliegende Anmeldung gerichtet und weist zudem große Gemeinsamkeiten mit dieser auf.

2.6 Dokument D2 offenbart eine Fertigungsanlage bestehend aus einer oder mehreren Spritzgussmaschinen mit einem entfernt vorgesehenen Steuergerät ("managing apparatus 20"). Das Steuergerät steht mit einem tragbaren Endgerät ("PDA 30") in Verbindung, welches dazu dient, Bedienern der Anlage Störungen des Betriebsablaufs anzuzeigen und Anweisungen zur Behebung der Störungen zu geben. D2 ist daher zwar - wie die Anmeldung - darauf gerichtet, die Fehlerbeseitigung in einer Anlage zu vereinfachen, die Anzeige von abnormalen Betriebszuständen ist jedoch nicht auf lokale Anlagenelemente beschränkt (siehe z.B. Figur 1 und Absätze [0061] und [0062]). Zudem zeigt D2 weder eine Anlage zum Behandeln von Behältnissen noch eine Lokalisierungseinheit für das tragbare Endgerät.

2.7 Die Kammer sieht daher Dokument D1 als den nächstliegenden Stand der Technik bzw. als einen geeigneten Ausgangspunkt im Sinne beider oben genannter Kriterien an.

2.8 Es ist unstrittig, dass D1 die folgenden Merkmale von Anspruch 1 nicht offenbart (Hervorhebung durch die Kammer):

(i) Die Vorrichtung dient zum Behandeln von Behältnissen, mit wenigstens einer Behandlungseinrichtung, welche die Behältnisse in einer vorgegebenen Weise behandelt, und mit einer Transporteinrichtung, welche die Behältnisse entlang eines vorgegebenen Transportpfads transportiert;

(ii) die Informationsausgabeeinheit weist eine Befestigungseinrichtung auf, welche eine lösbare Befestigung der Informationsausgabeeinheit an unterschiedlichen Bereichen der Vorrichtung aufweist;

(iii) die Lokalisierungseinheit weist ein Bakensystem auf, wobei an der Vorrichtung eine Vielzahl von Baken angeordnet ist, welche in der Lage sind, durch ein Zusammenwirken genau die tatsächliche Position der Informationsausgabeeinheit zu bestimmen.

2.9 Die Beschwerdeführerin sieht eine synergetische Wirkung dieser Unterscheidungsmerkmale in einer Anpassung an eine Vorrichtung zum Behandeln von Behältnissen. Die lösbare Befestigung der tragbaren Informationsausgabeeinheit sei speziell an die Anforderungen der Getränkeherstellungsindustrie angepasst. Zudem würde das Bakensystem nach Merkmal (iii) eine erhöhte Ortsauflösung ermöglichen und damit den Anforderungen in einer kleinen Anlage (wie einer Behältnisbehandlungsvorrichtung) Rechnung getragen. Die Fachperson wäre daher mit der Aufgabe betraut, "eine (häufige) Umrüstung bei einem Sortenwechsel sowie eine Fehlerbeseitigung bei einer Behältnisbehandlungsvorrichtung zu erleichtern". Diese Fachperson wäre ein im Bereich von Behältnisbehandlungsvorrichtungen tätiger Maschinenbauingenieur mit Hochschulabschluss und durchschnittlichen Kenntnissen und Erfahrungen in diesem Bereich. Die Lösung der Aufgabe sei dadurch erschwert, dass üblicherweise bereits ein Bedienpult an einer solchen Maschine vorhanden sei. Dieses sei allerdings nicht von allen Maschinenbereichen einsehbar.

Mit der Lösung dieser Aufgabe werde keine Fachperson aus dem Bereich des Designs industrieller Großanlagen betraut. Derartige industrielle Großanlagen wiesen eine völlig andere Infrastruktur, wie Straßen, eigene Energieversorgung, und andere Kommunikationswege auf. Zudem wiesen derartige industrielle Großanlagen völlig unterschiedliche hygienische Verhältnisse auf.

2.10 Diese Argumentation kann die Kammer nicht überzeugen.

2.10.1 Wie in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wird, bezieht sich Merkmal (i) primär auf die Auswahl einer konkreten Anwendung für die Prozesssteuerung von Dokument D1 und auf typische Anlagenelemente dieser konkreten Anwendung.

Die technische Wirkung des Merkmals (ii) besteht darin, eine stabile, vorläufige Positionierung der Informationsausgabeeinheit an unterschiedlichen Bereichen der Vorrichtung zu ermöglichen. Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass die Befestigung der tragbaren Informationsausgabeeinheit speziell an die Anforderungen der Getränkeherstellungsindustrie angepasst wäre, kann nicht gefolgt werden. Wie aus den Dokumenten D4 (siehe Spalte 4, Zeilen 26 bis 37 und Spalte 7, Zeilen 27 bis 31) und D5 (Spalte 3, Zeilen 9 bis 16 und 60 bis 66) hervorgeht, sind beispielsweise Magnetbefestigungen in gleicher Weise für andere Anwendungen (Werkzeug-/CNC-Maschinen) geeignet.

Merkmal (iii) spezifiziert ein alternatives System zu einem GPS-basierten System zur Lokalisierung der Informationsausgabeeinheit. Eine gegenüber einem GPS-System verbesserte Positionsauflösung kann möglicherweise abhängig von der konkreten Ausgestaltung des Bakensystems erzielt werden. Die Merkmale von Anspruch 1 beinhalten jedoch keinen konkreten Hinweis auf eine entsprechende Ausführung.

2.10.2 Die Unterscheidungsmerkmale (i) bis (iii) lösen daher, wie in der angefochtenen Entscheidung korrekt dargelegt, unterschiedliche objektive Aufgaben, die keine synergetische Wechselwirkung aufweisen:

- Merkmal (i) betrifft "die Auswahl einer konkreten Anwendung für die Prozesssteuerung von Dokument D1".

- Merkmal (ii) betrifft die Aufgabe, "die Informationsausgabeeinheit für den freihändigen Betrieb anzupassen".

- Merkmal (iii) liegt die Aufgabe zugrunde, eine alternative Methode der Lokalisierung der Informationsausgabeeinheit bereitzustellen.

2.10.3 Als zur Lösung der obigen Aufgaben berufene Fachperson ist eine Fachperson auf dem Gebiet der Anlagensteuerungstechnik im Allgemeinen (Ingenieur oder Techniker) anzusehen, die sich der Vereinfachung der Bedienung entsprechender Anlagen annimmt, ohne notwendigerweise mit der Verfahrenstechnik der Anlagen selbst vertraut zu sein.

2.10.4 Hinsichtlich Merkmal (i) ist der angefochtenen Entscheidung darin zuzustimmen, dass die Anwendung zum Behandeln von Behältnissen keinen Einfluss auf die in der Beschreibung der Anmeldung dargelegte Aufgabe hat, d.h. die Anlagenbedienung in einer zuverlässigen Weise zu vereinfachen und überschaubar zu halten. Insbesondere würde die Fachperson auf dem Gebiet der Anlagensteuerungstechnik erkennen, dass auch bei Anlagen der Getränkeindustrie Anlagenbenutzer abhängig von ihrer Position keinen visuellen Zugang zur Eingabeeinheit haben.

2.10.5 Die Vorteile einer lösbaren Befestigungseinrichtung von tragbaren Handsteuergeräten entsprechend Merkmal (ii) sind bekannt. Die Fachperson würde daher bei Bedarf unmittelbar auf dieses Merkmal zurückgreifen.

2.10.6 Ebenso ergibt sich die Verwendung eines Bakensystems - mit all seinen bekannten Vorteilen (genauere Positionierung) und Nachteilen (aufwändigere Implementierung in einer Großanlage) als Lokalisierungseinheit entsprechend Merkmal (iii) als Alternative zu einer GPS-Einheit in bekannter Weise.

2.11 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D1 und das allgemeine Fachwissen der obigen Fachperson (Artikel 56 EPÜ).

3. Hilfsantrag 1

3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1' enthält das zusätzliche Merkmal (iv), dass

(iv) unter der Behandlung von Behältnissen eine

Herstellung von Kunststoffvorformlingen, eine

Blasumformung von Kunststoffvorformlingen zu

Kunststoffbehältnissen, ein Befüllen,

Sterilisieren, Etikettieren oder ein

Transportieren von Behältnissen verstanden wird.

3.2 Dieses Merkmal (iv) definiert die Vorrichtung von Anspruch 1 genauer im Hinblick auf eine Anwendung in der Getränkeindustrie. Wie bereits im Zusammenhang mit Merkmal (i) dargestellt, liegt eine Anwendung in der Getränkeindustrie für die Fachperson auf dem Gebiet der Anlagensteuerungstechnik nahe.

3.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht daher ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf D1 und das allgemeine Fachwissen der Fachperson (Artikel 56 EPÜ).

4. Hilfsantrag 1a'

Das zusätzliche Merkmal (iv-a) von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a' wird in Dokument D1 auf Seite 21 im vorletzten Absatz offenbart. Das zusätzliche Merkmal ist daher ebenfalls nicht geeignet, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen.

5. Hilfsanträge 2' und 3'

5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2' enthält das zusätzliche Merkmal (v), dass

(v) die Informationsausgabeeinheit eine

Identifikationseinheit aufweist, welche die

Informationsausgabeeinheit der Eingabeeinheit

zuordnet.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3' enthält das zusätzliche Merkmal (vi), dass

(vi) in der Informationsausgabeeinheit eine Adresse

abgelegt ist, welche die

Informationsausgabeeinheit eindeutig

identifiziert.

5.2 Die in dem Merkmal (v) genannte Zuordnung mittels einer Identifikationseinheit wird in D1, Seite 6, letzter Absatz und Seite 36, zweiter Absatz offenbart. In D1 erfolgt die Zuordnung über eine drahtlose Verbindung zwischen der Informationsausgabeeinheit und der Eingabeeinheit ("host computer"). Die Zuordnung bedingt eine Identifikation der Informationsausgabeeinheit. Üblicherweise findet eine solche Identifikation durch eine Adresse statt.

5.3 Das Merkmal (v) ist daher kein Unterscheidungsmerkmal und kann somit auch nicht zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen. Merkmal (vi) definiert eine allgemein bekannte Methode der Identifikation, welche nicht in Wechselwirkung mit den Unterscheidungs-merkmalen (i) bis (iii) tritt.

6. Hilfsanträge 4' und 5'

Das zusätzliche Merkmal (vii) von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4' (siehe Punkt IX oben) wird in Dokument D1 auf Seite 34 im zweiten Absatz offenbart ("historian duties"). Ebenso wird das zusätzliche Merkmal (viii) von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5' (siehe Punkt X oben) in D1, Seite 22, erster Absatz ("transmitters") gezeigt. Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 4' und 5' beruht daher ebenso nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Hilfsantrag 6'

7.1 Anspruch 1 von Hilfsantrag 6' enthält das zusätzliche Merkmal (ix), das sich auf die Verwendung der Informationsausgabeeinheit als passives Gerät bezieht. Demnach dient die Informationsausgabeeinheit Informationszwecken für Benutzer; eine Steuerung der Anlage oder auch ein aktives Ändern von Daten und Werten ist hingegen nicht möglich.

7.2 Die Vergabe von Benutzerrechten für Nur-Lesezugriffe, Schreib/Lesezugriffe oder z.B. Administratorenrechte sind notorisch bekannte Maßnahmen im Bereich der Computertechnik. Da der Bereich der Computertechnik zunehmend die Steuerungstechnik durchdrungen hat (siehe zum Beispiel der Gebrauch der Begriffe "handheld communicator" und "portable computer" in D1 entsprechend der tragbaren Informationsausgabeeinheit der vorliegenden Anmeldung), sind auch dort diese Konzepte als notorisch bekannt vorauszusetzen.

7.3 Da das zusätzliche Merkmal von Anspruch 1 von Hilfsantrag 6' zudem nicht mit den übrigen Merkmalen von Anspruch 1 in synergetischer Weise zusammenwirkt, kann es gleichermaßen keine erfinderische Tätigkeit begründen.

8. Hilfsanträge 1, 1a, 2 bis 6

8.1 Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 und 1a sind identisch zu den jeweiligen Ansprüchen 1 von Hilfsantrag 1' bzw. Hilfsantrag 1a. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2 bis 6 unterscheiden von den entsprechenden Ansprüchen der Hilfsanträge 2' bis 6' nur durch Änderungen, welche unstrittig den Sinngehalt der Ansprüche nicht beeinflussen und lediglich zur Klarstellung dienen.

8.2 Damit gilt die obige Begründung der Punkte 2 bis 7 ebenso für den Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1, 1a und 2 bis 6.

9. Vorlagefragen

9.1 Die Beschwerdeführerin verwies auf die Entscheidungen T 1841/11, T 2057/12 und T 1248/13. Nach den genannten Entscheidungen obliege die Wahl des nächstliegenden Stands der Technik dem "Fachmann" im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Zudem müsse sich der Fachmann notwendigerweise entweder auf dem Gebiet der zugrunde liegenden Anmeldung oder auf dem Gebiet des ausgewählten nächstliegenden Stand der Technik auskennen (siehe Entscheidung T 25/13). Dagegen wähle nach der Entscheidung T 1450/16 das Organ, das die Entscheidung erlässt, und nicht der Fachmann den nächstliegenden Stand der Technik aus.

9.2 Zur Frage, welcher dieser unterschiedlichen Ansätze bei der Wahl des nächstliegenden Stands der Technik anzuwenden ist, überreichte die Beschwerdeführerin die folgenden zwei Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer:

1. Muss der Fachmann i.S.d. Artikels 56 EPÜ notwendigerweise Kenntnisse auf dem technischen Gebiet der beanspruchten Erfindung oder dem nächstliegenden Stand der Technik besitzen? Wenn ja, wenn die beiden Ansätze zu verschiedenen Ergebnissen führen würden, welcher Alternative ist dann Vorrang zu geben?

2. Ist der Fachmann bei der Wahl des nächstliegenden Standes der Technik involviert?

Die Beschwerdeführerin führte dazu aus, die Frage sei "von grundsätzlicher Bedeutung, da sie unabhängig vom technischen Gebiet darüber entscheidet, ob bestimmte Dokumente oder Offenbarungen bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden und falls sie herangezogen werden können, als nächstliegender Stand der Technik oder als sekundäre Patentliteratur herangezogen werden können."

9.3 Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält. Nach Artikel 21 VOBK hat die Kammer die Große Beschwerdekammer zu befassen, wenn sie es notwendig hält, von einer Auslegung oder Erläuterung des EPÜ, die in einer früheren Entscheidung oder Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer enthalten ist, abzuweichen.

Für die "Erforderlichkeit" der Vorlage sollte hierbei ersichtlich sein, dass die Vorlagefrage nicht nur von theoretischer Bedeutung ist. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die Kammer nach dem Stand der Akten unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefrage zu derselben Entscheidung käme (vgl. G 3/98, Gründe, Punkt 1.2.3). Mit anderen Worten geht es darum, ob sich die vorzulegende Rechtsfrage in dem betreffenden Beschwerdeverfahren tatsächlich stellt (vgl. G 1/14, Gründe, Punkt 3). Es genügt hierbei nicht, dass die vorzulegende Frage von allgemeinem Interesse ist. Vielmehr muss ihre Beantwortung für die Entscheidung des Beschwerdefalls auch notwendig sein (vgl. J 16/90, Gründe, Punkt 1.2).

9.4 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Ausführungen zum Hauptantrag (siehe Punkt 2 oben), dass die Fachperson mit dem technischen Gebiet der beanspruchten Erfindung und des ausgewählten nächstliegenden Stands der Technik (vgl. Punkt 2.7 oben) vertraut ist, nämlich dem Gebiet der "Anlagensteuerungstechnik" (vgl. Punkt 2.10.3 oben). Es ergibt sich somit bei Anwendung von "beiden Ansätzen" kein Unterschied in der Wahl des nächstliegenden Stands der Technik und der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Damit sind die Vorlagefragen nicht entscheidungsrelevant und folglich deren Vorlage nicht "erforderlich" im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ.

9.5 Mit ihrer oben ausgeführten Vorgehensweise bei der Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes weicht die Kammer auch nicht von einer in einer früheren Entscheidung bzw. Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer enthaltenen Auslegung oder Erläuterung des EPÜ ab (Artikel 21 VOBK).

9.6 Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den obigen Vorlagefragen war mithin zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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