T 0496/16 () of 12.11.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T049616.20191112
Datum der Entscheidung: 12 November 2019
Aktenzeichen: T 0496/16
Anmeldenummer: 10162543.2
IPC-Klasse: B29B 15/12
B29C 70/52
C08G 63/91
C08G 69/48
C08J 5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Pultrusionsverfahren, pultrudiertes Halbzeug und seine Verwendung
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Arkema France
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 116(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Verspätetes Vorbringen - korrekte Ermessensausübung (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 16. Dezember 2015 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 386 397 in geändertem Umfang.

II. Der Einspruch ist gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 b) und 100 a) EPÜ 1973 (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) begründet worden.

III. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2019 hat sie dann mitgeteilt, dass sie an der für den 8. November 2019 geplanten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

IV. Daraufhin hat die Kammer die Beschwerdeführerin informiert, dass sie beabsichtige, die Verhandlung abzusagen, wenn sie nicht unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt werde, dass die Beschwerdeführerin an der Verhandlung teilnehmen werde. Da dies nicht erfolgt ist, hat die Kammer den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. 2 386 397 zu widerrufen.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent auf der Grundlage der Patent­ansprüche nach dem mit Schreiben vom 4. August 2016 eingereichten Hilfsantrag 1 aufrecht zu erhalten.

VII. Auf folgende Druckschriften wird im Beschwerdeverfahren Bezug genommen:

D1: EP 174 225;

D3: WO 95/35343;

D6: EP 444 867.

VIII. Der einzige unabhängige Anspruch nach dem Hauptantrag hat den folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung von Halbzeugen auf Basis von Polyamiden, durch Pultrusion, dadurch gekennzeichnet dass während des Tränkens der Fasern reaktive Kettenvertängerer [sic], dem Polymer zugegeben werden, wobei die reaktiven Kettenverlängerer ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus epoxygruppenhaltigen Molekülen."

IX. Der Vortag der Beschwerdeführerin ist im Wesentlichen wie folgt:

Hauptantrag, Zulassung durch die Einspruchsabteilung

Die Patent­inhaberin und nunmehrige Beschwerdegegnerin sei sich angesichts der in der Einspruchsschrift vorgetragenen Einwände schon vor dem Zeitpunkt nach Regel 116 (1) EPÜ darüber im Klaren gewesen, dass zumindest für den erteilten Produktanspruch das Risiko eines Neuheitsmangels bestand. Trotzdem habe sie bis zur mündlichen Verhandlung gewartet, um das Schutzbegehren auf die erteilten Verfahrensansprüche zu beschränken. Das Verhalten der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren scheine verfahrensmissbräuchlich. Außerdem habe die Einspruchsabteilung nach der Beratung über die Neuheit des Gegenstands der erteilten Ansprüche zu Gunsten der Patentinhaberin gehandelt, indem sie ihr mitgeteilt habe, dass der Gegenstand der Verfahrens­ansprüche 1 bis 5 im Gegensatz zu jenem der Ansprüche 6 und 7 neu sei und dass die Patentinhaberin einen geänderten, auf die Verfahrensansprüche beschränkten Hilfsantrag vorlegen könne.

Hauptantrag, Änderungen

In der ursprünglich eingereichten Anmeldung seien epoxygruppenhaltige Kettenverlängerer nicht als bevorzugte Wahl genannt. Im Rahmen der in der Anmeldung angegebenen Bespiele würden als Kettenverlängerer spezifische Produkte eingesetzt, gegenüber denen das auf epoxygruppenhaltige Moleküle abstellende Merkmal eine Verallgemeinerung sei. Insgesamt stelle die Kombination von Polyamid und epoxygruppenhaltigen Kettenverlängerern im vorliegenden Anspruch 1 eine ursprünglich nicht offenbarte Auswahl aus zwei Listen dar, die der eingereichten Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sei. Dies gelte auch für Absatz [0015] des erteilten Patents. Zudem sei auch in den abhängigen Ansprüchen 2 und 4, die auf die ursprünglichen Ansprüche 4 und 8 zurückgingen, jeweils ein Polymer ausgewählt worden, ohne dass dieses in der eingereichten Fassung der Anmeldung als besonders bevorzugt dargestellt worden wäre.

Hauptantrag, Neuheit

Der Wortlaut in Anspruch 1, "dass während des Tränkens der Polymer-Fasern reaktive Kettenverlängerer dem Polymer zugegeben werden", sei im Hinblick auf die Figur 5 des Streitpatents und die erforderliche Homogenität der Schmelze nur so zu verstehen, dass das Polymer und der Kettenverlängerer vorgemischt würden und diese Mischung dann der Pultrusionsanlage zugegeben werde, um damit die Fasern zu tränken. Dies entspreche der ersten der im Absatz [0027] des Streitpatents genannten Alternativen, die die Möglichkeit eines Vormischens offenbare. Dieses habe den Vorteil, den Ketten­verlängerer homogener im Polyamid zu verteilen. Ein derartiges Vormischen erfolge in einem Extruder, nehme wenig Zeit in Anspruch und führe zu einer nur unwesentlichen Vorvernetzung. Das eigentliche Vernetzen erfolge erst nach dem Tränken und werde durch eine Temperaturerhöhung bewirkt. Auch das Dokument D1 (vgl. Beispiel 8 oder Anspruch 20) falle unter den so verstandenen Anspruch 1 des Streitpatents; das dortige Verfahren unterscheide sich im Ergebnis nicht von jenem nach dem Streitpatent. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung (vgl. Punkt 3.2), dass im Dokument D1 das Polyamid und der Kettenverlängerer schon vor dem Tränken der Fasern (teilweise) vernetzt seien, treffe nicht zu, da es dann nicht möglich wäre, das Polymer für das Pultrudieren aufzuschmelzen. Hingegen lehre das Dokument D1, wie die Funktionalität und das Verhältnis von Polyamid/Epoxy eingestellt werden könne, um schließlich zu einem thermoplastischen Polymer zu gelangen. Aus alldem folge, dass es dem Gegenstand von Anspruch 1 an Neuheit im Hinblick auf das Dokument D1 fehle.

Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit

Es könne zum einen vom Dokument D1 als nächstkommendem Stand der Technik ausgegangen werden. Jedoch sei das Unterscheidungsmerkmal, dass die reaktiven Kettenverlängerer dem Polymer während des Tränkens der Fasern zugegeben würden, nicht mit einer technischen Wirkung verbunden. Schon aus diesem Grund fehle es dem Gegenstand von Anspruch 1 an einer erfinderischen Tätigkeit.

Zum anderen könne auch das Dokument D6 als Ausgangspunkt der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit dienen, da es wie das Streitpatent darauf abziele, im Pultrusionsverfahren die Imprägnierung der Fasern zu verbessern, um damit eine bessere Haftung des Thermoplasten auf der Faser zu erreichen, was sich wiederum positiv auf die mechanischen Eigenschaften des Bauteils auswirke (vgl. D6, Seite 3, Zeilen 26 bis 34). Vom Dokument D6 (vgl. insbesondere Figur 1 und Seite 5, Zeilen 4 bis 10) unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 nur darin, dass kein Polyester sondern ein Polyamid eingesetzt werde. Nach dem Streitpatent (vgl. Figuren 1 und 3, die Polyamid bzw. Polyester beträfen) gehe mit dem Unterscheidungs­merkmal jedoch keine Verbesserung einher; eine technische Wirkung liege nicht vor. Schon aus diesem Grund fehle es dem Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend vom Dokument D6 an einer erfinderischen Tätigkeit. Mangels technischer Wirkung könne die Aufgabe darin gesehen werden, ausgehend vom Dokument D6 ein alternatives Verfahren bereitzustellen. Die Lösung, statt des Polyesters ein Polyamid zu verwenden, sei für den Fachmann naheliegend, weil beide Polymere mit Polykondensation hergestellt würden und reaktive Endgruppen aufwiesen, die gut mit epoxygruppenhaltigen Kettenverlängerern reagieren könnten, was auch aus dem Dokument D1, dem Dokument D3 (vgl. Seite 1, Absätze 1 bis 3, Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2 oben, Seite 2, vierter Absatz sowie Beispiele 1 bis 7 (für Polyamid 6) und 9 bis 36 (für Polyester)) und dem Streitpatent selbst (vgl. Absatz [0015]) hervorgehe. Für beide Polymere erziele das Pultrusionsverfahren die gewünschten Verbesserungen.

Darüber hinaus belege die Figur 2 des Streitpatents, dass mit der dort verwendeten Materialkombination von Polyamid mit Joncryl ADR 3300 als Kettenverlängerer die technische Aufgabe nicht gelöst werde. Damit könne dem Anspruch 1 in seiner ganzen Breite keine erfinderische Tätigkeit zugesprochen werden.

X. Die Beschwerdegegnerin trägt im Wesentlichen das Folgende vor:

Hauptantrag, Zulassung durch die Einspruchsabteilung

In dem vorherigen Hilfsantrag 1, der dem vorliegenden Hauptantrag entspreche und der in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt worden sei, seien gegenüber den Ansprüchen der erteilten Fassung lediglich die Produktansprüche gestrichen worden. Durch die Streichung der Ansprüche 6 und 7 sei kein neuer Gegenstand geschaffen worden, so dass für die Einsprechende keine Überraschung vorgelegen habe und es seitens der Einsprechenden auch keiner zusätzlichen Vorbereitung bedurft habe. Durch die Beschränkung des Schutzbegehrens auf die Verfahrens­ansprüche liege ein Anspruchssatz vor, der als neu erachtet worden sei, weshalb die Streichung der Ansprüche 6 und 7 sachdienlich gewesen sei. Der Hilfsantrag sei somit im Einspruchsverfahren zu Recht zugelassen worden.

Hauptantrag, Änderungen

Der vorliegende Anspruch 1 sei im Vergleich zu den beiden im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 genannten Alternativen für das Polymer des Halbzeugs (Polyester oder Polyamid) auf das Polyamid beschränkt worden. Infolgedessen sei auch der erteilte abhängige Anspruch 2 entsprechend einzuschränken und der Absatz [0015] anzupassen gewesen. Außerdem sei festzustellen, dass der Einwand gegen den Absatz [0015] erstmals in der Beschwerdebegründung und damit verspätet vorgebracht worden sei. Der nun im Anspruch 1 genannte Kettenverlängerer stelle eine Auswahl aus einer einzelnen, ursprünglich offenbarten Liste dar. Aus den Figuren 1 und 2 gehe hervor, dass mit Polyamid und epoxygruppenhaltigen Ketten­verlängerern hinsichtlich der Viskosität die besten Ergebnisse erzielt würden. Aus diesem Grund könne auch den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eindeutig entnommen werden, dass die Verbindung von Polyamiden und expoxygruppenhaltigen Kettenverlängerern besonders vorteilhaft sei, so dass eine entsprechende Einschränkung des Anspruchs 1 auf Polyamide und epoxygruppenhaltige Kettenverlängerer zulässig sei und nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinausgehe.

Hauptantrag, Neuheit

Der Wortlaut von Anspruch 1 gebe zwingend vor, dass der Kettenverlängerer beim Tränken (und nicht schon vorher) zugegeben werde. Auch der Figur 5 des Streitpatents könne keine Vormischung entnommen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Polymer und der Kettenverlängerer zwingend im geschmolzenen Zustand vorliegen müssten, um zu ermöglichen, dass der Kettenverlängerer während des Tränkens zugegeben werden könne. Dafür, dass eine zufriedenstellende Durchmischung und Imprägnierung lediglich durch eine Vormischung des Polymers mit dem Kettenverlängerer erreicht werden könne, habe die Beschwerdeführerin keine Daten geliefert.

Die erstgenannte Alternative des Absatzes [0027] des Streitpatents, dass der Kettenverlängerer zusammen mit dem Thermoplastgranulat zugegeben werde, bedeute nicht, dass eine Vorvermischung im Sinne von Dokument D1 vorliege. Vielmehr sei diese Formulierung so zu verstehen, dass eine zeitgleiche Zugabe des Kettenverlängerers und des Thermoplastgranulats erfolge, da im gesamten Beschreibungstext auf den Zeitpunkt der Zugabe des Kettenverlängerers, nämlich "während des Tränkens" gemäß Anspruchs 1, abgestellt werde. Die Gleichzeitigkeit von Zugabe des Kettenverlängerers und Tränken der Fasern sei auch explizit in Absatz [0016] des Streitpatents beschrieben. Dort sei dargelegt, dass die Faserbündel oder Gewebe mit niedrigviskosem, niedermolekularem Polymer getränkt würden. Niedrigviskos und niedermolekular bedeuteten, dass noch keine Präpolymerisation stattgefunden haben könne. Erst dann werde im selben Absatz beschrieben, dass der reaktive Kettenverlängerer gleichzeitig zugegeben werde. Die Zugabe einer bereits reagierten Vormischung aus Polymer und reaktivem Kettenverlängerer sei im Streitpatent nicht umfasst, so dass eine Vormischung entsprechend Dokument D1 keine neuheitsschädliche Offenbarung darstelle. Da gemäß des Dokuments D1 zunächst ein Granulat aus einer viskosen Masse hergestellt werde, in der der Kettenverlängerer bereits enthalten sei und reagiert habe, werde der Gegenstand des Anspruchs 1, dass die Zugabe des Kettenverlängerers während des Tränkens der Fasern erfolge, auch unter Berücksichtigung der Beschreibung des Streitpatents nicht vorweggenommen.

Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit

Der Unterschied des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument D1 bestehe darin, dass die reaktiven Kettenverlängerer während des Tränkens der Fasern zugegeben würden. Durch die Zugabe des Kettenverlängerers erst während des Tränkens sei die Viskosität der Polyamide beim Tränken geringer, so dass die Benetzung der Fasern verbessert werde. Folglich bestehe die zu lösende technische Aufgabe darin, ein Verfahren bereit­zustellen, das es ermögliche, die Benetzung der Fasern während des Tränkens zu verbessern. Diese Aufgabe werde nach dem Streitpatent gelöst. Die Beispiele und Vergleichsbeispiele zeigten, dass das Polymer in Abwesenheit eines Ketten­verlängerers eine geringere Viskosität aufweise bzw. die Viskositätszunahme langsamer erfolge. Werde der Kettenverlängerer erst beim Tränken zugegeben, so seien die zu imprägnierenden Fasern zunächst noch mit einer niederviskosen Masse in Kontakt und würden somit besser benetzt. Dokument D1 beschreibe zwar eine Reaktion von Polyamiden und epoxygruppenhaltigen Kettenverlängerern, einen Hinweis auf einen entsprechenden Zeitpunkt der Zugabe der Kettenverlängerer, der den Kern des Streitpatents darstelle, könne man dem Dokument D1 jedoch nicht entnehmen. Ebenso wenig enthalte das Dokument Informationen zu einer Reaktions­geschwindigkeit und einer entsprechenden Viskositätszunahme in Abhängigkeit von der Zeit, wie sie in den Figuren 1 und 2 des Streitpatents ablesbar seien. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Dokument D1.

Das Dokument D6 beschreibe keine Verarbeitung von Polyamiden. Daher hätte der Fachmann das Dokument D6 auf der Suche nach Hinweisen für eine verbesserte Verarbeitung von Polyamiden nicht herangezogen. Auch wenn sowohl Polyamide als auch Polyester durch Polykondensation erzeugt würden, sei nicht per se von einer Übertragbarkeit von bekannten Verarbeitungslehren auszugehen. Das Dokument D3 könne dies auch nicht zeigen. Dort bezögen sich nicht nur die Beispiele 1 bis 7 sondern auch die Beispiele 9 bis 36 auf Polyamid 6. Lediglich im Beispiel 8 würde mit einem PBT/PC-Blend ein Polyester eingesetzt. Die Ergebnisse im Dokument D3 dokumentierten jedoch das unterschiedliche Verhalten von Polyamiden und Polyester bei Zugabe von viskositätsverändernden Additiven. Ein vergleichbares Verhalten von Polyestern und Polyamiden bei Zugabe eines Diepoxykettenverlängerers könne insbesondere aus den Beispielen 1 bis 7 und 9 bis 36 von Dokument D3 nicht abgeleitet werden.

Dem weiteren Argument der Beschwerdeführerin, dass die technische Aufgabe nicht über die gesamte Breite des Anspruchs 1 in aufrechterhaltener Fassung gelöst wäre, da Figur 2 des Streitpatents belege, dass die Kombination des untersuchten Polyamids mit dem Kettenverlängerer Joncryl ADR 3300 überhaupt keinen Effekt zeige, könne nicht beigepflichtet werden. Das herangezogene Beispiel zum Kettenverlängerer Joncryl ADR 3300 gemäß Figur 2 des Streitpatentes verwende einen Kettenverlängerer mit einer Säure-Funktionalität, was der Tabelle 1 des Streitpatents zu entnehmen sei. Es handle sich also nicht um einen Kettenverlängerer mit Epoxy-Funktionalität. Nach Anspruch 1 in erteilter und aufrechterhaltener Fassung sei der zugegebene reaktive Kettenverlängerer jedoch ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus epoxygruppenhaltigen Molekülen. Folglich handle es sich bei dem angeführten Beispiel mit dem Kettenverlängerer Joncryl ADR 3300 nicht um ein erfindungsgemäßes Beispiel. Dass Joncryl ADR 3300 als nicht anspruchsgemäßer Ketten­verlängerer nur einen geringen Effekt zeige, unterstreiche, dass die Grenzen des Schutzbereichs des Anspruchs 1 zutreffend gewählt seien.

Insgesamt beruhe dem Gegenstand von Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag, Zulassung durch die Einspruchsabteilung

1.1 Die Patentinhaberin hat den geltenden, von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehenen Hauptantrag während der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 1 vorgelegt. Er unterscheidet sich von der erteilten Fassung des Streitpatents darin, dass die Ansprüche 6 und 7 gestrichen sind. Die Einspruchsabteilung hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, diesen Antrag ins Verfahren zuzulassen (vgl. angefochtene Entscheidung, Gründe 3.3).

1.2 Es ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den damaligen Hilfsantrag 1 ins Verfahren zuzulassen, ermessensfehlerhaft war. Vielmehr hat die Einspruchsabteilung ihre Ermessensentscheidung darauf gestützt, dass sich die vorgenommenen Änderungen auf das Streichen von erteilten Ansprüchen beschränkten. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass durch die Änderung der Antragslage kein neuer Gegenstand geschaffen werde, dass die Einsprechende folglich nicht vor eine für sie überraschende Situation gestellt sei und dass durch das Streichen von Ansprüchen die Neuheit des Gegenstandes des Schutz­begehrens hergestellt werde (vgl. angefochtene Entscheidung, Gründe 3.3).

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Parteien in dieser Angelegenheit während der mündlichen Verhandlung gehört wurden (vgl. Niederschrift, Seite 4).

1.3 In Anbetracht dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Regel 116 (2) EPÜ nach den falschen Grundsätzen, ohne Berücksichtigung der richtigen Grundsätze oder in unangemessener Weise ausgeübt hätte (vgl. G 7/93, ABl. EPA 1994, 775). Darüber hinaus bietet die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, insbesondere die Artikel 12 und 13 VOBK, keine Rechtsgrundlage für den Ausschluss eines Anspruchssatzes, der ermessensfehler­frei in das erstinstanzliche Verfahren aufgenommen wurde und auf den sich die angefochtene Entscheidung wesentlich abstützt. Folglich kann der geltende Hauptantrag im Beschwerdeverfahren nicht unberücksichtigt bleiben.

1.4 Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass aus den der Kammer vorliegenden Unterlagen kein Verfahrens­missbrauch seitens der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren erkennbar ist. Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, dass die Einspruchs­abteilung mit der Bekanntgabe des Beratungsergebnisses, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 im Gegensatz zu jenem der Ansprüchen 6 und 7 neu sei, ihre Neutralitäts­pflicht verletzt hätte. Dies gilt auch für den behaupteten Hinweis auf die Möglichkeit der Vorlage eines Hilfsantrags. Ergänzend ist festzuhalten, dass aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin das Verhalten der Einspruchs­abteilung zum damaligen Zeitpunkt als parteiisch gerügt hätte.

2. Hauptantrag, Änderungen

Hinsichtlich der Bestimmungen von Artikel 123 (2) EPÜ ist festzustellen, dass schon die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 3 Polyamid als ein mögliches Polymer für das Halbzeug nennen. Der ursprüngliche Anspruch 7, der auf beide Ansprüche 1 und 3 rückbezogen ist, definiert drei mögliche Kettenverlängerer, von denen der epoxygruppenhaltige Kettenverlängerer in den vorliegenden Anspruch 1 aufgenommen wurde. Insofern bieten bereits die ursprünglichen Ansprüche eine eindeutige und unmittelbare Grundlage für die Kombination eines Halbzeugs aus Polyamid und einem epoxygruppenhaltigen Kettenverlängerer. Auch in den Beispielen findet sich diese Polymerkombination in individualisierter Form (vgl. Figuren 1 und 2, die jeweils höchsten Kurven).

Der Gegenstand von Anspruch 1 geht folglich nicht über den Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ). Dies gilt auch für die entsprechenden Anpassungen im Anspruch 2 und im Absatz [0015] der Patentschrift sowie für die Streichung zweier Alternativen im Anspruch 4.

3. Hauptantrag, Neuheit

Die Kammer verweist zur Frage der Neuheit auf den Wortlaut des streitigen Anspruchs 1. Dieser enthält das Merkmal, dass während des Tränkens der Fasern reaktive Kettenverlängerer dem Polymer zugegeben werden. Da diese Formulierung eine Gleichzeitigkeit der Zugabe des Kettenverlängerers und des Tränkens der Fasern ausdrückt, ist sie, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nicht gleichbedeutend damit, dass das Polymer und der Kettenverlängerer in einem Compounder vorgemischt werden und diese Mischung dann der Pultrusionsanlage zugegeben wird, um damit die Fasern zu tränken, wie im Dokument D1 offenbart (vgl. Beispiel 8, Seite 16, Zeilen 1 bis 8 und 11 bis 18). Insofern kann das Dokument D1 das streitige Anspruchsmerkmal, dass die reaktiven Kettenverlängerer dem Polymer während des Tränkens der Fasern zugegeben werden, nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen.

Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag im Hinblick auf das angezogene Beispiel 8 des Dokuments D1 neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).

4. Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit

4.1 Zwischen den Parteien ist im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit unstreitig, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem Verfahren nach dem Dokument D1 darin unterscheidet, dass die reaktiven Kettenverlängerer dem Polyamid während des Tränkens der Fasern zugegeben werden.

Während die Beschwerdegegnerin dem Unterscheidungs­merkmal die technischen Wirkung zuordnet, dass durch die Zugabe des Kettenverlängerers erst während des Tränkens die Benetzung der Fasern verbessert wird, spricht die Beschwerdeführerin dem Unterscheidungs­merkmal jede technische Wirkung ab, weshalb ihrer Auffassung nach der Anspruchsgegenstand nicht erfinderisch sein könne.

Unabhängig von der Frage der technischen Wirkung des Unterscheidungsmerkmals (und damit der Formulierung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe) stellt die Kammer fest, dass der Fachmann dem Dokument D1 keinerlei Hinweis auf die anspruchsgemäße Lösung entnehmen kann. Zudem ist nicht nachgewiesen, dass diese ausgehend vom Dokument D1 im Lichte des allgemeinen Fachwissens naheliegend ist. Insofern ist der vom Dokument D1 ausgehende Vortrag der Beschwerdeführerin schon aus diesem Grund nicht geeignet, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 in Frage zu stellen.

4.2 Von dem Dokument D6 unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 nach übereinstimmender Auffassung der Parteien darin, dass als Polymer für das Pultrusionsverfahren kein Polyester eingesetzt wird sondern ein Polyamid. Streitig ist hingegen, ob es angesichts der Übereinstimmung hinsichtlich Polykondensation und Endgruppen und in Kenntnis des Dokuments D3, insbesondere der Beispiele 1 bis 7 und 9 bis 36, für einen Fachmann naheliegend ist, den Polyester aus dem Dokument D6 durch ein Polyamid zu ersetzen.

Für die Kammer ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann beim Studium des Dokuments D6 in Erwägung ziehen sollte, für das dort erwähnte Pultrusions­verfahren ein Polyamid einzusetzen, zumal das Dokument D6 ausschließlich auf Polyester abstellt. Zudem zeigen die Versuchsergebnisse auf den Seiten 33 bis 36 des Dokuments D3, dass sich die Auswirkungen der Zugabe viskositätsverändernder Additive auf Polyester (vgl. Beispiel 8) zumindest in quantitativer Hinsicht nicht ohne weiteres auf Polyamide (vgl. Bespiele 1 bis 7 und 9 bis 36) übertragen lassen. Vor diesem Hintergrund kann der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht überzeugend belegen, dass der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung das Verfahren nach dem Dokument D6 tatsächlich so modifizieren würde, dass dort in Kombination mit dem expoxidgruppenhaltigen Kettenverlängerer anstatt des Polyesters ein Polyamid zum Einsatz kommt.

4.3 Zum weiteren Einwand der Beschwerdeführerin, dass der Viskositätsverlauf für die Kombination des untersuchten Polyamids mit dem Kettenverlängerer Joncryl ADR 3300 in der Figur 2 des Streitpatents zeige, dass die technische Aufgabe nicht über die gesamte Breite des Anspruchs 1 gelöst sei, ist festzustellen, dass es sich bei Joncryl ADR 3300 nicht um einen expoxidgruppenhaltigen Kettenverlängerer handelt (vgl. vorletzte Zeile in der Tabelle 1 des Streitpatents). Das darauf basierende Beispiel ist daher nicht anspruchsgemäß. Es ist folglich nicht geeignet, die Behauptung der Beschwerdeführerin zu stützen, dass die gestellte Aufgabe nicht über die gesamte Breite des unabhängigen Anspruchs 1 gelöst ist.

4.4 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kommt die Kammer zum Schluss, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht geeignet ist, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags in Frage zu stellen (Artikel 56 EPÜ).

5. Rechtliches Gehör

5.1 In ihrem Schreiben vom 1. Oktober 2019 hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie nicht an der für den 8. November 2019 vorgesehenen mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.

5.2 Die Kammer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit einer Partei abzuhalten, bevor sie gegen diese Partei entscheidet, wenn sie über die Nichtteilnahme der Partei an der mündlichen Verhandlung vorab informiert wurde. Weil dies vorliegend der Fall war, konnte die Beschwerde­kammer unter Wahrung des rechtlichen Gehörs über die Beschwerdesache entscheiden, ohne vorher mündlich zu verhandeln.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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