European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T044716.20200130 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Januar 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0447/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 01811203.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | F03D 9/00 H02J 3/36 H02J 3/38 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Windenenergiesystem sowie Verfahren zum Betrieb eines solchen Windenenergiesystems | ||||||||
Name des Anmelders: | ABB Schweiz AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ENERCON GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 318 589 in geänderter Fassung.
II. Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Zwischenentscheidung zu dem Schluss gelangt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (Streitpatent in der erteilten Fassung) sowie des Hilfsantrags 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhe. Die Einspruchsabteilung war ferner zu dem Schluss gelangt, dass der in der mündlichen Verhandlung vom
13. November 2015 überreichte Hilfsantrag 3 die Erfordernisse des EPÜ erfülle.
III. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte schriftlich sinngemäß, die angefochtene Zwischenentscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten (Hauptantrag). Hilfsweise hat sie beantragt, "das Patent im Rahmen der Ansprüche des geänderten Hilfsantrags 1 bzw. eines der verbleibenden anhängigen Hilfsanträge aufrecht zu erhalten", weiter hilfsweise, "das Patent im Rahmen eines der abhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 1 aufrecht zu erhalten".
Seitens der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) ist auf die Beschwerde der Patentinhaberin hin keine Reaktion erfolgt.
IV. Das nachfolgende Dokument ist für die vorliegende Entscheidung relevant:
D2: DE 196 20 906 C2
V. Anspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag ist in die folgenden Merkmale untergliedert (siehe die unter Punkt 14.1 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung vorgenommene Merkmalsgliederung):
"Windenergiesystem (M1) umfassend mindestens
zwei mittels Windrotoren (1) angetriebene Generatoren (2) (M2),
eine Gleichrichtereinheit (3) für jeden Generator (2), an deren Eingängen der zugehörige Generator (2) angeschlossen ist (M3),
einen Energiespeicherkreis (4) für jede Gleichrichtereinheit (3) (M4),
wobei der Energiespeicherkreis (4) an Ausgängen der zugehörigen Gleichrichtereinheit (3) angeschlossen ist (M5),
eine erste Verschienung (7) (M6),
an welcher die Energiespeicherkreise (4) parallel verbunden sind (M7),
ein Übertragungssystem (8), das mit der ersten Verschienung verbunden ist (M8),
eine Netzkopplungseinrichtung (15), mit der das Übertragungssystem (8) eingangsseitig verbunden ist (M9),
wobei die Netzkopplungseinrichtung (15) über einen Netztransformator (16) an ein elektrisches Wechselspannungsversorgungsnetz angekoppelt ist (M10),
dadurch gekennzeichnet, dass jede Gleichrichtereinheit (3) als aktive Gleichrichtereinheit (3) mit ansteuerbaren Leistungshalbleiterbauelementen ausgebildet ist (M11), dass
jeder Energiespeicherkreis (4) mindestens eine Gleichspannungskapazität aufweist (M12), dass
jeder Energiespeicherkreis (4) in mindestens einer Verbindung zur ersten Verschienung (7) mindestens einen ersten Schutzschalter (5) in Form eines Halbleiterschalters aufweist (M13), und dass
jeder Energiespeicherkreis (4) in jeder Verbindung zur ersten Verschienung (7) mindestens ein erstes Trennmittel (6) aufweist (M14), wobei die ersten Trennmittel (6) der galvanischen Trennung des Energiespeicherkreises (4) von der ersten Verschienung (7) dienen (M15)."
Ansprüche 2 bis 9 sind von Anspruch 1 abhängig.
VI. Der unabhängige Verfahrensanspruch 10 weist dem Anspruch 1 entsprechende Merkmale auf und hat den folgenden Wortlaut:
"Verfahren zum Betrieb eines Windenergiesystems, bei welchem durch mindestens zwei mittels Windrotoren (1) angetriebene Generatoren (2) elektrische Energie zur Einspeisung in ein elektrisches Wechselspannungsversorgungsnetz erzeugt wird, wobei das Windenergiesystem eine Gleichrichtereinheit (3) für jeden Generator (2) aufweist, an deren Eingängen der zugehörige Generator (2) angeschlossen ist, und für jede Gleichrichtereinheit (3) ein an ihren Ausgängen angeschlossener Energiespeicherkreis (4) vorgesehen ist, und eine erste Verschienung (7) vorgesehen ist, an welcher die Energiespeicherkreise (4) parallel verbunden sind, und ein Übertragungssystem (8) vorgesehen ist, das mit der ersten Verschienung (7) verbunden ist, und eine Netzkopplungseinrichtung (15) vorgesehen ist, mit der das Übertragungssystem (8) eingangsseitig verbunden ist, wobei die Netzkopplungseinrichtung (15) über einen Netztransformator (16) an das elektrische Wechselspannungsversorgungsnetz angekoppelt ist, dadurch gekennzeichnet, dass jede Gleichrichtereinheit (3) als aktive Gleichrichtereinheit (3) mit ansteuerbaren Leistungshalbleiterbauelementen ausgebildet ist und jeder Energiespeicherkreis (4)
mindestens eine Gleichspannungskapazität aufweist und jeder Energiespeicherkreis (4) in mindestens einer Verbindung zur ersten Verschienung (7) mindestens einen ersten Schutzschalter (5) in Form eines Halbleiterschalters aufweist und bei Eintreten eines Defektes an einer der Gleichrichtereinheiten (3) der oder die zugehörigen ersten Schutzschalter (5) geöffnet werden, und dass jeder Energiespeicherkreis (4) in jeder Verbindung zur ersten Verschienung (7) mindestens ein erstes Trennmittel (6) aufweist und nach dem Öffnen des oder der zugehörigen ersten Schutzschalter (5) die defekte Gleichrichtereinheit (3) durch das oder die zugehörigen ersten Trennmittel (6) galvanisch von der ersten Verschienung (7) getrennt wird."
Die Ansprüche 11 bis 13 sind von Anspruch 10 abhängig.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin zum Hauptantrag (Patent, wie erteilt) waren wie folgt:
Die Einspruchsabteilung habe zutreffend festgestellt, dass sich Anspruch 1 von dem Dokument D2 (Figur 3) durch die Merkmale M12 und M13 unterscheide.
Die ausgehend von D2 im Lichte der Unterscheidungsmerkmale durch die Einspruchsabteilung formulierte Aufgabe sei jedoch zu weit gefasst.
Der technische Effekt der zusammenwirkenden Unterscheidungsmerkmale sei der, dass Halbleiterschalter (wie etwa Dioden) einen Schutz der Gleichrichtereinheit vor der größeren Energie bieten würden, die in den parallel geschalteten Zwischenkreisen mit den Kapazitäten gespeichert sei.
Hieraus ergebe sich die objektive Aufgabe, die Anlage energieeffizienter und standardkonformer am Einspeisepunkt bei zumindest gleichbleibender Sicherheit zu gestalten.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 werde durch das Dokument D2 in Verbindung mit Fachwissen nicht nahegelegt.
Das Dokument D2 schlage vor, einen Spannungszwischenkreisumrichter ("U-Umrichter"), insbesondere eine aktive Gleichrichtereinheit mit Gleichspannungskapazität gemäß Merkmal M12 durch einen Stromzwischenkreisumrichter ("I-Umrichter"), insbesondere eine aktive Gleichrichtereinheit mit Zwischenkreisinduktivität, zu ersetzen. Um zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, müsse sich der Fachmann folglich zunächst über die Lehre der D2 hinwegsetzen, wenn er den "I-Umrichter" aus Figur 3 durch einen "U-Umrichter" gemäß obiger Definition ersetzen wolle.
Es sei ferner nicht von vornherein offensichtlich, dass bei einer Parallelschaltung von mehreren "U-Umrichtern" mit Gleichspannungskapazität höhere Schutzanforderungen erforderlich seien, als bei einer Parallelschaltung von "I-Umrichtern" gemäß Figur 3 der D2. Insbesondere sei in der dort gezeigten Ausführungsform bereits ein Trennelement (Bezugszeichen 14) vorhanden, das diesen Schutz bereitstelle.
Es liege ein synergistischer Effekt der Unterscheidungsmerkmale M12 und M13 vor. Selbst wenn die Einzelwirkungen dieser Merkmale dem Fachmann bekannt seien, gehöre deren Zusammenwirken für einen schnelleren und damit verbesserten Schutz von über ihren Zwischenkreis zusammengeschalteten "U-Umrichtern" nicht zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit gegenüber D2 (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 steht nicht in Frage. Als Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und der Ausführungsform nach Figur 3 des Dokuments D2 sind - wie die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt hat - die Merkmale M12 und M13 des Anspruchs 1 anzusehen. Die Beschwerdeführerin hat diese Feststellung nicht in Frage gestellt.
2.2 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die Ausführungsform nach Figur 3 des Dokuments D2 in Verbindung mit dem allgemeinen und dem "notorischen" Fachwissen des Fachmanns den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelege (siehe Punkt 14.4.3 bis 14.4.9 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Ausgehend von dem dem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Vorbringen der Beschwerdeführerin ist die Kammer zu dem gegenteiligen Schluss gelangt.
2.3 Als objektive technische Aufgabe hat die Einspruchsabteilung die Modernisierung der Gleichrichtereinheit entsprechend dem Vortrag der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) gesehen. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass diese Aufgabenstellung im Lichte der Unterscheidungsmerkmale zu weit gefasst ist.
Die Beschwerdeführerin hat überzeugend dargelegt, dass die Kombination der Merkmale M12 und M13 einen übergeordneten technischen Effekt mit sich bringt, denn die Halbleiterschalter (M13) stellen einen Schutz der jeweiligen Gleichrichtereinheit vor der größeren Energie dar, die in den parallel geschalteten Zwischenkreisen mit den Kapazitäten (M12) gespeichert ist.
Zum Zwecke der Anwendung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes" kann sich die Kammer daher der von der Beschwerdeführerin formulierten objektiven technischen Aufgabe anschließen, nämlich die Schaffung einer energieeffizienteren und standardkonformeren Anlage am Einspeisepunkt bei zumindest gleichbleibender Sicherheit.
2.4 Die Beschwerdeführerin hat überzeugend argumentiert, dass die Ausführungsform nach Figur 3 der D2 einen "I-Umrichter" aufweise, was eine Abkehr von der bekannten Ausführungsform nach Figur 2 der D2 mit einem "U-Umrichter" mit Zwischenkreiskapazität darstelle.
Ausgehend von der Ausführungsform nach Figur 3 der D2 musste der Fachmann folglich zunächst einen Rückschritt in Richtung der bekannten Ausführung nach Figur 2 unternehmen, um die dort gezeigte Ausführung des Gleichrichters mit Zwischenkreiskapazität aufzugreifen. Welche Veranlassung der Fachmann gehabt hätte, diesen Schritt trotz der gegenteiligen Lehre der D2 Figur 3 zu gehen, hat die Einspruchsabteilung nicht dargelegt. Sie hat lediglich festgestellt, dass das Ersetzen von thyristorbasierten Gleichrichtern durch "U-Umrichter" nicht als erfinderisch angesehen werden kann (siehe Punkt 14.4.7 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Angesichts der expliziten Lehre der D2 Figur 3, einen Spannungszwischenkreisumrichter durch einen Stromzwischenkreisumrichter zu ersetzen, ist diese Begründung jedoch nicht überzeugend.
2.5 Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Anordnung nach Figur 3 der D2 bereits eine Schutzfunktion durch ein Trennelement ("Leistungsschalter 14") aufweist. Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin daher in ihrer Argumentation, dass die Verbesserung der Schutzanforderungen durch die Parallelschaltung mehrerer "U-Umrichter" ausgehend von D2 Figur 3 nicht nahe liegt.
Allein die von der Einspruchsabteilung in Betracht gezogene Tatsache, dass Dioden und ihre Funktion als Rückstromschutzelemente allgemein bekannt sind, reicht jedenfalls nicht aus, um das Naheliegen des Merkmals M13, also einen zusätzlichen Schutzschalter in Form eines Halbleiterschalters in mindestens einer Verbindung zur ersten Verschienung eines jeden Energiespeicherkreises vorzusehen, im Kontext des Anspruchs 1 zu begründen. Es kann daher auch offen bleiben, ob die Eigenschaften einer Diode als Rückstromschutzelement als "notorisches" Fachwissen gelten können oder nicht (siehe Punkt 14.4.7 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung).
Um zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, hätte der Fachmann jedenfalls ausgehend von der Ausführungsform nach Figur 3 der D2 zunächst zu der bekannten Ausführungsform nach Figur 2 der D2 zurückkehren und eine Gleichspannungskapazität vorsehen müssen, um in der Folge die Bereitstellung eines zusätzlichen Schutzschalters in Form eines Halbleiterschalters in Betracht zu ziehen. Weder ist im Lichte der objektiven technischen Aufgabe ein offensichtlicher Anlass für vorstehend beschriebene mehrstufige Handlungsweise ersichtlich, noch entspricht diese der typischen Vorgehensweise des Fachmanns.
2.6 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die den Unterscheidungsmerkmalen M12 und M13 zugrunde liegenden technischen Mittel isoliert betrachtet dem Fachmann bekannt sind, ausgehend von der Lehre der D2 der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch die Ausführungsform nach Figur 3 der D2 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns nahegelegt wird.
Da die Einspruchsabteilung im Übrigen zutreffend festgestellt hat, dass ausgehend von D2 Figur 3 eine Kombination mit D6 nicht naheliege (siehe Punkt 14.4.8 der Entscheidungsgründe) und dass D2 Figur 2 nicht der nächstliegende Stand der Technik sei (siehe Punkt 14.3. der Entscheidungsgründe), beruht der Gegenstand nach Anspruch 1 des erteilten Patents auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Entsprechendes gilt auch für den Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruchs 10, der dem Anspruch 1 entsprechende Merkmale enthält.
3. Ergebnis
Da der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 des erteilten Patents (Hauptantrag) auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ gegenüber D2, Figur 3, beruht, und die angefochtene Entscheidung keine weiteren Gründe enthält, welche der Aufrechterhaltung des Streitpatents als entgegenstehend angesehen wurden, sowie in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Beschwerdegegnerin in der Sache nicht geäußert hat, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Fassung aufrechterhalten.