T 0446/16 () of 12.3.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T044616.20200312
Datum der Entscheidung: 12 März 2020
Aktenzeichen: T 0446/16
Anmeldenummer: 03003632.1
IPC-Klasse: A61L2/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Abtrennung von Viren aus einer Proteinlösung durch Nanofiltration
Name des Anmelders: CSL Behring GmbH
Name des Einsprechenden: Octapharma AG
Biotest AG
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
RPBA2020 Art 025 (2020)
RPBA2020 Art 013 (2020)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1656/14
T 2227/15
T 0032/16
T 0634/16
T 1203/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen (Einsprechende) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das Patent EP 1 348 445 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, lautet wie folgt:

"Verfahren zur Abtrennung von Viren aus einer Proteinlösung durch Nanofiltration,

dadurch gekennzeichnet,

dass man die Proteinlösung vor der Nanofiltration zur Verminderung oder Verhinderung der Aggregation der Proteinmoleküle mit einer chaotropen Substanz aus der Gruppe bestehend aus Arginin, Guanidin, Citrullin, Harnstoff oder ihren Derivaten versetzt und anschließend die Lösung durch ein Filter mit einer Porengröße zwischen 15 bis 25 nm gibt, wobei die Proteine ein Molekulargewicht von 200 bis 340 kDa aufweisen."

III. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang auf der Grundlage von Artikel 100(a) und 100(b) EPÜ angegriffen worden, und zwar wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ), mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ).

IV. Relevante Dokumente

Im Laufe des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens wurden folgende Dokumente zitiert, die für die vorliegende Entscheidung relevant sind:

D2 |WO 99/31138|

D3 |WO 00/29041|

D8 |EP 1 153 084|

D11|WO 01/045719|

D12|EP 1 250 929|

D13 |Press Release Asahi Kasei Corporation vom 23. Oktober 2001|

D14|Waybackmachine.org; Archived Website Information for Asahi's Planove® filters of January 4, 2002|

D17|EP 085 923|

D20 |Okuyama K et al.; Jpn J Clin Hematol. 29(5): 662-665, 1988|

D24 |Versuchsbericht Beschwerdeführerin I, 11.09.2015|

D26-D29 |Deklarationen und Versuchsberichte Beschwerdegegnerin, 20.10.-23.10.2015|

D30 |Versuchsbericht Beschwerdeführerin I, 19.11.2015|

D31 |Versuchsbericht Beschwerdeführerin I, 02.05.2016|

D32|EP 1 161 958|

D33 |Versuchsbericht Beschwerdegegnerin, 22.09.2016|

D34 |Versuchsbericht Beschwerdegegnerin, 19.12.2016|

D35 |Versuchsbericht Beschwerdeführerin I, 25.07.2018|

D36|EP 2 928 905|

D37/D37a |Erklärung Beschwerdegegnerin, 04.02.2020|

D12 wurde nach dem Prioritätstag des Streitpatents publiziert. D12 ist die gemäß Artikel 158(3) EPÜ veröffentlichte Übersetzung der japanischen PCT-Anmeldung D11, die vor dem Prioritätstag des Streitpatents publiziert war. Alle Parteien waren sich einig, D12 als Übersetzung des Inhalts der D11 zu akzeptieren. Bezugnahmen auf D12 in der vorliegenden Entscheidung sind daher dahingehend zu verstehen, dass sie auf den entsprechenden Stellen in der vorpublizierten Schrift D11 basieren.

V. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die vorgebrachten Neuheitseinwände gegenüber D1, D11/D12 und D20 der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehen. Bezüglich erfinderischer Tätigkeit sah die Einspruchsabteilung D11/D12 als nächsten Stand der Technik an und kam zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren auch durch Kombination mit D13/D14 nicht nahegelegt wird. Ebenso kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren unter Artikel 83 EPÜ ausreichend offenbart ist.

Die eingereichten Versuchsberichte und Deklarationen D24 und D26-D29 wurden ins Verfahren zugelassen, der Versuchsbericht D30 wurde unter Artikel 114(2) EPÜ nicht mehr in das Verfahren zugelassen.

VI. In den Beschwerdebegründungen, und im weiteren Verlauf des Verfahrens brachten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes vor:

Das beanspruchte Verfahren sei im Patent nicht ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ). Insbesondere fehlten Angaben über verfahrensrelevante Parameter, um ein Verstopfen des Filters zu vermeiden.

Das beanspruchte Verfahren sei nicht neu gegenüber D12 (Artikel 54 EPÜ).

Das beanspruchte Verfahren sei für den Fachmann aus dem Stand der Technik nahegelegt (Artikel 56 EPÜ), und zwar ausgehend von entweder D12 oder D13/D14 oder auch ausgehend von D2, D3, D8 oder D32 als nächstem Stand der Technik. Im übrigen sei auch ein technischer Effekt der Zugabe einer chaotropen Substanz nicht über die gesamte Anspruchsbreite erwiesen.

Zur Untermauerung der Argumentation bezüglich Ausführbarkeit und erfinderischer Tätigkeit wurden neben zwei Dokumenten (D32, D36) auch Versuchsberichte eingereicht, nämlich D31 und D35.

VII. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung, und im weiteren Verfahren, brachte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen folgendes vor:

Das beanspruchte Verfahren sei im Patent ausreichend offenbart. Eventuell fehlende Angaben könne der Fachmann aus seinem Fachwissen ergänzen.

Neuheit gegenüber D12 sei gegeben.

Als nächster Stand der Technik komme nur D12 in Frage, wie in der Einspruchsentscheidung korrekterweise festgestellt. Ausgehend von D12 sei das beanspruchte Verfahren nicht nahegelegt.

Zur Untermauerung der Argumentation bezüglich Ausführbarkeit und erfinderischer Tätigkeit wurden Versuchsberichte D33 und D34 eingereicht, sowie D37/D37a als Kommentar zu D36.

VIII. Die Beschwerdeführerin I (Einsprechende 1) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 348 445.

Die von der Beschwerdeführerin I in ihrer Beschwerdebegründung erhobene Rüge bezüglich einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verfahren vor der Einspruchsabteilung wurde während der mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 348 445.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

Des weiteren beantragten die Beschwerdeführerinnen die Zulassung des von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahrens zugelassenen Dokuments D30. Die Beschwerdegegnerin hingegen beantragte, die von der Beschwerdeführerin I eingereichten Versuchsdaten D30-D32 und D35 sowie das Dokument D36 nicht ins Verfahren zuzulassen.

IX. Am 12. März 2020 fand eine mündliche Verhandlung statt. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung von Dokumenten und Versuchsberichten

2.1 Anwendbares Recht

Die Zulässigkeit einiger im Beschwerdeverfahren eingereichten Versuchsberichte und Druckschriften wurde von den Parteien bestritten. Für die deren Zulässigkeit sind Artikel 12 und 13 der VOBK maßgeblich. In welcher Fassung die Verfahrensordnung zur Anwendung kommt, ist in den Übergangsbestimmungen in Artikel 25(1)-(3) VOBK 2020 geregelt.

2.2 D31

Die Beschwerdegegnerin beantragt, diesen Versuchsbericht unter Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht ins Verfahren zuzulassen. Er sei weder relevant noch rechtzeitig eingereicht, insbesondere habe die Einspruchsabteilung entsprechende Versuche in D30 nicht ins Verfahren zugelassen.

Die Kammer macht jedoch von ihrem in Artikel 12(4) VOBK 2007 eingeräumten Ermessen Gebrauch und lässt diese Versuche ins Verfahren zu. Die Einspruchsabteilung hat sich in der Begründung der Entscheidung unter anderem auf die in D26-D29 durchgeführten Versuche bezogen (Punkt 4.1.5.5 der Entscheidung), die von der Patentinhaberin einen Monat vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren eingereicht wurden. Unabhängig von der Frage, ob entsprechende Gegenversuche in D30 von der Einspruchsabteilung zugelassen hätten werden müssen, so kann jedenfalls die Einreichung solcher Versuche mit der Beschwerdebegründung in D31 zugelassen werden. Diese Versuche stellen eine Antwort auf die Versuche D26 bis D29 der Beschwerdegegnerin wie auch eine Reaktion auf die angefochtene Entscheidung dar.

2.3 D35

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, D35 nicht ins Verfahren zuzulassen. Es sei zu spät eingereicht und nicht prima facie relevant.

D35 wurde nach der Beschwerdebegründung und vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht, so dass Artikel 13(1) VOBK 2020 maßgeblich ist.

D35 wurde von der Beschwerdeführerin I eingereicht, um die Versuchsergebnisse aus D33 mit eigenen Versuchen zu kontrastieren. D33 wurde von der Beschwerdegegnerin mit ihrer Beschwerdebegründung eingereicht. Zur Begründung des späten Zeitpunkts des Einreichens der D35 wurde vorgebracht, und ist auch unmittelbar einleuchtend, dass diese Ergebnisse als Reaktion auf D33 nicht früher eingereicht werden konnten (Artikel 13(1) VOBK 2020, Satz 3). Es kann der Beschwerdeführerin nicht verwehrt werden, auf diese Weise zu versuchen, die Ergebnisse der D33 in Zweifel zu ziehen. Die Kammer lässt sie daher ins Verfahren zu.

2.4 D36

D36 wurde von der Beschwerdeführerin I eingereicht, nachdem den Parteien bereits die Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt worden war.

Im Hinblick auf die Übergangsbestimmungen in Artikel 25(3) VOBK 2020 ist nicht klar, welche Fassung von Artikel 13(1) der Verfahrensordnung in dieser Situation anwendbar ist. Einerseits wird Artikel 13(1) VOBK nicht im Sinne einer Ausnahme von der sofortigen Anwendbarkeit der VOBK 2020 genannt, was bedeuten würde, dass Artikel 13(1) VOBK 2020 gemäß Artikel 25(3) VOBK 2020 anwendbar wäre. Andererseits nimmt diese Übergangsbestimmung Artikel 13(2) VOBK 2020 von der sofortigen Anwendbarkeit aus, wenn eine Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem 1. Januar 2020 zugestellt wurde, und erklärt stattdessen Artikel 13 VOBK 2007 für anwendbar. Der Verweis auf Artikel 13 VOBK 2007 umfasst auch Artikel 13(1) VOBK 2007, womit gemäß Artikel 25(3) VOBK 2020 die Bestimmung von Artikel 13(1) VOBK 2007 anwendbar wäre.

Die bisher vorliegende Rechtsprechung zu der Anwendbarkeit von Artikel 13(1) VOBK 2007 und/oder Artikel 13(1) VOBK 2020 unter der Übergangsbestimmung von Artikel 25(3) VOBK 2020 ist nicht einheitlich (vgl. z.B. T 1203/16, Punkt 1; T 634/16, Punkte 12-14; T 1656/14, Punkt 5; T 2227/15, Punkt 1; T 32/16, Punkt 1.1.2). Diese Rechtsfrage kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben, da sich die neue Fassung von Artikel 13(1) VOBK materiell von der alten nur dadurch unterscheidet, dass die Kriterien zur Ausübung des Ermessens unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur alten Fassung detaillierter gefasst wurden; Widersprüche zwischen den beiden Fassungen gibt es nicht (vgl. T 32/16, Punkt 1.1.3; T 634/14, Punkt 14). Die Kammer kommt daher unter beiden Fassungen von Artikel 13(1) VOBK zum gleichen Ergebnis bezüglich der Zulässigkeit von Dokument D36 in das Verfahren.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Dokument sei zufällig aufgefunden worden und stelle die Ausführbarkeit des beanspruchten Filtrationsverfahrens in Frage.

Diese Begründung ist nach Ansicht der Kammer sowohl gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 als auch gemäß Artikel 13(1) VOBK 2007 nicht ausreichend für das Einreichen dieses Dokuments zu so einem späten Zeitpunkt. Ausführbarkeit ist bereits seit der Einreichung der Einspruchsschriften Gegenstand der Verfahrens; entsprechende Dokumente hätten daher bereits weitaus früher recherchiert und eingereicht werden können. D36 ist keine Reaktion der Beschwerdeführerin auf ein Vorbringen der Beschwerdegegnerin. Im übrigen erfordert das Auffinden von Dokumenten, im Gegensatz zur den oben diskutierten Fällen von Gegenexperimenten, keine Zeit zur Vorbereitung und Durchführung von Laborversuchen. D36 wird daher nicht ins Verfahren zugelassen.

2.5 Weitere Dokumente

Der Inhalt des im Einspruchsverfahren nicht zugelassenen Dokuments D30 ist Bestandteil von D31. Da, wie oben ausgeführt, D31 ins Verfahren zugelassen ist, ist eine Entscheidung bezüglich D30 obsolet.

Die in der Beschwerdebegründung auf D32 beruhende Argumentation der Beschwerdeführerin I wurde im späteren Verfahren nicht weiterverfolgt, so dass eine Diskussion der Zulassung dieses Dokuments nicht nötig ist.

D37/D37a wurde als Reaktion auf D36 eingereicht. Da sich D36 nicht im Verfahren befindet, ist der Inhalt der D37/D37a obsolet.

Die Zulassung der Versuchsberichte D33/D34 wurde nicht bestritten.

3. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

3.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin I ist das beanspruchte Verfahren nicht ausreichend offenbart. Insbesondere fehlten Angaben zur Temperatur, zu den Konzentrationen der eingesetzten Substanzen, zur Art des einzusetzenden Fibrinogens, zum Druck, zur Filterfläche und zur nötigen Vorfiltration. Die fehlenden Informationen führten dazu, dass bei Nacharbeitung des Verfahrens regelmäßig der Filter verstopfe und das Verfahren daher nicht durchführbar sei. Ein Fachmann wisse nicht, wie er im Falle eines Fehlschlags zu einem durchführbaren Verfahren gelangen soll. Dazu wurde insbesondere auf die Versuchsberichte in D24 und in D35 verwiesen.

3.2 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin seien eventuell fehlende Angaben dem Fachmann aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt. Die Notwendigkeit einer Vorfiltration sei dem Fachmann bekannt, die Parameter würde er im Falle eines Fehlschlags selbstständig variieren. Im übrigen zeigten die Versuche der Beschwerdeführerin I selbst, dass das Verfahren ausführbar sei, etwa in D31.

3.3 Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Fachmann in der Lage sein muss, durch das im Anspruch definierte Filtrationsverfahren Viren aus einer Proteinlösung abzutrennen.

Die Erläuterungen dazu im Patent beschränken sich auf die Angabe der zu verwendenden Filter (Absatz [0009]), einer geeigneten Temperatur (Zimmertemperatur, Absatz [0007]) und die Kommentare zu den Versuchsergebnissen in Absatz [0010].

3.3.1 Die Tatsache, dass durch die im beanspruchten Verfahren eingesetzte Filtergröße Viren zurückgehalten werden, wurde zwar von keiner der Parteien experimentell belegt, war aber unstrittig. Die vorgebrachten Einwände richteten sich auf die Frage, ob das Protein den Filter durchdringen kann, oder im Gegensatz der Filter verstopft, was eine Abtrennung der Viren unmöglich macht.

3.3.2 Die von der Beschwerdeführerin I selbst eingereichten Versuchsberichte D24, D31 und D35 zeigen allerdings, dass die beanspruchte Filtration grundsätzlich durchführbar ist.

In D24 werden 20% des Proteins filtriert.

In D31 wird keine Angabe über die Proteinausbeute gemacht; aus den beigefügten Diagrammen ist jedoch zu erkennen, dass die Lösungen filtriert werden können und je nach Menge der zugegebenen chaotropen Substanz unterschiedliche Mengen Protein im Filtrat erhalten werden. Schwierigkeiten bei der Durchführung der Filtration werden nicht beschrieben.

In D35 werden in einem ersten Versuch Ausbeuten von 15% erhalten, und in einem zweiten Versuch mit einem anderen Fibrinogen als Ausgangsstoff scheiterte eine als Vorfiltration gedachte Filtration ohne Zugabe einer chaotropen Substanz.

3.3.3 Der Anspruch schreibt keine bestimmte Proteinausbeute vor. Die Versuche wurden ursprünglich eingereicht, um zu zeigen, dass bei der Zugabe von Arginin als chaotroper Substanz in Konzentrationen unter 1% keine Verbesserung der Filtration erzielt werden kann, und nicht dazu, zu zeigen, dass eine Filtration nicht möglich ist. Es mag sein, dass, wie von der Beschwerdeführerin I angeführt, die Auswahl bestimmter, im Patent nicht näher beschriebener Parameter das Ergebnis der Filtration beeinflusst. Aus den vorliegenden Daten kann aber nicht geschlossen werden, dass eine Filtration unmöglich ist. Deshalb kann auch das Argument, der Fachmann wüsste bei einem Fehlschlag nicht, wie ein nicht-durchführbares Verfahren mit zumutbarem Aufwand in ein durchführbares Verfahren zu verwandeln sei, nicht überzeugen, denn der Beschwerdeführerin I selbst ist das ja etwa in D31 gelungen.

Zu den Ergebnissen der D35 ist zu bemerken, dass im ersten Versuch eine Filtration möglich war und der zweite Versuch ein Verfahren betrifft, das nicht beansprucht ist, da keine chaotrope Substanz zugegeben wurde. Aus diesen Ergebnissen lässt sich nicht ableiten, dass das beanspruchte Verfahren nicht durchführbar sei.

3.4 Nanofiltration war eine zum Prioritätstag bekannte Technologie. Sowohl die von der Beschwerdeführerin I als auch die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Versuchberichte zeigen, dass das beanspruchte Verfahren im Grundsatz durchführbar ist.

Unter diesen Umständen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren im Patent so deutlich und vollständig offenbart ist, dass der Fachmann es ausführen kann.

4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

4.1 Die Beschwerdeführerinnen sind der Ansicht, D12 sei neuheitsschädlich für die Ansprüche des Streitpatents. Die weiteren in der Entscheidung der Einspruchsabteilung diskutierten Dokumente wurden von den Beschwerdeführerinnen nicht mehr angeführt, so dass die Kammer Neuheit gegenüber diesen Dokumenten als gegeben ansieht.

4.2 Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, das beanspruchte Verfahren sei in D12 in Absatz [0024] vorbeschrieben. Dort werden Porengrößen von 1-100 nm, bevorzugt 10-100 nm zur Filtration vorgeschlagen. Die Auswahl des beanspruchten Bereichs, nämlich 15-25 nm, erfülle daher nicht die Kriterien für eine Auswahlerfindung. Die Offenbarung im zweiten Satz des Absatzes sei so zu verstehen, dass allgemein bei der Abtrennung von kleineren Viren Porengrößen von 35-100 nm zu verwenden seien; dies sei jedoch nicht auf die genannten Proteine wie Fibrinogen bezogen. Des weiteren sei in Absatz [0029] darauf hingewiesen, dass die Anwesenheit chaotroper Ionen die Filtration verbessert, so dass auch kleinere Filterporen in Betracht gezogen werden könnten. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, da in Absatz [0009] beschrieben werde, kleinere Viren könnten durch Filtration mit Porengrößen von 35 nm nicht entfernt werden.

4.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerde­führerinnen nicht.

Die Porengröße der im Verfahren nach D12 zu verwendenden Filter wird in Absatz [0024] beschrieben. Dabei werden zwar generell Bereiche von 1-100 nm bzw. 10-100 nm genannt, allerdings werden im Falle der Abtrennung von Viren von höhermolekularen Proteinen wie Fibrinogen ausdrücklich Porengrößen von 35-100 nm verlangt. Die von den Beschwerdeführerinnen vorgeschlagene Lesart, dies beziehe sich nur auf die Größe der Viren, ist nicht überzeugend, denn die Porengröße wird ausdrücklich auf die Größe der Proteine bezogen ("when Parvovirus, HAV and the like are to be removed from a protein having a high molecular weight, such as fibrinogen").

D12 offenbart daher nicht direkt und eindeutig die Kombination der Merkmale des beanspruchten Verfahrens, für die Abtrennung von Viren von Proteinen mit Molekulargewichten von 200-340 kDa Filter mit Porengrößen von 15-25 nm zu verwenden. Schon alleine aus diesem Grund ist Anspruch 1 des erteilten Patents neu gegenüber D12, unabhängig von eventuellen Überlegungen hinsichtlich der Kriterien von Auswahlerfindungen.

Der Verweis auf Absatz [0029] der D12 fügt dem nichts hinzu. Dort ist beschrieben, dass die Zugabe chaotroper Substanzen das beschriebene Verfahren verbessern kann. Dort wird aber nicht beschrieben, bei der Filtration größerer Proteine wie Fibrinogen die beanspruchten Filtergrößen zu verwenden.

Auch eine Kombination der Ansprüche 1, 6 und 8 mit Absatz [0029]/[0030], wie von der Beschwerdeführerin I schriftlich vorgebracht, offenbart nicht die beanspruchte Porengröße des Filters. Aus der angegebenen Virengröße des Parvovirus von 18-25 nm (siehe Absatz [0007]) ergibt sich damit der beanspruchte Bereich von 15-25 nm nicht. Auch im Falle von Hepatitis A, für den die Beschwerdeführerin I 17 nm angegeben hat, ergibt sich jedenfalls nicht direkt und eindeutig der beanspruchte Bereich.

Das beanspruchte Verfahren ist daher neu gegenüber D12.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

5.1 Nächstliegender Stand der Technik

5.1.1 Beansprucht wird ein Verfahren zur Abtrennung von Viren aus einer Proteinlösung mittels Nanofiltration, wobei die Proteine ein Molekulargewicht von 200 bis 340 kDa aufweisen. Beispiele für solche Proteine sind etwa Fibrinogen oder Faktor VIII. Ein Dokument, das den nächsten Stand der Technik darstellt, sollte sich daher ebenfalls mit der Aufreinigung derartiger Proteine beschäftigen.

5.1.2 Die Einspruchsabteilung sowie die Beschwerdegegnerin gehen von D12 als nächstem Stand der Technik aus. Die Beschwerdeführerin I hat in ihrer Beschwerdebegründung ebenfalls von D12 aus argumentiert, aber im späteren Verfahren wie die Beschwerdeführerin II D13/D14 als nächsten Stand der Technik angesehen. Des weiteren wurden D2, D3, D8 und D32 vorgeschlagen.

5.1.3 Nach Ansicht der Kammer sind D3 und D8 als nächster Stand der Technik ungeeignet, da sie sich nicht primär mit Nanofiltration von Proteinen befassen. In Bezug auf D8 wurde von der Beschwerdeführerin I in der mündlichen Verhandlung argumentiert, das eigentliche Problem, mit dem sich alle vorgeschlagenen Dokumente beschäftigen, sei die Herstellung virenfreier Proteinpräparate, was auch in D8 der Fall sei. Allerdings bespricht D8 Nanofiltration nur als eine unter mehreren Möglichkeiten in Absatz [0011]. D3 und D8 stellen nicht den nächstliegenden Stand der Technik dar, da auf jeden Fall Dokumente im Verfahren sind, die explizit Nanofiltration von Proteinlösungen beschreiben und daher näher am beanspruchten Gegenstand liegen. Dies gilt auch für D32, das ein mehrstufiges Verfahren umfassend den Einsatz von Detergentien und Chromatographie vorschlägt.

5.1.4 D2 beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wie Faktor VIII aus einem hochmolekularen Komplex mit dem von-Willenbrand-Faktor dissoziiert werden kann, um ihn danach einer virenabtrennenden Filtration über einen 15nm-Filter zugänglich zu machen. In Bezug auf die durchgeführte Filtration geht D2 nicht über die Offenbarung von D13/D14 hinaus (siehe unten), so dass die Kammer D2 auch nicht als nächsten Stand der Technik ansieht.

5.1.5 Die Parteien waren sich uneins, ob D12 oder D13/D14 als nächster Stand der Technik gelten sollten. Da die Kammer der Ansicht ist, dass sich das beanspruchte Verfahren weder ausgehend von D12 noch ausgehend von D13 auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik ergibt, werden im folgenden beide Ansätze behandelt.

5.2 Ausgehend von D12

5.2.1 D12 offenbart die Abtrennung von Viren aus Proteinlösungen, insbesondere Fibrinogenlösungen, um zu einer virenfreien Lösung zu kommen, siehe Absatz [0001]. Dabei ist in Absätzen [0008] und [0009] das Problem beschrieben, dass bei Verwendung von Filtern mit weniger als 35 nm Porengröße Schwierigkeiten bei der Filtration des Fibrinogens auftreten. D12 befasst sich daher mit dem gleichen Problem wie das vorliegende Patent (siehe Absätze [0003] bis [0004] des Streitpatents). D12 kommt dabei zu dem Ergebnis, dass auch bei diesen Porengrößen effektiv kleine Viren entfernt werden können (Absatz [0024]), optional unter Zugabe chaotroper Substanzen, die das Filtrationsergebnis verbessern (Absatz [0029]).

5.2.2 Ausgehend von D12 stellt sich somit das technische Problem, ein alternatives Verfahren aufzufinden, das zur Abtrennung von Viren aus Lösungen höhermolekularer Proteine wie Fibrinogen oder Faktor VIII geeignet ist. Dies war zwischen den Parteien unstrittig.

5.2.3 Die Lösung des Problems ist das beanspruchte Verfahren, das sich gegenüber D12 insbesondere dadurch auszeichnet, dass Filter mit kleineren Porengrößen von 15-25 nm verwendet werden.

Die Beschwerdeführerin I hat vorgebracht, dieses Problem sei nicht gelöst worden, da ja, wie in den verschiedenen von ihr vorgelegten Versuchsberichten (D24, D31, D35) gezeigt wurde, eine Verstopfung des Filters tatsächlich auftrete. Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Die Filtration ist prinzipiell durchführbar, wie unter Punkt 3 oben ausgeführt. Ein quantitativer Vergleich mit dem Verfahren der D12 ist für die Lösung des gestellten technischen Problems nicht erforderlich.

5.2.4 Bleibt die Frage, ob die beanspruchte Lösung von D12 aus für den Fachmann naheliegend war. Die Kammer stellt zunächst fest, dass D12 selbst in Absatz [0024] explizit ausführt, dass im Falle der Filtration höhermolekularer Proteine die Filterporen eine Größe zwischen 35 und 100 nm haben sollten. D12 stellt auch heraus, dass zur Verbesserung der Filtrationseigenschaften chaotrope Substanzen Verwendung finden sollen ([Absatz 0029]). Stellt sich der Fachmann die Aufgabe, eine zu D12 alternative Verfahrensweise zu suchen, so würde ihm in D12 von der Verwendung kleinerer Porengrößen abgeraten. Die Verwendung einer kleineren Porengröße hätte der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung nicht in Betracht gezogen.

Die Beschwerdeführerinnen haben argumentiert, aus D13 und D14 wüsste der Fachmann, dass Fibrinogen und Faktor VIII auch durch Filter mit Porengrößen von etwa 15 oder 20 nm filtriert werden können. Allerdings ist die einzige konkrete Ausführungsform in D13 mit einem Protein beschrieben, das unterhalb des beanspruchten Molekulargewichts liegt (IgG) und weder D13 noch D14 machen Angaben zum Problem der Filterverstopfung. Diese Dokumente sind daher nicht geeignet, den Fachmann ohne erfinderisches Zutun über die explizite Lehre der D12 hinweg zum beanspruchten Verfahren zu führen. Gleiches gilt für D20, das von der Beschwerdeführerin I in der Beschwerdebegründung erwähnt aber im späteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr verwendet wurde.

5.3 Ausgehend von D13/D14

5.3.1 Die Beschwerdeführerinnen haben argumentiert, D13 oder D14 seien dem beanspruchten Verfahren näher als D12.

Laut D13 können höhermolekulare Proteine, etwa Fibrinogen oder Faktor VIII zur Virenabtrennung durch die neu entwickelte Planova-Filterfamilie filtriert werden, unter anderem durch solche mit 20 nm Porengröße.

5.3.2 Im einfachsten Fall stellt sich also für den Fachmann ausgehend von D12 die Aufgabe, ein alternatives Verfahren zur Entfernung von Viren aus Lösungen derartiger Proteine zu finden.

5.3.3 Die vorgeschlagene Lösung für dieses Problem besteht im Verfahren gemäß Anspruch 1, das sich gegenüber D13 durch die Zugabe einer chaotropen Substanz, etwa Arginin, auszeichnet.

Dieses Problem wurde auch gelöst. Die zahlreichen von den Parteien eingereichten Versuchsberichte dienten ja dem Zweck, zu untersuchen, ab welcher Konzentration die Zugabe von Arginin eine Verbesserung der Filtrierbarkeit bewirkt. Diese Frage ist aber für die Lösung des hier definierten technischen Problems irrelevant. Dass das Verfahren durch die Zugabe von Arginin nicht mehr funktionieren würde, wurde nicht behauptet und ist den Daten auch nicht zu entnehmen.

5.3.4 Die Beschwerdeführerinnen haben eine Reihe von Dokumenten angeführt, die ihrer Ansicht nach dem Fachmann zeigen, dass die Zugabe von Arginin eine naheliegende Maßnahme zur Auffindung eines alternativen Trennverfahrens gewesen sei. Insbesondere wurde dabei auf D3, D8 und D17 verwiesen.

D3 beschreibt (Seite 8 oben), dass Arginin zur Verhinderung der Polymerisation bzw. Aggregation von Fibrinogen geeignet ist. Allerdings beschäftigt sich D3 mit stabilisierten Proteinzubereitungen als Gewebekleber. Filtration zur Virenabtrennung wird nicht direkt erwähnt, erst recht nicht im Zusammenhang mit der Zugabe von Arginin.

D8 beschäftigt sich ebenfalls mit der Stabilisierung von Proteinlösungen. D8 erwähnt zwar allgemein, dass stabilisierte Proteinlösungen neben anderen möglichen Verfahren auch mittels Nanofiltration von Viren befreit werden könnten (Absatz [0011]). Es sind dazu aber weder nähere Angaben vorhanden, noch wurde eine derartige Filtration durchgeführt.

D17 beschreibt, dass die Löslichkeit von Fibrinogenlyophilisaten durch Zugabe von Substanzen mit einer Harnstoff- oder Guanidinogruppe, etwa Arginin, erhöht werden kann. D17 erwähnt weder Nanofiltration noch Virenabtrennung.

Keines dieser Dokumente beschreibt die Zugabe von chaotropen Substanzen im Zusammenhang mit der Nanofiltration von höhermolekularen Proteinen wie Fibrinogen. Es war zwar bekannt, dass etwa Arginin die Aggregation von Fibrinogen hemmt, allerdings wurde diese Erkenntnis in keinem dieser Dokumente für die Verwendung solcher Substanzen als Additive für die Nanofiltration erwähnt. Es ist daher auch nicht überzeugend, zu argumentieren, dies sei für den Fachmann selbstverständlich oder gehöre zum allgemeinen Fachwissen. Solches Fachwissen, sollte es existieren, müsste in irgendeiner Weise dokumentiert sein.

Das einzige Dokument, in dem beschrieben wird, dass chaotrope Substanzen bei der Nanofiltration von Proteinen zugesetzt werden können, ist D12. D12 wurde allerdings von den Beschwerdeführerinnen nicht als Dokument zur Kombination ausgehend von D13 angeführt. D12 enthält ja die Anweisung, Fibrinogen oder Proteine ähnlichen Molekulargewichts gerade nicht durch Filter mit den im Anspruch definierten Porengrößen zu filtrieren, und kann den Fachmann daher ebenfalls nicht zu dem beanspruchten Verfahren führen.

Deshalb war das beanspruchte Verfahren auch nicht ausgehend von D13 nahegelegt.

5.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das beanspruchte Verfahren für den Fachmann nicht auf naheliegende Weise aus dem Stand der Technik hervorging.

6. Keiner der angeführten Einspruchsgründe steht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen (Artikel 101(2) EPÜ). Die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat Bestand. Die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge können daher unbeachtet bleiben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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