T 0377/16 () of 1.10.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T037716.20191001
Datum der Entscheidung: 01 October 2019
Aktenzeichen: T 0377/16
Anmeldenummer: 05707029.4
IPC-Klasse: C07C 253/10
C07C 255/07
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON LINEAREM PENTENNITRIL
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: INVISTA Technologies S.à.r.l.
RHODIA OPERATIONS
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 1 716 105 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

II. Der unabhängige Anspruch 1, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von 3-Pentennitril, gekennzeichnet durch die folgenden Verfahrensschritte:

a) Isomerisierung eines Eduktstroms, der 2-Methyl-3-butennitril enthält, an mindestens einem gelösten oder dispergierten Isomerisierungskatalysator zu einem Strom 1, der den mindestens einen Isomerisierungskatalysator, 2-Methyl-3-butennitril, 3-Pentennitril und (Z)-2-Methyl-2-butennitril enthält,

b) Destillation des Stromes 1 unter Erhalt eines Stromes 2 als Kopfprodukt, der 2-Methyl-3-butennitril, 3-Pentennitril und (Z)-2-Methyl-2-butennitril enthält, und eines Stromes 3 als Sumpfprodukt, der den mindestens einen Isomerisierungskatalysator enthält,

c) Destillation des Stromes 2 unter Erhalt eines Stromes 4 als Kopfprodukt, der gegenüber dem Strom 2 an (Z)-2-Methyl-2-butennitril, bezogen auf die Summe aller Pentennitrile im Strom 2, angereichert ist, und eines Stromes 5 als Sumpfprodukt, der gegenüber dem Strom 2 an 3-Pentennitril und 2-Methyl-3-butennitril, bezogen auf die Summe aller Pentennitrile im Strom 2, angereichert ist,

d) Destillation des Stromes 5 unter Erhalt eines Stromes 6 als Sumpfprodukt, der 3-Pentennitril enthält und eines Stromes 7 als Kopfprodukt, der 2-Methyl-3-butennitril enthält,

wobei man das an (Z)-2-Methyl-2-butennitril abgereicherte 2-Methyl-3-butennitril zurückführt, wobei der Eduktstrom durch folgende Verfahrensschritte erhalten wird:

e) Hydrocyanierung von 1,3-Butadien an mindestens einem Hydrocyanierungskatalysator mit Cyanwasserstoff unter Erhalt eines Stromes 8, der den mindestens einen Hydrocyanierungskatalysator, 3-Pentennitril, 2-Methyl-3-butennitril, 1,3-Butadien und Reste Cyanwasserstoff enthält,

f) ein- oder mehrfache Destillation des Stromes 8 unter Erhalt eines Stromes 9, der 1,3-Butadien enthält, eines Stromes 10, der den mindestens einen Hydrocyanierungskatalysator enthält, und eines Stromes 11, der 3-Pentennitril und 2-Methyl-3-butennitril enthält,

g) Destillation des Stromes 11 unter Erhalt eines Stromes 12 als Sumpfprodukt, der 3-Pentennitril enthält, und eines Stromes 13 als Kopfprodukt, der 2-Methyl-3-butennitril enthält."

III. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang unter Artikeln 100(a) und 56 EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit sowie unter Artikel 100(c) und 123(2) EPÜ wegen unzulässiger Erweiterung angegriffen worden.

IV. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, das mit dem im Einspruchsverfahren geänderten Hauptantrag beanspruchte Verfahren beruhe ausgehend von der Druckschrift

D6:|Proc. Economics Program Report No. 54B, Nylon 6.6, Supp. B, Sept. 1987|

auf einer erfinderischen Tätigkeit. Insbesondere der Verfahrensschritt (d) sei für den Fachmann nicht naheliegend gewesen. Die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ sowie der Regel 80 EPÜ seien ebenfalls erfüllt.

V. In ihrer Beschwerdebegründung, und im weiteren Beschwerdeverfahren argumentierte die Beschwerdeführerin, das beanspruchte Verfahren, und insbesondere der Destillationsschritt (d), sei ausgehend von D6 sehr wohl als Alternative nahegelegt. Verbesserte Eigenschaften des beanspruchten Verfahrens seien nicht belegt worden.

Der im Einspruchsverfahren erhobene Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ war nicht Gegenstand der Beschwerde. Der in der Beschwerdebegründung erhobene Einwand unter Regel 80 EPÜ wurde im Lauf des Beschwerdeverfahrens zurückgenommen.

VI. In Bezug auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit brachte die Beschwerdegegnerin vor, das beanspruchte Verfahren sei durchaus vorteilhaft im Vergleich zu dem Verfahren der D6. Überdies sei das Verfahren auch als bloße Alternative nicht nahegelegt, da ein Fachmann ausgehend von D6 keine Veranlassung gehabt hätte, dem Verfahren einen zusätzlichen Destillationsschritt (d) anzuhängen.

VII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 716 105.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise das Patent in geänderter Form aufrechtzuerhalten, gemäß den Hilfsanträgen 1-3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 2) hat im Beschwerdeverfahren weder Eingaben gemacht noch Anträge gestellt.

VIII. Am 1. Oktober 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig

Hauptantrag

2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

Einziger strittiger Punkt ist die Frage der erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ.

2.1 Beansprucht ist ein Verfahren zur Herstellung von 3-Pentennitril, in dessen Verlauf 2-Methyl-3-Butennitril teilweise zu Pentennitril isomerisiert wird und der erhaltene Produktstrom verschiedene Destillationen durchläuft. Die Parteien gehen, ebenso wie die Einspruchsabteilung, von dem in D6, Abbildung 10.1, Blatt 1, offenbarten Verfahren als nächstem Stand der Technik aus. Die Kammer schließt sich dem an.

In dem in Abbildung 10.1 beschriebenen Verfahren findet die dem vorliegenden Schritt (a) entsprechende Isomerisierungsreaktion in Reaktor R-201 statt. Der Austragsstrom 16 dieser Reaktion wird, nach Abtrennung verbrauchten Katalysators in die Destillationskolonne C-201 eingespeist. In dieser Kolonne wird über Kopf ein Strom 17 an 2-Methyl-2-Butennitril ausgetragen, der letztendlich entsorgt wird. Als Seitenabzugsstrom 18 wird ein Gemisch aus 2-Methyl-3-Butennitril und 3-Pentennitril erhalten, das in den Isomerisierungs­reaktor R-201 zurückgeführt wird. Als Sumpfstrom 19 erhält man ein Gemisch aus Katalysator und 3-Pentennitril.

2.2 Es ist unstrittig, dass zumindest der Schritt (d) des vorliegend beanspruchten Verfahrens in D6 nicht offenbart ist. Dieser Verfahrensschritt sieht vor, dass in einer weiteren Destillationskolonne ein Kopfprodukt erhalten wird, das 2-Methyl-3-butennitril enthält, sowie ein Sumpfprodukt, das 3-Pentennitril enthält.

2.3 Im einfachsten Fall stellt sich als technische Aufgabe, ein zu D6 alternatives Verfahren zur Herstellung von 3-Pentennitril zur Verfügung zu stellen. Das beanspruchte Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass im letzten Schritt in einer Destillationskolonne 3-Pentennitril von 2-Methyl-3-Butennitril abgetrennt wird.

Dass das beanspruchte Verfahren dieses Problem löst, wurde nicht bestritten.

2.4 Es bleibt daher zu untersuchen, ob es aus dem Stand der Technik nahegelegen hat, dem in D6, Abbildung 10.1 beschriebenen Verfahren den beanspruchten Verfahrensschritt (d) hinzuzufügen.

Der Produktstrom in D6 ist Strom 19, da dort das Pentennitril, gemischt mit dem Katalysator, aus dem Verfahren zur weiteren Verwendung ausgeschleust wird.

In Strom 18 hingegen wird das Pentennitril zwischen dem Isomerisierungsreaktor R-201 und der Kolonne C-201 im Kreis gefahren, so dass der Fachmann Strom 18 nicht als Produktstrom in einem Verfahren zur Herstellung von 3-Pentennitril ansehen würde.

Im vorliegend beanspruchten Verfahren wird der 3-Pentennitril enthaltende Produktstrom in Schritt (d) nach der Destillation des Gemisches mit 2-Methyl-3-butennitril im Sumpf erhalten.

Der Fachmann müsste daher, um ausgehend von D6 zum beanspruchten Verfahren zu gelangen, eine zusätzliche Destillation des Stroms 19 durchführen, und dabei einen 3-Pentennitril enthaltenden und einen 2-Methyl-3-Butennitril enthaltenden Strom erhalten. Allerdings enthält Strom 19 praktisch kein 2-Methyl-3-Butennitril mehr (siehe Tabelle 10.4, "traces"), da dieses bereits zusammen mit einem Teil des 3-Pentennitrils in Strom 18 in den Isomerisierungsreaktor zurückgeführt wurde. Strom 19 besteht im wesentlichen aus einem Gemisch des gewünschten 3-Pentennitrils mit dem Katalysator. Allein aus diesem Grund schon hätte der Fachmann keine Veranlassung, dem Verfahren der D6 den beanspruchten Schritt (d) hinzuzufügen. Der Einschätzung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung ist daher zuzustimmen.

2.5 Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen zwei Argumentationslinien vorgebracht, die aber nicht zu überzeugen vermögen.

2.5.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dem Fachmann sei das beanspruchte Verfahren ausgehend von D6 aufgrund allgemeiner Überlegungen im Sinne eines "first principle approach" nahegelegt. Der dem Isomerisierungsreaktor entnommene Strom (Strom 16 in D6, Strom 1 im Streitpatent) bestehe im wesentlichen aus vier Komponenten, nämlich aus dem Katalysator, 2-Methyl-2-Butennitril, 2-Methyl-3-Butennitril und 3-Pentennitril. Von diesen Komponenten sei bekannt, dass sie sich prinzipiell destillativ trennen lassen. Für die Auftrennung eines solchen Vierkomponentengemischs seien theoretisch fünf verschiedene Destillationsanordnungen denkbar, von denen vorliegend einfach eine beliebige ausgewählt worden sei.

Die Kammer teilt diese Ansicht nicht. Würde der Fachmann dem von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen "first principle approach" folgen, so müsste er, ausgehend von D6 und auf der Suche nach einem alternativen Verfahren, die Lehre der D6 ab dem Isomerisierungsreaktor R201 ausblenden, um sich dann über prinzipielle Möglichkeiten zur Auftrennung des Produktstroms 16 Gedanken zu machen. Der Fachmann hätte allerdings ausgehend von D6 keinen Grund gehabt, die vorliegend beanspruchte Verfahrensweise zu wählen. Beispielsweise verfolgt D6 ja die Idee, den Katalysator nicht von 3-Pentennitril abzutrennen, sondern das 3-Pentennitril als Lösungsmittel für den Katalysator zu verwenden, wie in der Auflistung der Prozesscharakteristiken auf Seite 203 der D6 erläutert. Im Streitpatent hingegen wird der Katalysator von 3-Pentennitril in Schritt (b) abgetrennt.

2.5.2 Eine weitere Argumentationslinie bezog sich auf Überlegungen zum Katalysatorkreislauf in D6 und im vorliegend beanspruchten Verfahren.

Die Beschwerdeführerin brachte vor, ein Fachmann würde aus D6 den Schluss ziehen, eine Trennung der Katalysatorkreisläufe zwischen dem ersten und dem zweiten Hydrocyanierungsschritt sei wünschenswert, zumindest aber eine gangbare Alternative, weil der im zweiten Hydrocyanierungsschritt verwendete Katalysator eine Aktivierung benötige (siehe D6, Seite 203, erster Spiegelstrich). Mit diesem Wissen würde der Fachmann die Destillationskolonne C-201 derart anpassen, dass der Katalysator von 3-Pentennitril abgetrennt würde. Demgemäß sei es logisch, dass dann in einem weiteren Schritt das 3-Pentennitril als Produkt von dem rückzuführenden 2-Methyl-3-Butennitril abgetrennt werden müsse, wie im Streitpatent beansprucht.

Nach Ansicht der Kammer beruhen diese Überlegungen auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Nirgendwo in D6 wird dem Fachmann nahegelegt, die Katalysatorkreisläufe zwischen der ersten und der zweiten Hydrocyanierung zu trennen. In D6 wird der Katalysator im Gegenteil zusammen mit dem 3-Pentennitril vom ersten zum zweiten Hydrocyanierungsschritt geführt und dort mit Aktivator versetzt (über Strom 12 in Tank T-301 und T-302). Ebenso wird gemäß Abbildung 10.1 der Katalysator zusammen mit dem 3-Pentennitril aus der Isomerisierung wieder in die erste Hydrocyanierung zurückgeführt (Strom 19 in Tank T-102), und dann über Ströme 5 bzw. 13 dem Verfahren wieder zugeführt. An keiner Stelle wird der Katalysator vom Produktstrom 3-Pentennitril abgetrennt.

Selbst wenn man annähme, ein Fachmann würde entgegen der Lehre der D6 den Katalysator in Kolonne C-201 vom Produktstrom abtrennen wollen, so wäre das Resultat einer derartigen Modifikation allenfalls, dass die Konzentration von 3-Pentennitril im Seitenabzugsstrom 18 anstiege, d. h. ein noch größerer Anteil Produkt unnütz im Kreis gefahren würde. Aus diesem Rückführstrom müsste dann eine Mischung von 3-Pentennitril und 2-Methyl-3-Butennitril als Produktstrom entnommen und destilliert werden. Für eine derartige Veränderung der Verfahrensströme bestand ausgehend von D6 ohne Kenntnis des anspruchsgemäßen Verfahrens kein Anlass.

2.6 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verfahren ausgehend von D6 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Auf die Hilfsanträge braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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