European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T026516.20180918 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 September 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0265/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 07110323.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | F02B 23/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kolben mit Kolbenmulde für eine Brennkraftmaschine und Verfahren zur Gemischbildung unter Verwendung einer Einspritzeinrichtung und eines derartigen Kolbens | ||||||||
Name des Anmelders: | Ford Global Technologies, LLC | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Deutz AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit des Einspruchs - Substantiierung des Einspruchs (ja) Neuheit - mehrfache Auswahl Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Post gegeben am 23. Dezember 2015, das europäische Patent Nr. 2 003 304 in geändertem Umfang gemäß dem in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2015 eingereichten Hilfsantrag 5 nach Artikel 101(3) a) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin am 30. Januar 2016 eine Beschwerdeschrift zusammen mit einer Beschwerdebegründung eingereicht. Die Beschwerdegebühr wurde am 3. Februar 2016 entrichtet.
III. Mit einer Mitteilung vom 18. Februar 2016 wurde der Einsprechenden der Schriftsatz der Patentinhaberin zugestellt, wobei ihr zur Erwiderung eine Frist von vier Monaten ab Zustellung gesetzt wurde.
IV. Am 25. Februar 2016 legte dann die Einsprechende eine Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Eine Beschwerdebegründung folgte erst am 4. Mai 2016. Mit einer Mitteilung vom 24. Mai 2016 wurde der Einsprechenden mitgeteilt, dass die Beschwerde voraussichtlich nach Artikel 108(3) und Regel 101(1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen sein würde, weil ihre Beschwerdebegründung nicht fristgerecht eingereicht worden war. Daraufhin nahm sie mit dem Schreiben vom 4. Juni 2016 ihre Beschwerde zurück.
V. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ, Artikel 100 b) und Artikel 100 c) i.V.m. Artikel 123(2) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang nicht entgegenstünden.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D4: WO 03 / 010 423 A1
D21: DE 103 92 175 T5
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
Die Einsprechende als Beschwerdegegnerin hat in der Sache weder Stellung genommen noch Anträge gestellt.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Kolben (1) mit Kolbenboden (3) und im Kolbenboden (3) vorgesehener Kolbenmulde (4), insbesondere für eine Brennkraftmaschine, welche einen Betrieb in zwei unterschiedlichen Betriebsmodi ermöglicht, der - im Betrieb der Brennkraftmaschine - entlang einer Kolbenlängsachse (2) translatorisch bewegbar ist und bei dem dic Kolbenmulde (4) eine Omegaförmige Grundform aufweist, wobei die der Kolbenlängsachse (2) zugewandte Muldenoberfläche (5) der omegaförmigen Kolbenmulde (4) einen konvexen Teilbereich (7) aufweist, der in die Kolbenmulde (4) hineinragt und unter Beibehaltung der Krümmungsrichtung und unter Ausbildung eines Muldenrandes (6) in den Kolbenboden (3) übergeht, dadurch gekennzeichnet, daß dieser konvexe Teilbereich (7) einen minimalen Krümmungsradius r2 aufweist mit r2>=0.02d und im Bereich des Muldenrandes (6) zumindest teilweise einen Krümmungsradius r1 aufweist mit 0.13d<=r1<=0.43d, wobei d den Kolbendurchmesser angibt."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:
- Der Einspruch sei nicht zulässig, da zu keinem der angegebenen Einspruchsgründe ein hinreichend substantiierter Vortrag vorliege. Im Hinblick auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ seien in der Einspruchsschrift nur Figuren und Bezugszeichen, aber keine Textpassagen genannt.
- Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D4 und werde durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Das Streitpatent betrifft einen Kolben für eine Brennkraftmaschine. Im Kolbenboden befindet sich eine Kolbenmulde mit omegaförmiger Grundform, wobei die der Kolbenlängsachse zugewandte Muldenoberfläche einen konvexen Teilbereich aufweist. Durch die erfindungsgemäße Muldengeometrie wird mehr Zeit für die Gemischaufbereitung bereitgestellt, so dass ein besser homogenisiertes Kraftstoff-Luft-Gemisch vorliegt. Außerdem wird verhindert, dass sich eine eingespritzte Kraftstoff- bzw. Kraftstoff-Luft-Strömung von der Muldenoberfläche ablöst und verfrüht zur Selbstzündung gelangt (Streitpatent, Absätze 45 und 56).
3. Zulässigkeit des Einspruchs
3.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet die Zulässigkeit des Einspruchs unter Verweis auf die Regel 76 (2) (c) EPÜ mit dem Argument, dass zu keinem der angegebenen Einspruchsgründe ein hinreichend substantiierter Vortrag vorliege. Im Hinblick auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 (a) EPÜ bemängelt sie insbesondere, dass in der Einspruchsschrift nur Figuren und Bezugszeichen, aber keine Textpassagen genannt seien.
3.2 Die Zulässigkeit des Einspruchs ist als unverzichtbare verfahrensrechtliche Voraussetzung in jedem Verfahrensstadium, und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. Im Hinblick auf die Erfordernisse der Regel 76 (2) (c) EPÜ ist ein Einspruch insgesamt zulässig, sobald zur Stützung mindestens eines Einspruchsgrundes Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass der Standpunkt der Einsprechenden in der Einspruchsschrift so deutlich dargelegt wird, dass sowohl der Patentinhaber als auch die Einspruchsabteilung wissen, worum es bei dem Einspruch geht. Das schließt allerdings nicht aus, dass dem Patentinhaber ein gewisser Interpretationsaufwand abverlangt wird (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, IV.D.2.2.8 und die darin genannte Entscheidung T 199/92).
3.3 Im vorliegenden Fall werden in der Einspruchsschrift im Zusammenhang mit dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 (a) EPÜ mehrere Dokumente genannt, die jeweils alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags offenbaren sollen. Für jedes Dokument werden die Merkmale von Anspruch 1 mit Bezugszeichen aus dem jeweiligen Dokument bzw. mit Verweisen auf die Figuren kommentiert.
Beispielsweise wird in der Einspruchsschrift für das Dokument D4 auf die Figuren 1, 5, 9, 12 und 16 verwiesen. In jeder dieser Figuren erkennt man auf den ersten Blick einen Kolben mit einer Kolbenmulde und einem konvexen Teilbereich der Muldenoberfläche am Übergang in den Kolbenboden. Die Form der Kolbenmulde erinnert an den griechischen Buchstaben Omega (kleingeschrieben: omega), so dass D4 eine omegaförmige Kolbenmulde offenbart. Im Hinblick auf die beanspruchten Krümmungsradien verweist die Einspruchsschrift auf die Figur 1 der D4.
Die Kammer sieht keinen unangemessenen Interpretationsaufwand darin, in dieser Figur am Übergang der Kolbenmulde in den Kolbenboden die beiden Radien R2 und R3 zu erkennen und Werte für diese Radien in dem zu Figur 1 gehörenden Teil der Beschreibung zu finden (D4, Seiten 4 bis 7).
3.4 In der Einspruchsschrift werden zumindest zur Stützung des Einspruchsgrundes mangelnder Neuheit nach Artikel 100 (a) i.V.m. 54 (2) EPÜ Tatsachen und Beweismittel vorgebracht. Daher ist der Einspruch zulässig.
4. Neuheit
4.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach der Kolben nach Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber dem in Figur 1 der D4 gezeigten Kolben sei. Insbesondere hat sie argumentiert, dass D4 weder einen anspruchsgemäßen konvexen Teilbereich der Kolbenmulde noch die Merkmale des Kennzeichens von Anspruch 1 offenbare.
4.2 In D4 weist die Muldenoberfläche zwei ringförmige Oberflächen ("annular surfaces") R2, R3, sowie zwei sphärische Oberflächen ("spherical surfaces") RS1 und RS2, auf. Die beiden ringförmigen Oberflächen R2, R3 sind der Kolbenlängsachse "16" zugewandt und bewirken einen glatten tangentialen Übergang von der Oberfläche RS2 zum Kolbenboden "12". In Figur 1 ist deutlich erkennbar, dass die Oberflächen R2 und R3 konvex sind und die gleiche Krümmungsrichtung aufweisen (Figur 1; Seite 4, Zeile 31; Seite 6, Zeilen 13-15).
Die Kammer teilt daher den Befund der Entscheidung, wonach die beiden ringförmigen Oberflächen R2 und R3 einen anspruchsgemäßen konvexen Teilbereich der Muldenoberfläche bilden, der in die Kolbenmulde hineinragt und unter Beibehaltung der Krümmungsrichtung und unter Ausbildung eines Muldenrandes in den Kolbenboden übergeht.
4.3 Die Radien der Oberflächen R2 und R3 werden in D4 nicht im Verhältnis zum Kolbendurchmesser "D1" angegeben, sondern jeweils durch einen Bereich, der im Verhältnis zum größten Muldendurchmesser "D2" definiert ist. Für den größten Muldendurchmesser D2 wiederum nennt die D4 einen im Verhältnis zum Kolbendurchmesser definierten weiteren Bereich. Für jeden der drei Bereiche wird ein bevorzugter Wert genannt (Seite 5, Zeilen 31 und 32; Seite 6, Zeilen 7 bis 10).
4.3.1 Alle im Zusammenhang mit Figur 1 der D4 genannten Parameter wie Radien und Durchmesser definieren dieselbe Kolbenmulde (Seite 5, Zeile 28). Daher wird ein Fachmann die für jeden Parameter angegebenen bevorzugten Werte als Offenbarung einer einzigen Kolbenmulde ansehen, und die bevorzugten Werte miteinander verbinden.
Für die jeweils bevorzugten Werte 0.619, 0.11 und 0.14 der Verhältnisse D2/D1, R2/D2 und R3/D2 folgt daraus eine unmittelbar und eindeutig auf den Kolbendurchmesser D1 bezogene Offenbarung der Radien R2 und R3. Dabei ergeben sich die folgenden Verhältnisse:
R2=0.11*D2=0.11*(0.619*D1)=0.06809*D1 und R3=0.14*D2=0.14*(0.619*D1)=0.08666*D1.
In Bezug auf den anspruchsgemäßen Kolbendurchmesser d erfüllen beide Verhältnisse zwar die erste Bedingung "minimaler Krümmungsradius r2 mit r2>=0.02d", wo R3 r2 im Anspruch 1 entspricht, nicht aber die zweite Bedingung "Krümmungsradius r1 mit 0.13d<=r1<=0.43d", wo R2 r1 im Anspruch 1 entspricht
4.3.2 Nach der gängigen Rechtsprechung ist die Offenbarung eines Bereichs als eine explizite Offenbarung der Endpunkte anzusehen (RdBK, 8. Auflage 2016, I.C.6.3.2).
Die in D4 genannten Bereiche "0.45*D1<D2<0.85*D1", "0.0*D2<R2<0.35*D2" und "0.0*D2<R3<0.2*D2" schließen jedoch wegen der Angabe "greater than" und "less than" jeweils beide Endpunkte aus. Daher werden die Endpunkte dieser Bereiche in D4 nicht in dem Sinne offenbart, dass man zwei der Endpunkte miteinander multiplizieren könnte, um dadurch zu Radien R2 und R3 zu gelangen, die auf den Kolbendurchmesser D1 bezogen sind. Stattdessen müsste der Fachmann in einem ersten Schritt den größten Muldendurchmesser D2 aus dem Bereich "0.45*D1<D2<0.85*D1", und danach in einem zweiten Schritt die Radien R2 und R3 aus den Bereichen "0.0*D2<R2<0.35*D2" bzw. "0.0*D2<R3<0.2*D2" auswählen.
4.3.3 Im patentrechtlichen Sinne ist das Produkt der beiden ausgewählten Werte als eine neue Auswahl anzusehen, vergleichbar mit dem in der Beschwerdebegründung genannten "Zwei-Listen-Prinzip". Der Befund der Entscheidung, wonach das Dokument D4 einen (sich vermutlich aus der Multiplikation von 0.35 und 0.85 ergebenden) Wert für R2/D1 von 0.30 offenbaren würde, wird von der Kammer nicht geteilt.
4.4 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D4.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 In der angefochtenen Entscheidung wird die erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D21 und D4 verneint.
5.2 In diesem Zusammenhang schließt die Entscheidung aus ihrem Befund der mangelnden Neuheit gegenüber D4, dass der Gegenstand von Anspruch 1 auch naheliegend gegenüber D4 sein müsse. Da die Neuheit gegenüber D4 aus den in Absatz 4 genannten Gründen gegeben ist, wird auch dieser weitere Befund der Entscheidung von der Kammer nicht geteilt. In D21 fehlt ein konvexer in die Mulde hineinragende Teilbereich, und somit auch ein Krümmungsradius im beanspruchten Bereich, sowie auch ein Krümmungsradius r1 im beanspruchten Bereich (Figur 1, Absatz 0017 der D21, wo r1 R2 in D21 entspricht). Selbst wenn der Fachmann D21 mit D4 kombinieren würde, käme er wegen der fehlenden Offenbarung von Werten von r1 (R2) im beanspruchten Bereich, siehe Absatz 4 oben, durch diese Kombination nicht zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1.
6. Zu den übrigen für die Beschwerdeführerin positiven Befunden (Neuheit und erfinderische Tätigkeit in Bezug auf weitere Entgegenhaltungen, Ausführbarkeit) hat die Beschwerdegegnerin keine Stellung genommen. Die Kammer sieht auch keinen triftigen Grund, von diesen Befunden abzuweichen.
7. Im Gegensatz zum Befund der angegriffenen Entscheidung stellt die Kammer somit fest, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegensteht, Artikel 101(2) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Fassung aufrechterhalten.