T 0052/16 () of 19.6.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T005216.20190619
Datum der Entscheidung: 19 Juni 2019
Aktenzeichen: T 0052/16
Anmeldenummer: 08016194.6
IPC-Klasse: A47L 9/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Regalbediengerät-Greifer und Verfahren zum Betreiben des Regalbediengerät-Greifers
Name des Anmelders: Riedl, Markus Erich
Name des Einsprechenden: Becton Dickinson Dispensing France
Becton Dickinson Rowa Germany GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention R 103
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Neuheit - ausführbare Offenbarung
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Could-would approach
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 6. November 2015, das europäische Patent Nr. 2 163 507 in geändertem Umfang nach Artikel 101(3) a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.

II. Die Einsprüche gegen das Patent waren auf die Gründe Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56, Artikel 100 (b) und Artikel 100 (c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das nach dem Hilfsantrag 1 geänderte Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

III. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:

D10D: Video des Internetauftritts von MéKapharm,

23. November 2007

IV. Gegen diese Entscheidung hat der Patentinhaber als Beschwerdeführer am 4. Januar 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 7. März 2016 eingereicht.

V. Gegen diese Entscheidung hat auch die Einsprechende 2 als Beschwerdeführerin am 6. Januar 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 14. März 2016 eingereicht. Außerdem hat die Einsprechende 1 als Beschwerdeführerin am 18. Januar 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 16. März 2016 eingereicht.

VI. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 18. September 2018 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zu den Sachfragen mit. Die mündliche Verhandlung fand am 19. Juni 2019 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

VII. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber beantragt die Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung und Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), oder hilfsweise die Zurückweisung der Beschwerden der beiden Einsprechenden und die Bestätigung der Entscheidung der Einspruchsabteilung (Hilfsantrag 1), weiter hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in der Fassung eines der Hilfsanträge 2-7 wie vor der Einspruchsabteilung vorgelegt.

VIII. Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechende 1 und 2 beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 2 beantragt zudem die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

IX. Die unabhängigen Ansprüche der für diese Entscheidung relevanten Anträge haben folgenden Wortlaut:

Hauptantrag (Patent wie erteilt)

1. "Regalbediengerät für Lagergüter (A, B), welche auf Regalböden (18, 18') eines Regals (14, 14') einzulagern oder von den Regalböden (18, 18') des Regals (14, 14') auszulagern oder zu transportieren sind, mit einer Ablagefläche (28) für das Lagergut (A, B), mit zwei Führungen (20a, 20b), die Greifarme (22a, 22b) aufnehmen, welche im Wesentlichen quer zur Regalgassen-Richtung (X) in Lagergut-Verschieberichtung (Y) verschiebbar und aus den Führungen (20a, 20b) ausfahrbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest eine Führung (20a, 20b) um eine vertikale Regalachse (Z) drehbar ausgestaltet ist, sodass das Lagergut (A, B) durch ein Drehen der Führung (20a, 20b) mit den Greifarmen (22a, 22b) greifbar ist."

13. "Verfahren zum Betreiben des Regalbediengeräts (10) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Lagergut (A, B) durch eine Drehung wenigstens einer Führung (20a, 20b) festgeklemmt wird."

Hilfsantrag 1 (Patent wie aufrechterhalten)

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 11 den inhaltlich gegenüber dem Hauptantrag unveränderten unabhängigen Verfahrensanspruch bildet, und wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durchstreichung bzw. Unterstreichung hervorgehoben):

"...- [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei zumindest eine Führung (20a, 20b) um eine vertikale Regalachse (Z) drehbar ausgestaltet ist, sodass das Lagergut (A, B) durch ein Drehen der Führung (20a, 20b) mit den Greifarmen (22a, 22b) greifbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass ein einziger Klemmantrieb (44) vorgesehen ist, mit dem die Führungen (20a, 20b) mit den Greifarmen (22a, 22b) gegeneinander quer zur Lagergut-Transportrichtung (y) bewegbar sind."

X. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 13 gemäß Hauptantrag bzw. der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 sei neu und werde nicht nahegelegt. Die im Hilfsantrag 1 beanspruchte Erfindung werde so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

XI. Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden 1 und 2 haben zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber der Offenbarung der D10D. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 werde ausgehend von D10D durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt. Die im Hilfsantrag 1 beanspruchte Erfindung werde nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Die Vernehmung des Patentinhabers als Beteiligter vor der Einspruchsabteilung stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, so dass die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Das Streitpatent betrifft ein Regalbediengerät für Lagergüter, das zwei Führungen mit ausfahrbaren Greifarmen aufweist. Zumindest eine Führung ist um eine vertikale Regalachse drehbar ausgestaltet, sodass das Lagergut durch ein Drehen der Führung mit den Greifarmen greifbar ist. Dadurch wird ein Festklemmen und Fixieren sowohl während des Transports von Lagergütern als auch beim Verschieben der Lagergüter auf einfache Weise ermöglicht (Patentschrift, Absatz 6). Das Streitpatent betrifft außerdem ein Verfahren zum Betreiben eines solchen Regalbediengeräts.

3. Hauptantrag - Neuheit

Der Beschwerdeführer-Patentinhaber bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach das Regalbediengerät nach Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber dem Video D10D sei, weil dort das Merkmal "zumindest eine Führung um eine vertikale Regalachse drehbar ausgestaltet ist, sodass das Lagergut durch ein Drehen der Führung mit den Greifarmen greifbar ist" nicht offenbart werde.

3.1 Das Video D10D offenbart unbestritten ein Regalbediengerät für Lagergüter, welche auf Regalböden eines Regals einzulagern oder von den Regalböden des Regals auszulagern oder zu transportieren sind, mit einer Ablagefläche für das Lagergut und mit zwei Führungen, die Greifarme aufnehmen, welche im Wesentlichen quer zur Regalgassen-Richtung in Lagergut-Verschieberichtung verschiebbar und aus den Führungen ausfahrbar sind. Insbesondere zeigt das Video ab etwa dem Zeitpunkt 1.39 min folgende Bilderfolge: rechts der Schachtel wird ein schwarzer Greifarm an einer silbernen Führung gezeigt, die an je einer regalnahen und einer regalfernen schwarzen Karbonbrücke befestigt ist.

Bei der Analyse des Videos sind die Bewegungen der beiden Karbonbrücken des rechten Greifarms im Zeitraum von 1.39 min bis 1.44 min von besonderer Bedeutung. Sobald das Regalbediengerät die Position der Schachtel erreicht hat, steht es hinter dem Regal still. Bevor anschließend das Ausfahren des rechten Greifarms in eine Position seitlich neben der Schachtel beginnt, fahren seine beiden Karbonbrücken zum Zeitpunkt 1.39 min gemeinsam nach rechts (erste Bewegung (i)). Nachdem der Greifarm vollständig ausgefahren ist, steht die regalferne Karbonbrücke still, während nur die regalnahe Karbonbrücke zum Zeitpunkt 1.41 min nach links fährt (zweite Bewegung (ii)). Dadurch wird die Schachtel zwischen den beiden Greifarmen festgeklemmt, was an ihrer aufgewölbten Oberseite zu erkennen ist. Nachdem die Greifarme die festgeklemmte Schachtel vollständig vom Regalboden auf die Ablagefläche des Regalbediengerätes gezogen haben, und bevor das Regalbediengerät in eine neue Position verfährt, steht die regalferne Karbonbrücke zum Zeitpunkt 1.42 min erneut still, während die regalnahe Karbonbrücke nach rechts fährt (dritte Bewegung (iii)).

3.2 Im Hinblick auf das strittige Merkmal "zumindest eine Führung um eine vertikale Regalachse drehbar ausgestaltet ist, sodass das Lagergut durch ein Drehen der Führung mit den Greifarmen greifbar ist" argumentiert der Beschwerdeführer-Patentinhaber, dass zwischen der Führung des rechten Greifarms und seinen beiden Karbonbrücken eine Versteifung eingebaut gewesen sei, so dass die Karbonbrücken im Video nur parallel zusammenfahren, aber nicht mehr um eine vertikale Regalachse gedreht werden können. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bezweifelte der Patentinhaber, dass eine Bewegung der regalnahen Karbonbrücke stattgefunden habe, da die im Video scheinbar gezeigte Bewegung alleine durch eine Bewegung der Kamera erzeugt worden sei. Das werde durch eine fehlende Abwinkelung zwischen dem ausgefahrenen Greifarm und dem weißen Streifen auf dem Regalboden bestätigt. In seiner Beschwerdebegründung vertrat der Patentinhaber dagegen die Ansicht, dass im Video eine Bewegung der regalnahen Karbonbrücke und ein Stillstand der regalfernen Karbonbrücke zu erkennen sei. Das betreffe aber lediglich einen Fehler, hervorgerufen durch ein Hängenbleiben infolge eines Slipstickeffekts. Dessen ungeachtet sei D10D als eine nicht nacharbeitbare Offenbarung anzusehen, und gehöre folglich nicht zum Stand der Technik, da das Video nicht offenbare, wie die Ansteuerung der Führung und ihrer Karbonbrücken erfolge.

3.3 Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt:

3.3.1 Falls zwischen der Führung des rechten Greifarms und den beiden Karbonbrücken eine Versteifung eingebaut ist und die Karbonbrücken nur parallel, also ohne Drehung um eine vertikale Regalachse, verfahren werden könnten, wäre keine Relativbewegung zwischen den beiden Karbon-brücken und der Führung des rechten Greifarms möglich.

Für den behaupteten Einbau einer Versteifung hat der Beschwerdeführer-Patentinhaber keinen Beleg erbracht. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist jeder Verfahrensbeteiligte für die von ihm behaupteten Tatsachen beweispflichtig (RdBK, 8. Auflage 2016, III.G.5.1.1). Da die unbelegte Behauptung der Beschwerdeführerin-Einsprechenden sich auch nicht im Wege der Amtsermittlung belegen lässt, kann sich die Kammer ihr nicht anschließen.

Folglich besteht keine Veranlassung dazu, eine Relativbewegung zwischen der Führung und den Karbonbrücken des rechten Greifarms im Video D10D auszuschließen.

3.3.2 Die Kammer muss daher untersuchen, ob das Video zwingend auf eine Relativbewegung zwischen der Führung und den beiden Karbonbrücken schließen lässt, oder ob - wie behauptet - lediglich eine optische Täuschung aufgrund einer eventuellen Bewegung der Kamera während der Aufnahme oder wegen der Kameraposition vorliegt.

Eine Bewegung der Kamera scheidet aus, da sie im Zeitraum von 1.41 min bis 1.42 min, der für die Bewegungen (ii) und (iii) relevant ist, annähernd stillsteht. Auch die Kameraposition kann sich wegen der unterschiedlichen Bewegungsrichtungen der regalnahen Karbonbrücke nach links bzw. nach rechts nicht so auswirken, dass bei beiden Bewegungen der Eindruck einer stillstehenden regalfernen Karbonbrücke entsteht. Daher sieht die Kammer den Stillstand der hinteren Karbonbrücke während der Bewegungen (ii) und (iii) nicht als eine optische Täuschung an.

An diesem Befund ändert auch die vermeintlich fehlende Abwinkelung zwischen dem ausgefahrenen Greifarm und dem weißen Streifen auf dem Regalboden während der Bewegung (ii) nichts. Der für den Winkel zwischen Streifen und Greifarm relevante Bereich des Regalbodens ist im Video kaum zu erkennen, da er wegen des Schattenwurfs der Schachtel nach rechts nur mit geringem Kontrast zum schwarzen Greifarm abgebildet wird und somit keine eindeutigen Rückschlüsse zulässt. Zudem würde eine sichtbare Abwinkelung des Greifarms nach links bedingen, dass er sich während der nach links gerichteten Bewegung (ii) nicht verformt. Gerade das ist aus Sicht der Kammer aber der Fall, da diese Bewegung dazu dient, die Schachtel zwischen den beiden Greifarmen einzuklemmen. Die Schachtel übt beim Klemmen einen Widerstand auf jeden der Greifarme aus, wodurch der rechte Greifarm nach rechts verbogen wird, sobald sein ausgefahrenes Ende während der Bewegung (ii) die Schachtel berührt. Da die Verbiegung des Greifarms nach rechts einer möglichen Abwinkelung nach links entgegengerichtet ist und diese eventuell kompensiert, erlaubt eine im Video nicht erkennbare Abwinkelung nicht den Schluss, dass der Greifarm während der Bewegung (ii) parallel zur Seitenkante der Schachtel bewegt wird.

Damit ergibt sich als Zwischenfazit, dass während der Bewegungen (ii) und (iii) infolge der ausschließlichen Bewegung der regalnahen Karbonbrücke bei gleichzeitigem Stillstand der regalfernen Karbonbrücke eine Relativbewegung zwischen der Führung und den beiden Karbonbrücken auftritt.

3.3.3 Ein Slipstickeffekt als zufällige Fehlfunktion des Regalbediengeräts ist keine Erklärung für diese Relativbewegung, da die Kammer nicht davon überzeugt ist, dass sich ein solcher Zufallseffekt bei den beiden unmittelbar nacheinander ablaufenden Bewegungen (ii) und (iii), und außerdem nur an der regalfernen Karbonbrücke, nicht aber an der regalnahen Karbonbrücke, wiederholen würde. Bei einem Slipstickeffekt, der die regalferne Karbonbrücke daran hindern würde, sich sofort mit der regalnahen Brücke mitzubewegen, würde man zudem eine verzögerte Bewegung erwarten. Eine solche verzögerte Bewegung wird aber nicht wahrgenommen, die regalferne Brücke bleibt in ihrer nach der Bewegung (i) eingenommenen Stellung, bis in Bewegungsabfolge (iii) die regalnahe Brücke sich wieder nach rechts bewegt und die beiden Brücken sich wieder in der Position nach Bewegung (ii) befinden. Dagegen scheinen sich in der Bewegungsabfolge (i) beide Karbonbrücken mühelos und zu gleicher Zeit miteinander mitzubewegen. Daher sieht die Kammer die im Video offenbarte Bewegungsabfolge der Karbonbrücken, die zuerst gemeinsam nach rechts bewegen, wonach die Arme ausfahren, die regalnahe Brücke nach links fährt und beide Armen unter Beförderung des eingeklemmten Objekts wieder einfahren, und sich anschließend die regalnahe Brücke wieder nach rechts bewegt, als eine gewollte Bewegung und folglich als das Ergebnis einer gezielten Ansteuerung der beiden Antriebe der Karbonbrücken. Es handelt sich somit um eine Eigenschaft des in D10D offenbarten Regalbediengeräts.

3.3.4 Die Kammer muss darum nun untersuchen, ob die im Video gezeigte Relativbewegung dazu führt, dass die Führung des rechten Greifarms um eine vertikale Regalachse gedreht wird.

Von den Parteien wurde nicht behauptet, und es entspricht auch keiner technisch sinnvollen Interpretation der im Video gezeigten Bauteile, dass die Führung des Greifarms z.B. durch die Karbonbrücken verbogen werden kann. Daher ist die im Video gezeigte Führung des rechten Greifarms als biegesteif anzusehen. Wenn sich nun, wie im Video von 1.41 min bis 1.42 min gezeigt, die mit der Führung verbundene regalnahe Karbonbrücke während der Bewegung (ii) nach links bewegt und gleichzeitig die ebenfalls mit der Führung verbundene regalferne Karbonbrücke stillsteht, führt das wegen der biegesteifen Ausgestaltung der Führung implizit zu einer Drehung dieser Führung. Da die regalnahe Karbonbrücke während der Bewegungen (ii) und (iii) ausschließlich horizontal bewegt wird, verläuft die Drehachse dieser Bewegung in vertikaler Richtung, und darum parallel zu einer vertikalen Regalachse. Folglich ist die Führung des rechten Greifarms in D10D um eine vertikale Regalachse drehbar ausgestaltet.

3.3.5 Die behauptete fehlende Nacharbeitbarkeit der D10D überzeugt die Kammer nicht. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein in einem Dokument beschriebener Gegenstand nur dann als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und damit als Bestandteil des Stands der Technik angesehen werden, wenn die darin dem Fachmann vermittelte Information so vollständig ist, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Dokuments die technische Lehre, die Gegenstand des Dokuments ist, unter Zuhilfenahme des von ihm zu erwartenden allgemeinen Fachwissens ausführen kann (RdBK, 8. Auflage 2016, I.C.4.11). Diese Sichtweise gilt nach Ansicht der Kammer analog auch für aus z.B. einen Video ableitbare Informationen. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber hat nicht belegt, dass es das Können des Fachmanns übersteigt, die Führung bzw. die Karbonbrücken des rechten Greifarms so anzusteuern, dass während der Bewegungen (ii) und (iii) nur die regalnahe Karbonbrücke bewegt wird. Das ist aus Sicht der Kammer auch nicht der Fall, da die allgemein formulierten Angaben zur Ausgestaltung der Antriebe in den Absätzen 15 und 34 der Patentschrift ebenfalls einen kenntnisreichen Fachmann erfordern, um die Erfindung ausführen zu können.

3.4 Aus diesen Gründen offenbart D10D anhand der Führung des rechten Greifarms, dass zumindest eine Führung um eine vertikale Regalachse drehbar ausgestaltet ist, sodass das Lagergut durch ein Drehen der Klemmführung mit den Greifarmen greifbar ist. Daher ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber D10D, Artikel 100 (a) EPÜ.

4. Hilfsantrag 1 - erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Neuheit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist unbestritten. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der D10D darin, dass ein einziger Klemmantrieb vorgesehen ist, mit dem die Führungen mit den Greifarmen gegeneinander quer zur Lagergut-Transportrichtung bewegbar sind.

4.2 Laut dem Streitpatent liegt diesem Merkmal die technische Wirkung zugrunde, dass Lagergüter festgeklemmt werden können (Absatz 14). Im Dokument D10D werden bereits Lagergüter in Form von Schachteln zwischen den Greifarmen des Regalbediengeräts festgeklemmt (Zeitpunkt 1.41 min: die aufgewölbte Oberseite der Schachtel ist eine Folge des Festklemmens). Deswegen kann nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz die objektive technische Aufgabe darin gesehen werden, eine alternative Ausgestaltung des Antriebs der Führungen anzugeben.

4.3 Selbst wenn man die objektive technische Aufgabe in Übereinstimmung mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2 darin sieht, die Ansteuerung der Antriebe zu vereinfachen, wird die Lösung durch eine Kombination von D10D und dem allgemeinen Fachwissen nicht nahegelegt:

Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden argumentieren im wesentlichen, dass das Vorsehen eines einzigen Klemmantriebs (und eines Drehantriebs) eine fachübliche Alternative zu den in D10D in Form der beiden Karbonbrücken offenbarten zwei Klemmantrieben darstelle.

Die Kammer sieht das anders. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, danach zu fragen, ob der Fachmann in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung angesichts anderer Lehren des Stands der Technik so abgewandelt hätte, dass er zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre (RdBK, 8. Auflage 2016, I.D.5 "Could-would approach"). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin-Einsprechende 2 in ihrer Beschwerdebegründung überzeugend vorgetragen, dass in D10D zwei Klemmantriebe vorgesehen sind, die an beabstandeten Orten an den Führungen der Greifarme angreifen. In Anwendung des "Could-would"-Ansatzes ist daher nicht danach zu fragen, ob der Fachmann die Änderung in D10D, also den Ersatz der beiden Klemmantriebe durch einen einzigen Klemmantrieb (und einen Drehantrieb) hätte vornehmen können, sondern ob er diese Änderung vorgenommen hätte.

Die Kammer ist davon nicht überzeugt. Da die regalnahe und die regalferne Karbonbrücke bei dem aus D10D bekannten Regalbediengerät an beabstandeten Orten an der Führung des rechten Greifarms angreifen, ist jeder der beiden Karbonbrücken ein eigener Klemmantrieb zugeordnet. Diese Zuordnung der Klemmantriebe zu den Karbonbrücken ermöglicht die im Video gezeigten Bewegungen der rechten Führung, nämlich dass die hintere Karbonbrücke des rechten Greifarms bei der ersten Bewegung (i) gemeinsam mit der vorderen Karbonbrücke nach rechts fährt, während sie bei den zweiten bzw. dritten Bewegungen (ii) und (iii) stillsteht und nur die vordere Karbonbrücke nach links bzw. rechts fährt (siehe Punkt 3.1 der Entscheidung). Das in D10D offenbarte Konzept der Klemmung und Drehung einer Führung mittels zweier Karbonbrücken ist folglich untrennbar mit eigenen Klemmantrieben für die Karbonbrücken verbunden, um sowohl ein synchrones Fahren der Karbonbrücken während der ersten Bewegung (i) als auch ein asynchrones Fahren der Karbonbrücken während der Bewegungen (ii) und (iii) zu ermöglichen. Selbst wenn dem Fachmann die Verwendung eines einzigen Klemmantriebs (in Kombination mit einem Drehantrieb) sowohl zum synchronen als auch asynchronen Bewegen einer Führung durch sein Fachwissen bekannt wäre - was nicht belegt wurde und daher von der Kammer nicht angenommen wird - stehen die beiden Karbonbrücken mit ihren eigenen Klemmantrieben einer solchen Änderung entgegen.

Unabhängig davon, ob nun die objektive technische Aufgabe in einer alternativen Ausgestaltung des Antriebs der Führungen oder in einer vereinfachten Ansteuerung der Antriebe gesehen wird, könnte der Fachmann ausgehend von D10D die Änderung, also den Ersatz der beiden Klemmantriebe durch einen einzigen Klemmantrieb (und einen Drehantrieb) vielleicht vornehmen, würde sie aber nicht vornehmen. Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 auf erfinderischer Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

4.4 Diese Argumentation gilt für den Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruchs 11 wegen des Rückbezugs "Regalbediengeräts (10) nach einem der vorhergehenden Ansprüche" mutatis mutandis.

5. Hilfsantrag 1 - Ausreichende Offenbarung

Zur Frage der ausreichenden Offenbarung verweist der Vertreter der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden 1 und 2 auf sein schriftliches Vorbringen. In der Mitteilung als Anlage zur Ladung, Abschnitt 6, hat die Kammer zur Ausführbarkeit die folgende vorläufige Meinung geäußert:

5.1 Die Einsprechende 1 bemängelt, dass im Falle eines einzigen Klemmantriebs und eines zusätzlichen Drehantriebs ein Fachmann nicht in der Lage sei, die Drehbewegung zu realisieren (Beschwerdebegründung, Seiten 4 bis 6). Die Kammer ist der vorläufigen Auffassung, dass die Auswahl und Anordnung eines Drehantriebs zum fachüblichen Wissen eines Maschinenbau-Ingenieurs gehört und in Standardwerken wie z.B. "Dubbel - Taschenbuch für den Maschinenbau" dokumentiert ist.

5.2 Die Einsprechende 2 ist der Ansicht, dass ein Drehen und Gegeneinander-Bewegen mit einem einzigen Antrieb die Kenntnisse des Fachmannes übersteige (Beschwerdebegründung, Seite 4: "réaliser la fonction de ... rotation et de déplacement").

Das Argument überzeugt nicht, da Anspruch 1 nicht auf einen einzigen Antrieb für beide Funktionen gerichtet ist. Stattdessen verlangt Anspruch 1 lediglich einen einzigen Antrieb zum Gegeneinander-Bewegen der Führungen, was die Ausgestaltung des Antriebs für die Drehbewegung nicht festlegt. Es scheint im Rahmen der Kenntnisse des Fachmannes zu liegen, eine erste Führung mit einem Drehantrieb z.B. gegenüber einer Trägerplatte drehbar auszugestalten, und diese Trägerplatte mit einem einzigen Klemmantrieb gegenüber einer zweiten Führung quer zur Lagergut-Transportrichtung zu bewegen.

Da die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden 1 und 2 zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen haben, bestätigte die Kammer ihre Auffassung, wonach die Patentschrift die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 definierte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 83 EPÜ.

6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Im Hinblick auf die Vernehmung des Patentinhabers während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erhebt die Beschwerdeführerin- Einsprechende 2 den Einwand, dass das zugehörige Beweisangebot unzulässig gewesen sei. Es seien keine Sachverhalte benannt worden, zu denen sich der Patentinhaber äußern sollte. Außerdem sei das Beweisangebot verspätet gewesen. Da es sich um einen wesentlichen Verfahrensmangel handele, beantragt die Einsprechende 2 die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Regel 103 (1) a) EPÜ verlangt als eine Voraussetzung für die Rückzahlung, dass der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben wird. Das ist vorliegend nicht der Fall, da die Beschwerde der Einsprechenden 2 zurückgewiesen wird. Daher war der Antrag auf Rückzahlung bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen.

7. Die Kammer schließt aus den obengenannten Gründen, dass der Hauptantrag nicht gewährbar ist, da Anspruch 1 gegenüber D10D nicht neu ist, Artikel 54 EPÜ. Da die gegen den Hilfsantrag 1, Patent in der aufrechterhaltenen Fassung, erhobenen Einwände ohne Erfolg bleiben, bestätigt die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent in geändertem Umfang gemäß dem Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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