T 0039/16 () of 5.8.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T003916.20190805
Datum der Entscheidung: 05 August 2019
Aktenzeichen: T 0039/16
Anmeldenummer: 07000667.1
IPC-Klasse: B29C 45/16
B29C 33/72
B29C 45/00
B29C 45/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung eines Formteils aus mindestens zwei unterschiedlichen Kunststoffen
Name des Anmelders: Adcuram Maschinenbauholding GmbH
Name des Einsprechenden: KraussMaffei Technologies GmbH
Covestro Deutschland AG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 2 richtet sich gegen die am 13. Oktober 2015 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 810 811 zurückzuweisen.

II. Der Einspruch ist gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ substantiiert worden.

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. 1 810 811 zu widerrufen.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. Die Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 1) hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

VI. Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:

D5: "K-Nachricht vom 5. Oktober 2004 - Hier dreht sich alles: Doppelwürfel-Etagenwendetechnik", kunststoffForum (in der angefochtenen Entscheidung bezeichnet als E7);

D7: EP 1 155 802 B1 (in der angefochtenen Entscheidung bezeichnet als E5).

VII. Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines Formteiles aus mindestens zwei unterschiedlichen Kunststoffen, das die Schritte umfasst:

a1) Plastifizieren eines ersten Kunststoffmaterials in einer Plastifizier- und Einspritzschnecke (1);

a2) Einspritzen der gemäß Schritt a1) plastifizierten Kunststoffmasse in eine erste Kavität eines ersten Kunststoffwerkzeuges zur Herstellung eines Vorformteils (4), wobei das erste Kunststoffwerkzeug eine erste (2) und eine zweite (3) Werkzeughälfte aufweist;

a3) Öffnen des ersten Kunststoffwerkzeuges, wobei das erzeugte Vorformteil (4) auf einer der Werkzeughälften (3) verbleibt;

b) Bewegen der das Vorformteil (4) tragenden Werkzeughälfte (3) in eine Position, die eine zusammenwirkende Verbindung mit einer Werkzeughälfte (10) eines zweiten Kunststoffwerkzeugs ermöglicht;

c) Aufbringen eines weiteren Kunststoffs (5) auf das Vorformteil (4),

wobei die Werkzeughälfte (10) des zweiten Kunststoffwerkzeugs Bestandteil einer Werkzeug-Vorrichtung (6) mit einer Mehrzahl von Werkzeughälften (7, 8, 9, 10) ist, wobei die Werkzeug-Vorrichtung (6) so gedreht und/oder verschoben wird, dass eine Werkzeughälfte (10) des zweiten Kunststoffwerkzeugs unter Bildung einer zweiten Kavität zum Zusammenwirken mit einer Werkzeughälfte (3) des ersten Kunststoffwerkzeugs gebracht werden kann, so dass der weitere Kunststoff gemäß Schritt c) auf das Vorformteil (4) aufgebracht werden kann,

dadurch gekennzeichnet, dass der nach Schritt c) aufgebrachte weitere Kunststoff Polyurethan ist oder aufweist, wobei über einen in der Werkzeug-Vorrichtung (6) integrierten Mischkopf das Polyurethan in die zweite Kavität eingebracht wird."

VIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Entgegen der ständigen Recht­sprechung enthalte das Streitpatent kein Ausführungsbeispiel, welches die Integration des Mischkopfes in eine Werkzeug-Vorrichtung offenbare, die eine Mehrzahl von Werkzeughälften umfasse. Auch sonst fänden sich bis auf die Textstelle in den Ansätzen [0036] und [0037] im Streitpatent keine weiteren Details zu diesem Merkmal. Der Fachmann bleibe im Unklaren darüber, wie er dieses Merkmal zu verwirklichen habe. Vielmehr müsse er selbst erfinderisch tätig werden, um eine patentgemäße Werkzeug-Vorrichtung mit einem integrierten Polyurethan-Mischkopf realisieren zu können. Betrachte man nämlich das Ausführungsbeispiel in der Figur 1 der Streitpatentschrift mit der rotierenden würfelförmigen Werkzeug-Vorrichtung 6 und den daran befestigten Werkzeughälften 7, 8, 9, und 10, so stelle sich die Frage, wie es gelingen solle, dass über einen in diese Werkzeug-Vorrichtung integrierten Polyurethan-Mischkopf das Polyurethan genau in diejenige Kavität gebracht werde, die von einer der Werkzeughälften 3, 4 des ersten Kunststoff­werkzeugs mit einer der Werkzeug­hälften 7, 8, 9, 10 der Werkzeug-Vorrichtung 6 gebildet werde. Diese Frage sei insofern berechtigt, als die Ausgangs­materialien des Polyurethangemisches, d.h. die Polyol-Komponente einerseits und die Isocyanat-Komponente andererseits, in separaten Vorratsbehältern bereitgehalten und getrennt voneinander zu dem Polyurethan-Mischkopf gepumpt würden. Die üblichen Drehdurch­führungen für Spritzgießmaschinen mit einer Werkzeug-Vorrichtung mit mehreren drehbaren Werkzeughälften seien lediglich dafür ausgelegt, den Formträger bzw. die Werkzeughälften mit Medien, wie Gasen, Flüssigkeiten oder elektrischem Strom, zu versorgen (vgl. D5 [sic], (gemeint dürfte wohl das Dokument D7 sein, Anm.), Abschnitt [0028], Figuren 3 und 4, Ansprüche 5, 6, 7, 10, 11, 12). Das Kunststoff­material für das Formteil werde nicht durch eine solche Drehdurchführung zugeführt, sondern über Angusskanäle in eine Kavität eingeleitet. Wie die Durchführung sowohl einer Polyol-Komponente und einer davon getrennten Isocyanat-Komponente durch eine Drehdurchführung und weiter zu einem Polyurethan-Mischkopf bewerkstelligt werden könne, sei nicht ersichtlich. Die Streitpatentschrift enthalte auch keine diesbezüglichen Angaben. Da außerdem offensichtlich jede der Werkzeughälften 7, 8, 9 und 10 einmal als Werkzeughälfte für das Polyurethan zum Einsatz kommen solle, müsse zudem sichergestellt sein, dass der in die Werkzeug-Vorrichtung 6 integrierte Polyurethan-Mischkopf jeweils nur mit derjenigen Werkzeughälfte der Werkzeug-Vorrichtung 6 in fluidischer Verbindung stehe, die gerade an dem Formgebungsprozess beteiligt sei. Nach dem Austreten des Polyurethanmaterials aus dem Mischkopf erfolge eine chemische Reaktion (nämlich unter Bildung des Polyurethans). Der Polyurethan-Mischkopf könne offensichtlich nicht an einer zentralen Stelle der Werkzeug-Vorrichtung angeordnet und mit einer Art von absperrbaren Zweigleitungen mit den vier Werkzeug­hälften 7, 8, 9 und 10 verbunden werden, da sich diese während der Benutzung oder zumindest bei kurzer Unterbrechung mit ausreagiertem Polyurethan zusetzten. Vielmehr müsse die Düsenöffnung des Polyurethan-Mischkopfes stets unmittelbar an die gerade zu füllende Kavität grenzen. Die Streitpatentschrift enthalte jedoch keine Angaben darüber, wie mit dem hier genannten Problem umzugehen sei, d.h. wie mit dem einen Polyurethan-Mischkopf immer nur die gerade für den Formgebungsprozess gebildete Kavität in Kontakt stehen solle. Aus dem Vorstehenden werde klar, dass der Fachmann nicht in der Lage sei, anhand der Angaben in der Streitpatentschrift und unter Zuhilfenahme seines Fachwissens eine funktionierende patentgemäße Werkzeug-Vorrichtung mit einem integrierten Polyurethan-Mischkopf auszuführen, ohne selbst erfinderisch tätig zu werden. Daher sei der Gegenstand des Patentanspruchs gemäß dem Streitpatent nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Hinzu komme, dass es sich bei dem in die Werkzeug-Vorrichtung integrierten Mischkopf um ein Merkmal des kennzeichnenden Teils des Patent­anspruchs 1 handle. Hieraus ergebe sich, dass das Merkmal nicht als aus dem Gattungsbegriff der Patentansprüche oder dem Allgemeinwissen bekannt angesehen werden könne, da dann der Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen würde. Ein allgemein bekanntes Merkmal könne nämlich nicht zu einer ausreichenden Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik führen.

Aus alldem folge, dass das Streitpatent die in Anspruch 1 definierte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

IX. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren war im Wesentlichen wie folgt:

Mit der patentgemäß vorgeschlagenen Verfahrensweise bzw. der Vorrichtung werde es möglich, Verbundbauteile herzustellen, bei denen sowohl das Spritzgießen als auch das Polyurethan-Verfahren im Verbund genutzt werden. Hierbei solle die Wirtschaftlichkeit des Prozesses verbessert werden (vgl. Absatz [0026] der Patentschrift). Das beanspruchte Verfahren sowie die entsprechende Vorrichtung führten also teils vorbekannte Verfahrensschritte bzw. Vorrichtungs­elemente in einer neuen Weise zusammen, die im Stand der Technik bislang nirgends zu finden sei, weshalb die Neuheit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche des Streitpatents zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt worden sei. Die Polyurethan-Technologie, die einer dieser Aspekte in den Ansprüchen sei, sei im Stand der Technik am Prioritätstag des Streitpatents (24. Januar 2006) hinlänglich bekannt gewesen; es handele sich um eine Jahrzehnte alte Technologie, die im Laufe der Zeit perfektioniert worden sei und sowohl verfahrens­technisch als auch vorrichtungstechnisch ausgereift sei. Es könne insofern kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei dem exemplarisch im Streitpatent erwähnten "Mischkopf oder Mischköpfe andocken und Polyurethan einbringen" um eine Maßnahme handle, die den hier relevanten Fachmann nicht vor die geringsten Probleme stelle. Mischköpfe zur Herstellung des Polyurethans seien zum Prioritätszeitpunkt gang und gäbe gewesen und würden in mannigfaltiger Weise eingesetzt, um die beiden chemischen Bestandteile des Polyurethans bereitzustellen. Auch nach dem Streit­patent müsse vom Polyurethan-Mischkopf aus das Gemisch in die gebildete zweite Kavität über den entsprechenden Fließweg im Werkzeug eingespritzt werden. Zudem werde auf eine große Vielfalt von vorhandenen Drehdurch­führungen verwiesen, aus denen der Fachmann lediglich eine geeignete Gestaltung auswählen müsse, um die noch flüssige Polyurethan-Mischung an den gewünschten Ort, d. h. in die Kavität, zu leiten. Somit sei der Fachmann anhand der im Streitpatent angegebenen Informationen problemlos in der Lage, die Erfindung nachzuarbeiten.

X. In der Mitteilung vom 11. Juli 2019 wurde den Beteiligten die vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass das Streitpatent die beanspruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Entscheidungsgründe

1. Ausreichende Offenbarung der Erfindung

1.1 Der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung betrifft das kennzeichnende Merkmal von Anspruch 1, dass der Mischkopf, über den das Polyurethan bzw. der das Polyurethan aufweisende Kunststoff in die zweite Kavität eingebracht wird, in die Werkzeug-Vorrichtung integriert ist. Dabei wird nicht bestritten, dass Polyurethan-Mischköpfe, wie jene, die beispielsweise an das Formwerkzeug angedockt werden können, dem Fachmann grundsätzlich bekannt sind. Es ist zwischen den Parteien jedoch streitig, ob der Fachmann ohne erfinderisches Zutun in der Lage ist, den Polyurethan-Mischkopf in die Werkzeug-Vorrichtung zu integrieren, wie anspruchsgemäß gefordert.

1.2 Das Streitpatent selbst enthält hinsichtlich einer möglichen Ausgestaltung einer derartigen Integration keine weiteren Informationen (vgl. Absatz [0065]: "[...] Über einen in die Werkzeug-Vorrichtung 6 integrierten Mischkopf (nicht dargestellt) wird das Polyurethan eingebracht, wodurch das fertige Formteil 11 entsteht. Dies geschieht bei einem Werkzeuginnen-Druck von ca. 30 bar."). Die darüber hinausgehenden Ausführungen der Beschwerde­gegnerin im Beschwerde­verfahren betreffen die Zuführung einer offenbar bereits gemischten, aber noch flüssigen Polyurethan-Mischung über eine bekannte Drehdurchführung in die Werkzeugvorrichtung und innerhalb dieser über entsprechende Fließwege weiter in die zu füllende Kavität. Wie der Fachmann auf Grundlage welchen Fachwissens aber einen anspruchsgemäß in die Werkzeug-Vorrichtung integrierten Mischkopf konkret verwirklichen und dabei die von der Beschwerdeführerin beschriebenen Schwierigkeiten, beispielsweise hinsichtlich der Komponentenzuführung in den Mischkopf, des Einbringens des gemischten Polyurethans in die jeweils zu befüllende Kavität und des Verhinderns des Zusetzens der Fließwege, in der Praxis überwinden würde, ohne dafür erfinderisch tätig zu werden, geht weder aus dem Streitpatent noch aus dem Vortrag der Beschwerdegegnerin hervor.

1.3 Darüber hinaus ist in dieser Hinsicht festzustellen, dass sich die Begründung der Einspruchs­abteilung in der angefochtenen Entscheidung, warum sie die Integration des Mischkopfes in die Werkzeug-Vorrichtung als ausführbar ansieht, in einer knappen, nicht weiter substantiierten Behauptung erschöpft (vgl. Seite 6, zweiter Absatz der angefochtenen Entscheidung: "Das integrieren [sic] eines Mischkopfes in einer Werkzeughälfte ist dem [sic] Fachmann naheliegend.").

1.4 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen gelangt die Kammer zu der Auffassung, dass das Streitpatent die bean­spruchte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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