T 2363/15 () of 17.7.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T236315.20180717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2018
Aktenzeichen: T 2363/15
Anmeldenummer: 04741163.2
IPC-Klasse: B21D 35/00
C21D 1/673
C21D 9/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES PRESSGEHÄRTETEN BAUTEILS
Name des Anmelders: Thermission AG
Name des Einsprechenden: BMW AG
Voestalpine Stahl GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. In der am 5. November 2015 zur Post gegebenen Zwischen­entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass das europäische Patent Nr. 1 646 459 in der Fassung gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 2, das heißt unter Berücksichtigung der von der Patent­inhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen, sowie die Erfindung, die das Patent zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

II. Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Patent­inhaberin als auch die Einsprechenden 1 und 2 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 16. Februar 2017 wurden anonym Einwendungen Dritter eingereicht.

IV. Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 nahm die Einsprechende 1 ihre Beschwerde zurück und kündigte an, dass sie an die für den 17. Juli 2018 angesetzte Verhandlung nicht teilnehmen werde.

V. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Zwischenentscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des Hauptantrags (eingereicht als Hilfsantrag X mit Schriftsatz vom 14. Juli 2016) aufrecht­zuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin und die Beschwerdeführerin II (die Einsprechenden 1 und 2) beantragten, die angefochtene Zwischenentscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

VI. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von pressgehärteten Bauteilen, insbesondere eines Karosseriebauteils, aus einem Halbzeug (2) aus ungehärtetem, warm umformbaren Stahlblech, wobei folgende Verfahrensschritte ausgeführt werden:

- aus dem mit einer ersten Schicht (33) vorbeschichteten Halbzeug (2) wird durch ein Kaltumformverfahren, insbesondere ein Ziehverfahren, ein Bauteil-Rohling (10) geformt;

- der Bauteil-Rohling (10) wird randseitig auf eine dem herzustellenden Bauteil (1) näherungsweise entsprechende Randkontur (12') beschnitten;

- der beschnittene Bauteil-Rohling (17) wird erwärmt und in einem Warmumform-Werkzeug (23) pressgehärtet;

- der pressgehärtete Bauteil-Rohling (18) wird in einem Beschichtungsschritt mit einer zweiten, vor Korrosion schützenden Schicht (34) überzogen, wobei die zweite Schicht (34) mit einem thermischen Diffusions-Verfahren auf den pressgehärteten Bauteil-Rohling (18, 18') aufgebracht wird, und wobei die zweite Schicht (34) sowohl auf der Vorbeschichtung (33) als auch auf unbeschichteten Bereichen des Bauteil-Rohlings (18, 18') abgeschieden wird."

VII. Folgende Entegegenhaltungen haben für diese Entscheidung eine Rolle gespielt:

D5: WO -A- 2004/033126;

D6: US -B- 6,564,604;

D10: P. Schimpke et al. "Technologie der Maschinenbaustoffe" (1968), Seiten 152-155;

D11: EP -B- 1 536 898.

VIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin II (der Einsprechenden 1 und 2) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Neuheit

D5 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Insbesondere sei das auf Seite 6 beschriebene Beschichtungsverfahren ein thermisches Diffusions­verfahren, weil während des Verzinkens die Restwärme genutzt werde. Somit sei D5 neuheits­schädlich.

Erfinderische Tätigkeit

D6 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Ausführungsform der Figur 2 lediglich dadurch, dass das Härten in einem Warmumformwerkzeug durchgeführt werde. Insbesondere sei auch ein Aufbringen der zweiten Schicht zum Korrosionsschutz mit einem thermischen Diffusionsverfahren aus D6 bekannt. Der Begriff "Diffusionsverfahren" sei nämlich nicht weiter definiert und somit derart breit zu interpretieren, dass auch die Phosphatierung der D6 darunter zu verstehen sei.

Auf jeden Fall könne dadurch keine erfinderische Tätigkeit begründet werden, da Diffusionsverfahren zum Aufbringen einer Schicht zum Schutz gegen Korrosion dem Fachmann bekannt seien, z.B. aus D10.

Das Durchführen des Härtens in einem Warmumformwerkzeug könne ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit begründen. Ein derartiges Härten sei aus der Ausführungsform der Figur 1 der D6 bekannt. Es sei daher naheliegend auch das Härten von Verfahren der Figur 2 in einem Warmumformwerkzeug durchzuführen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Neuheit

D5 sei nicht neuheitsschädlich, weil sie kein thermisches Diffusionsverfahren offenbare.

Erfinderische Tätigkeit

Das beanspruchte Verfahren unterscheide sich von dem Verfahren der Figur 2 der nächstliegenden Stand der Technik D6 in mehreren Hinsichten. Es sei nicht naheliegend, das Verfahren nach Figur 2 gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 zu modifizieren. Insbesondere habe der Fachmann keinen Anlass, das Härten der Figur 2 in einem Warmumformwerkzeug durchzuführen und die zweite Schicht mit einem Diffusionsverfahren aufzubringen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit

D5 ist Stand der Technik unter Artikel 54(3) EPÜ und somit nur für die Prüfung der Neuheit relevant. D5 beschreibt auf Seite 6, zweiter Absatz, dass der pressgehärtete Bauteil-Rohling in einem Beschichtungsschritt mit einer zweiten Schicht überzogen wird. Im Zuge dieser Oberflächenbeschichtung können insbesondere korrosionshemmende Schutzschichten - z.B. durch Verzinken - auf die Bauteiloberfläche aufgebracht werden. D5 erwähnt jedoch nicht, dass es sich dabei um ein thermisches Diffusionsverfahren handelt.

Es ist zwar richtig, dass nach der zitierten Textstelle auf Seite 6 die von der Warmumformung herrührende, im Bauteil verbliebene Restwärme genutzt werden kann. Nicht alle Beschichtungsverfahren, welche Wärme verwenden, sind aber thermische Diffusions­verfahren. Dies ist z.B. aus D10, die neben den auf Seite 154 diskutierten Diffusionsverfahren verschiedene weitere Beschichtungsverfahren (z.B. ein übliches Tauchverfahren) beschreibt, ersichtlich. Folglich offenbart D5 nicht, dass die zweite Schicht mit einem thermischen Diffusionsverfahren aufgebracht wird.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1 D6 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar. Figur 2 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von gehärteten Bauteilen aus einem Halbzeug (Figur 2, "rolled steel sheet") aus ungehärtetem, warm umformbaren Stahlblech, wobei folgende Verfahrens­schritte ausgeführt werden:

- aus dem mit einer ersten Schicht (Figur 2, "coated with zinc or zinc alloy") vorbeschichteten Halbzeug wird durch ein Kaltumformverfahren (Figur 2, "formed by cold stamping") ein Bauteil-Rohling geformt;

- der Bauteil-Rohling wird randseitig auf eine dem herzustellenden Bauteil näherungsweise entsprechende Randkontur beschnitten (Spalte 1, Zeilen 64-65, "the excess material from the steel sheet required for the stamping operation is trimmed");

- der beschnittene Bauteil-Rohling wird erwärmt und gehärtet (Figur 2, "heat treatment followed by rapid cooling").

Der Bauteil-Rohling wird in einem Beschichtungsschritt mit einer zweiten, vor Korrosion schützenden Schicht (Spalte 4, Zeilen 45-49, "phosphated in conventional surface treatment solutions of the phosphatizing-trication type") überzogen. Der Fachmann weißt, dass die Phosphatierung am Ende eines Herstellungsverfahrens durchgeführt wird. Folglich ist es für ihn implizit, dass die zweite Beschichtung auf dem pressgehärteten Bauteil-Rohling durchgeführt wird, und dass die zweite Schicht sowohl auf der Vorbeschichtung als auch auf die unbeschichteten Bereiche des Bauteil-Rohlings abgeschieden wird.

2.2 Die Phosphatierung der D6 ist ein Tauchverfahren. Es ist zwar richtig, dass der Begriff "thermisches Diffusions-Verfahren" breit zu interpretieren ist. Der Fachmann kennt die Diffusions-Verfahren zum Schutz von Eisenwerkstoffen (D10, Seiten 154-155), die auch das in der Beschreibung des Streitpatents (Absatz [0036]) verwendete Verfahren umfassen, und weiß, dass ein Tauchverfahren nicht dazu gehört (D10, Seite 152).

Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D6 dadurch,

- dass der beschnittene Bauteil-Rohling in einem Warmumformwerkzeug pressgehärtet wird, und

- dass die zweite Schicht mit einem thermischen Diffusionsverfahren aufgebracht wird.

2.3 Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 2) argumentierte, dass es naheliegend sei, das Härten als Presshärten in einem Warmumform­werkzeug durchzuführen, weil D6 in Figur 1 ein derartiges Verfahren offenbare.

Die Ausführungsformen der Figuren 1 und 2 stellen jedoch nach der Lehre der D6 zwei Alternativen dar (Spalte 2, Zeilen 35-38), weil das Umformen entweder kalt oder warm durchgeführt wird (Spalte 1, Zeilen 42-50, "... to undergo either hot or cold forming ..."), wobei das Beschneiden (Spalte 1, Zeilen 64-65) in beiden Fällen nach dem Umformen stattfindet (Spalte 1, Zeile 57). Eine Kombination von Kaltumformen und Presshärten mit einem dazwischen geschalteten Beschneiden, wodurch die Vorteile des Presshärtens ohne ein aufwändiges und kostenintensives abschließendes Beschneiden des gehärteten Bauteils erreicht werden können (Absatz [0010] der Patentschrift), wird von D6 nicht nahegelegt.

2.4 Schon deswegen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht naheliegend und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Patentansprüche: 1-3 gemäß dem Hauptantrag (eingereicht als Hilfsantrag X mit Schreiben vom 14. Juli 2016)

- Beschreibung: Spalten 1-9 eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer

- Zeichnungen: 1a, 1b, 1c, 1d, 1e, 2a, 2b, 2c, und 2d der Patentschrift.

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