T 2345/15 () of 27.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T234515.20180227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2018
Aktenzeichen: T 2345/15
Anmeldenummer: 07725995.0
IPC-Klasse: B21B 13/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WALZGERÜST ZUR HERSTELLUNG VON WALZBAND ODER BLECH
Name des Anmelders: Primetals Technologies Austria GmbH
Name des Einsprechenden: SMS group GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 026 916 (im Folgenden: Patent) betrifft Quarto- und Sexto-Walzgerüsten mit konturierten Walzen.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht (Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent mangels Neuheit zu widerrufen.

IV. Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 27. Februar 2018 statt.

VI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4, eingereicht mit dem Schreiben vom 8. März 2016, aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

VII. Anspruchssatz gemäß Hauptantrag

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 lautet folgendermaßen (die hinzugefügte Merkmalsgliederung wurde von den Beteiligten verwendet):

1) Walzgerüst zur Herstellung von Walzband oder Blech mit Arbeitswalzen,

2) die sich an Stützwalzen oder Zwischenwalzen und Stützwalzen abstützen,

3) wobei die Arbeitswalzen und/oder Zwischenwalzen im Walzgerüst gegeneinander axial verschiebbar angeordnet sind und

4) jede Arbeits- und/oder Zwischenwalze eine über die gesamte wirksame Ballenlänge verlaufende, gekrümmte, durch eine trigonometrische Funktion beschreibbare Ballenkontur aufweist und

5) sich diese beiden Ballenkonturen ausschließlich in einer bestimmten relativen Axialstellung der Walzen des Walzenpaares im unbelasteten Zustand komplementär ergänzen,

6) wobei die Stützwalzen eine komplementäre Ballenkontur aufweisen und

7) im unbelasteten Zustand eine teilweise oder vollständige Ergänzung der Ballenkonturen der Stützwalzen und der unmittelbar benachbarten Arbeitswalzen oder Zwischenwalzen auftritt,

8) wobei die Ballenkontur der Arbeitswalzen oder der Zwischenwalzen oder der Stützwalzen in mindestens einem der Randbereiche ihrer Längserstreckung Anfasungen aufweist und in diesen Randbereichen korrigierte Ballenkonturen bilden,

9) die sich durch Subtraktion einer beliebigen mathematischen Anfasungsfunktion von der Konturfunktion ergeben,

dadurch gekennzeichnet,

10) dass die Steigung der Ballenkontur und die Steigung der korrigierten Ballenkontur im Übergangspunkt von der Ballenkontur zur korrigierten Ballenkontur gleich sind.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen besondere Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Walzgerüsts.

VIII. Entgegenhaltungen

In der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung nahmen die Beteiligten Bezug unter anderem auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Dokumente:

D1: EP 0 258 482 A1

D2: Seidel, J., "CSP Plant Design and Roll Implications", Rolls 2003, 9. bis 11. April 2003, ICC, Birmingham, UK, nebst Programm der Rolls 2003 Konferenz am 9. April 2003

D3: Bai, Z. et al., "Research of the Roll Crown Optimization on Skin Pass Mill in Baosteel 2050 Hot Rolling Plant", Iron and Steel (China), Vol. 37, No. 9, September 2002, Seiten 35 und 36, mit deutscher Übersetzung

D4: EP 0 249 801 A1

IX. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Merkmal 7) von Anspruch 1 verlange, dass die Ballenkonturen der Stützwalzen und ihren Nachbarwalzen sich im unbelasteten Zustand "teilweise oder vollständig" ergänzen, obwohl es im unbelasteten Zustand nur zu einer punktförmigen Berührung und in keinster Weise zu einer irgendwie gearteten Ergänzung komme könne. Somit sei die Formulierung von Merkmal 7) falsch oder widersprüchlich. Dieses widersprüchliche Merkmal mache Anspruch 1 unklar.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die gerügte Unklarheit aufgrund der Formulierung von Merkmal 7) müsse unberücksichtigt bleiben, weil sie bereits im erteilten Anspruch 1 vorhanden gewesen sei.

b) Hauptantrag - Neuheit

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu im Hinblick auf D1.

Insbesondere könne Figur 2 von D1 nicht entnommen werden, dass die gekrümmte, flaschenähnliche Ballenkontur der Arbeits- und/oder Zwischenwalzen durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar sei, wie in Merkmal 4) verlangt.

Auch Merkmale 5) und 7) von Anspruch 1 seien aus Figur 2 von D1 nicht zu entnehmen. D1 offenbare zwar wiederholt, dass die Ballenkonturen der Walzen sich in einer bestimmten Axialstellung der Walzen zueinander komplementär ergänzen. In Figur 2 sei ersichtlich, dass diese Ergänzung im belasteten Zustand, d. h. im Betrieb des Walzgerüsts, auftrete (siehe Walzband 27 im Walzspalt 26). Nirgends in D1 finde sich hingegen die ausdrückliche Aussage, dass die Ergänzung im unbelasteten Zustand auftrete. Eine Ergänzung stets und unbedingt im unbelasteten Zustand sei auch nicht selbstverständlich. Beispielweise sei in D4 ein ähnliches Quarto- bzw. Sexto-Walzgerüst offenbart, bei dem sich die Ballenkonturen der Walzen im unbelasteten Zustand nicht ergänzten, sondern - nahezu vollständig - erst im belasteten Zustand (in D4 siehe Seite 2, Zeilen 26 bis 31 und Seite 6, Zeile 12).

Schließlich offenbare D1 nicht Merkmal 10) von Anspruch 1. Erstens sei dieses Merkmal in Kombination mit Merkmal 4) zu lesen, wonach die Konturfunktion eine trigonometrische Funktion sei, und D1 offenbare dieses Merkmal nicht. Zweitens werde in D1 durchgehend betont, dass die Anfasungen zylindrisch ausgebildet sein müssten (vgl. zylindrische Längenabschnitte 22b, 23b, 24b, 25b in Figur 2). Am Übergang von der gekrümmten Ballenkontur zu der zylindrischen Anfasung sei im Konturverlauf stets ein Knick vorhanden, der eine umlaufende Kante auf der Walze bilde, entgegen dem Erfordernis von Merkmal 10).

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 seien in Figur 2 von D1 offenbart.

Die dort dargestellten Arbeitswalzen 24 und 25, Stützwalzen 22 und 23 und Zwischenwalze 28 und 29 wiesen komplementäre, gekrümmte Ballenkonturen auf, die durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar sei, wie in Merkmal 4) von Anspruch 1 vorgeschrieben.

Auch Merkmale 5) und 7) seien in Figur 2 von D1 offenbart. In Figur 2 sei deutlich erkennbar, dass die Ballenkonturen der unmittelbar benachbarten Walzen sich komplementär ergänzten. Figur 2 stelle keinen Querschnitt des Walzgerüsts im belasteten Zustand dar, sondern eine Seitenansicht des Walzgerüsts im unbelasteten Zustand, bevor das Walzband 27 in das Walzgerüst einlaufe. Insbesondere seien in Figur 2 Lücken zwischen den unbelasteten Walzen deutlich gezeigt.

Schließlich sei auch Merkmal 10) in Figur 2 von D1 offenbart. Insbesondere sei im rechten Randbereich der oberen Zwischenwalze 28 am Übergang von der Ballenkontur 28a zu der als Verjüngung des Ballenendes ausgeführten Anfasung kein Knick zu sehen.

c) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Ausgehend von D2 als nächstkommendem Stand der Technik beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit. Er unterscheide sich von dem in Figur 9 von D2 dargestellten Quarto-Walzgerüst nämlich nur dadurch, dass die Ballenkontur der Walzen durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar sei (Merkmal 4)). Die Aufnahme dieses Merkmals sei für den Fachmann eine naheliegende Maßnahme, um die Ballenkontur mathematisch zu beschreiben. Diese Maßnahme sei umso naheliegender als in D4 ein ähnliches Quarto-Walzgerüst offenbart sei, bei dem der Verlauf der Ballenkontur einer trigonometrischen Funktion entspreche (Seite 3, Zeile 5).

Sollte das Merkmal der Ergänzung der Ballenkonturen im unbelasteten Zustand (Merkmale 5) und 7)) als in Figur 9 von D2 nicht offenbart angesehen werden, würde es sich bei diesem Merkmal um eine im Rahmen handwerklichen Könnens liegende Maßnahme handeln, die der Fachmann angesichts der Lehre von D4 (dort insbesondere Seite 2, Zeilen 6 bis 10 und Seite 4, Zeilen 25 bis 28) in Erwägung ziehen würde, ohne hierzu erfinderisch tätig werden zu müssen.

Ausgehend von D3 als nächstkommendem Stand der Technik beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. In Figur 1 von D3 sei eine Arbeitswalze gezeigt, welche die Merkmale 3) und 8) bis 10) von Anspruch 1 verwirkliche. Insbesondere deute der horizontale, nach rechts gerichtete Pfeil in Figur 1 darauf hin, dass die Arbeitswalze axial verschiebbar gelagert sei, wie in Merkmal 3) vorgeschrieben. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich davon durch die Merkmale 1), 2) und 4) bis 7). Angesichts der Lehre von D4 sei die Aufnahme dieser Merkmale für den Fachmann eine naheliegende Maßnahme, um die in Figur 1 von D3 offenbarte Arbeitswalze in ein Walzgerüst einzubauen und dabei die Lastverteilung im laufenden Walzbetrieb zu vergleichmäßigen.

Sollte sowohl das Merkmal der trigonometrischen Ballenkonturfunktion (Merkmal 4)) als auch das Merkmal der Ergänzung der Ballenkonturen im unbelasteten Zustand (Merkmale 5) und 7)) als in Figur 2 von D1 nicht offenbart angesehen werden, so seien es jedoch für den Fachmann jeweils fachübliche und naheliegende Maßnahmen zur Vergleichmäßigung der Lastverteilung im laufenden Walzbetrieb, die er angesichts der Lehre von D4 in Erwägung ziehen würde, ohne erfinderisches Zutun.

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Ausgehend von D1 werde dank den Unterscheidungs-merkmalen 4), 5), 7) und 10) eine Vergleichmäßigung der Lastverteilung im laufenden Walzbetrieb zwischen Walzen über die Ballenlänge gewährleistet, wobei Belastungsspitzen im Bereich des Übergangs von der Ballenkontur zur korrigierten Ballenkontur vermieden würden.

Die mit diesen Merkmalen gelöste Aufgabe sei daher, die Inhomogenitäten in der Lastverteilung entlang der Kontaktlinie der Walzen zu minimieren und insbesondere örtliche Belastungsspitzen im Lastverteilungsverlauf, speziell im Kantenbereich, abzubauen und damit die Einsatzdauer der Walzen und die notwendigen Nachschleifintervalle zu verlängern (siehe Absatz 5 der Patentschrift).

Die beanspruchte Lösung sei in ihrer Gesamtheit nicht durch die Entgegenhaltung D4 nahegelegt. Dort werde nicht gelehrt, dass die Ballenkontur der einzelnen Walzen durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar sei, wie in Merkmal 4) verlangt, sondern, dass der Verlauf der Summe der Walzenballendurchmesser einer trigonometrischen Funktion entspreche (Seite 2, Zeile 32 bis Seite 3, Zeile 5). Ferner werde in D4 durchgehend gelehrt, dass sich die Ballenkonturen der Walzen im unbelasteten Zustand nicht ergänzten, sondern erst im belasteten Zustand. Damit führte D4 den Fachmann weg von den Merkmalen 5) und 7). Die von der Beschwerdegegnerin zitierte Textstelle auf Seite 2, Zeilen 6 bis 10 von D4 betreffe nur den in der Beschreibungseinleitung von D4 gewürdigten Stand der Technik. Die weitere, von der Beschwerdegegnerin zitierte Textstelle auf Seite 4, Zeilen 25 bis 28 von D4 gebe keine Auskunft darüber, ob die Ergänzung der Ballenkonturen im unbelasteten Zustand auftrete.

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei in analoger Weise ausgehend von Figur 9 von D2 als nächstkommendem Stand der Technik durch die Lehre von D4 nicht nahegelegt. Insbesondere können die Merkmale 4), 5), 7) und 10) von Anspruch 1 der schematischen Darstellung des Walzgerüsts in Figur 9 von D2 nicht entnommen werden, aus den gleichen Gründen wie bei D1.

Ausgehend von D3 als nächstkommendem Stand der Technik sei nicht erkennbar, was den Fachmann dazu veranlassen würde, das dort offenbarte Walzgerüst in Richtung auf die in Anspruch 1 definierte Ausgestaltung zu ändern. D3 offenbare ein Walzgerüst mit zylindrischen Stützwalzen, die in den Randbereichen ihrer Längserstreckung Anfasungen aufweisen (Figur 1). Die Merkmale 1) bis 7) von Anspruch 1 seien in D3 nicht offenbart. D3 gebe keine Auskunft über die Arbeitswalzen, geschweige denn über ihre Lagerung (Merkmal 3)). Der horizontale Pfeil in Figur 1 bezeichne nur die horizontale Achse eines virtuellen Koordinatensystems. Aus den vorgenannten Gründen seien die Unterscheidungsmerkmale 4), 5) und 7) durch die Lehre von D4 nicht nahegelegt.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ

1.1 Die Ansprüche eines Patents dürfen während des Einspruchsverfahrens nur dann auf die Erfüllung von Artikel 84 EPÜ geprüft werden, wenn die Änderung einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ einführt (siehe G 3/14, ABl. 2015, A102, Leitsatz), und dann auch nur in diesem Ausmaß.

1.2 Der von der Beschwerdegegnerin erhobene, auf Artikel 84 EPÜ gestützte Einwand gegen die Formulierung in Merkmal 7) von Anspruch 1, dass "im unbelasteten Zustand eine teilweise oder vollständige Ergänzung" zwischen den Stützwalzen und ihren Nachbarwalzen auftritt, ist unzulässig, weil diese Formulierung bereits im erteilten Anspruch 1 vorhanden war (siehe G 3/14, Nr. 80 der Gründe).

1.3 Folglich muss der Einwand nach Artikel 84 EPÜ unberücksichtigt bleiben.

2. Hauptantrag - Neuheit

2.1 D1 offenbart in Figur 2 (nachfolgend wiedergegeben) ein Sexto-Walzgerüst zur Herstellung eines Walzbands 27 mit zwei Stützwalzen 22 und 23, zwei Arbeitswalzen 24 und 25 und zwei Zwischenwalzen 28 und 29. Die Arbeitswalzen sind gegeneinander axial verschiebbar gelagert (Spalte 7, Zeilen 19 bis 21). Die Arbeits-, Zwischen- und Stützwalzen weisen jeweils eine über die gesamte wirksame Ballenlänge verlaufende, gekrümmte Ballenkontur auf, wobei die Ballenkonturen an den miteinander in Kontaktberührung stehenden Walzenballen so aufeinander abgestimmt sind, dass sie sich in mittlerer Axialstellung sämtlicher Walzenpaare komplementär ergänzen (Spalte 7, Zeilen 9 bis 15). Die Ballenkontur der Walzen weisen in einem der Randbereiche ihrer Längserstreckung zylindrische Anfasungen auf und bilden dort korrigierte Ballenkonturen (vgl. zylindrische Längenabschnitte 22b, 23b, 24b, 25b). Damit verwirklicht das in Figur 2 von D1 offenbarte Sexto-Walzgerüst die Merkmale 1), 2), 3), 6), 8) und 9) von Anspruch 1 ihrem Wortlaut nach.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

2.2 Es ist zwischen den Beteiligten streitig, ob dieses Sexto-Walzgerüst folgende in Anspruch 1 aufgeführte Merkmale offenbart:

- dass die gekrümmte Ballenkontur der Arbeits- und Zwischenwalzen "durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar" sei (Merkmal 4));

- dass sich die Ballenkonturen der Arbeits- und Zwischenwalzen "ausschließlich in einer bestimmten relativen Axialstellung der Walzen des Walzenpaares im unbelasteten Zustand komplementär ergänzen" (Merkmal 5));

- dass "im unbelasteten Zustand eine teilweise oder vollständige Ergänzung der Ballenkonturen der Stützwalzen und der unmittelbar benachbarten Zwischenwalzen auftritt" (Merkmal 7)); und

- dass "die Steigung der Ballenkontur und die Steigung der korrigierten Ballenkontur im Übergangspunkt von der Ballenkontur zur korrigierten Ballenkontur gleich sind" (Merkmal 10)).

2.3 Bezüglich des Merkmals 4) teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass es in Figur 2 von D1 nicht offenbart ist. Die dort dargestellten Arbeits- und Zwischenwalzen weisen jeweils eine flaschenähnliche Ballenform mit einer leicht S-förmig verlaufenden Ballenkontur auf (Spalte 5, Zeilen 9 und 10 und Spalte 7, Zeile 17). D1 kann aber nicht entnommen werden, dass die Ballenkontur jeweils durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar ist. Selbst wenn die dargestellte Ballenkontur durch ein trigonometrisches Polynom, d. h. eine endliche Summe von Sinus- und Cosinus-Funktionen, angenähert werden könnte - was nicht bewiesen wurde -, bedeutet dies nicht, dass die Ballenkonturfunktion "eine trigonometrische Funktion" ist. Würde man dem Argument der Einspruchsabteilung folgen (Gründe Nr. 2.3 der Entscheidung), dass jede stetige Funktion durch die Summe von trigonometrischen Funktionen beschreibbar und mithin selbst eine trigonometrische Funktion sei, dann wäre die Beschränkung "trigonometrische Funktion" sinnentleert.

2.4 Bezüglich der Merkmale 5) und 7) hat die Beschwerdeführerin überzeugend argumentiert, dass sie in Figur 2 von D1 nicht direkt und unmittelbar offenbart sind. D1 lehrt im allgemeinen Teil der Beschreibung, dass die Ballenkonturen der Walzen sich ausschließlich in einer bestimmten Axialstellung der Walzen zueinander lückenlos ergänzen (Spalte 1, Zeilen 11 bis 14). D1 gibt aber keine Auskunft darüber, dass die Ergänzung der Ballenkonturen bereits in einem unbelasteten Zustand des Walzgerüsts erfolgt. Aus der schematischen Darstellung des Sexto-Walzgerüsts in Figur 2 von D1 und der technischen Offenbarung hierzu lässt sich nicht direkt und eindeutig ableiten, dass die Ergänzung der Ballenkonturen im unbelasteten Zustand gegeben ist. Dies ist für den Fachmann auch keineswegs selbstverständlich. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend argumentiert, ist beispielweise in D4 offenbart, dass die Ballenkonturen der Walzen eines Quarto- bzw. Sexto-Walzgerüsts sich nicht im unbelasteten Zustand ergänzen, sondern erst im Belastungszustand (siehe Seite 2, Zeilen 26 bis 31 und Seite 6, Zeile 12).

2.5 Bezüglich des Merkmals 10) teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass es in Figur 2 von D1 offenbart ist. Die Ballenkontur der dort dargestellten Arbeits-, Stütz- und Zwischenwalzen weist jeweils in einem Randbereich eine als Verjüngung des Ballenendes ausgeführte Anfasung mit einer korrigierten Ballenkontur auf, die sich durch Subtraktion einer beliebigen mathematischen Anfasungsfunktion von der gekrümmten Ballenkonturfunktion ergibt, wie in Merkmalen 8) und 9) vorgeschrieben. In diesem Randbereich der jeweiligen Arbeits-, Stütz- bzw. Zwischenwalze ist am Übergang von der Ballenkontur zur korrigierten Ballenkontur kein Knick vorhanden, entsprechend dem Erfordernis von Merkmal 10). Beispielweise wird auf die Anfasung im rechten Randbereich der oberen Zwischenwalze 28 verwiesen, die sich links vom Knickpunkt der unmittelbar benachbarten Arbeitswalze 24 am Übergang von der gekrümmten Kontur 24a zum zylindrischen Abschnitt 24b erstreckt. In Figur 2 ist ein sanfter Übergang zwischen dieser Anfasung und der gekrümmten Ballenkontur 28a deutlich erkennbar.

2.6 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von dem in Figur 2 von D1 offenbarten Sexto-Walzgerüst also durch die Merkmale 4), 5) und 7).

2.7 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher neu im Sinne des Artikels 54 (1) und (2) EPÜ.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

3.1 Die Beteiligten sind sich einig, dass das in Figur 2 von D1 offenbarte Sexto-Walzgerüst einen geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bildet. Die Kammer teilt diese Auffassung.

3.2 Davon ausgehend bewirken die vorgenannten Unterscheidungsmerkmale 4), 5) und 7) eine Vergleichmäßigung der Lastverteilung im laufenden Walzbetrieb zwischen den Walzen, wie die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend vorgetragen hat. Diesem Vortrag ist die Beschwerdegegnerin auch nicht entgegengetreten.

3.3 Ausgehend von D1 kann die objektiv zu lösende technische Aufgabe deshalb so formuliert werden, Inhomogenitäten in der Lastverteilung zu minimieren und insbesondere örtliche Belastungsspitzen im Lastverteilungsverlauf abzubauen, und damit die Einsatzdauer der Walzen und die notwendigen Nachschleifintervalle zu vergrößern (siehe Absatz 5 in der Patentschrift).

3.4 Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die beanspruchte Lösung durch die Lehre von D4 nahegelegt ist. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, denn in D4 gibt es kein Vorbild und auch keine Anregung für diese Lösung.

3.5 Erstens kann D4 nicht entnommen werden, dass die gekrümmte Ballenkontur jeder Arbeits- bzw. Zwischenwalze durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar ist, wie in Merkmal 4) verlangt. In D4 ist lediglich gelehrt, dass der Verlauf der Summe der Walzenballendurchmesser einer trigonometrischen Funktion entsprechen kann (Seite 2, Zeile 32 bis Seite 3, Zeile 5).

3.6 Zweitens kann D4 nicht entnommen werden, dass die Ergänzung der Ballenkonturen der Walzen unbedingt im unbelasteten Zustand auftreten soll. Vielmehr verlangt D4 durchgehend, dass sich die Ballenkonturen im unbelasteten Zustand des Walzgerüsts nicht ergänzen, sondern - nahezu vollständig - erst im belasteten Zustand (in D4 siehe Seite 2, Zeilen 26 bis 31 und Seite 6, Zeile 12). Die von der Beschwerdegegnerin zitierte Textstelle auf Seite 4, Zeilen 25 bis 28 von D4 widerspricht dieser Lehre nicht, sondern betrifft die Einstellung der Walzspaltkontur durch Axialverschiebung der Arbeitswalzen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin hat der Fachmann keinen Anlass, ganz und gar entgegen der Lehre von D4, eine Ergänzung der Ballenkonturen im unbelasteten Zustand vorzusehen, wie in dem in der Beschreibungseinleitung von D4 gewürdigten Stand der Technik (Seite 2, Zeilen 6 bis 10 von D4).

3.7 Die Beschwerdegegnerin hat des weiteren argumentiert, dass der Gegenstand von Anspruch 1 jeweils ausgehend von D2 (Figur 9) und D3 (Figur 1) durch die Lehre von D4 nahegelegt ist. Auch diese Argumentation vermag aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen.

3.8 D2 offenbart in der Mitte von Figur 9 (nachfolgend wiedergegeben) ein Quarto-Walzgerüst, dessen Arbeitswalzen ("work rolls", kurz "WR") und Stützwalzen ("backup rolls", kurz "BUR") jeweils eine über die gesamte wirksame Ballenlänge verlaufende gekrümmte Ballenkontur aufweisen, die im Fachgebiet unter der Bezeichnung "CVC" bekannt ist, wobei Belastungsspitzen dank eines geeigneten Radius in den Randbereichen der Stützwalzen vermieden werden (Seite 3, Absätze 2 und 3 von D2).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Es ist unstreitig, dass D2 nicht entnommen werden kann, dass die S-förmig verlaufende CVC-Ballenkontur mathematisch durch eine trigonometrische Funktion beschreibbar ist, wie in Merkmal 4) verlangt. Die Kammer kann der Beschwerdegegnerin zwar insoweit folgen, dass die Merkmale 1) bis 3), 6) und 8) bis 10) zumindest implizit in Figur 9 von D2 verwirklicht sind. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend argumentiert, lässt sich aus der schematischen Darstellung in Figur 9 jedoch nicht direkt und eindeutig entnehmen, dass sich die Ballenkonturen der benachbarten Walzen im unbelasteten Zustand des Walzgerüsts ergänzen, wie in Merkmalen 5) und 7) gefordert. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin spricht auch nichts in der technischen Offenbarung zu Figur 9 für eine Ergänzung im unbelasteten Zustand. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von D2 also durch die Merkmale 4), 5) und 7).

3.9 Es ist unstreitig, dass in D3 zwar die Merkmale 8) bis 10) von Anspruch 1 offenbart sind, jedoch keines der Merkmale 1), 2) und 4) bis 7). Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin zeigt Figur 1 von D3 (nachfolgend wiedergegeben) keine axial verschiebbare Arbeitswalze eines Walzgerüsts, wie in Merkmal 3) definiert. Dort ist nämlich keine Arbeitswalze gezeigt, sondern eine Stützwalze (siehe Seite 3 der deutschen Übersetzung, insbesondere Wortlaut "Unterstützungsrolle"). Im Übrigen deutet der horizontale, nach rechts gerichtete Pfeil in Figur 1 nicht auf eine axiale Verschiebbarkeit der dargestellten Walze hin: Er bezeichnet nur die Abszissenachse eines virtuellen kartesischen Koordinatensystems für eine Koordinatenzuordnung. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von D3 also durch die Merkmale 1) bis 7).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

3.10 Ausgehend von D2, alternativ D3, als nächstliegendem Stand der Technik kann die objektiv zu lösende, technische Aufgabe ebenso wie unter Punkt 3.3 formuliert werden. Aus den unter Punkten 3.4 bis 3.6 genannten Gründen gelangt ein mit dieser Aufgabe befasster Fachmann unter Berücksichtigung der Lehre von D4 nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung.

3.11 Zusammenfassend kann die Kammer also nicht feststellen, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 jeweils ausgehend von D1, D2 und D3 entgegen Artikel 56 EPÜ in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergibt.

4. Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstehen.

5. Auf die Hilfsanträge 1 bis 4 der Beschwerdeführerin braucht deswegen nicht mehr eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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