T 2298/15 (Abriebfestes Gewebeklebeband/TESA) of 9.12.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T229815.20201209
Datum der Entscheidung: 09 Dezember 2020
Aktenzeichen: T 2298/15
Anmeldenummer: 10175165.9
IPC-Klasse: C09J7/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Abriebfestes Gewebeklebeband
Name des Anmelders: tesa SE
Name des Einsprechenden: 3M Innovative Properties Company
certoplast Technische Klebebänder GmbH
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 013(1) (2020)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0007/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 2 (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hauptantrags (eingegangen mit Schreiben vom 14. Oktober 2015) die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. Die Einsprechenden 1 und 2 hatten den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ beantragt. Darüber hinaus hatte die Einsprechende 2 Artikel 100 c) EPÜ geltend gemacht.

III. Im Rahmen des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung wurden unter anderem die folgenden Dokumente eingereicht:

E5: EP 1 911 633 A1

E16: DIN 53 830, Teil 3, Mai 1981

E19: DE 20 2007 006 816 U1

E24: Englische Übersetzung von JP 63097678 A

E24': EP 1 990 393 B1

E24": Entscheidung der Einspruchsabteilung zu dem

Patent EP 1 990 393 B1, Anmelde-Nr. 08 152 261.7

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag, lautet wie folgt:

"Klebeband, bestehend aus einem Träger und auf mindestens einer Seite aufgebrachten Klebeschicht, wobei der Träger ein Polyestergewebe ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

der Quotient aus auf die Länge bezogenem Titer der Querfäden, also die Anzahl der Querfäden (Schussfäden) pro Zentimeter multipliziert mit dem Fadengewicht der Querfäden in dtex, und auf die Breite bezogenem Titer der Längsfäden, also die Anzahl der Längsfäden (Kettfäden) pro Zentimeter multipliziert mit dem Fadengewicht der Längsfäden in dtex, zwischen 2,2 und 6 beträgt und der Träger ein Flächengewicht von größer oder gleich 110 g/m**(2) aufweist."

V. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und der beanspruchte Gegenstand gegenüber den zitierten Dokumenten neu sei und gegenüber E19 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin), die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent auf Grundlage von einem der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 vor der Einspruchsabteilung, aufrechtzuerhalten.

VII. Die auch am Verfahren beteiligte Einsprechende 1 teilte mit, dass sie nicht an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen werde und keine weiteren Eingaben einreichen werde.

VIII. Die Kammer erließ eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK datiert vom 27. Januar 2020, in der sie eine vorläufige Meinung abgab und unter anderem erklärte, dass der Hauptantrag nicht gewährbar erscheint.

IX. Mit Schreiben vom 21. Februar 2020 reichte die Beschwerdegegnerin einen korrigierten Hilfsantrag 3 sowie u.a. Hilfsantrag 4 ein.

X. Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag (siehe den vorstehenden Punkt IV). Auch die Ansprüche 2 bis 14 des Hauptantrags entsprechen den Ansprüche 2 bis 14 des Hauptantrags, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet wie folgt:

"Verwendung eines Klebebandes zum Ummanteln von langgestrecktem Gut, wobei das Klebeband in einer Schraubenlinie um das langgestreckte Gut geführt wird, wobei das Klebeband aus einem Träger und auf mindestens einer Seite aufgebrachten Klebeschicht beseht [sic], wobei der Träger ein Polyestergewebe ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

der Quotient aus auf die Länge bezogenem Titer der Querfäden, also die Anzahl der Querfäden (Schussfäden) pro Zentimeter multipliziert mit dem Fadengewicht der Querfäden in dtex, und auf die Breite bezogenem Titer der Längsfäden, also die Anzahl der Längsfäden (Kettfäden) pro Zentimeter multipliziert mit dem Fadengewicht der Längsfäden in dtex, zwischen 2,2 und 6 beträgt und der Träger ein Flächengewicht von größer oder gleich 110 g/m**(2) aufweist."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der Wertebereich "zwischen 2,2 und 6" auf "zwischen 2,8 und 6" eingeschränkt wurde.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass der Wertebereich "zwischen 2,2 und 6" auf "zwischen 2,8 und 6" eingeschränkt wurde. Außerdem ist der Tippfehler "beseht" nicht enthalten.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "wobei der Träger ein Polyestergewebe ist" in "wobei der Träger aus einem Polyestergewebe besteht" geändert wurde.

Die Ansprüche 2 bis 14 des Hilfsantrags 4 sind direkt oder indirekt von Anspruch 1 abhängige Ansprüche und sind mit den entsprechenden erteilten Ansprüchen identisch.

XI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

- Es liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die als wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen sei. Somit sollte die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden und die Beschwerdegebühr sollte rückerstattet werden.

- Die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

- Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags, sowie der Hilfsanträge 1 bis 3, beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber E19.

- Hilfsantrag 4 sollte nicht zum Verfahren zugelassen werden. Zum einen liege keine angepasste Beschreibung vor, was zu einem Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ führe. Außerdem verstoße der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 gegen Artikel 123(2) EPÜ.

- Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beruhe gegenüber E19 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

XII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

- Die Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

- Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags, sowie der Hilfsanträge 1 bis 3, beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber E19.

- Hilfsantrag 4 sollte zum Verfahren zugelassen werden, da das Einreichen dieses Hilfsantrags in Reaktion auf die Auslegung des Gegenstands von Anspruch 1 der Kammer in ihrer Mitteilung vom 27. Januar 2020 erfolgte.

- Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 erfülle die Anforderungen des Artikels 84 EPÜ und Artikel 123(2) EPÜ und beruhe gegenüber E19 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

XIII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr rückzuerstatten, hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise das angegriffene Patent auf der Grundlage eines der am 14. Oktober 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 oder 2, oder des am 21. Februar 2020 eingereichten Hilfsantrags 3 oder des am gleichen Tag eingereichten Hilfsantrags 4, mit Streichung der Absätze 28, 40, 76 bis 78 der Patentschrift, aufrechtzuerhalten. Weiter hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin, das Patent auf der Grundlage des am 21. Februar 2020 eingereichten Hilfsantrags 4, mit zusätzlicher Streichung des Absatzes 56 der Patentschrift, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung und Rückerstattung der Beschwerdegebühr

1.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht gesondert über die Frage der Relevanz und Zulassung der Dokumente E20 bis E24'' diskutiert worden sei. Ihrer Ansicht nach liege somit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, was einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle und somit die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung und Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige.

1.2 Die Kammer stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren lediglich auf die Dokumente E24, E24' und E24'' Bezug genommen hat. Die Einsprechende 1 reichte die Dokumente E20 bis E23 ein und nur sie hat zu diesen Dokumenten vorgetragen, nicht aber die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2). Insofern kann die Beschwerdeführerin allenfalls eine Verletzung des rechtlichen Gehörs hinsichtlich ihres Vortrags zu den Dokumenten E24 bis E24'' geltend machen.

1.3 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin seien diese Dokumente in der mündlichen Verhandlung zunächst von der Erörterung ausgeschlossen worden und lediglich am Ende der mündlichen Verhandlung sei verkündet worden, dass diese Dokumente nicht zum Verfahren zugelassen worden sind (siehe Seite 1, Zeilen 6 bis 8, und Seite 4, Zeilen 2 bis 4, der Niederschrift, sowie Punkt 2.8 der angefochtenen Entscheidung). Ihrer Ansicht nach liege folglich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die als wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen sei.

1.4 Aus den folgenden Gründen folgt die Kammer dieser Ansicht nicht.

1.4.1 Die Einspruchsabteilung hatte schon mit ihrer vorläufigen Meinung vom 1. April 2015 die Parteien darüber informiert, dass über den Antrag der Einsprechenden 1, die Dokumente E20 bis E23 ins Verfahren zuzulassen, erst am Ende der mündlichen Verhandlung zu entscheiden sein werde, nachdem Gewissheit über ihre Relevanz für das Verfahren bestehe (siehe Punkt 6.2 der Ladung gemäß Regel 115(1) EPÜ). Aus Punkt 1 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergibt sich, dass der Vorsitzende die Parteien dementsprechend darauf hingewiesen hat, dass über die Zulassung der verspätet eingereichten Dokumente E20 bis E24'' erst am Ende der Verhandlung entschieden werde. Daraus ist nicht erkennbar, dass der Vorsitzende den Parteien untersagt hätte, die fraglichen Dokumente im Rahmen der vorgebrachten Angriffe zu verwenden bzw. sich zu den fraglichen Dokumenten zu äußern. Vielmehr ist diese Aussage in Einklang mit der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung derart zu verstehen, dass abhängig vom Vortrag der Parteien (auch in Bezug auf die fraglichen Dokumente und deren Relevanz) erst am Ende der Verhandlung entschieden werden sollte, ob diese zum Verfahren zugelassen werden können oder nicht.

1.4.2 Aus Punkt 5 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist zu entnehmen, dass sich beide Parteien darin einig waren, dass E19 den nächstliegenden Stand der Technik darstelle. Aus der Niederschrift geht insbesondere nicht hervor, dass die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) vorgetragen hätte, dass sich auch E24 als nächstliegender Stand der Technik eigne (wie in dem Schreiben vom 25. Juni 2015 angedeutet). Daraus kann nicht geschlossen werden, dass der Vorsitzende den Parteien Ausführungen zu anderen Ausgangsdokumenten bei der Frage der erfinderischen Tätigkeit (wie E24) versagt hätte.

1.4.3 Es ist zwar zutreffend, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung keine gesonderte Diskussion zur Frage der Zulassung der Dokumente E20 bis E24'' stattgefunden hat. Allerdings hat sich die Beschwerdeführerin, wie oben ausgeführt, im Laufe der mündlichen Verhandlung nicht auf E24 als nächstliegenden Stand der Technik berufen bzw. ist ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Punkt 5.1, ausschließlich von E19 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Außerdem ist aus Punkt 5.4 dieser Niederschrift entnehmbar, dass den Parteien in der mündlichen Verhandlung die Meinung der Einspruchsabteilung mitgeteilt wurde, wonach das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit erfüllt sei und dies, bevor der Patentinhaberin Gelegenheit gegeben wurde, eine angepasste Beschreibung einzureichen. Es hätte der Beschwerdeführerin spätestens zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein müssen, dass die Einspruchsabteilung davon ausging, dass durch ihre Zustimmung zu E19 als nächstliegendem Stand der Technik sich eine Diskussion zur Relevanz von E24 erübrige. Die Beschwerdeführerin hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt geltend machen müssen, dass sie ihren Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E24 als nächstliegendem Stand der Technik aufrecht erhält, bzw. beantragen müssen, zur Relevanz der in Streit stehenden Dokumente vorzutragen.

Wenn die Beschwerdeführerin es für relevant gehalten hätte, hätte sie diesen Einwand ansprechen und - gegebenenfalls mit einem formalen Antrag - auf seiner Behandlung bestehen müssen (siehe auch T 0007/12, Punkt 5.4 der Entscheidungsgründe).

Es obliegt in einem inter-partes Verfahren nicht der Einspruchsabteilung die Partei zum Vortrag ihrer konkreten Einwände aufzufordern.

Somit liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor und auch kein wesentlicher Verfahrensmangel, der eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung bzw. die Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertigen könnte. Ebenso wenig liegen besondere Gründe vor, die die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung rechtfertigen würden.

HAUPTANTRAG

2. Ausführbarkeit

2.1 Die Beschwerdeführerin machte die folgenden Aspekte geltend, die ihrer Ansicht nach stützten, dass die Erfindung nicht ausführbar sei.

Erstens sei unklar, ob sich die Titerangabe in Anspruch 1 auf das Fadenausgangsmaterial oder die einzelnen Gewebefäden bezieht. Zweitens müssten ein Faden und ein Garn nicht notwendigerweise Synonyme sein, so dass die in Absatz [0094] des Patents erwähnte Norm (E16) nicht herangezogen werden könne. Drittens werde diese Norm im Patent im Zusammenhang mit der Bestimmung des Garngewichts genannt, obwohl Anspruch 1 des Hauptantrags nicht von einem Garngewicht, sondern von einem Fadengewicht spreche.

2.2 Aus den folgenden Gründen teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin nicht.

2.2.1 Ob das in Anspruch 1 erwähnte Fadengewicht vor Herstellung des Gewebes oder danach gemessen wird oder nicht ist, wenn überhaupt, eine Frage der Klarheit. Es wurde auch durch kein Experiment belegt, dass eine Messung vor oder nach Herstellung eines Gewebes überhaupt zu unterschiedlichen Werten führt.

2.2.2 Die Begriffe "Faden" und "Garn" sind auf dem einschlägigen Fachgebiet übliche Begriffe. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin dahingehend folgte, dass es sich bei den Begriffen "Faden" und "Garn" nicht um Synonyme handle, konnte sie nicht zeigen, aus welchen Gründen dies zu einem Mangel der Ausführbarkeit führen könnte. Wenn überhaupt ist dies eine Frage der Klarheit, nicht jedoch der Ausführbarkeit.

2.2.3 Die Kammer kann auch nicht erkennen, aus welchen Gründen ein Fachmann nicht in der Lage sein sollte, das Fadengewicht der Quer- bzw. Längsfäden zu bestimmen. Aus der Norm E16 kann die Kammer diesbezüglich keinen Widerspruch erkennen.

2.2.4 Zusammenfassend betrifft das Vorbringen zur Ausführbarkeit, wenn überhaupt, eine Frage der Klarheit und basiert lediglich auf nicht weiter untermauerten Vermutungen.

2.2.5 Darüber hinaus ist festzustellen, dass das angegriffene Patent mit dem erfindungsgemäßen Beispiel (IV) einen Weg zur Ausführung der Erfindung aufzeigt, der sich anhand der Angaben im Patent auch verallgemeinern lässt. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht in Frage gestellt. Die Beschwerdeführerin konnte somit nicht zeigen, dass ein Mangel der Ausführbarkeit vorliegt.

Somit ist die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3. Auslegung des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags

Das beanspruchte Klebeband besteht aus einem Träger, der ein Polyestergewebe ist, und einer auf mindestens einer Seite aufgebrachten Klebeschicht. Das Merkmal "wobei der Träger ein Polyestergewebe ist" in Anspruch 1 des Hauptantrags ist nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall als nicht abschließend auszulegen und umfasst somit sowohl ein beschichtetes als auch ein unbeschichtetes Polyestergewebe als Träger.

Gestützt wird die Auslegung, dass der Träger nicht nur unbeschichtete Polyestergewebe betrifft, unter anderem dadurch, dass gemäß dem Patent auf der Rückseite des Klebebandes, d.h. auf einer Seite des Trägers, ein Rückseitenlack aufgetragen werden kann (siehe die Absätze [0076] und [0077] des Patents). Daher betrifft auch das in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Flächengewicht von größer oder gleich 110 g/m**(2) entweder ein unbeschichtetes Polyestergewebe oder ein beschichtetes Polyestergewebe.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Von den in der Beschwerdebegründung vorgetragenen Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E5, E19 und E24, hat sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nur noch auf den Angriff ausgehend von E19 als nächstliegendem Stand der Technik beschränkt. Auch die Beschwerdegegnerin sah in E19 den nächstliegenden Stand der Technik. Somit kann die Frage der Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik sowie die Frage der Zulassung von E24 zum Verfahren dahinstehen.

Die Frage der erfinderischen Tätigkeit ist daher ausgehend von E19 zu beurteilen.

4.2 E19 betrifft ein handeinreißbares Gewebe-Klebeband, insbesondere ein Kabelwickelband, umfassend einen bahnförmigen Träger und mindestens eine auf einer Seite des Trägers aufgetragene Klebeschicht, wobei der Träger aus einem Gewebe besteht, das überwiegend Fäden enthält, die sich einerseits als Längsfäden in Längsrichtung des Klebebandes und andererseits als Querfäden mit einer Fadendichte von wenigstens 18 Fäden pro Zentimeter Länge in Querrichtung des Klebebandes erstrecken, wobei ein auf die Breite bezogener Titer der Längsfäden kleiner ist als ein auf die Länge bezogener Titer der Querfäden, wobei der auf die Breite bezogene Titer der Längsfäden mindestens 2600 dtex/cm, der auf die Länge bezogene Titer der Querfäden mindestens 4700 dtex/cm und die Fadendichte der Querfäden mindestens 28 Fäden pro Zentimeter Länge beträgt, wobei die Längsfäden und die Querfäden außer durch die Klebeschicht zusätzlich gegen eine Verschiebung relativ zueinander fixiert sind.

Die Beispiele I und II von E19 veranschaulichen beide handeinreißbare Kabelwickelbänder im Sinne der Lehre von E19, wobei Beispiel I ein unbeschichtetes Gewebe und Beispiel II ein rückseitig mit einer Acrylatbeschichtung versehenes Gewebe umfasst.

4.3 Die Beschwerdeführerin sah in Beispiel II von E19 die am nächsten kommende Ausführungsform, wohingegen die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass Beispiel I von E19 als nächstliegende Ausführungsform auszuwählen sei. Selbst wenn von Beispiel II ausgegangen werde, liege nach Ansicht der Beschwerdegegnerin dennoch ein unerwarteter Effekt (d.h. eine verringerte Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit) vor, der das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stütze.

4.4 Aus den folgenden Gründen kann die Kammer der Beschwerdegegnerin nicht dahingehend folgen, dass Beispiel I von E19 als nächstliegende Ausführungsform von E19 auszuwählen ist.

4.4.1 Sowohl Beispiel I als auch Beispiel II von E19 offenbaren nicht den in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderten Quotienten aus auf die Länge bezogenem Titer der Querfäden und auf die Breite bezogenem Titer der Längsfäden (nachfolgend als "Quotient" bezeichnet) von 2,2 bis 6, sondern einen niedrigeren Wert von 1,9 bzw. 2.

4.4.2 Wie unter Punkt 3 ausgeführt, legt die Kammer das Merkmal "wobei der Träger ein Polyestergewebe ist" so aus, dass der Träger auch ein beschichtetes Polyestergewebe sein kann und das Flächengewicht folglich auch einen beschichteten Träger betreffen kann. Somit erfüllt Beispiel II von E19 (mit einem Flächengewicht des Trägers von 120 g/m**(2)) das in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderte Flächengewicht des Trägers von größer oder gleich 110 g/m**(2), wohingegen Beispiel I (mit einem Flächengewicht des Trägers von 70 g/m**(2)) dieses Merkmal nicht erfüllt.

4.4.3 Daher weist Beispiel II von E19 mehr gemeinsame Merkmale mit dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags auf als Beispiel I von E19. Somit ist Beispiel II von E19 die am nächsten kommende Ausführungsform der E19 und nicht Beispiel I. Die Kammer sieht auch keinen Grund, der dagegen sprechen könnte, Beispiel II als Startpunkt in der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu verwenden.

4.5 Nachfolgend ist zu diskutieren, ob ein aus dem einzigen Unterscheidungsmerkmal ("Quotient ... zwischen 2,2 und 6") resultierender Effekt gegenüber Beispiel II von E19 gezeigt worden ist.

4.5.1 Obwohl kein Vergleichsexperiment vorliegt, das Beispiel II von E19 nachstellt, ist die Beschwerdegegnerin der Ansicht, dass sich eine verringerte Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit aus den im Patent angegebenen Beispielen ableiten lasse.

4.5.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass dieser Effekt gegenüber Beispiel I von E19 gezeigt wurde (siehe den Vergleich des Vergleichsbeispiels (II) des Patents, das Beispiel I von E19 nachstellt, mit dem erfindungsgemäßen Beispiel (IV) des Patents). Da das in Beispiel II von E19 beschriebene Polyestergewebe eine Acrylatbeschichtung mit einer erheblichen Dicke aufweise, würde ein Fachmann zwar annehmen, dass diese zusätzliche Beschichtung die Abriebfestigkeit des Klebebandes erhöhen würde, das Flagging in Beispiel II müsse jedoch zwangsläufig stärker ausgeprägt sein, denn das beschichtete Polyestergewebe sei aufgrund der Beschichtung steifer als das unbeschichtete Gewebe aus Beispiel I von E19.

In diesem Zusammenhang betonte die Beschwerdegegnerin auch, dass im angegriffenen Patent ein modifizierter und zwar strengerer Flagging-Test durchgeführt werde (siehe Absatz [0095] des Patents) und nicht der in LV 312 beschriebene Standardtest.

4.5.3 Im angegriffenen Patent wird zwar ein an LV 312 angelehnter aber deutlich modifizierter Flagging-Test angewendet (siehe Absatz [0095] des Patents). Der im Patent anzuwendende Flagging-Test unterscheidet sich von dem in LV 312 beschriebenen dadurch, dass der Durchmesser des Stabes deutlich geringer gewählt wird (Kabelbündel aus zwei verdrillten Adern mit Leitungsquerschnitt von 0,35 mm**(2) gegenüber einem Stahlstab mit einem Durchmesser von 10 mm in LV 312) und dass die Messdauer deutlich länger ist (7 Tage gegenüber 20 bis 24 h in LV 312). Somit wird der im Patent beschriebene modifizierte Flagging-Test unter deutlich strengeren Bedingungen durchgeführt als in LV 312 beschrieben.

4.5.4 Aber selbst wenn man der Beschwerdegegnerin dahingehend folgen würde, dass für Beispiel (IV) des Patents ein verringertes Flagging gegenüber dem Beispiel II von E19 ableitbar wäre, so ist festzustellen, dass eine Acrylatbeschichtung (wie in Beispiel II von E19) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags nicht ausgeschlossen ist (siehe die Auslegung von Anspruch 1 unter Punkt 3). Nach dieser Auslegung von Anspruch 1 des Hauptantrags kann das Flächengewicht des Trägers in Anspruch 1 somit auch überwiegend durch eine Beschichtung des Polyestergewebes erzielt werden, es muss aber zumindest nicht, wie in Beispiel (IV) des Patents veranschaulicht, ausschließlich das Polyestergewebe selbst betreffen. Mit anderen Worten ist es nicht glaubhaft, dass ausgehend von Beispiel II von E19, welches eine Acrylatbeschichtung aufweist, gegenüber Beispiel (IV) des Patentes, welches keine Acrylatbeschichtung aufweist, die Verringerung der Flaggingneigung lediglich auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführen ist.

Somit kann eine verringerte Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit nicht als Effekt anerkannt werden, der aus dem Unterscheidungsmerkmal resultiert.

4.5.5 Folglich wurde kein aus dem einzigen Unterscheidungsmerkmal ("Quotient ... 2,2 bis 6") resultierender Effekt gegenüber Beispiel II von E19 gezeigt.

4.6 Die objektive technische Aufgabe ausgehend von Beispiel II von E19 ist daher in der Bereitstellung eines alternativen Klebebandes zu sehen.

4.7 Ein Fachmann wird in E19 nicht davon abgehalten, den Quotienten aus Quertiter und Längstiter von 1,9 bzw. 2 aus Beispiel II von E19 auf 2,2 oder darüber als eine mögliche Alternative in Betracht zu ziehen. Anspruch 1 von E19 lehrt vielmehr einen nach oben offenen Bereich für den Quotienten aus Quertiter und Längstiter von größer als 1 und schließt Werte von 2,2 oder darüber nicht aus. Zwar könnte, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert auch ein Wert unter 1,9 bzw. 2 ausgewählt werden, wie von Anspruch 1 von E19 umfasst. Die Kammer sieht jedoch keinen Grund, warum ein Fachmann, welcher vor die oben genannten wenig ambitionierte Aufgabe gestellt ist, ein alternatives Klebeband bereitzustellen, einen Wert von größer als 2 nicht gleichermaßen in Betracht ziehen sollte, da bei Erhöhung dieses Quotienten die in E19 gewünschte Handeinreißbarkeit sogar noch verbessert werden kann.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ist nach Ansicht der Kammer daher gegenüber dem in E19 beschriebenen Klebeband eine naheliegende Alternative.

4.8 Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber E19 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

HILFSANTRAG 1

5. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 betrifft im Wesentlichen die Verwendung des in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchten Klebebandes zum Ummanteln von langgestrecktem Gut, wobei das Klebeband in einer Schraubenlinie um das langgestreckte Gut geführt wird.

Der nächstliegende Stand der Technik (E19) offenbart auch ein Kabelwickelband für dasselbe Anwendungsgebiet (siehe Absatz [0001] von E19). Eine spiralförmige Bewicklung von Kabelsätzen ist in E19 sogar ausdrücklich erwähnt (vgl. Absatz [0034] von E19).

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber E19 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

HILFSANTRAG 2

6. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der Wertebereich "zwischen 2,2 und 6" auf "zwischen 2,8 und 6" eingeschränkt wurde.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ist durch die Einschränkung "2,8 bis 6" weiter von den Beispielen I und II von E19 abgegrenzt.

Somit stellt sich die Frage, ob ein Fachmann ausgehend von E19 auch diesen Quotienten aus Quertiter und Längstiter in Betracht ziehen würde. Da kein Effekt aus diesem Unterscheidungsmerkmal gezeigt wurde und ein solcher gegenüber Beispiel II von E19 auch nicht geltend gemacht wird, führt diese Einschränkung zu keiner unterschiedlichen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im Vergleich zum Hauptantrag. Nach Ansicht der Kammer würde ein Fachmann aus denselben Gründen, wie für Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeführt, auch einen Quotienten aus Quertiter und Längstiter im beanspruchten Bereich in Betracht ziehen, um ein alternatives Klebeband zu erhalten.

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 gegenüber E19 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

HILFSANTRAG 3

7. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass der Wertebereich "zwischen 2,2 und 6" auf "zwischen 2,8 und 6" eingeschränkt wurde.

In Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist der Wertebereich des Quotienten aus Quertiter und Längstiter wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auf "zwischen 2,8 bis 6" eingeschränkt. Die Ausführungen zu den Hilfsanträgen 1 und 2 gelten für diesen Gegenstand in analoger Weise. Nach Ansicht der Kammer ist auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 eine naheliegende Alternative gegenüber E19.

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 gegenüber E19 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

HILFSANTRAG 4

8. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "wobei der Träger ein Polyestergewebe ist" in "wobei der Träger aus einem Polyestergewebe besteht" geändert wurde.

9. Zulassung des Hilfsantrags 4

9.1 Die Parteien wurden am 22. Oktober 2019 zu einer mündlichen Verhandlung geladen ("erste Ladung"). Der Hilfsantrag 4 wurde am 21. Februar 2020 eingereicht und stellt somit eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne des Artikels 13 VOBK 2020 (der in diesem Fall gemäß Artikel 25(1) VOBK 2020 anzuwenden ist) dar.

Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde am 18. März 2020 aufgrund der herrschenden Pandemie aufgehoben. Am 28. April 2020 wurden die Parteien erneut zu einer mündlichen Verhandlung geladen ("zweite Ladung"). Hierdurch ergab sich der besondere Umstand, dass der Hilfsantrag 4 nach der Zustellung der ersten Ladung vom 22. Oktober 2019 und nach der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 27. Januar 2020 sowie vor der Zustellung der zweiten Ladung vom 28. April 2020 eingereicht wurde. Im vorliegenden Fall unterliegt formell gesehen daher der Hilfsantrag 4 den Voraussetzungen des Artikels 13(1) VOBK 2020 und nicht etwa jenen des Artikels 13(2) VOBK 2020, weil er vor der Zustellung der zweiten Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht wurde.

Allerdings argumentierte die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung, dass der Hilfsantrag 4 nicht zum Verfahren zugelassen werden solle, da dieser verspätet eingereicht worden sei, keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 vorliegen und dieser nicht prima facie gewährbar sei.

9.2 Unter Berücksichtigung der Kriterien des Artikels 13(1) VOBK 2020 hat die Kammer ihr Ermessen ausgeübt und den Hilfsantrag 4 zum Verfahren zugelassen. Hieran ändert sich auch bei Anwendung der strengeren Kriterien der dritten Stufe des Konvergenzsatzes nach Artikel 13(2) VOBK 2020 nichts.

Das Einreichen des Hilfsantrags 4 stellt eine legitime und alsbaldige Reaktion auf die von der Kammer in der Mitteilung vom 27. Januar 2020 abgegebene Auslegung des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags (siehe Punkt 6 dieser Mitteilung) dar. Da sich diese Auslegung von der Auslegung der Einspruchsabteilung (siehe Punkt 2.7.5 der angefochtenen Entscheidung) unterscheidet und diese auch nicht von der Beschwerdeführerin vorgetragen worden war, gab es für die Beschwerdegegnerin bis zu diesem Zeitpunkt keine Veranlassung, einen entsprechenden Hilfsantrag einzureichen.

9.3 Nach Ansicht der Kammer stellen eine unterschiedliche Auslegung des beanspruchten Gegenstands durch die Kammer, welche zuvor nicht im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden ist, im Vergleich zu der Lesart der Einspruchsabteilung, sowie die damit einhergehenden Auswirkungen in Bezug auf die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, auch außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 dar, die im vorliegenden Fall eine Reaktion rechtfertigen. Die Beschwerdegegnerin hat auch anhand dieser unterschiedlichen Auslegung stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass vorliegend außergewöhnliche Umstände vorliegen.

9.4 Nach Ansicht der Kammer ist die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 vorgeschlagene Änderung auch ein ernsthafter Versuch, die von der Kammer angesprochenen Bedenken auszuräumen.

Von der Beschwerdeführerin wurden auch Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ und Artikel 84 EPÜ vorgebracht. Der Einwand unter Artikel 84 EPÜ betraf jedoch nur Fragen der Anpassung der Beschreibung und konnte somit nicht überzeugen. Aus den folgenden, unter Punkt 10 angegebenen Gründen verstößt der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 auch nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ. Somit werden durch das Einreichen von Hilfsantrag 4 auch keine neuen Fragen aufgeworfen, die gegen die Zulassung sprechen könnten.

Somit hat die Kammer entschieden, den Hilfsantrag 4 zum Verfahren zuzulassen.

10. Artikel 123(2) EPÜ

10.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin biete die eingereichte Anmeldung keine Basis für die Änderung, wonach der Träger (nur) aus einem Polyestergewebe bestehe, so dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 aus diesem Grund unzulässig erweitert worden sei.

10.2 Aus den folgenden Gründen folgt die Kammer dieser Ansicht nicht.

In Anspruch 1 der eingereichten Anmeldung ist ein Klebeband offenbart, das aus einem Träger und auf mindestens einer Seite aufgebrachten Klebeschicht besteht, wobei der Träger ein Gewebe, vorzugsweise ein Polyestergewebe, ist. Somit beschreibt Anspruch 1 die Kombination aus Träger und Klebeschicht(en). Darüber hinaus offenbart Anspruch 1 der eingereichten Anmeldung auch eindeutig einen Träger, der vorzugsweise ein Polyestergewebe ist. Somit ist eine Basis für die Einschränkung des Trägers auf ein Polyestergewebe gegeben.

Sowohl in Figur 1 als auch im erfindungsgemäßen Beispiel (IV) der eingereichten Anmeldung sind Ausführungsformen eines Klebebands beschrieben, das jeweils einen unbeschichteten Gewebeträger aufweist. Somit veranschaulichen die in der eingereichten Anmeldung beschriebenen Ausführungsformen die Möglichkeit, dass ein unbeschichteter Träger verwendet werden kann. Eine Textstelle der Offenbarung der eingereichten Anmeldung, der zu entnehmen ist, dass nicht immer das unbeschichtete Gewebe als solches vorliegen muss, sondern auch ein mit einem Rückseitenlack beschichtetes Gewebe, ist zwar auf Seite 11, Zeilen 1 bis 8 von unten, zu finden. Aus dieser Textstelle ist jedoch zu entnehmen, dass das Auftragen des Rückseitenlacks lediglich optional ist.

10.3 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin könne der Träger auch unter anderem aus einem Viskosegewebe und Mischgewebe gebildet sein, was angeblich auf einem wenigstens zweilagigen Träger hindeute. Diese in der eingereichten Anmeldung beschriebenen Alternativen sind durch die Einschränkung auf ein Polyestergewebe jedoch nicht länger vom Wortlaut von Anspruch 1 umfasst. Dieser Einwand überzeugt die Kammer daher nicht.

10.4 Die Beschwerdeführerin verwies auch auf die Möglichkeit, wonach dem Träger und/oder der Klebemasse ein Flammschutzmittel zugesetzt werden könne, was ihrer Ansicht nach auch belege, dass ein Träger, der nur aus einem Polyestergewebe bestehe, in der eingereichten Anmeldung nicht offenbart sei. Diesbezüglich ist festzustellen, dass der Zusatz eines Flammschutzmittels im Patent lediglich als optional angegeben ist (Absatz [0056]). Der Zusatz eines Flammschutzmittels in der Klebeschicht steht nicht im Widerspruch zu dem Wortlaut von Anspruch 1, da Anspruch 1 eine Klebeschicht im allgemeinen betrifft, die auch ein Flammschutzmittel enthalten kann. Selbst der in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beschriebene (abschließend formulierte) Träger, der nur aus einem Polyestergewebe besteht, ist zwar als ein nicht beschichtetes Polyestergewebe zu verstehen. Das entsprechende Polyestermaterial der Fäden kann jedoch ein Flammschutzmittel aufweisen.

Folglich ist in der eingereichten Anmeldung eine Basis für einen Träger als Bestandteil des Klebebandes gegeben, der nur aus einem Polyestergewebe besteht und weitere Schichten, wie Beschichtungen, ausschließt.

Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 die in Artikel 123(2) EPÜ niedergelegte Anforderung.

11. Gegen den in Hilfsantrag 4 beanspruchten Gegenstand wurde kein Neuheitseinwand erhoben.

12. Erfinderische Tätigkeit

12.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 gegenüber E19 allein nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

12.2 In Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 ist angegeben, dass der Träger aus dem Polyestergewebe besteht, so dass nun im Unterschied zu Anspruch 1 des Hauptantrags ein beschichtetes Polyestergewebe als Träger ausgeschlossen ist. Die Parteien waren sich darin einig, dass folglich Beispiel I von E19 die am nächsten kommende Ausführungsform und nicht mehr Beispiel II von E19 ist.

12.3 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass das Vergleichsbeispiel (II) des angegriffenen Patents, das das Beispiel I von E19 nachstelle, zwar eine gute Abriebbeständigkeit, aber ein gewisses Abflaggen zeige. Demgegenüber zeige das erfindungsgemäße Beispiel (IV) des Patents keinerlei Flagging bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit. Somit sei der aus dem Unterscheidungsmerkmal resultierende Effekt in einer verringerten Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit zu sehen.

12.4 Diesbezüglich argumentierte die Beschwerdeführerin, dass kein Effekt gegenüber Beispiel I von E19 gezeigt worden sei, da das Flagging für Vergleichsbeispiel (II) des Patents (das Beispiel I von E19 entspreche) als "0-2mm" angegeben sei, was gemäß der Norm LV 312 als "kein Flaggen" zu werten sei. Folglich sei auch gegenüber Beispiel I von E19 keine verringerte Flaggingneigung gezeigt worden.

12.5 Aus den folgenden Gründen teilt die Kammer diese Ansicht der Beschwerdeführerin nicht.

12.5.1 In dem angegriffenen Patent wird, wie oben unter Punkt 4.5.3 ausgeführt, ein an LV 312 angelehnter aber modifizierter Flagging-Test angewendet, der unter deutlich strengeren Bedingungen durchgeführt als in LV 312.

12.5.2 In diesem modifizierten Flagging-Test zeigt das Polyestergewebe aus Beispiel I von E19 (siehe Vergleichsbeispiel (II) des Patents) ein gewisses Flagging ("0-2 mm"), wohingegen das erfindungsgemäße Beispiel (IV) des Patents überhaupt kein Flagging ("0 mm") zeigt. Dies ist nach Ansicht der Kammer als eine Verbesserung gegenüber Beispiel I von E19 zu werten.

12.5.3 Daher ist nach Ansicht der Kammer gegenüber Beispiel I von E19 tatsächlich ein verbesserter Effekt, nämlich eine verringerte Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit, gezeigt worden.

12.6 Somit ist die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Klebebandes zu sehen, das eine verringerte Flaggingneigung bei gleichzeitig guter Abriebfestigkeit aufweist.

12.7 E19 gibt keinen Hinweis, mit welchen Maßnahmen diese objektive Aufgabe gelöst werden könnte. Es ist auch festzustellen, dass E19 eher eine Anregung dahingehend vermittelt, das Flächengewicht des Gewebes innerhalb des als bevorzugt beschriebenen Bereichs von 70 bis 100 g/m**(2) auszuwählen (siehe Absatz [0039] von E19) und nicht einen Bereich von 110 g/m**(2) oder darüber, wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 gefordert, in Betracht zu ziehen.

Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 gegenüber E19 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gilt für die Ansprüche 2 bis 14 des Hilfsantrags 4.

13. Anpassung der Beschreibung

13.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin müsse Absatz [0056] der Patentschrift gestrichen werden, da ein Träger, dem ein Flammschutzmittel zugesetzt werde, im Widerspruch zu der abschließenden Formulierung "wobei der Träger aus einem Polyestergewebe besteht" von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 stehe.

13.2 Absatz [0056] des Patents beschreibt, dass dem Träger ein Flammschutzmittel zugesetzt werden kann. Nach Ansicht der Kammer ist dies so zu verstehen, dass dem Polyestermaterial, das die Fäden des Polyestergewebes bildet, ein Flammschutzmittel zugesetzt werden kann. Dies steht nach Ansicht der Kammer nicht im Widerspruch zu dem Wortlaut von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 (vgl. auch die Ausführungen unter Punkt 10.4 oben).

13.3 Es wurden keine weiteren Einwände von Seiten der Beschwerdeführerin gegen die Anpassung der Beschreibung vorgetragen. Die Kammer hatte auch keine weiteren Einwände. Das Erfordernis nach Artikel 84 EPÜ ist daher erfüllt.

14. Somit ist der Hilfsantrag 4 gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der

Anordnung zurückverwiesen, das Patent in der folgenden

Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche: 1 bis 14, eingereicht mit Schreiben vom 21. Februar 2020 als Hilfsantrag 4;

- Beschreibung: Absätze 1-27, 29-39, 41-75, 79-98 der Patentschrift;

- Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 der Patentschrift.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird

zurückgewiesen.

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