European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T228715.20190408 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 April 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2287/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08706798.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16J 9/26 F16J 9/12 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Kolbenring | ||||||||
Name des Anmelders: | Federal-Mogul Burscheid GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Mahle International GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Verspätetes Vorbringen - nicht zugelassen Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja) Erfinderische Tätigkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 15. Oktober 2015 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 122 211 zurückzuweisen.
II. Der Einspruch ist gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ begründet worden.
III. Am 8. April 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder die Aufrechterhaltung des europäischen Patent auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 oder 2, beide eingereicht am 1. Juni 2016.
VI. Im Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E1: GB 526 707;
E2: GB 1 069 875;
E3: DE 2 008 753;
E4: DE 100 14 515.
VII. Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Kolbenring mit einem Grundkörper, der eine mit mindestens einer mit einer Verschleißschutzschicht gefüllten Kammerung (7) versehene Lauffläche (3), eine obere (4) und eine untere Flankenfläche (5) sowie eine innere Umfangsfläche (6) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die gesamte Lauffläche (3) mit mindestens einer PVD-Schicht (8) derart versehen ist, dass der bekammerte Bereich der Lauffläche (3) nur partiell ausgefüllt ist, wodurch vorstehende tragende Bereich an den Rändern der Lauffläche (3) gebildet sind und die Kammerung (7) im Betriebszustand ein Reservoir für Schmieröl bildet, wobei in Abhängigkeit von der Ausbildung der Kammerung (7) der jeweilige Randbereich (9, 10) mit einer gegenüber der Schichtdicke (a) der Kammerung (7) reduzierten Schichtdicke (b) versehen ist."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulässigkeit des geänderten Vorbringens
Das Dokument E4 sei der Beschwerdeführerin erst spät zur Kenntnis gelangt und habe deshalb nicht schon im Einspruchsverfahren vorgelegt werden können. Das Dokument E4 sei seinem Inhalt nach jedoch prima facie für die Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit so relevant, dass es im Beschwerdeverfahren nicht unberücksichtigt bleiben könne. Es entstamme nicht nur dem gleichen technischen Gebiet wie das Streitpatent, sondern offenbare in der Figur 2 auf den ersten Blick auch alle Anspruchsmerkmale in Kombination. Falls die Beschwerdekammer aber zur Auffassung gelangen sollte, dass das Merkmal der reduzierten Schichtdicke in den Randbereichen nicht in der Figur 2 des Dokuments E4 gezeigt sei, sei der Anspruchsgegenstand durch eine Kombination der Dokumente E4 und E3 prima facie nahegelegt. Die Tatsache, dass die Figur 2 des Dokuments E4 einen Ölabstreifring und keinen Verdichtungsring zeige, sei für die Frage der erfinderischen Tätigkeit unbeachtlich, da der anspruchsgemäße Kolbenring in dieser Hinsicht nicht eingeschränkt sei. Aus diesen Gründen sei das Dokument E4 und das darauf beruhende Vorbringen zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Ausführbarkeit
Es gehe aus dem Streitpatent nicht hervor, in welcher Weise die Schichtdicke von der Ausbildung der Kammerung abhänge. Auch hinsichtlich der Frage, was unter einer partiellen Ausfüllung des bekammerten Bereichs zu verstehen sei, sei das Streitpatent widersprüchlich (vgl. insbesondere Figuren 2 und 3). Es werde nicht bestritten, dass der beanspruchte Gegenstand nachgearbeitet werden könne. Jedoch könne ein Fachmann aufgrund der genannten Defizite nicht feststellen, ob ein Gegenstand unter den Schutzbereich des Streitpatents falle oder nicht. Folglich sei die Erfindung nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend vom Dokument E2
Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sei insbesondere ausgehend vom Dokument E2, insbesondere den Figuren 1 bis 3, zu beurteilen. Die in der Figur 2 gezeigte beschichtete Außenumfangsfläche werde gemäß Seite 2, Zeilen 27 ff bearbeitet, wobei Material abgetragen werde. Dieser Materialabtrag erfolge zunächst nur im Bereich der Ringstege, so dass dort die Beschichtung eine deutlich geringere Schichtdicke als die Beschichtung im Bereich der Kammerung erreiche. Auf diese Weise ergäben sich aus dem Dokument E2, zumindest an einem dortigen Zwischenprodukt, mit Ausnahme der PVD-Beschichtung sämtliche Anspruchsmerkmale. Zudem entspreche der Endzustand nach Figur 3 des Dokuments E2 dem Endzustand des vorliegend beanspruchten Kolbenrings (vgl. Figur 3 des Streitpatents). Zwar sei nach dem Dokument E2 keine PVD-Beschichtung vorgesehen, denn eine derartige Beschichtung war am Veröffentlichungstag des Dokumentes E2 noch nicht bekannt. Jedoch müsse es als für einen Fachmann naheliegend angesehen werden, ältere Beschichtungsverfahren durch PVD-Verfahren zu ersetzen. Denn PVD-Beschichtungen zeichneten sich durch eine geringe Fehlerstellendichte und dementsprechend durch eine äußerst glatte Oberfläche aus, wobei gegebenenfalls auch diamantähnliche Carbonbeschichtungen in Form von PVD-Beschichtungen möglich seien. Die Erwähnung einer Plasmaspritzpistole und einer damit aufgetragenen Keramik- oder Metallschicht im Dokument E2 (vgl. Seite 2, Zeilen 24 bis 26) deuteten bereits in Richtung der Möglichkeit einer PVD-Beschichtung. Daraus folge, dass der Anspruchsgegenstand für einen Fachmann, der auf das allgemeine Fachwissen am Prioritätsdatum des angegriffenen Patents habe zurückgreifen können, ausgehend vom Dokument E2 naheliegend sei. Alternativ könnte der Fachmann auch das Zwischenprodukt nach Figur 2 des Dokuments E2 in einen Motor einbauen und den gesamten Schleifprozess in den Motorblock verlegen. Da der Kolbenring im Zustand nach Figur 2 des Dokuments E2 eine im Sinne des Streitpatents (vgl. die dortige Figur 2) nur partiell ausgefüllte Kammerung aufweise, die ein Ölreservoir bilden könne, sei auch unter diesem Blickwinkel der Anspruchsgegenstand nahegelegt.
Im Ergebnis sei die Merkmalskombination von Anspruch 1 des angegriffenen Patents als nicht erfinderisch anzusehen.
IX. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung war im Wesentlichen wie folgt:
Zulässigkeit des geänderten Vorbringens
Das Dokument E4 sei erst im Beschwerdeverfahren und damit verspätet vorgelegt worden, obwohl der Ladungsbescheid der Einspruchsabteilung bereits eine klare Veranlassung geboten habe, nach weiteren, vermeintlich neuheitsschädlichen Entgegenhaltungen zu suchen. Zudem könne die Figur 2 des Dokuments E4 die Neuheit des Anspruchsgegenstands prima facie nicht in Frage stellen, da es beispielsweise das Merkmal der in den Randbereichen der Lauffläche reduzierten Schichtdicke nicht offenbare. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei durch eine Kombination der Dokumente E4 und E3 auch nicht nahegelegt. Das Dokument E3 betreffe einen Verdichtungsring. Die von der Beschwerdeführerin angezogene Figur 2 des Dokuments E4 zeige dagegen einen Ölabstreifring, bei dem sich das Problem der Ausbruchssicherheit gar nicht stelle. Das Dokument E4 stelle deshalb keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. Angesichts der gravierenden Unterschiede zwischen den Kolbenringen nach den Dokumenten E4 und E3 würde ein Fachmann diese Dokumente nicht kombinieren. Damit könne eine Zusammenschau der Dokumente E4 und E3 die erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstands prima facie nicht in Frage stellen. Aus den genannten Gründen sei das Dokument E4 und der darauf aufbauende Vortrag zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit nicht ins Verfahren zuzulassen.
Ausführbarkeit
Die von der Beschwerdeführerin gerügten vermeintlichen Defizite beträfen die Klarheit der erteilten Ansprüche, die aber nicht im Einspruchsverfahren geprüft werden könne. Der unter Schutz gestellte Kolbenring sei in der Figur 2 des Patents dargestellt. Gestützt auf diese Figur und die zugehörige Beschreibung sei das Merkmal der partiellen Ausfüllung des bekammerten Bereichs so zu verstehen, dass an der Lauffläche im Betriebszustand nach der Beschichtung im Bereich der Kammerung ein Ölreservoir ausgebildet sei.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend vom Dokument E2
Bereits im Einspruchsverfahren sei zu Recht festgestellt worden, dass ein Kolbenring während des Schleifprozesses nicht als ein (nicht offenbartes) Zwischenprodukt angesehen werden könne und dass der Fachmann keine Anregung gehabt habe, eine tiefere Kammerung mit einer viel dünneren Schicht auszufüllen, geschweige denn Beschichtungen unterschiedlicher Dicke auf dem Ring vorzusehen. Die Beschwerdeführerin habe nichts vorgebracht, was diesen Erkenntnissen entgegenstehe.
Darüber hinaus wären nicht einmal zu irgendeinem Zeitpunkt während des Schleifprozesses des Dokuments E2, bei dem die überstehenden Beschichtungsteile bis auf die Höhe der vollständig gefüllten Kammer abgeschliffen würden, alle Merkmale offenbart oder nahegelegt. Die Entgegenhaltung E2 offenbare also zumindest nicht, dass
- die gesamte Lauffläche mit einer PVD-Schicht versehen sei,
- der bekammerte Bereich der Lauffläche nur partiell ausgefüllt sei,
- die Kammerung im Betriebszustand ein Reservoir für Schmieröl bilde und
- der jeweilige Randbereich mit einer gegenüber der Schichtdicke der Kammerung reduzierten Schichtdicke versehen sei.
Zudem habe der Fachmann keine Veranlassung, anstelle der dicken, über die Tiefe der Kammerung deutlich hinausgehenden Beschichtung des Dokuments E2 eine dünnere PVD-Schicht aufzubringen. Eine solche Schicht würde ebenso wie eine partielle Beschichtung der Kammer beliebiger Art den Zweck des Dokuments E2, nämlich das vollständige Füllen der Nuten und anschließende Glattschleifen bis auf die Nuttiefe, komplett verfehlen, so dass der Fachmann es nicht in Erwägung ziehen würde. Selbst mit einer nicht naheliegenden PVD-Schicht würde der Fachmann eine Beschichtung mit gleicher Schichtdicke außerhalb und innerhalb der Kammer erhalten, so dass auch in diesem Fall weder vor noch nach dem Abschleifen der Randbereiche die Merkmale des Anspruchs nahegelegt seien. Zudem sei nicht erkennbar, warum der Fachmann ins Auge fassen sollte, das Kolbenringzwischenprodukt nach Figur 2 des Dokuments E2 in einen Motor einzubauen und den gesamten Schleifprozess dort auszuführen, wie von der Beschwerdeführerin behauptet. Bei dieser Sachlage könne dem Gegenstand von Anspruch 1 die erfinderische Tätigkeit nicht abgesprochen werden.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit des geänderten Vorbringens
1.1 Einwand mangelnder Neuheit im Hinblick auf das Dokument E4
1.1.1 In der Beschwerdebegründung greift die Beschwerdeführerin die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 erstmals auf der Grundlage des Dokuments E4 an. Die Beschwerdegegnerin sieht dieses neue Vorbringen als verspätet an und beantragt es nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
1.1.2 Für die Frage der Zulässigkeit von verspätetem Vorbringen unterscheidet die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) generell zwischen Vorbringen, das erstmals mit der Beschwerdebegründung bzw. der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde (vgl. Artikel 12 (1), (2) und (4) VOBK) und einem Vortrag, der zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt (vgl. Artikel 13 VOBK).
1.1.3 Da im vorliegenden Fall das Dokument E4 und der darauf beruhende Neuheitseinwand erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht wurde, steht deren Zulassung nach Artikel 12 (4) VOBK im Ermessen der Beschwerdekammer. In dieser Hinsicht ist zu untersuchen, ob bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine Veranlassung bestand, das Dokument E4 vorzulegen, oder ob das neue Vorbringen eine zeitnahe und sachlich angemessene Reaktion auf die angefochtene Entscheidung darstellt.
1.1.4 In diesem Sinne ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Einspruchsabteilung bereits im Ladungsbescheid vom 4. März 2015 (vgl. Abschnitt II, Punkt 3) den Gegenstand von Anspruch 1 als neu gegenüber dem damals entgegengehaltenen Stand der Technik in Form der Dokumente E1 bis E3 angesehen hat, da keines dieser Dokumente eine PVD-Schicht zeige. Unter anderem mit dieser Begründung hat die Einspruchsabteilung die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 in der angefochtenen Entscheidung (vgl. Seite 5, vierter Absatz) schließlich anerkannt. Folglich bestand bereits aufgrund der im Ladungsbescheid klar zum Ausdruck gebrachten Einschätzung der Einspruchsabteilung zur Frage der Neuheit eine konkrete Veranlassung für die Einsprechende, innerhalb der im Hinblick auf die anberaumte mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gesetzten Frist weitere Belege dafür zu suchen, dass die Merkmalskombination des erteilten Anspruchs 1, insbesondere Kolbenringe mit PVD-beschichteter Lauffläche, vor dem Prioritätstag des Streitpatents aus dem Stand der Technik bekannt waren.
Unter diesen Umständen sind die Vorlage des Dokuments E4, das einen Kolbenring mit PVD-beschichteter Lauffläche zeigt, und der darauf beruhende, erst im Beschwerdeverfahren geäußerte Einwand der mangelnden Neuheit als zu spät anzusehen.
1.1.5 Darüber hinaus ist in substantieller Hinsicht festzustellen, dass das Dokument E4 das Merkmal des streitgegenständlichen Anspruchs 1, dass die Schichtdicke der PVD-Schicht im Randbereich der Lauffläche gegenüber der Schichtdicke der Kammerung reduziert ist, nicht offenbart. Damit kann das Dokument E4 prima facie die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 nicht in Frage stellen.
1.1.6 Aus den genannten Gründen ist die auf das Dokument E4 gestützte Beanstandung der mangelnden Neuheit nach Artikel 12 (4) VOBK nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
1.2 Einwand mangelnder erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Dokumente E4 und E3
1.2.1 Die Beanstandung, dass es dem Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf eine Kombination der Figur 2 des Dokuments E4 mit dem Dokument E3 an erfinderischer Tätigkeit fehle, wurde erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgetragen. Dieses Vorbringen kann nach Artikel 13 (1) VOBK nur dann im Verfahren Berücksichtigung finden, wenn es von der Beschwerdekammer in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens zugelassen worden ist. Relevante Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens umfassen die Komplexität des neuen Sachverhalts, der aktuelle Stand des Verfahrens, die Notwendigkeit der Verfahrensökonomie und seine Signifikanz hinsichtlich der zu klärenden Fragen.
1.2.2 Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der auf einer Kombination der Dokumente E4 und E3 beruhende Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, also erst in der abschließenden Phase des Beschwerdeverfahrens genannt worden ist. Da die Beschwerdegegnerin das Streitpatent bis zuletzt in der erteilten Fassung verteidigt hat, kann dieses späte Vorbringen nicht als Reaktion auf eine geänderte Antragslage der Beschwerdegegnerin gerechtfertigt werden. Darüber hinaus ist in substantieller Hinsicht festzustellen, dass die von der Beschwerdeführerin angezogene Figur 2 des Dokuments E4 einen Ölabstreifring betrifft, das Dokument E3 hingegen einen Verdichtungsring. Schon aufgrund der Unterschiede hinsichtlich der Funktion und der Struktur dieser beiden Kolbenringtypen ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann eine Kombination des Ölabstreifrings nach der Figur 2 des Dokuments E4 mit dem Verdichtungsring des Dokuments E3 in Erwägung gezogen hätte. Zudem lässt sich aus keinem der beiden Dokumente ein Hinweis darauf ableiten, dass die Schichtdicke der PVD-Schicht im Randbereich der Lauffläche gegenüber der Schichtdicke der Kammerung reduziert ist. Damit kann eine Zusammenschau der Dokumente E4 und E3 die erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstands prima facie nicht in Frage stellen.
1.2.3 Folglich ist der auf eine Kombination der Dokumente E4 und E3 gestützte Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 13 (1) VOBK nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
2. Ausführbarkeit
2.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Fachmann, insbesondere auf der Grundlage der Absätze [0010] bis [0019] in Verbindung mit den Figuren 1 bis 3 des Streitpatents, in der Lage ist, den Gegenstand der erteilten Ansprüche nachzuarbeiten. Sie macht jedoch im Wesentlichen geltend, dass der Schutzbereich des Patents aufgrund der unklaren Bedeutung der Merkmale der partiellen Ausfüllung des bekammerten Bereichs und der Abhängigkeit der Schichtdicke von der Ausbildung der Kammerung nicht genau genug definiert sei.
2.2 Die Beschwerdekammer teilt die Auffassung beider Parteien, dass das Streitpatent (vgl. insbesondere die Absätze [0010] bis [0019] und die Figuren 1 bis 3) den Gegenstand von Anspruch 1 so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents schon aus diesem Grund nicht entgegen.
2.3 Ergänzend ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, II.C.7.2. und insbesondere T 1811/13, Ziffer 5.1 der Begründung) mögliche, aus der Formulierung beanspruchter Merkmale resultierende Unsicherheiten des Fachmannes, ob ein Gegenstand in den Schutzbereich des Anspruchs fällt, nicht den Artikeln 83 bzw. 100 b) EPÜ zuzuordnen sind, sondern dem Artikel 84 EPÜ. Da der dahingehende Einwand der Beschwerdeführerin aber die erteilte Fassung der Patentansprüche betrifft, kann der behauptete Klarheitsmangel im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht geprüft werden (vgl. G 3/14, ABl. EPA 2015, A102, Entscheidungsgründe Punkt 50).
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Die Beschwerdeführerin geht vom Dokument E2 als nächstkommendem Stand der Technik aus. Dieses offenbart in der Figur 3 einen Kolbenring, bei dessen Herstellung auf die Lauffläche eines bekammerten Grundköpers (vgl. Figur 1) mit einer Flammspritzpistole zunächst eine Verschleißschutzschicht aufgetragen wird (vgl. Figur 2 und Seite 2, Zeilen 7 bis 25). Überschüssiges Verschleißschutzmaterial wird dann mittels Schleifen, Fräsen, Drehen oder anderen mechanischen Verfahren abgetragen (vgl. Seite 2, Zeilen 25 bis 34). Im Betriebszustand (vgl. Figur 3) ist die Kammerung vollständig gefüllt und folglich nicht geeignet, ein Reservoir für Schmieröl zu bilden. Während die Figur 3 des Dokuments E2 einen betriebsfähigen Kolbenring darstellt, zeigt die dortige Figur 2 ein nicht betriebsfertiges Zwischenprodukt. Angesichts dessen ist nicht erkennbar, warum der Fachmann in Erwägung ziehen sollte, den ungeschliffenen Kolbenringrohling nach Figur 2 des Dokuments E2 in einen Motor einzubauen und den gesamten Schleifprozess durch den Betrieb des Motors auszuführen, wie von der Beschwerdeführerin behauptet. Vor diesem Hintergrund bildet im Dokument E2 nur der Kolbenring nach Figur 3 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1.
Dieser unterscheidet sich von dem Kolbenring nach der Figur 3 des Dokuments E2 zumindest in den folgenden Merkmalen:
- Die gesamte Lauffläche ist mit einer PVD-Schicht versehen.
- Der bekammerte Bereich der Lauffläche ist nur partiell ausgefüllt, wodurch die Kammerung im Betriebszustand ein Reservoir für Schmieröl bildet.
- Der jeweilige Randbereich ist mit einer gegenüber der Schichtdicke der Kammerung reduzierten Schichtdicke versehen.
3.2 Dem Streitpatent zufolge (vgl. Absatz [0007]) ist die technische Aufgabe im Wesentlichen darin zu sehen, dass die Ausbruchsicherheit im Bereich der unteren Kante des Kolbenrings gewährleistet werden soll.
3.3 Die Beschwerdeführerin sieht es als naheliegend an, die Verschleißschutzschicht nicht wie im Stand der Technik mittels einer Flammspritzpistole aufzutragen sondern durch das neuere PVD-Verfahren. Angesichts der relativ großen Dicke der Verschleißschutzschicht im Dokument E2 ist jedoch für die Beschwerdekammer nicht ersichtlich, warum sich der Fachmann für das Aufbringen der Verschleißschutzschicht des Kolbenrings nach dem Dokument E2 ohne Weiteres für das PVD-Verfahren anstatt des Flammspritzverfahrens entscheiden würde. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Erwähnung einer Plasmaspritzpistole und einer damit aufgetragenen Keramik- oder Metallschicht im Dokument E2 bereits als ein Hinweis auf das PVD-Verfahren zu verstehen sei, teilt die Beschwerdekammer nicht. Sogar wenn der Fachmann im Zusammenhang mit dem Dokument E2 das PVD-Verfahren in Betracht zöge, würde der so hergestellte Kolbenring keinen nur partiell ausgefüllten bekammerten Bereich aufweisen, der geeignet wäre, im Betriebszustand ein Reservoir für Schmieröl zu bilden. Vielmehr ist dafür zusätzlich eine Änderung des Laufflächenprofils nötig, für die aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin jedoch keine Anregung ersichtlich wird.
3.4 Damit ist der Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf das Dokument E2 allein oder in Kombination mit dem behaupteten allgemeinen Fachwissen nicht nahegelegt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin ist folglich nicht geeignet, dem Gegenstand von Anspruch 1 die erfinderische Tätigkeit in Sinne von Artikel 56 EPÜ abzusprechen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.