T 2262/15 () of 9.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T226215.20181009
Datum der Entscheidung: 09 October 2018
Aktenzeichen: T 2262/15
Anmeldenummer: 08707449.8
IPC-Klasse: B60T 8/17
B60T 8/32
B60T 8/88
B60T 17/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BREMSANLAGE UND VERFAHREN ZUM STEUERN EINER BREMSANLAGE FÜR EIN NUTZFAHRZEUG
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: WABCO GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2137036 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 8. Oktober 2015.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass das Verfahren des Anspruchs 1 bzw. der Gegenstand des Anspruchs 11 wie erteilt unzulässig erweitert ist.

Sie hat weiterhin festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 11 gemäß dem Hilfsantrag 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

III. Die Einspruchsabteilung hat dabei die folgenden Dokumente betrachtet:

EP 1571061 A (D1)

EP 1541437 A (D2)

DE 103 20 608 (D3)

US 6290 309 B1 (D4)

DE 103 36 611 A1 (D5).

IV. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.

V. Am 9. Oktober 2018 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, hilfsweise die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden, weiter hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung im Umfang eines der Hilfsanträge 2 bis 6, vorgelegt mit der Beschwerdeerwiderung.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

VI. Der Entscheidung liegt der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 und des erteilten Anspruchs 11 gemäß der EP 2137036 B1 zugrunde; der Anspruch 1 hat den folgenden Wortlaut:

Verfahren zum Steuern einer elektronischen Bremsanlage eines Nutzfahrzeugs, mit den Schritten:

- Erfassen eines Defektes durch eine erste elektronische Steuereinheit (12), die im Wesentlichen einem Betriebsbremssystem des Nutzfahrzeugs zugeordnet ist, und/oder durch eine zweite elektronische Steuereinheit (10), die im Wesentlichen einem Feststellbremssystem des Nutzfahrzeugs zugeordnet ist, wobei der Defekt zu einem mindestens teilweisen Ausfall der Betriebsbremswirkung an einer Achse, insbesondere Hinterachse, des Nutzfahrzeugs führt,

- Erfassen eines Bremswunsches durch eine zentrale elektronische Steuereinheit(14) auf der Grundlage einer Betätigung eines Gebers (72),

- Empfangen eines den Bremswunsch anzeigenden elektrischen Signals durch die zweite elektronische Steuereinheit (10),

- Ansteuern einer Feststellbremsventileinrichtung durch die zweite elektronische Steuereinheit (10), und

- Unterstützen der durch den Bremswunsch veranlassten Bremsung durch einen Federspeicherzylinder (20) des Feststellbremssystems,

dadurch gekennzeichnet, dass

die erste elektronische Steuereinheit (12) und die zweite elektronische Steuereinheit (14) einander funktionell unterstützen, so dass Ausfälle der einen elektronischen Steuereinheit (12; 14) durch die andere elektronische Steuereinheit (14; 12) ausgeglichen werden können.

VII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt, der Unterschied zum erteilten Anspruch ist durch Fettdruck hervorgehoben:

Verfahren zum Steuern einer elektronischen Bremsanlage eines Nutzfahrzeugs, mit den Schritten:

- Erfassen eines Defektes durch eine erste elektronische Steuereinheit (12), die im Wesentlichen einem Betriebsbremssystem des Nutzfahrzeugs zugeordnet ist, und/oder durch eine zweite elektronische Steuereinheit (10), die im Wesentlichen einem Feststellbremssystem des Nutzfahrzeugs zugeordnet ist, wobei der Defekt zu einem mindestens teilweisen Ausfall der Betriebsbremswirkung an einer Achse, insbesondere Hinterachse, des Nutzfahrzeugs führt,

und wobei die erste elektronische Steuereinheit (12) und die zweite elektronische Steuereinheit (14) über Signalleitungen direkt oder über einen Datenbus miteinander in Verbindung stehen,

- Erfassen eines Bremswunsches durch eine zentrale elektronische Steuereinheit(14) auf der Grundlage einer Betätigung eines Gebers (72),

- Empfangen eines den Bremswunsch anzeigenden elektrischen Signals durch die zweite elektronische Steuereinheit (10),- Ansteuern einer Feststellbremsventileinrichtung durch die zweite elektronische Steuereinheit (10), und

- Unterstützen der durch den Bremswunsch veranlassten Bremsung durch einen Federspeicherzylinder (20) des Feststellbremssystems,

dadurch gekennzeichnet, dass

die erste elektronische Steuereinheit (12) und die zweite elektronische Steuereinheit (14) einander funktionell unterstützen, so dass Ausfälle der einen elektronischen Steuereinheit (12; 14) durch die andere elektronische Steuereinheit (14; 12) ausgeglichen werden können.

VIII. Die Argumente der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren lauteten wie folgt:

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (bzw. 11) sei nicht unzulässig erweitert. Insbesondere stelle das Fehlen der Verbindung über direkte Signalleitungen bzw. über einen Datenbus keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Die beiden elektronischen Steuergeräte seien miteinander verbunden und es sei im Wesentlichen unerheblich, wie dies geschehe. Im Prinzip aber sei im weitesten Sinne immer einer Art Datenbus zwischen den Steuergeräten vorhanden. Dies aber wisse der Fachmann, es sei so selbstverständlich, dass sich eine explizite Erwähnung im Anspruch 1 bzw. 11 erübrige.

Auch sei kein semantischer Unterschied vorhanden zwischen den Formulierungen "sich unterstützen" und "einander unterstützen". Letztlich werde beansprucht, dass eine der beiden Steuereinheiten Funktionen der anderen übernähmen. Dies sei auch ursprünglich offenbart.

Das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, genauso wie der Gegenstand von Anspruch 11.

Wie oben bereits zur unzulässigen Erweiterung ausgeführt, stelle das Merkmal, welches zur Behebung des angeblichen Mangels der unzulässigen Erweiterung in den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 aufgenommen worden sei, keine Einschränkung des Verfahrens von Anspruch 1 wie erteilt dar, da die Verbindung der beiden Steuergeräte selbstverständlich sei und damit implizit offenbart. Die Art der Verbindung hingegen sei gleichgültig.

Somit werde - was die Auffassung in Bezug auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit betreffe - der Einspruchsabteilung hinsichtlich dem Hilfsantrag 1 gefolgt; diese Ausführungen gelten somit auch für das erteilte Patent.

IX. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) begegnete diesen Argumenten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei unzulässig erweitert.

Zum einen sei das Merkmal, dass die erste elektronische Steuereinheit und die zweite elektronische Steuereinheit einander funktionell unterstützen nicht ursprünglich offenbart. In der ursprünglichen Offenbarung (siehe Seite 4, Zeilen 15 ff. der veröffentlichten Anmeldung) heiße es, dass die Steuereinheiten sich unterstützen. "Einander" bedeute, dass sie sich gegenseitig unterstützten, "gegenseitig" sei aber in der ursprünglichen Offenbarung nicht genannt. Des Weiteren sei den ursprünglichen Unterlagen die Verbindung der sich unterstützenden Steuergeräte definiert, nämlich mit Signalleitungen direkt bzw. über einen Datenbus. Dieses Merkmal fehle im erteilten Anspruch 1.

So würden in der erteilten Variante des Verfahrens auch Ausführungen unter Schutz stehen, die nicht ursprünglich offenbart seien, z.B. eine drahtlose Verbindung zwischen beiden Steuergeräten.

Es sei aber richtig, dass das streitgegenständliche Merkmal (und wobei die erste elektronische Steuereinheit (12) und die zweite elektronische Steuereinheit (14) über Signalleitungen direkt oder über einen Datenbus miteinander in Verbindung stehen) - welches im Anspruch 1 des Hilfsantrag 1 aufgenommen wurde - keinen Beitrag zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf den von der Einspruchsabteilung betrachteten Stand der Technik D1 bis D5 leistet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 ist nicht unzulässig erweitert, Artikel 100 c) EPÜ.

Dasselbe gilt für den Gegenstand des auf eine Bremsanlage abgestellten unabhängigen Anspruch 11.

2.1 Die Einsprechende/Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. 11 wie erteilt unzulässig erweitert sei, da gemäß dem ersten Merkmal des kennzeichnenden Teils die erste elektronische Steuereinheit und die zweite elektronische Steuereinheit einander funktionell unterstützen, während es in der ursprünglichen Offenbarung (siehe Seite 4, Zeilen 15 ff. der veröffentlichten Anmeldung) heiße, dass sich die Steuereinheiten unterstützen. "Einander" bedeute, dass sie sich gegenseitig unterstützten, "gegenseitig" sei aber in der ursprünglichen Offenbarung nicht genannt.

Die Kammer kann hier keinen Unterschied in der Bedeutung der beiden Wortlaute erkennen, siehe dazu auch die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 5, letzter Absatz. So wird "sich unterstützen", "sich gegenseitig unterstützen" und "einander unterstützen" in diesem Zusammenhang als eine gleichbedeutende Formulierung angesehen.

2.2 Die Einsprechende/Beschwerdeführerin moniert weiter, dass der erteilte Anspruch 1 bzw. 11 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung enthalte, da die - im Prüfungsverfahren hinzugefügten - Merkmale des Kennzeichens von Anspruch 1 bzw. 11 auf der Passage der Seite 4, Zeilen 15 ff. beruhten. Dort sei aber ausgeführt, dass nur deshalb der Effekt (nämlich dass sich die Steuereinheiten funktionell unterstützen) eintreten könne, wenn die beiden Steuereinheiten über Signalleitungen direkt beziehungsweise über einen Datenbus miteinander in Verbindung stünden, siehe Seite 4, Zeilen 15 und 16 der veröffentlichten Anmeldung.

Die Kammer ist der Auffassung, dass das Weglassen des Merkmals der Signalleitungen bzw. des Datenbusses dem Fachmann keine zusätzliche technische Information gibt. So ist es für die Funktion der Erfindung völlig unerheblich, ob die Steuereinrichtungen mit direkten Steuerleitungen, über einen Datenbus oder - wie es die Einsprechende vorträgt - mittels einer drahtlosen Übertragung miteinander verbunden sind.

Somit steht dieses Merkmal mit der Erfindung und den anderen Merkmalen, die dieser Passage auf Seite 4, Zeilen 15 ff. entnommen wurden, nicht in einer funktionalen Verbindung.

3. Das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 und der Gegenstand des Anspruchs 11 sind neu (Artikel 54 (2) EPÜ) und beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3.1 Die Kammer folgt hinsichtlich der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit vollumfänglich den Ausführungen der Einspruchsabteilung zum Hilfsantrag 1 und hat diesen nichts weiter hinzuzufügen. Die Ausführungen der Einspruchsabteilung (siehe Abs. 4 der angefochtenen Entscheidung) tragen den wesentlichen von der Einsprechende/Beschwerdeführerin in Beschwerdeverfahren vorgetragenen Argumentationen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit bereits Rechnung.

3.2 Es ist hier lediglich zu bemerken, dass Anspruch 1 bzw. 11 des erteilten Patents sich von den jeweiligen unabhängigen Ansprüchen 1 bzw. 11 des Hilfsantrags 1, den die Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung als gewährbar erachtete, nur durch das Merkmal unterscheidet, dass die erste elektronische Steuereinheit (12) und die zweite elektronische Steuereinheit (10) über Signalleitungen direkt oder über einen Datenbus miteinander in Verbindung stehen.

3.3 Wie oben unter Punkt 2.2 ausgeführt, ist mit diesem Merkmal im Kontext der strittigen Erfindung keine zusätzliche oder einschränkende technische Information verbunden.

Somit ist es für den Schutzbereich des Anspruchs 1 bzw. 11 unerheblich, ob dieses Merkmal vorhanden ist (im Hilfsantrag 1) oder nicht (im Patent wie erteilt).

Diesem Punkt wird von beiden Parteien zugestimmt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

- Das Patent wird wie erteilt aufrechterhalten.

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