European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T223115.20190508 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 08 Mai 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2231/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06707350.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65B 47/02 B65B 9/04 B29C 51/42 B32B 27/32 B65D 65/40 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | THERMOFORMBARES VERPACKUNGSMATERIAL MIT SCHRUMPFEIGENSCHAFTEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Schur Flexibles Dixie GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Isarpatent | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.
III. Das erteilte Patent enthält 27 Ansprüche, wobei der für diese Entscheidung relevante Anspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Tiefziehfähige, wärmeschrumpffähige Mehrschichtfolie mit einer Wärmeschrumpffähigkeit in Längs- und in Querrichtung von jeweils wenigstens 20%, wobei die Wärmeschrumpffähigkeit durch das Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst wird, umfassend folgende Schichten:
- eine Trägerschicht (T) basierend auf zumindest einem thermoplastischen Polymer;
- eine Haftvermittlerschicht (H1) basierend auf zumindest einem Polymer mit einem Schmelzflussindex MFI im Bereich von 0,1 bis 2,0 g/10 min, bestimmt nach DIN ISO 1133 bei 190°C und 2,16 kg, deren Schichtdicke jeweils größer ist als die Schichtdicke beider unmittelbar an die Haftvermittlerschicht (H1) angrenzenden Schichten;
- ggf. eine sauerstoffdichte Barriereschicht (B);
- ggf. eine Haftvermittlerschicht (H2) basierend auf zumindest einem Polymer mit einem Schmelzflussindex MFI im Bereich von 0,1 bis 2,0 g/10 min, bestimmt nach DIN ISO 1133 bei 190°C und 2,16 kg, wobei ihre Schichtdicke größer ist als die Schichtdicke zumindest einer der unmittelbar an die Haftvermittlerschicht (H2) angrenzenden Schichten; und
- eine Siegelschicht (S), welche eine der beiden Oberflächenschichten der Mehrschichtfolie bildet und auf zumindest einem thermoplastischen Polymer basiert."
IV. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück, da:
- der erteilte Anspruch 1 des Patents keine unzulässige Änderung enthalte;
- das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne; und
- der beanspruchte Gegenstand gegenüber dem zitierten Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Von der Einspruchsabteilung wurden D19 und D22 bis D28 nicht zum Verfahren zugelassen.
V. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (nachfolgend "Beschwerdeführerin") Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im gesamten Umfang. Ferner beantragte sie, die Dokumente D19 und D22 bis D28 in das Verfahren zuzulassen.
VI. Für diese Entscheidung ist nur der folgende experimentelle Bericht relevant:
D22: Experimenteller Bericht (eingereicht mit Schreiben
vom 15. Juli 2015)
VII. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung hat die Kammer eine Mitteilung erlassen, worin sie ihre vorläufige Meinung erläutert hat.
VIII. Die Patentinhaberin (nachfolgend "Beschwerdegegnerin") beteiligte sich bis auf ein Schreiben vom 4. März 2019, in dem sie mitteilte, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde, nicht am Beschwerdeverfahren. Sie verwies auf alle den Bestand des angegriffenen Patents begründenden Argumente, die im Einspruchsverfahren erörtert worden seien, und erklärte weiterhin, dass sie eine abschließende Entscheidung nach Aktenlage erwarte.
Von Seiten der Beschwerdegegnerin wurden im Beschwerdeverfahren keine expliziten Anträge gestellt. Die Kammer ging aber davon aus, dass ihr Antrag zumindest implizit war, die Beschwerde zurückzuweisen.
IX. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Mai 2019 wie angekündigt in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin statt. Die Beschwerdeführerin hielt an ihren schriftlich gestellten Anträgen fest. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- D22 zeige, dass eine Mehrschichtfolie, die alle strukturellen Merkmale von Anspruch 1 erfülle, nicht geeignet sei, das Merkmal "wobei die Wärmeschrumpffähigkeit durch das Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst wird" zu erreichen. D22 beweise somit, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Somit sei die Beurteilung der Einspruchsabteilung, dass D22 prima facie nicht relevant sei, eindeutig falsch gewesen, und das Dokument hätte in das Verfahren zugelassen werden sollen.
- Das Patent enthalte keine Lehre, wie eine beanspruchte tiefziehfähige, wärmeschrumpffähige Mehrschichtfolie realisiert werden könnte, bei der die ursprüngliche Wärmeschrumpffähigkeit in Längs- und Querrichtung von jeweils wenigstens 20% durch das Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst werde. D22 sei ein Beleg dafür, dass das Merkmal "wobei die Wärmeschrumpffähigkeit durch das Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst wird" kein inhärentes Merkmal einer Folie sei, die ansonsten alle strukturellen Merkmale von Anspruch 1 erfülle. Das Patent zeige kein Ausführungsbeispiel, welches verdeutliche, dass eine Mehrschichtfolie gemäß Anspruch 1 tatsächlich hergestellt worden sei. Die Erfindung sei daher nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
XI. Wie bereits vorstehend erwähnt, verwies die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 4. März 2019 lediglich pauschal auf Argumente, die im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht worden sind.
Entscheidungsgründe
DAS PATENT WIE ERTEILT
1. Einleitende Bemerkungen
Der Verweis der Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 4. März 2019 auf Argumente, die im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht worden sind, kann nicht als Erwiderung auf die Beschwerdebegründung im Sinne von Artikel 12(2) VOBK gewertet werden. Nach Artikel 12(2) VOBK muss die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag enthalten. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, den Fall für die Beschwerdegegnerin zu entwickeln und Argumente zu finden, um die Einwände der Beschwerdeführerin zu entkräften. Somit können die Argumente, die im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren von der Beschwerdegegnerin vorgebracht wurden, im vorliegenden Beschwerdeverfahren keine Berücksichtigung finden.
2. Merkmalsanalyse von Anspruch 1
(1) Mehrschichtfolie,
(1a) die wärmeschrumpffähig ist,
(1a1) mit einer Wärmeschrumpffähigkeit in Längs-
und in Querrichtung von jeweils
wenigstens 20%,
(1b) die tiefziehfähig ist,
(1b1) wobei die Wärmeschrumpffähigkeit durch das
Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst
wird,
umfassend folgende Schichten:
(2) eine Trägerschicht (T) basierend auf
zumindest einem thermoplastischen Polymer,
(3) eine Haftvermittlerschicht (H1) basierend auf
zumindest einem Polymer mit einem
Schmelzflussindex MFI im Bereich von 0,1
bis 2,0 g/10 min, bestimmt nach DIN ISO 1133
bei 190°C und 2,16 kg,
(3a) deren Schichtdicke jeweils größer ist als die
Schichtdicke beider unmittelbar an die
Haftvermittlerschicht (H1) angrenzenden
Schichten,
(4) ggf. eine sauerstoffdichte Barriereschicht
(B),
(5) ggf. eine Haftvermittlerschicht (H2)
basierend auf zumindest einem Polymer mit
einem Schmelzflussindex MFI im Bereich
von 0,1 bis 2,0 g/10 min, bestimmt nach
DIN ISO 1133 bei 190°C und 2,16 kg,
(5a) wobei ihre Schichtdicke größer ist als die
Schichtdicke zumindest einer der unmittelbar
an die Haftvermittlerschicht (H2)
angrenzenden Schichten, und
(6) eine Siegelschicht (S), welche eine der
beiden Oberflächenschichten der
Mehrschichtfolie bildet und auf zumindest
einem thermoplastischen Polymer basiert.
3. Zulassung von D22
3.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden, D22 nicht zum Verfahren zuzulassen. Sie argumentierte, dass D22 sehr spät (genau am Tag des Zeitpunkts nach Regel 116(1) EPÜ) eingereicht worden sei, so dass die Patentinhaberin nicht mehr ausreichend Zeit gehabt hätte, geeignete Gegenexperimente durchzuführen. Darüber hinaus stützte sie Ihre Entscheidung darauf, dass D22 nicht prima facie relevant sei.
3.2 Aus Sicht der Kammer ist die Einschätzung der Einspruchsabteilung hinsichtlich des verspäteten Vorbringens von D22 nicht zu beanstanden. Aus den nachfolgenden Gründen ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass D22 als hochrelevant für die Beurteilung der Ausführbarkeit anzusehen ist.
In D22 sind Tests beschrieben, in denen fünfschichtige Mehrschichtfolien, die alle strukturellen Merkmale (1), (2), (3), (3a), (4), (5), (5a) und (6) und die funktionellen Merkmale (1a), (1a1) und (1b) von Anspruch 1 erfüllen (siehe Tabelle 1 von D22), einem Tiefziehverfahren unterzogen wurden (siehe Tabelle 2 von D22) und die Wärmeschrumpfung nach Tiefziehen untersucht wurde (siehe Tabelle 3 von D22). Aus einem Vergleich der nicht tiefgezogenen Folie (55% Wärmeschrumpfung (MD)/24% Wärmeschrumpfung (TD)) mit den tiefgezogenen Folien der Beispiele 1 bis 12 in Tabelle 3 von D22 ist zu erkennen, dass in den Beispielen 1 bis 12 die Wärmeschrumpfung in Längs- bzw. Maschinenrichtung (MD) sowie in Querrichtung (TD) durch das Tiefziehen signifikant beeinflusst wird. Beispielhaft wird auf Beispiel 1 in Tabelle 3 verwiesen, worin die Wärmeschrumpfung der tiefgezogenen Folie in Querrichtung (51%) sogar um mehr als 100% von der Wärmeschrumpfung der nicht tiefgezogenen Folie in Querrichtung (24%) abweicht. Gleiches gilt für die Beispiele 2 bis 12 hinsichtlich der Wärmeschrumpfung in Querrichtung oder in Längsrichtung, sowie für viele Beispiele hinsichtlich der Wärmeschrumpfung in beiden Richtungen. Somit zeigen die Beispiele 1 bis 12 der D22, dass die getesteten Mehrschichtfolien nicht geeignet sind, das Merkmal (1b1) zu erreichen.
Mit dem experimentellen Bericht D22 konnte die Beschwerdeführerin somit zeigen, dass das Merkmal (1b1) keine inhärente Eigenschaft einer Mehrschichtfolie ist, die alle strukturellen Merkmale sowie die funktionellen Merkmale (1a), (1a1) und (1b) von Anspruch 1 erfüllt. Vielmehr ergibt sich aus D22, dass offensichtlich andere Maßnahmen nötig sind, um das gewünschte Merkmal (1b1) zu erzielen.
3.3 Die Einspruchsabteilung kritisierte in Ihrer Entscheidung, dass sich D22 nicht ausreichend an den in Abschnitt [0032] beschriebenen fünfschichtigen Aufbau und die darin erwähnten Schichtdicken gehalten habe. Ferner seien nach Ansicht der Einspruchsabteilung keine Angaben über die Messung der Wärmeschrumpfung gemacht worden und die Temperatur der Thermoformung sei mit 100°C zu hoch gewählt.
Die Kammer ist diesbezüglich der Ansicht, dass es nicht erforderlich ist, den als besonders bevorzugt beschriebenen, fünfschichtigen Aufbau nachzuarbeiten und zu testen, da Anspruch 1 hinsichtlich des thermoplastischen Polymers in der Trägerschicht, des Polymers in den Haftvermittlerschichten, des Materials der Barriereschicht und des thermoplastischen Polymers der Siegelschicht sehr breit definiert und nicht auf den in Abschnitt [0032] erwähnten fünfschichtigen Aufbau beschränkt ist. Auch die Schichtdicken sind bis auf die Merkmale (3a) und (5a), die auf die relativen Dickenverhältnisse gerichtet sind, in Anspruch 1 nicht eingeschränkt. Somit ist es nach Ansicht der Kammer ausreichend, um im vorliegenden Fall Zweifel an der Ausführbarkeit entstehen zu lassen, wenn eine Ausführungsform (wie in den Beispielen 1 bis 12 von D22) getestet wird, die alle strukturellen Merkmale und darüber hinaus noch die funktionellen Merkmale (1a), (1a1) und (1b) erfüllt, jedoch nicht geeignet ist, das Merkmal (1b1) zu erreichen. Für die Annahme, dass die Polymere der einzelnen Schichten, sowie die Schichtdicken, und die Temperatur des Tiefziehens in D22 mit 100°C bzw. 120°C unüblich und bewusst zum Scheitern ausgewählt worden sind, gibt es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt. Die Wärmeschrumpffähigkeit wurde nach Angabe der Beschwerdeführerin in D22 auf dieselbe Art und Weise gemessen, wie im Patent erwähnt.
3.4 Aufgrund der vorherigen Ausführungen ergibt sich, dass die Einspruchsabteilung zumindest bei der Beurteilung der Relevanz von D22 die falschen Kriterien angewandt hat, und somit die Entscheidung, D22 nicht in das Verfahren zuzulassen, aufzuheben ist. Da sich die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung zudem erneut auf D22 beruft, befindet sich D22 gemäß Artikel 12(2) VOBK im Verfahren.
4. Artikel 100 b) EPÜ
4.1 Ein Einwand mangelnder Offenbarung kann nur dann greifen, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel hinsichtlich der Ausführbarkeit bestehen.
4.2 Aus den unter den vorstehenden Punkten 3.2 und 3.3 angegebenen Gründen wird der experimentelle Bericht D22 als geeignet angesehen, um begründete Zweifel an der Ausführbarkeit entstehen zu lassen, so dass die Beschwerdegegnerin die Beweislast dafür trägt, um zu zeigen, wie eine erfindungsgemäße Folie erhalten werden kann. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch nicht dazu beigetragen, um zu klären, welche Maßnahmen nötig sind, um das Merkmal (1b1) zu erreichen.
4.3 Zwar ist das Merkmal (1b1) eine Eigenschaft der tiefgezogenen Folie und nicht der tiefziehfähigen, wärmeschrumpffähigen Mehrschichtfolie. Die (ursprüngliche) tiefziehfähige, wärmeschrumpffähige Mehrschichtfolie gemäß Anspruch 1 muss jedoch derart ausgestaltet und hergestellt worden sein, dass sie auch diese in Anspruch 1 erwähnte Eigenschaft der tiefgezogenen Folie erfüllt.
4.4 Somit stellt sich die Frage, ob ein Fachmann aus dem angegriffenen Patent, gegebenenfalls unter Heranziehen seines Fachwissens, ausreichende Informationen erhält, um ohne unzumutbaren Aufwand zu einer erfindungsgemäßen Mehrschichtfolie zu gelangen, die das Merkmal (1b1) erfüllt.
4.5 Zunächst ist festzustellen, dass das angegriffene Patent kein Beispiel enthält, das die Herstellung einer erfindungsgemäßen Mehrschichtfolie zeigt, die tiefziehfähig ist, aber gleichzeitig die Wärmeschrumpffähigkeit durch das Tiefziehen im Wesentlichen nicht beeinflusst wird.
Zwar ist in Abschnitt [0032] eine Schichtabfolge einer besonders bevorzugten Mehrschichtfolie erwähnt und in den Abschnitten [0037] und [0048] bis [0060] sind allgemeine Angaben zu dem Reckverhältnis der Folie bzw. der Tiefziehvorrichtung gemacht. Diese Angaben in dem Patent beschreiben jedoch nicht, wie eine Mehrschichtfolie konkret hergestellt werden könnte, die das Merkmal (1b1) erfüllt. Für die Annahme, dass ein Fachmann ausgehend von diesen allgemeinen Angaben in dem Patent durch Routine-Experimente zu einer Mehrschichtfolie gemäß Anspruch 1 gelangen könnte, die auch das Merkmal (1b1) erfüllt, gibt es keinen Hinweis. Somit teilt die Kammer die Meinung der Einspruchsabteilung nicht, dass in Abschnitt [0032] eine eindeutige Ausführungsform der erfindungsgemäßen Mehrschichtfolie offenbart ist. Auch die weiteren Angaben zu dem Reckverhältnis und der Tiefziehvorrichtung vermitteln keine konkrete Lehre, wie eine erfindungsgemäße tiefziehfähige Mehrschichtfolie erhalten werden könnte.
4.6 Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass ein Fachmann eine wärmeschrumpffähige Mehrschichtfolie mit allen strukturellen Merkmalen von Anspruch 1 herstellen kann, die eine Wärmeschrumpffähigkeit in Längs- und in Querrichtung von jeweils mindestens 20% aufweist. Auf der Suche nach ausführbaren Ausführungsformen wäre ein Fachmann jedoch gezwungen, durch auf "trial and error" basierende Experimente herauszufinden, welche Maßnahmen nötig sind, um eine Mehrschichtfolie zu erhalten, die auch das Merkmal (1b1) erfüllt. Dies stellt nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall einen unzumutbaren Aufwand dar, da es keine Lehre gibt, wie ein misslungenes Experiment in ein erfolgreiches Experiment umgewandelt werden könnte. Einen Hinweis darauf, dass allgemeines Fachwissen geeignet sein könnte, um einen Fachmann in die Lage zu versetzen, diese Informationslücke zu schließen, gibt es nicht.
4.7 Ferner ist problematisch, dass das Merkmal (1b1) selbst unklar ist. Zum einen ist unklar, an welcher Stelle der tiefgezogenen Folie zu messen ist. Darüber hinaus ist in dem angegriffenen Patent kein Standard für die Messung der Wärmeschrumpfung der Folie nach Tiefziehen erwähnt. Aus einem Vergleich der Beispiele 1 bis 6 mit den Beispielen 7 bis 12 von D22 (in denen zwei verschiedene Tiefziehformen mit unterschiedlicher Tiefe verwendet worden sind) ist ableitbar, dass auch die Tiefe der Form einen Einfluss auf die Wärmeschrumpffähigkeit nach Tiefziehen aufweist. Der Abschnitt [0114] des angegriffenen Patents betrifft die Methode zur Prüfung der Wärmeschrumpffähigkeit der tiefziehfähigen, wärmeschrumpffähigen Mehrschichtfolie und nicht die Messung der Wärmeschrumpffähigkeit der tiefgezogenen Mehrschichtfolie bzw. des tiefgezogenen Bereichs davon.
4.8 Die Zweifel an der Ausführbarkeit werden durch Abschnitt [0006] des angegriffenen Patents noch weiter verstärkt, da darin erwähnt ist, dass bei herkömmlichen Verpackungsmaterialien üblicherweise die erforderliche Thermoformbarkeit des Materials einer gleichzeitigen Wärmeschrumpffähigkeit entgegen steht.
4.9 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Demgemäß steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents entgegen.
5. Angesichts der Tatsache, dass bereits der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents entgegensteht, bestand keine Notwendigkeit über die geltend gemachten Einspruchsgründe unter Artikel 100 c) EPÜ und Artikel 100 a) EPÜ bzw. die Zulassung der Dokumente D19 und D23 bis D28 zu entscheiden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.