T 2230/15 () of 17.5.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T223015.20180517
Datum der Entscheidung: 17 Mai 2018
Aktenzeichen: T 2230/15
Anmeldenummer: 07847041.6
IPC-Klasse: B60T 7/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ANHÄNGEFAHRZEUGBREMS- UND LUFTFEDERUNGSANLAGE
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - Nacharbeitbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 15. Juli 2015 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 2121395 aufgrund des Artikels 101 (3) (b) EPÜ widerrufen worden ist.

II. Die folgenden Dokumente sind in dieser Entscheidung genannt:

DE 198 18 982 C2 (D1);

EP 1500531 A1 (D2);

DE 101 43 888 A1 (D3).

Das allgemeine Fachwissen, wie z.B. in EP 1 084 873 A1 (D7) dargelegt, wurde ebenfalls berücksichtigt.

III. Am 17. Mai 2018 wurde der Fall vor der Beschwerdekammer verhandelt.

Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5, eingereicht als Hilfsantrag 7 mit der Beschwerdebegründung, und einer angepassten Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdegegnerin/Einsprechende beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruchs 1 gemäß dem einzigen Antrag (vorgelegt als Hilfsantrag 7 mit der Beschwerdebegründung) lautet wie folgt:

Anhängefahrzeugbrems- und Luftfederungsanlage mit einem mit über eine Vorratsleitung zugeführtem Vorratsdruck aus einem Vorratsdruckbehälter der Luftfederungsanlage versorgten Hebe-/Senkenventil zum Ändern des Niveaus des Anhängefahrzeugs durch Ändern der Luftmenge in Tragbälgen des Anhängefahrzeugs,

mit einem Anhängerbremsventil bzw. Parklösesicherheitsventil zur automatischen Einbremsung des Anhängefahrzeugs bei Abriss der Vorratsleitung,

mit einem Löseventil zur Aufhebung der automatischen Bremsung bei abgekoppeltem Anhängefahrzeug,

mit einem Betätigungsventil für eine Parkbremse mit Federspeicherbremsventil, mit einem Überströmventil, über das ein Vorratsdruckbehälter für die Luftfederungsanlage befüllt wird,

mit einem mit Vorratsdruck versorgten Luftfederventil zur Regelung des Fahrniveaus des Anhängefahrzeugs, und

mit einem Überlastschutzventil, das bei betätigter Parkbremse und zusätzlich betätigter Betriebsbremse die Parkbremse proportional zur Belüftung der Betriebsbremse entlüftet,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Funktion des Löseventils (14') und des Parkventils bzw. Betätigungsventils (13') der Parkbremse (11) und des Überströmventils (9) in das Hebe-/Senkenventil (17) integriert sind.

V. Die Argumente der Beschwerde­führerin - soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren - lauteten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Letztlich handele es sich bei der Integration der Funktion der Parkbremse in das Hebe-/Senkeventil nicht nur um eine naheliegende Kombination verschiedenartiger Ventiltypen, sondern die Funktion der Parkbremse im Umfeld des Hebe-/Senkenventils erlaube einen besonders effizienten Aufbau und einen reduzierten Verrohrungsaufwand. Dies sei auch in der Patentschrift entsprechend dargestellt. Dort ist den Figuren 6 bis 8 zu entnehmen, dass der Aufwand der Verrohrung sinke, wenn man die beiden genannten Ventiltypen integriere.

Eine unzulässige Erweiterung könne nicht begründet werden. Schließlich handele es sich bei der vorliegenden Merkmalskombination um Merkmale, die alle in der ursprünglichen Offenbarung und im erteilten Anspruch 1 vorgelegen hätten. Die Merkmale der Parkbremse stammten somit aus einer abgeschlossenen Liste und eine Auswahl daraus - bei einer insgesamt sehr überschaubaren Anzahl von Elementen - könne keine unzulässige Erweiterung darstellen.

Der Begriff ,,integriert" besagt, dass eine Funktion (oder ein Ventil), nämlich die Parkfunktion, mit der Funktion des Hebe-/Senkenventil zusammengefasst wird. Angesichts des präzise dargestellten Ausführungs­beispiels, vgl. Figuren 6 bis 8, sei es nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann nicht in der Lage sein sollte, diese Vorrichtung nachzubauen und dabei den Gegenstand des Anspruchs 1 zu fertigen.

VI. Die Beschwerdegegnerin begegnete diesen Argumenten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nahegelegt. So sei es dem Fachmann prinzipiell bekannt, gleichartige Ventile in einer einzigen Baugruppe modular zusammenzufassen. Dies sei beispielsweise in D2 oder D3 offenbart. Die damit verbundenen Vorteile zu erkennen, beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zwar offenbare auch D2 keine integrale Verbindung eines Löseventils mit einem Hebe-/Senkenventil und einem Parkventil, allerdings sei dort die Betriebsbremse mit dem Hebe-/Senkenventil in einem Modul zusammengefasst. Daraus entnehme der Fachmann, dass es hilfreich sei, verschiedene Ventile der Federung und der Bremse miteinander zu kombinieren. Eine ähnliche Situation liege für D3 vor, so dass sich ausgehend von D1 ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit ergebe.

Des Weiteren sei der Gegenstand des Anspruchs 1 unzulässig erweitert, da aus der Liste der mit ,,und/oder" verknüpften Merkmale willkürlich drei Merkmale ausgewählt seien. Diese Merkmalskombination speziell sei aber nicht offenbart, da das dazugehörige Ausführungsbeispiel noch die Funktion eines Überlastventils beinhalte.

Ein Mangel an Ausführbarkeit der Erfindung bestehe insofern, als der Fachmann aus dem Begriff ,,integriert sind" aus Anspruch 1 keine konstruktive Lehre herleiten könne. Dazu sei der Begriff ,,integriert" zu unbestimmt und vage.

Es bestünden keine Einwände gegen die in der mündlichen Verhandlung geänderte Beschreibung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des einzigen Antrags, eingereicht als Hilfsantrag 7 mit der Beschwerde­begründung beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Ausgehend von D1 unterscheidet sich der Gegenstand der Erfindung mindestens durch die Merkmale des Kennzeichens, nämlich, dass die Funktion des Löseventils und des Parkventils bzw. des Betätigungsventils der Parkbremse und des Überstromventils in das Hebe-/Senkenventil integriert ist.

2.2 Die mit diesen Merkmalen zu lösende Aufgabe besteht darin, den Installationsaufwand des Druckluftapparats eines Anhängers zu verringern, siehe auch Patentschrift, Paragraphen [0004] bis [0006].

2.3 Nach Ansicht der Kammer beruht die Merkmalskombination des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit, da durch die Integration des Überströmventils in die Kombination von Hebe-/Senkenventil und Parkventil die Möglichkeit geschaffen wird, die Verrohrung effizienter zu gestalten.

Keines der im Verfahren genannten Dokumente offenbart die Merkmale des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1.

2.4 So kann auch das Argument der Einsprechenden die Kammer nicht überzeugen, dass Kombinationen von Ventilen auch aus der D2 nahegelegt seien, dort sei die Betriebsbremse mit dem Hebe-/Senkenventil in einem Modul zusammengefasst.

Auch in D3 wird die Aufgabe, den Installationsaufwand zu reduzieren gelöst, indem Komponenten der Bremsanlage mit denen der Druckluftfederung kombiniert würden. Gerade die Merkmalskombination des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1, nämlich die Kombination des Parkventils und des Überstromventils mit dem Hebe-/Senkenventil in einem Gerät hat den besonderen Vorteil, dass es die Möglichkeit schafft, das Überstromventil direkt und geräteintern mit dem Parkventil und dem Hebe-/Senkenventil zu verbinden. Dies führt zu kürzeren Rohrverbindungen und damit auch zu einem schnelleren Ansprechverhalten der Überstromventils und einer verbesserten Dynamik des Druckluftsystems, vgl. Figuren 6 bis 8 der Patentschrift.

Dieser Integrationsvorteil geht daher über das Maß hinaus, der sich allgemein dadurch ergibt, gleichartige Bauteile modular zusammenzufassen.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht derart erweitert, dass er über die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgeht, Artikel 123(2) EPÜ.

Die Kammer ist nicht der Auffassung, dass vorliegend Merkmale aus einem großen Pool von Merkmalen willkürlich ausgewählt wurden, wie es die Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf das Ausführungsbeispiel (vgl. Paragraph [0024]) behauptet.

Alle im Kennzeichen des Anspruchs 1 genannten Ventile waren durch eine ,,und/oder"-Verknüpfung im kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1 genannt, der somit alle umfassten Kombinationen offenbarte..

Insbesondere kann die Kammer nicht erkennen, welche zusätzliche technische Information der Fachmann durch die spezielle Auswahl der nun im Kennzeichen genannten Ventile bekäme. Auch die Einsprechende konnte keine benennen.

4. Die Erfindung ist derart beschrieben, dass ein Fachmann in der Lage ist sie auszuführen, Artikel 100 b) EPÜ.

Die Kammer folgt hier der Auffassung der Einsprechende/Beschwerdegegnerin nicht, dass der Begriff ,,integriert sind" im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 derart unbestimmt ist, dass der Fachmann nicht weiß, wie er die Erfindung nacharbeiten soll.

So ist die Kammer davon überzeugt, dass der Fachmann überhaupt keine Probleme hat, eine Vorrichtung zu fertigen, wie sie in den Figuren 6 bis 8 dargestellt ist. Die Tatsache, dass der Fachmann hierbei auf Inkonsistenzen in der Beschreibung stößt, wie etwa, dass die Gerätebezeichung (50) dem Parkventil entspricht, in die das Hebe-/Senkenventil integriert ist und nicht andersherum (laut Anspruch 1 ist das Parkventil in das Hebe-/Senkenventil integriert), hält den Fachmann nicht davon ab, den in den Figuren gezeigten und in der Beschreibung beschriebenen Gegenstand nachzubauen und damit den Erfindungsgedanken zu realisieren.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zurückverwiesen an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der folgenden Dokumente:

- Ansprüche 1 bis 5, eingereicht als Hilfsantrag 7 mit der Beschwerdebegründung;

- Beschreibung Spalten 1 und 2 wie eingereicht während der mündlichen Verhandlung und Spalten 3 bis 5 gemäß erteiltem Patent;

- Figuren 1 bis 9 gemäß erteiltem Patent.

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