T 2117/15 () of 25.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T211715.20190425
Datum der Entscheidung: 25 April 2019
Aktenzeichen: T 2117/15
Anmeldenummer: 07018442.9
IPC-Klasse: A21D 6/00
A21D 15/02
A21C 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Back-Vorprodukten
Name des Anmelders: Wolfram Ungermann Systemkälte GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Stulz GmbH
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 941 800 wurde mit drei Patentansprüchen erteilt.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Back-Vorprodukten, indem die in einem klimatisierten Warenraum (6) eingebrachten, teilgegarten, zumindest halbgebackenen oder vollgegarten Teiglinge (2) befeuchtet werden,

dergestalt, dass dem Luftstrom der Kälteerzeugungseinrichtung (7) ein Aerosol mit definierter Tröpfchengröße zugegeben wird,

so dass der mit dem Aerosol versetzte Luftstrom das jeweilige Back-Vorprodukt (2) im Wesentlichen vollständig umströmt und das Aerosol in die Oberfläche (4) des jeweiligen Back-Vorproduktes (2) dergestalt eindringt, dass sich eine im Wesentlichen homogene Durchfeuchtung des jeweiligen Back-Vorproduktes (2) einstellt,

wobei

dem Luftstrom der Kälteerzeugungseinrichtung (7) ein Aerosol mit einer Tröpfchengröße < 10 mym, insbesondere < 5 mym, beigegeben wird,

zur Erzeugung des Aerosols im Wesentlichen hochreines Wasser eingesetzt wird,

das zum Einsatz gelangende Wasser vorab in einer Umkehrosmoseanlage von Keimen, Kalk und Salzen befreit wird

und das Aerosol bis zu einer Temperatur von + 1°C in den Warenraum (6) eingebracht wird."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurde ein Einspruch eingelegt, wobei als Einspruchsgründe fehlende erfinderische Tätigkeit und unzureichende Offenbarung gemäß Artikel 100 (a) und (b) EPÜ angeführt wurden.

III. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurden unter anderem die folgenden Beweismittel genannt:

D1: JP 5-68464 A (in japanischer Sprache)

D1a: Patent Abstracts of Japan: Abstract von D1 in englischer Sprache

D2: Prospekt Stulz Ultrasonic**(®) Befeuchtersysteme (436 400/12.89 R&W Printed in West Germany)

D3: Prospekt Stulz Ultrasonic**(®) Befeuchtersystem (476 400/3.87 R&W Printed in W.-Germany)

D10: Die Welt (01.07.13): "Erinnern Sie sich noch an Ihre alte Postleitzahl?"; http://www.welt.de/117578845, 15.04.2015

D11: Postleitzahl (Deutschland) - Wikipedia; http://de.wikipedia.org/wiki/Postleitzahl_(Deutschland), 15.04.2015

D10 und D11 wurden seitens der Einsprechenden als Nachweise für eine Vorveröffentlichung von D2 und D3 vorgelegt.

IV. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2015 mitgeteilte und am 28. August 2015 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch zurückgewiesen wurde.

In der Sache kam die Einspruchsabteilung zu folgendem Ergebnis:

a) Die Druckschriften D2 und D3 seien aufgrund der darin enthaltenen Vermerke "436 400/12.89 R&W Printed in West Germany" und "476 400/3.87 R&W Printed in W.-Germany" als im Dezember 1989 bzw. im März 1987 veröffentlicht und damit als Stand der Technik anzusehen. Die Verwendung der Bezeichnung "West Germany" bzw. "W.-Germany" könne als zusätzliches Indiz für ein Erscheinen jedenfalls vor dem 3. Oktober 1990 gelten.

b) Die Erzielung einer im Wesentlichen vollständigen Umströmung des Back-Vorprodukts liege im Bereich des üblichen Fachwissens und sei damit ausführbar. Die Frage, ob sich die Angabe "bis zu einer Temperatur von +1°C" auf einen Minimal- oder Maximalwert beziehe, betreffe die Klarheit des erteilten Patents und könne daher nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens sein.

c) Ausgehend von der technischen Lehre der Entgegen­haltung D1, wonach Wasser zur Feuchthaltung in einer Kühlkammer mit zwischenzulagernden Teiglingen vernebelt wird, sei die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, Teiglinge aktiv mit Feuchte anzureichern und eine im Wesentlichen homogene Durchfeuchtung der Teiglinge zu erzielen, also den Feuchtegehalt auch im Inneren der Teiglinge zu erhöhen. In den vorliegenden Entgegenhaltungen fänden sich weder Hinweise auf diese spezielle Aufgabe noch auf die Kombination der in Anspruch 1 definierten Verfahrensmerkmale, die daher als erfinderische Lösung der technischen Aufgabe anzusehen sei.

V. Eine mündliche Verhandlung in der Beschwerdesache fand am 25. April 2019 statt.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Druckschriften D2 und D3 als Stand der Technik

Die Druckschriften D2 und D3 seien Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ.

Erfinderische Tätigkeit

Das in der Entgegenhaltung D1/D1a offenbarte Verfahren zur Kühlung und Befeuchtung von Back-Vorprodukten (Teiglingen) in einem klimatisierten Warenraum unter Einsatz eines Ultraschallverneblers diene dem gleichen Zweck wie das in Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte Verfahren (nämlich der Desorption und Austrocknung der Ware entgegenzuwirken und eine gleich­mäßige und konstante Befeuchtung sicherzustellen) und habe wesentliche technische Merkmale mit ihm gemeinsam.

Der in D1 offenbarte Gegenstand unterscheide sich vom Anspruchsgegenstand dadurch, dass D1 weder eine bestimmte Tröpfchengröße angebe noch die Verwendung von hochreinem Wasser nach Behandlung in einer Umkehrosmoseanlage offenbare. Bei markt­üblichen Ultra­schall­­verneblern liege die Tröpfchengröße allerdings im unteren einstelligen Mikrometerbereich (1 bis 5 mym) und jedenfalls in dem in Anspruch 1 genannten Bereich unter 10 mym.

Bei dem von der Beschwerdegegnerin hervorgehobenen funktionellen Anspruchsmerkmal, wonach das Aerosol in die Oberfläche eindringe und daraus eine homogene Durchfeuchtung des Back-Vorproduktes resultiere, handle es sich lediglich um die Angabe eines zu erreichenden technischen Ergebnisses, ohne dass die dafür erforderlichen technischen Merkmale für den Fachmann ersichtlich wären.

Ausgehend von D1 stelle sich die objektive technische Aufgabe, das bekannte Verfahren zur Behandlung von Teiglingen zu optimieren.

Hierzu würde der Fachmann Prospekte über am Markt befindliche Ultraschallvernebler, wie beispielsweise D2 oder D3, heranziehen. Diese offenbarten eine Tröpfchen­größe von 1 mym (D3) und den Betrieb mit hochreinem Wasser aus Umkehrosmose (D2). Da es sich bei solchen Befeuchtersystemen um universell und in der Regel ohne Umbau einsetzbare Standardgeräte handle, sei für eine Kombination der technischen Lehre von D2 bzw. D3 mit der von D1 kein expliziter Hinweis auf die Einsatzmöglichkeit in klimatisierten Warenräumen bzw. Gärautomaten in Bäckereien erforderlich. Vielmehr liege es einfach nahe, ein gängiges, marktübliches Gerät zu verwenden.

Dass durch die Verwendung von hochreinem Wasser Mineralablagerungen und Keimbelastungen vermieden werden könnten, seien allgemein bekannte Vorteile, die somit nicht zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit dienen könnten.

Zu dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach mit dem beanspruchten Verfahren eine bessere Qualität der Backvorprodukte und fertigen Backprodukte erzielt werde, sei zu bemerken, dass dies zwar im Vergleich mit Verfahren gelten möge, bei welchen aufgrund der Verwendung herkömmlicher Dampfbefeuchter die Tröpfchendurchmesser deutlich größer seien. Gemäß dem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogenen Ausgangspunkt im Stand der Technik, nämlich D1, werde aber kein solcher herkömm­licher Befeuchter, sondern bereits ein Ultraschall­vernebler eingesetzt, wobei solche Geräte in der Regel dann zum Einsatz kämen, wenn besonders feine Tröpfchengrößen erwünscht seien.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Druckschriften D2 und D3 als Stand der Technik

Die Vorveröffentlichung der Druckschriften D2 und D3 werde bestritten.

Erfinderische Tätigkeit

Die Entgegenhaltung D1/D1a zeige eine Kühlvorrichtung zur Zwischenlagerung von Teiglingen, bei welcher der zugeführte Luftstrom mit einem von einem Ultraschall­befeuchter erzeugten Aerosol befeuchtet werde.

Zusätzlich zu den von der Beschwerdeführerin bereits anerkannten Unterscheidungsmerkmalen unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem in D1/D1a offenbarten Gegenstand durch das Merkmal, dass die Teiglinge "befeuchtet" würden, was im Anspruchswortlaut weiter wie folgt präzisiert sei: "(...) so dass der mit dem Aerosol versetzte Luftstrom das jeweilige Back-Vorprodukt ... im Wesentlichen vollständig umströmt und das Aerosol in die Oberfläche ... des jeweiligen Back-Vorproduktes ... dergestalt eindringt, dass sich eine im Wesentlichen homogene Durchfeuchtung des jeweiligen Back-Vorproduktes ... einstellt".

Während in D1 lediglich ein Austrocknen der Teiglinge verhindert werden solle, werde im Gegensatz dazu mit dem anspruchsgemäßen Verfahren eine aktive Befeuchtung der Teiglinge durch das Einbringen von Feuchtigkeit durch deren Oberfläche hindurch erreicht. Somit unterscheide sich die technische Lehre des Streit­patents erkennbar von der aus D1 zu entnehmenden Lehre.

Durch das beanspruchte Verfahren werde eine Qualitätserhöhung sowohl bei den Teiglingen als auch beim fertiggebackenen Endprodukt erzielt, da die bedingt durch den geringen Tröpfchendurchmesser des Aerosols erreichte homogene Durchfeuchtung der Teiglinge zu einer besseren Wärmeleitfähigkeit und aufgrund dessen zu einer kürzeren Backzeit führe und sich auch eine homogene und dicke Kruste mit guter Rösche und Bräunung bilde (vgl. Streitpatent Absätze [0017] bis [0020]). Die Verwendung von hochreinem Wasser aus Umkehrosmose führe zu einer verbesserten Hygiene, und die Bildung von Ablagerungen auf den Teiglingen würde vermieden.

Die objektive technische Aufgabe sei daher in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von Backvorprodukten zu sehen, mittels welchem eine Desorption der Teiglinge in jedem Fall verhindert werden könne, wodurch eine Qualitätserhöhung der Backvorprodukte sowie der späteren Backprodukte herbeigeführt werde.

Dieses Ziel werde durch die Verwendung eines aus hochreinem Wasser erzeugten Aerosols mit einer Tröpfchengröße von unter 10 mym erreicht.

In der Entgegenhaltung D1 finde sich weder eine Anregung, hochreines Wasser aus einer Umkehrosmose zu verwenden, noch die Anregung, Tröpfchengrößen unterhalb von 10 mym einzustellen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass Ultraschallvernebler Tröpfchengrößen in einem breiten Bereich bis zu 80 mym erzeugen könnten, und die Tröpfchengröße daher nicht als implizites Merkmal der Offenbarung von D1 angesehen werde könne.

Der technische Inhalt der Entgegenhaltungen D2 und D3 sei allgemeiner Natur und weise nicht auf die Eignung der beschriebenen Geräte zum Einsatz in Gärunterbrechern und zur aktiven Befeuchtung von Teiglingen hin. Daher gebe es bei Vermeidung einer rückschauenden Betrachtungsweise keinen Anlass für den Fachmann, den Inhalt von D2 und D3 mit der technischen Lehre von D1 zu kombinieren. Darüber hinaus offenbare D2 keine konkrete Teilchengröße und D3 keine Aufbereitung des Wassers mittels Umkehrosmose.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Druckschriften D2 und D3 als Stand der Technik

1.1 Im erstinstanzlichen Verfahren wurde seitens der Beschwerdegegnerin bestritten, dass die Druckschriften D2 und D3 vorveröffentlicht seien, und zwar einzig mit der Begründung, dass aus D2 und D3 kein Veröffent­lichungs­datum ersichtlich sei (vgl. Punkt 2 der angefochtenen Entscheidung sowie Seite 2, vorletzter Absatz der Einspruchserwiderung und Punkt II des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 5. Juni 2015).

1.2 Wie bereits erwähnt (s.o. Abschnitt IV - Punkt a)), kam die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung anhand der in den angegebenen Druck­vermerken enthaltenen Elemente (bestimmte Zahlenkürzel und die Bezeichnung "West Germany" oder "W.-Germany") zu dem Schluss, dass die Druck­schriften D2 und D3 im Dezember 1989 bzw. im März 1987, aber jedenfalls vor der deutschen Wieder­vereinigung im Jahr 1990 gedruckt und auch vor dem Anmelde- bzw. Prioritäts­­tag des Streitpatents veröffentlicht worden seien.

1.3 Im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang lediglich pauschal angemerkt, dass die Vorveröffentlichung der Druckschriften D2 und D3 "nach wie vor bestritten" werde. Damit fehlt jede Begründung, weshalb die Kammer diesen Punkt anders beurteilen sollte als die Einspruchsabteilung und diesbezüglich von der angefochtenen Entscheidung abweichen sollte.

1.4 Das Fehlen eines Veröffentlichungsdatums in den Druckschriften D2 und D3 ist im Übrigen auch nach Auffassung der Kammer kein hinreichendes Kriterium, um diese aus dem Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ ausschließen zu können.

1.5 Erstens lässt sich anhand mehrerer Indizien zumindest der Zeitpunkt des Drucks näher eingrenzen:

1.5.1 Wie bereits festgestellt, enthalten beide Dokumente die Angabe "Printed in West Germany" bzw. "Printed in W.-Germany". Außerdem ist in beiden bei der Nennung des Firmensitzes Hamburg die vierstellige Postleitzahl 2000 angegeben. Weiter sind in D3 (Seite 5) mögliche Einsparungen, die vorteilhafter­­weise durch den Einsatz von Ultraschall-Befeuchtersystemen erzielt werden könnten, in der Währung "DM" beziffert.

1.5.2 Wie allgemein bekannt ist, erfolgte die Einführung fünfstelliger Postleitzahlen in Deutschland im Jahr 1993 (vgl. D10, D11) und die Währungs­umstellung von DM auf Euro im Jahr 2002; die deutsche Wiedervereinigung fand bereits im Oktober 1990 statt. Aus den genannten Indizien lässt sich somit auch ohne Heranziehung der Zahlenkürzel in den Druckvermerken auf ein Druckdatum vor 1991, jedenfalls aber deutlich vor dem Prioritätstag des Streitpatents (29. September 2006) schließen.

1.6 Zweitens ist zur Beantwortung der Frage, ob und wann eine Veröffentlichung erfolgt ist, insbesondere die Natur der Druckschriften D2 und D3 wie folgt zu berücksichtigen:

1.6.1 Bei diesen handelt es sich nämlich offensichtlich um Werbeprospekte der Beschwerdeführerin, in welchen Ultraschall-Befeuchtersysteme beschrieben werden. In diesem Rahmen werden technische Daten, Anwendungs­möglichkeiten und zu erwartende Vorteile genannt.

1.6.2 Werbeprospekte werden üblicherweise an interessierte Kreise verteilt, um die Aufmerksamkeit potentieller Kunden zu wecken. Aufgrund der Aufmachung als Werbeprospekt ist daher davon auszugehen, dass die Druckschriften D2 und D3 nach ihrem Druck zeitnah auch tatsächlich an Interessenten bzw. potentielle Käufer von Befeuchter­systemen verteilt und damit nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Mitgliedern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Jedenfalls sind keine stichhaltigen Gründe geltend gemacht worden, weshalb dies gerade im Falle der Druckschriften D2 und D3 anders gehandhabt worden sein sollte.

1.6.3 Vor diesem Hintergrund und aufgrund des großen zeitlichen Abstands zwischen der Erstellung von D2 und D3 und dem Prioritätsdatum des Streitpatents (s.o. Punkt 1.5.2) ist die Kammer überzeugt, dass die beiden Druckschriften vor dem Prioritätstag öffentlich zugänglich waren.

1.7 Infolgedessen ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die Druckschriften D2 und D3 zum vorveröffent­lichten Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zählen und daher für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ herangezogen werden können.

2. Erfinderische Tätigkeit

Streitpatent

2.1 Das Streitpatent betrifft die Herstellung von Backwaren. Es ist in diesem technischen Gebiet eine übliche Vorgehensweise, fertig aufgearbeitete Teiglinge in gefrorenem bzw. gekühltem Zustand zwischenzulagern (Gärunterbrechung bzw. Gärverzögerung). Dies ermöglicht eine flexiblere Produktion, da die Herstellung der Teiglinge unabhängig von den Backzeiten im Betrieb erfolgen kann und auf diese Weise auch die Reifezeit des Teiges beeinflusst werden kann. Im Streitpatent wird dargestellt, dass sich bei Anwendung der entsprechenden Kältekonditionierungsverfahren durch die Trocknungs­wirkung der Klimatechnik immer die Gefahr einer Austrocknung des Teiges durch Wasserverlust einstellt, was zu einer inhomogenen Feuchteverteilung innerhalb eines Teiglings oder auch zwischen den Teiglingen einer Produktionscharge führen kann. Dieser bekannte Effekt, der zu Qualitätsverlusten führt, wird als "Desorption" bezeich­net (vgl. Streitpatent Absätze [0008] bis [0011]).

2.2 Das Streitpatent hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Verfahren zur Herstellung von Back-Vorprodukten (Teiglingen) bereitzustellen, mittels welchem eine Desorption in jedem Fall verhindert werden kann und dadurch eine Qualitätserhöhung des Back-Vorproduktes sowie des späteren Backproduktes herbeigeführt wird (vgl. Absatz [0013] Streitpatent).

2.3 Laut Anspruch 1 des Streitpatents soll dies durch ein Verfahren erreicht werden, bei welchem die Teiglinge von einem Luftstrom der Kälteerzeugungs­einrichtung umströmt werden, der mit einem Aerosol von fein vernebeltem Wasser (Tröpfchengröße < 10 mym) versetzt ist.

Ausgangspunkt im Stand der Technik

2.4 Es war unstreitig, dass die Entgegenhaltung D1/D1a einen möglichen Ausgangspunkt im Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Da im Verfahren keine Übersetzung von D1 in eine Amtssprache des EPA vorgelegt wurde, kann lediglich der Inhalt von D1a in Betracht gezogen werden.

2.5 D1a offenbart eine Kühlvorrichtung für Brot- und Kuchenteig vor der Fermentation, wobei in der zugehörigen Zeichnung Teiglinge in einem Warenraum mit Kühlvorrichtung abgebildet sind. Gemäß der technischen Lehre von D1a wird mit einem Ultraschall-Befeuchter Wasser vernebelt und in die Kammer geleitet, um eine Austrocknung des Teigs, also einen unerwünschten Desorptionsvorgang, zuverlässig zu verhindern. Aus der Zeichnung ist ersichtlich, wie die Teiglinge von der befeuchteten Luft umströmt werden. Die Intervalle, in welchen das Aerosol in die Kammer gesprüht wird, können dabei nach Bedarf mit Hilfe eines Timers gesteuert werden.

Technische Aufgabe und Lösung

2.6 Im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes sind zunächst die Unterscheidungsmerkmale, mit denen sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem in D1a offenbarten Gegenstand unterscheidet, zu betrachten.

2.6.1 Zwischen den Parteien war unstreitig, dass in der Entgegenhaltung D1a eine bestimmte Tröpfchengröße nicht explizit genannt wird, und dass sich dort keine Angaben zur Reinheit und Vorbehandlung des Wassers finden. Die Beschwerde­gegnerin sah darüberhinaus das Eindringen des Aerosols durch die Teigoberfläche mit Einstellung einer im Wesentlichen homogenen Durchfeuchtung der Teiglinge als weiteres Unterscheidungsmerkmal des Gegenstandes von Anspruch 1 gegenüber dem Inhalt von D1a an.

2.6.2 Im Hinblick auf die Tröpfchengröße argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die erzeugte Tröpfchengröße bei markt­üblichen Ultra­schall­­verneblern besonders fein sei und typischerweise im einstelligen Mikrometer­bereich liege, was einen bekannten Vorteil dieser Geräte darstelle.

Dagegen machte die Beschwerde­gegnerin geltend, dass mit Ultraschallverneblern grundsätzlich Tröpfchengrößen in einem breiten Bereich von bis zu 80 mym erzeugt werden könnten, also in dem mit herkömmlichen Dampfbefeuchtern ebenfalls zugänglichen Tröpfchengrößenbereich.

Da die Beschwerdeführerin den Prospekt D3 vorgelegt hat, der für einen lange vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents erhältlichen, universell einsetzbaren Ultraschall­vernebler eine Tröpfchengröße von durchschnittlich 0,001 mm (also 1 mym) offenbart, die Beschwerdegegnerin hingegen aber nicht durch Beweismittel belegt hat, dass Ultraschall­vernebler mit erheblich höheren Tröpfchen­größen gängig und marktüblich waren, folgt die Kammer diesbezüglich dem Vorbringen der Beschwerdeführerin.

Die Kammer ist auf dieser Grundlage zu der Auffassung gelangt, dass der Fachmann bei der Lektüre von D1a aufgrund seines allgemeinen technischen Wissens davon ausgehen würde, dass mit der Verwendung eines Ultraschallverneblers auch entsprechende Tröpfchen­größen im niedrigen Mikrometerbereich offenbart sind, die unterhalb der mit herkömmlichen Dampfbefeuchtern erhältlichen Tröpfchengrößen liegen. Somit sieht die Kammer in der anspruchsgemäßen Tröpfchengröße von unter 10 mym kein Unterscheidungs­merkmal des beanspruchten Verfahrens gegenüber D1a.

2.6.3 Die in Anspruch 1 enthaltene Vorgabe, dass das Aerosol beim Umströmen der Teiglinge in deren Oberfläche eindringen und zu einer gleichmäßigen Durchfeuchtung führen soll, benennt ein zu erreichendes Ergebnis, das die Beschwerdegegnerin selbst ursächlich auf die feine Tröpfchengröße zurückgeführt hat. Sofern die Teiglinge also im Rahmen der in dem Warenraum stattfindenden Gleichgewichtseinstellung noch Feuchtigkeit aufnehmen können, wäre diese Befeuchtung daher ebenso mit dem Verfahren gemäß D1a gegeben.

2.6.4 Die Arbeitstemperatur und das Verarbeitungsstadium der Teiglinge wurden seitens der Beschwerde­gegnerin nicht als erfindungsrelevante Unterscheidungs­merkmale angeführt. Im Hinblick auf das Verarbeitungsstadium ist die Kammer im Übrigen der Auffassung, dass der Wortlaut von D1a ("before fermentation" - vor der Fermentation) teilgegarte Teiglinge (die vom vorliegenden Anspruch 1 abgedeckt sind) nicht ausschließt.

2.6.5 Infolgedessen ist lediglich die Verwendung von hochreinem Wasser aus einer Umkehrosmose als Unterscheidungsmerkmal noch in Betracht zu ziehen.

2.7 Es war nicht streitig, dass durch die Verwendung von hochreinem Wasser Ablagerungen und Keimbelastung vermieden bzw. reduziert werden können.

2.8 Aufgrund dessen besteht die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Behandlung von in einem gekühlten Warenraum befindlichen Teiglingen.

2.9 Die Lösung dieser Aufgabe ist das in Anspruch 1 definierte Verfahren.

Naheliegen der Lösung

2.10 Ausgehend von der technischen Lehre in D1a hätte der Fachmann die Produktbeschreibungen von am Markt erhältlichen Ultraschall­verneblern konsultiert, wie beispielsweise D2.

2.11 Wegen der universellen Verwendbarkeit solcher Geräte (wobei die Warenbefeuchtung ein typisches Einsatz­gebiet von Ultraschallverneblern ist) stimmt die Kammer mit der Beschwerdeführerin dahingehend überein, dass ein spezieller Verweis auf die Verwendung in klimatisierten Warenräumen für Teiglinge in einem solchen Prospekt nicht erforderlich wäre, um die darin enthaltenen Informationen mit der technischen Lehre von D1a zu kombinieren. Aus D2 wird allerdings ohnehin deutlich, dass an eine Anwendung in lebensmittelproduzierenden Betrieben ((Groß)bäckereien und Käsereien sind genannt) durchaus gedacht war.

2.12 In D2 ist auf Seite 2 offenbart, dass mineralfreies Wasser verwendet wird, um Ablagerungen zu vermeiden. In einer Ausführungsform ist das Wasser durch Umkehrosmose aufbereitet worden.

2.13 Somit waren die Merkmale gemäß Punkt 2.6.5 zur Lösung der technischen Aufgabe (vgl. Punkt 2.8) bereits bekannt.

2.14 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht, weshalb der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 100 (a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegensteht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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