T 2096/15 () of 17.8.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T209615.20210817
Datum der Entscheidung: 17 August 2021
Aktenzeichen: T 2096/15
Anmeldenummer: 05813640.9
IPC-Klasse: A61B 17/00
A61B 17/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: OCCLUSIONSINSTRUMENT ZUM VERSCHLIESSEN EINES HERZOHRES
Name des Anmelders: Occlutech Holding AG
Name des Einsprechenden: AGA Medical Corporation
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: Eignung einer bekannten Vorrichtung für eine neue Verwendung (ja)
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Zulassung - Hilfsanträge 4a, 5b (ja), Hilfsanträge 6-10 und 1c (nein)
Klarheit - Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a, 5b (nein)
Unzulässige Erweiterung - Hilfsantrag 3 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0803/07
T 0720/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2571/16

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent zu widerrufen. In der angefochtenen Entscheidung wurde entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht neu gegenüber WO-A-99/12478 (D2) sei und die Hilfsanträge (insbesondere die Hilfsanträge 1b, 2b, 3, 4 und 5a) den Erfordernissen von Artikel 84 und/oder 123(2) EPÜ nicht genügten.

II. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:

D2: WO-A-99/12478

D3: US-A-5 725 552

D5: B. Meier et al.: "Transcatheter Left Atrial Appendage Occlusion With Amplatzer Devices to Obviate Anticoagulation in Patients With Atrial Fibrillation", Catheterization and Cardiovascular Interventions, Bd. 60, Nr. 3, 15. November 2003

D9: Z. Hijazi: Stellungnahme zum Artikel D5, 22. Dezember 2011

III. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 31. März 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit.

IV. Am 17. August 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents wie erteilt oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1b (eingereicht am 4. Januar 2016), 1c (eingereicht am 17. August 2021), 2b, 3, 4, 4a, 5a, 5b (alle eingereicht am 4. Januar 2016), 6 bis 10 (eingereicht am 17. Juli 2021).

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"1. Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres, bestehend aus einem Geflecht (10) dünner Drähte oder Fäden, welches mittels eines Umformungs- und Wärmebehandlungsverfahrens eine geeignete Formgebung erhält, mit einem rückseitigen proximalen Retentionsbereich (2) und einem vorderseitigen distalen Retentionsbereich (3), wobei in dem distalen Retentionsbereich (3) die Enden der Drähte oder Fäden in einer Fassung (4) zusammenlaufen, und mit einem Mittenbereich (5) zwischen dem proximalen und dem distalen Retentionsbereich (2, 3), wobei das Occlusionsinstrument (1) im zusammengefalteten Zustand mittels eines Katheters in den Körper eines Patienten minimal-invasiv einführbar und in dem Herzohr des Patienten positionierbar ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

der proximale Retentionsbereich (2) einen Krempenbereich (6) aufweist, der im expandierten Zustand des Occlusionsinstruments (1) in dem zu verschließenden Herzohr an den Innenwandungen des Herzohres zur Anlage kommt und mit den Innenwandungen des Herzohres eine kraftschlüssige Verbindung bildet und somit das implantierte und expandierte Occlusionsinstrument (1) in dem Herzohr hält, wobei der distale Retentionsbereich (3) die Öffnung des Herzohres verschließt, wobei der proximale Retentionsbereich (2) mit seinem Krempenbereich (6) derart ausgelegt ist, dass er sich beim Expandieren des Occlusionsinstrumentes (1) nach außen wölbt, um derart mit den Innenwandungen des Herzohres zur Anlage zu kommen."

VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1b lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der distale Retentionsbereich (3) des Occlusionsinstruments (1) einen Rand aufweist, und wobei der Rand des distalen Retentionsbereiches (3) bündig mit der Herzohrwand abschließt, und wobei der distale Retentionsbereich (3) derart ausgebildet ist, dass keinerlei Material des implantierten Occlusionsinstruments (1) über die Herzohrwand in den Blutstrom des Patienten hineinragt".

VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1c lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der distale Retentionsbereich (3) derart ausgebildet ist, dass keinerlei Material des implantierten Occlusionsinstruments (1) über die Herzohrwand in den Blutstrom des Patienten

hineinragt".

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2b lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei beim expandieren der proximale Retentionsbereich weiter in das Herzohr hineingezogen wird, wodurch der distale Retentionsbereich (3) aufgrund einer Zugkraft vom proximalen Retentionsbereich (2) über den Mittenbereich (5) unter einer permanenten Spannung am Eingang des Herzohres gehalten wird, sowie die Position des distalen Retentionsbereiches bündig an der Öffnung des Herzohres mit Hilfe des sich selbständig nach außen wölbenden proximalen Retentionsbereiches (2) gehalten wird".

IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der mittels Wärmebehandlung erhaltene Mittenbereich (5) zwischen dem proximalen und dem distalen Retentionsbereich (2, 3) des Occlusionsinstruments (1) eine längliche Form aufweist und sich gerade erstreckt".

X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der Mittenbereich (5) eine festgelegte Länge hat, um das Verschließen der Herzohröffnung zu gewährleisten".

XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4a lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der Mittenbereich (5) eine vorab festgelegte Länge hat, um das Verschließen der Herzohröffnung zu gewährleisten".

XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5a lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei sich das zusammengefaltete Occlusionsinstrument (1) aufgrund seiner selbstexpandierbaren Natur in den expandierten Zustand auseinanderfaltet, wenn es vom Katheter in dem zu verschließenden Herzohr positioniert ist und dort von dem Katheter freigegeben ist, wobei der rückseitige proximale Retentionsbereich (2) des Occlusionsinstrumentes (1) in dem expandierten Zustand mit dem daran ausgebildeten Krempenbereich (6) vollständig auseinandergefaltet ist und an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage kommt".

XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei sich das zusammengefaltete Occlusionsinstrument (1) aufgrund seiner selbstexpandierbaren Natur in den expandierten Zustand auseinanderfaltet, wenn es vom Katheter in dem zu verschließenden Herzohr positioniert ist und dort von dem Katheter freigegeben ist, wobei der rückseitige proximale Retentionsbereich (2) des Occlusionsinstrumentes (1) in dem expandierten Zustand mit dem daran ausgebildeten Krempenbereich (6) vollständig auseinandergefaltet ist und an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage kommt, wobei der Krempenbereich (6) im expandierten Zustand zum distalen Retentionsbereich (3) hin gewölbt ist".

XIV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der Krempenbereich (6) am proximalen Retentionsbereich (2) durch zumindest teilweises Zurückstülpen des proximalen Retentionsbereiches (2) zum distalen Ende gebildet ist".

XV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der Krempenbereich (6) am proximalen Retentionsbereich (2) durch zumindest teilweises Zurückstülpen des proximalen Retentionsbereiches (2) zum distalen Ende gebildet ist, und wobei

das Occlusionsinstrument (1) eine hantelähnliche Formgebung aufweist, wobei das Mittenstück der hantelähnlichen Formgebung den Mittenbereich (5) zwischen dem proximalen und dem distalen Retentionsbereich (2, 3) des Occlusionsinstruments (1) bildet".

XVI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale hinzu:

", wobei der Krempenbereich (6) im expandierten Zustand zum distalen Retentionsbereich (3) hin gewölbt ist".

XVII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende von der Kammer hervorgehoben Merkmale hinzu:

"... dass er sich beim Expandieren des Occlusionsinstrumentes (1) nach außen und zum distalen Retentionsbereich (3) hin wölbt, um derart mit den Innenwandungen des Herzohres zur Anlage zu kommen".

XVIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 lautet "Selbstexpandierbares Occlusionsinstrument (1) zum Verschließen eines Herzohres konfiguriert, ..."

(Änderung gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags von der Kammer hervorgehoben) und fügt am Ende des Anspruchs 1 des Hauptantrags folgende Merkmale an:

", wobei der Mittenbereich (5) eine vorab festegelegte Länge von 5-30 mm hat, um das Verschließen der Herzohröffnung zu gewährleisten".

XIX. Die von der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D2

Das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument sei zum Verschließen eines Herzohres (oder LAA: left atrial appendage) nicht geeignet. Dies sei in der Stellungnahme D9 einer der Koautoren der Publikation D5 (Dr. Hijazi) bestätigt worden, in der ausgesagt werde, dass der ASD-Occluder von D5 nicht für die Occlusion von LAA ausgelegt und geeignet sei. Der ASD-Occluder könne aufgrund der Zugkraft aus dem LAA-Defekt heraustreten. Die Studie D5 sei nur auf einen Beobachtungszeitraum von vier Monaten ausgelegt gewesen, was in keiner Weise lang genug sei, um zu entscheiden, ob ein ASD-Occluder als LAA-Occluder verwendet werden könne. Auch wenn in wenigen Fällen ASD-Occluder zum Verschließen eines LAA verwendet worden seien, könne daraus nicht gefolgert werden, dass das Instrument generell für die Verwendung geeignet sei. Wenn derartige Instrumente tatsächlich routinemäßig zum Verschließen eines LAA verwendet worden wären, so hätte die Einsprechende weitere spätere Studien als D5 vorlegen können. Darüber hinaus sei nicht festzustellen, ob die Instrumente aus D2 identisch mit denen aus D5 seien. Somit könne D5 nicht stichhaltig beweisen, dass die Instrumente aus D2 zum Verschließen eines LAA wirklich geeignet seien. D5 sei eine wissenschaftliche Publikation, die nicht als Beweis des Fachwissens dienen könne. Die Eignung der aus D2 bekannten ASD-Occluder ist weder im Stand der Technik offenbart noch sie aus dem allgemeinen Fachwissen bekannt gewesen. Es sei ferner auf die kürzlich erschienene Entscheidung T 720/15 verwiesen, aus der hervorgehe, dass ASD-Occluder zum Verschließen eines LAA nicht geeignet seien.

Darüber hinaus offenbare D2 nicht, dass in dem distalen Retentionsbereich des Instruments die Enden der Drähte oder Fäden in einer Fassung zusammenliefen. Dieses Merkmal bedeute, dass alle Enden der Drähte oder Fäden in einer einzigen Fassung zusammenliefen. D2 offenbare auch nicht, wie sich das Instrument innerhalb des LAA verhalte, insbesondere ob der proximale Retentionsbereich einen Krempenbereich aufweise, der im expandierten Zustand des Occlusionsinstruments in dem zu verschließenden Herzohr an den Innenwandungen des Herzohres zur Anlage komme und mit den Innenwandungen des Herzohres eine kraftschlüssige Verbindung bilde und somit das implantierte und expandierte Occlusionsinstrument in dem Herzohr halte. Weder D5 noch D2 offenbaren, dass der proximale Retentionsbereich einen Krempenbereich aufweise. Es sei auch nicht offenbart, dass der proximale Retentionsbereich mit seinem Krempenbereich derart ausgelegt sei, dass er sich beim Expandieren des Occlusionsinstruments nach außen wölbe.

Zulassung der Hilfsanträge 4a, 5b, 6 bis 10 und 1c

Hilfsanträge 4a und 5b seien zuzulassen, da sie mit der Beschwerdebegründung und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht worden seien.

Für die Einreichung der Hilfsanträge 6 bis 10 einen Monat vor der mündlichen Verhandlung liegen außergewöhnliche Umstände vor, da die Kammer in ihrer Mitteilung erstmalig neue Einwände in das Verfahren eingebracht habe. Zum einen habe sie mit ihrem Verweis auf Seite 421, Absatz 2 von D5 dargelegt, dass der ASD-Occluder in D2 deshalb als LAA-Occluder geeignet sei, weil er die Form eines Schnullers im Mund eines Babys habe. Zum anderen habe sie dargelegt, dass Hilfsantrag 1b nicht klar sei, weil die zugefügten Merkmalsdefinitionen im Wesentlichen vom Gewebe und/oder der Morphologie des jeweiligen individuellen Herzens abhingen, in das das Occlusionsinstrument eingebracht werde. Diese Feststellungen haben die Beschwerdeführerin überrascht, da sie weder in der angefochtenen Entscheidung noch in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin enthalten gewesen seien. Hilfsanträge 6 bis 10 seien deshalb zuzulassen.

Dass die Beschwerdeführerin erst während der mündlichen Verhandlung die Gründe für die Nichtzulassung der Hilfsanträge 6 bis 10 erfahren habe, insbesondere der Grund, weshalb die Kammer den Klarheitseinwand gegen Hilfsantrag 1b als aus der angefochtenen Entscheidung für bekannt ansah, stellen außergewöhnliche Umstände dar, die die Zulassung des Hilfsantrags 1c rechtfertigen.

Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a und 5b - Artikel 84 EPÜ

Die Ansprüche seien klar definiert. Die beanstandeten Merkmale seien bereits in ähnlicher Weise im Anspruch 1 des erteilten Patents enthalten, so dass Klarheitseinwände nicht zulässig seien. Zum Beispiel definiere der erteilte Anspruch 1, dass der proximale Retentionsbereich an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage komme, was ebenfalls von der Morphologie des Herzens abhänge. Dieselben Merkmale seien in den Hilfsanträgen 5a und 5b enthalten. Darüber hinaus wisse der Fachmann, dass der Occluder den jeweiligen anatomischen Bedingungen eines Patienten angepasst werden müsse. Die Ansprüche definierten in klarer Weise, wie dies zu realisieren sei. Dies sei so für einen analogen Fall in T 803/07 entschieden worden. Der Fachmann sei ohne Weiteres in der Lage, durch Versuch und Irrtum und über geeignete Messungen den beanspruchten Gegenstand für einen bestimmten Patienten zu bestimmen.

Hilfsantrag 3 - Artikel 123(2) EPÜ

Das beanspruchte Merkmal eines Mittenbereichs, das "eine längliche Form aufweist und sich gerade erstreckt", sei in jedem der Figuren 1, 3 und 4 der ursprünglichen Anmeldung offenbart. Zudem ergebe es sich aus Seite 16, Absatz 4; Seite 17, Zeilen 3 bis 4 und Seite 17, Absatz 3 der Beschreibung. Hilfsantrag 3 sei somit im Einklang mit Artikel 123(2) EPÜ.

XX. Die von der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Neuheit gegenüber D2

D2 offenbare ein Occlusionsinstrument mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Obwohl in D2 dieses Instrument zum Verschließen eines Septumdefekts (ASD) vorgestellt werde, sei es dennoch geeignet zur beanspruchten Verwendung zum Verschließen eines Herzohres (oder LAA). Das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument sei eine Weiterentwicklung des unter dem Namen "Amplatzer-Occluder" aus D3 bekannten Occlusionsinstruments, die ausweislich D5 erfolgreich auch als LAA-Occluder eingesetzt worden seien. Dies belege, dass die ASD-Occluder aus D2 für die beanspruchte Verwendung zum Verschließen eines Herzohres geeignet seien. Folglich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht neu gegenüber D2.

Zulassung der Hilfsanträge 4a, 5b, 6 bis 10 und 1c

Hilfsanträge 4a und 5b seien nicht zuzulassen, da die Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsverfahren Gelegenheit gehabt habe, diese einzureichen. Es gebe ferner keine außergewöhnlichen Umstände, die die Zulassung der Hilfsanträge 6 bis 10 und 1c rechtfertigen würden.

Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a und 5b - Artikel 84 EPÜ

Wie die Einspruchsabteilung zutreffender Weise entschieden habe, seien diese Hilfsanträge unklar, da sie das beanspruchte Instrument als Funktion der Morphologie des jeweiligen Herzohrs definierten.

Hilfsantrag 3 - Artikel 123(2) EPÜ

Das Merkmal eines Mittenbereichs, das "eine längliche Form aufweist und sich gerade erstreckt" sei isoliert aus den Figuren herausgegriffen worden und stelle somit eine unzulässige Verallgemeinerung dar. Das Merkmal gehe auch nicht eindeutig aus der Beschreibung hervor, in der lediglich ein zylindrischer Mittenbereich erwähnt werde. Eine längliche Form sei breiter gefasst als eine zylindrische Form.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung

Die Erfindung betrifft ein sebstexpandierbares Occlusionsinstrument zum Verschließen eines Herzohres. Ein Herzohr (bzw. left atrial appendage oder LAA) ist eine Ausstülpung am linken Vorhof des menschlichen Herzens, das häufig verschlossen werden muss, um eine Thrombusbildung mit dem Risiko eines Schlaganfalls zu reduzieren. Das Instrument besteht aus einem Geflecht (10) dünner Drähte oder Fäden, welches mittels eines Umformungs- und Wärmebehandlungsverfahrens eine geeignete Formgebung erhält, wobei das Occlusionsinstrument einen rückseitigen proximalen Retentionsbereich (2) und einen vorderseitigen distalen Retentionsbereich (3) aufweist, und wobei in dem distalen Retentionsbereich (3) die Enden der Drähte oder Fäden in einer Fassung (4) zusammenlaufen (Figuren 1 und 3). Das Occlusionsinstrument ist dabei so ausgeführt, dass es im zusammengefalteten Zustand mittels eines Katheters in den Körper eines Patienten minimal-invasiv einführbar und in dem Herzohr positionierbar ist. Das Occlusionsinstrument weist im proximalen (dem Inneren des Herzohres zugewandten) Retentionsbereich (2) einen Krempenbereich (6) auf, der sich im expandierten Zustand (wie in Figur 4 gezeigt) nach außen wölbt, um an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohrs zur Anlage zu kommen, wobei der distale (dem Vorhof zugewandten) Retentionsbereich (3) die Öffnung des Herzohres verschließt.

2. Hauptantrag - Neuheit gegenüber D2

2.1 Dokument D2 offenbart ein ASD-Occlusionsinstrument (ASD: atrial septal defect), mit dem ein Defekt im Vorhofseptum geschlossen wird (Seite 3, Zeilen, 13 bis 16; Figur 21; Seite 21, Zeilen 26 bis 27). Das Occlusionsinstrument besteht aus einem selbstexpandierenden Drahtgeflecht, das im expandierten Zustand zwei Retentionsbereiche bildet ("proximal and distal disks" 122, 124), die durch einen zylindrischen Mittenbereich ("tubular middle portion" 126) getrennt sind (Figuren 15 und 16; Absatz zwischen Seiten 18 und 19). Aufgrund des Memory-Effektes des verwendeten Drahtmaterials entfaltet sich das Drahtgeflecht selbstständig beim Verlassen des Katheters, mit dem das Instrument in das Herz eingeführt wird (Seite 3, Zeilen 23 bis 25; Seite 7, Zeilen 13 bis 19).

2.2 Das angefochtene Patent würdigt im Absatz [0008] das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument als eine Weiterentwicklung des unter dem Namen "Amplatzer-Occluder" aus D3 bekannten Occlusionsinstruments (K. Amplatz ist einer der Erfinder in D2 und D3). Im Absatz [0008] wird ferner erläutert, dass ein Occlusionsinstrument gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 aus D2 bekannt ist.

Mit ihrer Eingabe am Tag vor der mündlichen Verhandlung bestritt die Beschwerdeführerin erstmalig, dass ein Merkmal des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aus D2 tatsächlich bekannt sei, und zwar, dass in dem distalen Retentionsbereich des Instruments die Enden der Drähte oder Fäden in einer Fassung zusammenliefen. Mit diesem Merkmal sei gemeint, so die Beschwerdeführerin, dass alle Enden der Drähte oder Fäden in einer einzigen Fassung zusammenliefen.

Die Kammer folgte dieser Auffassung nicht, da auch im Instrument der Figuren 15 und 16 "in dem distalen Retentionsbereich die Enden der Drähte oder Fäden in einer Fassung (clamp 128) zusammenlaufen", wie im Anspruch 1 definiert wird, und zwar unabhängig davon, dass die Enden der Drähte oder Fäden auch im proximalen Retentionsbereich in einer weiteren Fassung zusammenlaufen.

2.3 In den Figuren 15 und 16 von D2 kann der äußere, radial nach außen hervorstehende Teil des proximalen Retentionsbereichs (122) - in Analogie zu einer Hutkrempe - als "Krempenbereich" bezeichnet werden. Eine präzise technische Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang eines Occlusionsinstruments ist diesem entliehenen Begriff nicht zuzuschreiben. Folglich nimmt D2 auch das beanspruchte Merkmal vorweg, wonach "der proximale Retentionsbereich einen peripheren Krempenbereich aufweist".

2.4 Es ist unstrittig, dass das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument zum Verschließen eines ASD (atrial septal defect), nicht jedoch zum Verschließen eines Herzohrs (wie beansprucht) offenbart wurde. Es stellt sich somit die Frage, ob das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument aufgrund seiner offenbarten konstruktiven und funktionellen Merkmalen für die im Anspruch angegebene Verwendung zum Verschließen eines Herzohrs als geeignet anzusehen ist.

Nach etablierter Praxis des EPA ist nämlich eine Formulierung wie "Vorrichtung für" dahingehend auszulegen, dass damit eine Vorrichtung gemeint ist, die sich für die angegebene Verwendung eignet. Somit ist eine Vorrichtung aus dem Stand der Technik, die zusätzlich zu den im Anspruch ausdrücklich genannten Merkmalen vernünftigerweise auch für die angegebene Verwendung genutzt werden kann, für die beanspruchte Vorrichtung neuheitsschädlich. Dies gilt unabhängig davon, ob die angegebene Verwendung im Stand der Technik erwähnt wird. Der Grund ist darin zu sehen, dass der Anspruch auf die Vorrichtung und nicht auf ihre Verwendung gerichtet ist. Ebenso wenig kann die Angabe einer neuen Verwendung eine bekannte Vorrichtung neu machen.

2.5 Zum Beweis der Tatsache, dass das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument auch zum Verschließen eines Herzohrs geeignet ist, hat die Beschwerdegegnerin die Publikation D5 herangezogen. D5 berichtet über eine klinische Studie, in der Amplatzer ASD-Occluder erfolgreich auch als left atrial appendage (LAA, bzw. Herzohr) Occluder eingesetzt worden sind (siehe Zusammenfassung, insbesondere Zeilen 5 bis 6). D5 belegt somit nicht das allgemeine Fachwissen, sondern dient als Beleg für eine inhärente Eigenschaft des Occluders der D2. In der Studie wurden 16 Patienten behandelt, bei denen nach einem Zeitraum von durchschnittlich vier Monaten eine stabile Position des Occluders im LAA (Herzohr), eine totale Occlusion und keine Komplikationen festgestellt wurden (Seite 420, Absatz 2). Die Resultate dieser klinischen Studie belegen, dass Amplatzer ASD-Occluder im Allgemeinen, und somit auch der Amplatzer ASD-Occluder aus D2, für die Anwendung als LAA- oder Herzohr-Occluder geeignet sind.

Auch wenn der in D2 offenbarte Amplatz ASD-Occluder nicht völlig identisch mit den in D5 verwendeten Amplatz ASD-Occludern sein mag, ist davon auszugehen, dass der Amplatz ASD-Occluder aus D2 ebenfalls die Eignung zum Verschließen von LAA wie die aus D5 hat. Im Gegensatz zur Meinung der Beschwerdeführerin ist es nicht erforderlich, dass die Eignung einer bekannten Vorrichtung für eine neue Verwendung im Stand der Technik offenbart wurde oder dem Fachmann allgemein bekannt war. Sie muss lediglich glaubhaft und überzeugend dargelegt worden sein (siehe Punkt 2.4 oben).

2.6 Die Beschwerdeführerin bestritt mit verschiedenen Argumenten, dass das aus D2 bekannte Occlusionsinstrument auch zum Verschließen eines Herzohrs geeignet ist.

2.6.1 Die Beschwerdeführerin berief sich zunächst auf D9, eine von einem der Koautoren der Publikation D5 unterzeichnete Stellungnahme (Dr. Hijazi), in der ausgesagt wird, dass der (bzw. die) ASD-Occluder von D5 nicht für die Occlusion von LAA ausgelegt und geeignet sei (seien).

Die Kammer findet diese Argumentation nicht überzeugend. D9 stellt eine persönliche Meinung eines Koautors über die Studie D5 dar, bei der er mitgewirkt hat. Aus der dargelegten Meinung lässt sich jedoch nicht schließen, dass die in D5 verwendeten ASD-Occluder zum Verschließen eines LAA nicht geeignet waren, insbesondere allein schon deshalb, weil sie in 16 Patienten erfolgreich eingesetzt wurden. Es mag zwar möglich sein, dass zwischen der Veröffentlichung der Studie D5 im Jahre 2003 und der Stellungnahme D9 im Jahre 2011 neue spezifischere LAA-Occluder entwickelt worden sein können, die die Occluder aus D5 als vergleichsweise relativ "ungeeignet" erscheinen lassen. Selbst wenn dies belegt worden wäre (was nicht der Fall ist), würde dies keineswegs bedeuten, dass die in D5 verwendeten (und somit der aus D2 bekannte) Occluder zum Anmeldetag des Patents im Jahre 2005 als ungeeignet zum Verschließen von LAA anzusehen sind. Auch der von der Beschwerdeführerin erwähnte Umstand, dass keine weiteren Studien zur Verwendung von ASD-Occludern zum Verschließen von LAA angeführt worden seien, stellt keinen Beleg für deren fehlende Eignung dar. Die behauptete fehlende Eignung lässt sich auch nicht aus dem von der Beschwerdeführerin postulierten angeblich ausgebliebenen "routinemäßigen" Einsatz von ASD-Occludern zum Verschließen von LAA herleiten.

2.6.2 Die Beschwerdeführerin behauptete ferner, dass das Occlusionsinstrument aus D2 nicht im Herzohr gehalten werden könne.

Diese Behauptung erscheint ebenfalls nicht nachvollziehbar, da, wie oben erwähnt, D5 die stabile Position der verwendeten ASD-Occluder nach durchschnittlich vier Monaten explizit bestätigt. Insbesondere wird auf Seite 421, rechte Spalte, Zeilen 6 bis 10 von D5 erwähnt, dass die ASD-Occluder im Herzohr u.a. so angebracht wurden, dass der distale Retentionsbereich die Öffnung des Herzohrs schließt (ähnlich wie ein Schnuller im Mund eines Babys), analog zur Figur 4 des Patents.

2.6.3 Die Beschwerdeführerin erwähnte, dass aus der kürzlich erschienenen Entscheidung T 720/15 derselben Kammer (in anderer Besetzung) hervorgehe, dass ASD-Occluder zum Verschließen eines LAA nicht geeignet seien.

Unabhängig davon, dass jede zur Entscheidung berufene Kammer die für die Entscheidung relevanten Tatsachen in eigener Verantwortung für jeden Fall neu feststellen muss, ist eine derartige generelle Feststellung in der zitierten Entscheidung nicht zu finden. Vielmehr wurde darin festegestellt, dass in der betreffenden Akte kein Beweis vorliege, dass die in zwei konkreten Dokumenten (E2 und E4) offenbarten Occludern zum Verschließen eines LAA geeignet sein könnten (Gründe, Punkt 10). Die Sachlage im vorliegenden Fall ist hingegen eine andere als die in T 720/15. Das neuheitsschädliche Dokument D2 ist ein anderes als E2 und E4 in T 720/15, und der Beleg für die bestrittene Eignung zum Verschließen eines Herzohres, Dokument D5, lag in T 720/15 nicht vor.

2.7 Die Merkmale des Kennzeichens des Anspruchs 1 beziehen sich auf die Wechselwirkung des Krempenbereichs des expandierten proximalen Retentionsbereichs mit der Innenwandung des Herzohrs. Sie definieren insbesondere, dass der Krempenbereich an den Innenwandungen des Herzohres zur Anlage kommt und mit den Innenwandungen eine kraftschlüssige Verbindung bildet und somit das implantierte und expandierte Occlusionsinstrument in dem Herzohr hält, wobei sich der proximale Retentionsbereich beim Expandieren des Occlusionsinstruments nach außen wölbt. Diese Merkmale sind folglich dahingehend auszulegen, dass sie die Eignung des Occlusionsinstruments für eine derartige Wechselwirkung mit dem Herzohr definieren.

Die Eignung für eine derartige Wechselwirkung ist auch beim Occlusionsinstrument von D2 gegeben, wenn es in ein Herzohr eingeführt würde. Insbesondere wird sich aufgrund der Expandierbarkeit des Occlusionsinstruments von D2 der Krempenbereich des proximalen Retentionsbereichs 122 radial nach außen wölben, wenn er gegen die Innenwandung eines (engeren) Herzohrs expandiert, und mit den Innenwandungen eine kraftschlüssige Verbindung bilden und somit das implantierte und expandierte Occlusionsinstrument in dem Herzohr halten.

2.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Eignung der aus D2 bekannten Vorrichtung für die beanspruchte Verwendung bewiesen wurde.

2.9 Aus den genannten Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht neu gegenüber D2 im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

3. Zulassung der Hilfsanträge 4a, 5b, 6 bis 10 und 1c

3.1 Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1b, 2b, 3, 4 und 5a lagen bereits der angefochtenen Entscheidung zu Grunde und sind somit Bestandteil des Beschwerdeverfahrens (Artikel 12(1) und 12(2) VOBK 2020).

Hilfsanträge 4a und 5b sind hingegen erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden. Da diese Anträge zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht wurden und eine legitime Reaktion der Beschwerdeführerin auf die für sie negative Entscheidung darstellen, sieht die Kammer keinen überzeugenden Grund, diese Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK 2007).

3.2 Hilfsanträge 6 bis 10 wurden hingegen einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereicht.

3.2.1 Artikel 13(2) VOBK 2020 regelt, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.2.2 Die Beschwerdeführerin sah derartige außergewöhnliche Umstände darin, dass, ihrer Meinung nach, die Kammer in ihrer Mitteilung erstmalig neue Einwände in das Verfahren einbrachte. Zum einen habe die Kammer mit ihrem Verweis auf Seite 421, Absatz 2 von D5 dargelegt, dass der ASD-Occluder in D2 deshalb als LAA-Occluder geeignet sei, weil er die Form eines Schnullers im Mund eines Babys habe. Zum anderen habe die Kammer dargelegt, dass Hilfsantrag 1b nicht klar sei, weil die zugefügten Merkmalsdefinitionen im Wesentlichen vom Gewebe und/oder der Morphologie des jeweiligen individuellen Herzens abhingen, in das das Occlusionsinstrument eingebracht werde. Diese Einwände haben die Beschwerdeführerin überrascht, da sie weder in der angefochtenen Entscheidung noch in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin enthalten gewesen seien.

3.2.3 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht.

Die Beschwerdegegnerin hatte bereits in ihrer Beschwerdeerwiderung (auf Seite 7, Absätze 1 bis 3) die stabile Halterung der ASD-Occluder von D5 angesprochen und ausgeführt, dass die Occluder so im Herzohr angebracht werden können, dass der distale Retentionsbereich die Öffnung des Herzohrs schließt (ähnlich wie ein Schnuller im Mund eines Babys). Sie verwies diesbezüglich auf Seite 421, Absatz 2 von D5. Die Eignung für eine stabile Halterung des Occluders von D2 im Herzohr im Lichte des Beweises, das D5 darstellt, war folglich kein Aspekt, den die Kammer erstmalig in ihrer Mitteilung angesprochen hat.

Der Einwand, dass Hilfsantrag 1b nicht klar sei, weil die hinzugefügten Merkmale im Wesentlichen vom Gewebe und/oder der Morphologie des jeweiligen individuellen Herzens abhängen, war in der angefochtenen Entscheidung implizit bereits erhoben worden. In der Entscheidung (Seite 12, Punkt 1.3) war dieser Klarheitseinwand hinsichtlich des Merkmals im Hilfsantrag 2b, wonach der distale Retentionsbereich "bündig an der Öffnung des Herzohres ... gehalten wird", erhoben worden. Hilfsantrag 1b enthält das hierzu analoge Merkmal, wonach "der Rand des distalen Retentionsbereiches bündig mit der Herzohrwand abschließt". Auch wenn die Terminologie in beiden Hilfsanträgen geringfügig abweicht, definieren beide Hilfsanträge im Wesentlichen das gleiche Merkmal des bündigen Abschließens des Herzohres durch den distalen Retentionsbereich des Occlusionsinstruments. Somit war der Beschwerdeführerin der von der Kammer in Bezug auf Hilfsantrag 1b erhobene Klarheitseinwand bereits aus der angefochtenen Entscheidung bekannt.

3.2.4 Die Kammer sieht folglich keine stichhaltigen Gründe für das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen, die die Berücksichtigung der nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 6 bis 10 rechtfertigen könnten. Diese Anträge werden daher gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht ins Verfahren zugelassen.

3.3 Hilfsantrag 1c wurde am Ende der mündlichen Verhandlung mit der Begründung eingereicht, dass die Beschwerdeführerin erst während der mündlichen Verhandlung die Gründe für die Nichtzulassung der Hilfsanträge 6 bis 10 erfahren habe, insbesondere der Grund, weshalb die Kammer den Klarheitseinwand gegen Hilfsantrag 1b als aus der angefochtenen Entscheidung für bekannt ansah. Dieses seien außergewöhnliche Umstände, die die Zulassung des Hilfsantrags 1c rechtfertigen.

3.3.1 Dass die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung erfuhr, weshalb ihre vorgebrachte Begründung für das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen, die die Zulassung der Hilfsanträge 6 bis 10 gerechtfertigt hätten, die Kammer nicht überzeugten, sind keine "außergewöhnlichen Umstände", die die Zulassung eines weiteren Hilfsantrags rechtfertigen würden. Vielmehr muss eine Partei damit rechnen, dass ihre vorgebrachte Begründung nicht überzeugt.

3.3.2 Folglich wird auch Hilfsantrag 1c gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht ins Verfahren zugelassen.

4. Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a und 5b - Artikel 84 EPÜ

4.1 Artikel 84 EPÜ fordert, dass die Patentansprüche den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, deutlich angeben. Damit wird sichergestellt, dass für die Öffentlichkeit kein Zweifel hinsichtlich des beanspruchten Gegenstandes besteht. Aus dem Erfordernis der Rechtsicherheit folgt, dass ein Anspruch nicht als deutlich im Sinne von Artikel 84 EPÜ angesehen werden kann, wenn er ein unklares technisches Merkmal enthält, das den Schutzbereich nicht genau erkennen lässt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.A.3.1).

4.2 Anspruch 1 der Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a und 5b enthalten gegenüber Anspruch 1 des erteilten Patents folgende zusätzliche Merkmale, die der Beschreibung entnommen wurden:

- Anspruch 1 des Hilfsantrags 1b enthält das Merkmal, wonach "der Rand des distalen Retentionsbereiches bündig mit der Herzohrwand abschließt".

- Anspruch 1 des Hilfsantrags 2b enthält das Merkmal, wonach der distale Retentionsbereich "bündig an der Öffnung des Herzohres ... gehalten wird".

- Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 enthält das Merkmal, wonach "der Mittenbereich eine festgelegte Länge hat, um das Verschließen der Herzohröffnung zu gewährleisten". Dieses Merkmal ist auch im Anspruch 1 des Hilfsantrags 4a enthalten, wobei statt der "festgelegten Länge" eine "vorab festgelegte Länge" definiert wird.

- Anspruch 1 der Hilfsanträge 5a und 5b enthalten das Merkmal, wonach "der rückseitige proximale Retentionsbereich des Occlusionsinstrumentes in dem expandierten Zustand mit dem daran ausgebildeten Krempenbereich vollständig auseinandergefaltet ist und an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage kommt".

4.3 Jedes dieser zusätzlichen Merkmale hängt im Wesentlichen vom Gewebe und/oder der Morphologie des jeweiligen individuellen Herzens ab, in das das Occlusionsinstrument eingebracht wird. Ob der distale Retentionsbereich eines Occlusionsinstruments die Öffnung eines Herzohres bündig abschließt oder nicht, hängt nicht nur von den Eigenschaften des Occlusionsinstruments ab, sondern ebenso von der Form und Dimension der Öffnung des Herzohres. Ob die Länge des Mittenbereichs des Occlusionsinstruments ausreicht, um die Verschließung der Öffnung zu gewährleisten, hängt gleichfalls von der Form und Dimension des Herzohres ab. Ebenso wird es von diesen Parametern abhängen, ob der proximale Retentionsbereich an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage kommt, wenn er vollständig auseinandergefaltet ist.

4.4 Es werden also konstruktive Merkmale des beanspruchten Occlusionsinstruments über die Morphologie des jeweiligen individuellen Herzens, in dem es verwendet wird, definiert. Da das Herz einer Person kein standardisiertes Objekt darstellt, ist das beanspruchte Occlusionsinstrument abhängig davon, welches Herz zu seiner Definition herangezogen wird. Die so definierten Merkmale sind folglich nicht dem beanspruchten Gegenstand immanent, sondern hängen von der jeweiligen Verwendung des Gegenstandes ab. Der vorliegende Anspruch ist jedoch kein Verwendungsanspruch, sondern ein Produktanspruch.

Da ein gegebenes Occlusionsinstrument abhängig von seiner Verwendung am Patienten unter den Wortlaut des Anspruchs fällt oder nicht, ist der Anspruch nicht klar im Sinne von Artikel 84 EPÜ (siehe Punkt 4.1 oben).

Es geht also nicht darum, ob der Fachmann in der Lage sei zu bestimmen, welches Instrument für einen gegebenen Patienten eingesetzt werden sollte, wie die Beschwerdeführerin argumentierte. Derartige Erörterungen tangieren nicht die Klarheit des beanspruchten Instruments, sondern eher die Ausführbarkeit seiner Verwendung, die hier nicht zur Diskussion steht.

4.5 Die Beschwerdeführerin war ferner der Auffassung, dass die beanstandeten Merkmale bereits in ähnlicher Weise im Anspruch 1 des erteilten Patents enthalten seien, so dass Klarheitseinwände nicht zulässig seien. Zum Beispiel definiere der erteilte Anspruch 1, dass der proximale Retentionsbereich an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage komme, was ebenfalls von der Morphologie des Herzens abhänge.

Auch wenn der erteilte Patentanspruch 1 ähnlich unklare Verwendungsmerkmale enthalten mag, beziehen sich die hier erhobenen Klarheitseinwände nicht auf die des erteilten Anspruchs 1, sondern auf die Merkmale, die diesem in den jeweiligen Hilfsanträgen hinzugefügt wurden und der Beschreibung entnommen wurden. So fordert Anspruch 1 des erteilten Patents zwar, dass der Retentionsbereich an den Innenwandungen des zu verschließenden Herzohres zur Anlage kommt. Anspruch 1 der Hilfsanträge 5a und 5b definieren jedoch die vollständige Expansion des proximalen Retentionsbereichs derart, dass dieser im vollständig expandierten Zustand mit der Herzohrwand zur Anlage kommt. Wie die Einspruchsabteilung zutreffend entschieden hat (Seite 16, Punkt 1.3), hängt diese Definition somit zwingend von der Größe des Herzohres ab, so dass Zweifel aufkommen, ob ein verhältnismäßig kleiner Occluder dieses Kriterium erfüllt oder nicht.

4.6 Die Beschwerdeführerin zitierte ferner die Entscheidung T 803/07 der Kammer (in anderer Zusammensetzung) und vertrat die Auffassung, dass deren Folgerungen unmittelbar auf den vorliegenden Fall anzuwenden seien.

Unanbhängig davon, dass, wie bereits ausgeführt, Tatsachenfeststellungen einer Kammer für eine weitere Kammer nicht bindend sind, betraf der Gegenstand der zitierten Entscheidung eine thermische Probe zur Behandlung einer Bandscheibe, deren Steifigkeit derart definiert war, dass sie im und entlang des Anulus fibrosus der Bandscheibe (einem Ring aus Faserknorpel, der den gallertartigen Kern umgibt) geführt werden kann. Die den Fall entscheidende Kammer befand, dass für ein Individuum eines bestimmten Alters die Konsistenz des Gewebes wenig Abweichungen zeige, so dass der Fachmann die Steifigkeit der thermischen Probe leicht bestimmen könne (Gründe, Punkt 3). Folglich sei die Klarheit des Anspruchs nicht zu beanstanden.

Dieser Argumentation kann die Kammer im vorliegenden Fall nicht folgen. Der vorliegend beanspruchte Gegenstand (wie auch der in T 803/07) ist nicht auf ein Individuum eines bestimmten Alters eingeschränkt, der vermeintlich als Standard angesehen werden könnte. Ferner besteht selbst innerhalb einer Gruppe von Individuen eines bestimmten Alters eine Unmenge an morphologischen Variationen von Herzohren, so dass ein klar definierter Standard nicht gegeben ist, der zur Definition des beanspruchten Occlusionsinstruments in Bezug auf diesen Standard herangezogen werden kann.

4.7 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1b, 2b, 4, 4a, 5a und 5b nicht klar definiert ist, entgegen den Anforderungen von Artikel 84 EPÜ.

5. Hilfsantrag 3 - Artikel 123(2) EPÜ

5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 definiert, dass der Mittenbereich zwischen dem proximalen und dem distalen Retentionsbereich "eine längliche Form aufweist und sich gerade erstreckt".

5.2 Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass jede der Figuren 1, 3 und 4 der ursprünglichen Anmeldung dieses Merkmal offenbare, das sich ferner aus Seite 16, Absatz 4; Seite 17, Zeilen 3 bis 4 und Seite 17, Absatz 3 der Beschreibung ergebe.

5.3 Die Kammer kann dieser Auffassung nicht folgen.

Das Merkmal einer länglichen und sich gerade erstreckenden Form des Mittenbereichs zwischen den Retentionsbereichen wird aus einer Mehrzahl anderer in den Figuren dargestellter Merkmale (wie die Relation der Durchmesser der beiden Retentionsbereiche), die sich ebenfalls auf die Form des Occlusionsinstruments beziehen, isoliert herausgegriffen. Folglich stellt der beanspruchte Gegenstand eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Die erwähnte längliche Form ist auch in der Beschreibung nicht offenbart. Darin wird lediglich ein Mittenbereich mit einer hantelähnlichen Formgebung bzw. ein zylindrischer Mittenbereich erwähnt (Seite 16, Absatz 4; Seite 17, Zeilen 3 bis 4). Die beanspruchte "längliche Form" ist jedoch nicht identisch mit der offenbarten zylindrischen Form. So ist zum Beispiel ein längliches Prisma kein Zylinder, da ein Prisma, anders als ein Zylinder, eine polygonale Grund- und Deckfläche aufweist. Der beanspruchte Begriff einer länglichen Form ist also breiter als der einer zylindrischen Form.

5.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 geht somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und verstößt daher gegen das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ.

6. Da keiner der eingereichten Anträge zulässig ist, ist das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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