European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T207015.20180704 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 04 Juli 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2070/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06724465.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60T 10/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR BREMSKENNLINIENEINSTELLUNG EINES RETARDERS FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG | ||||||||
Name des Anmelders: | ZF Friedrichshafen AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Voith Turbo GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 1 879 777 Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 4 des Patents in der erteilten Fassung die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle und bezog sich dabei auf die A1-Publikation (WO 2006/119849 A1) des Streitpatents, im Folgenden als D0 bezeichnet.
Die Patentfähigkeit des erteilten Anspruchs 1 wurde gegenüber folgenden Druckschriften diskutiert:
D1: WO 2006/037562 A1;
D2: EP 14 37 520 A2;
D3: DE 34 36 190 A1.
III. Am 4. Juli 2018 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt. Es wurden noch folgende Druckschriften überreicht:
DE 195 19 768 A1;
DE 10 2004 030 641 A1.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge I oder II aufrechtzuerhalten, alle Hilfsanträge eingereicht mit Schreiben vom 4. Juni 2018.
IV. Anspruch 1 gemäß Streitpatent lautet in Anlehnung an die Merkmalsgliederung der Beschwerdeführerin wie folgt (gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 hinzugefügte bzw. gestrichene Merkmale sind durch Unterstreichungen bzw. Durchstreichen gekennzeichnet):
Verfahren zur Bremskennlinieneinstellung eines Retarders für ein Kraftfahrzeug, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei
M1.1 in der Steuer- bzw. Regeleinheit des Retarders ein Kennfeld bzw. eine Bremskennlinie abgelegt wird,
M1.2 die den Zusammenhang zwischen Stellgröße und Bremsmoment darstellt,
M1.3 wobei die Bremskennlinie mehrere Stützpunkte aufweist
M1.4 und am Serien-Abnahmeprüfstand für jeden Retarder an definierten Punkten ein Vergleich zwischen Sollvorgabe für das Bremsmoment und Istwert durchgeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass
M1.5 beim Vergleich zwischen Sollvorgabe und Istwert an den definierten Punkten einzelne Korrekturwerte ermittelt werden
M1.6 und die Korrekturwerte in der Steuer- oder Regeleinheit des Retarders abgelegt werden,
M1.7 durch die [deleted: an denen] die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment [deleted: durch einzelne Offsets] verändert werden kann,
[deleted: und wobei am Serien-Abnahmeprüfstand für jeden] [deleted: Retarder an definierten Punkten ein Vergleich] [deleted: zwischen Sollvorgabe für das Bremsmoment und][deleted: Istwert durchgeführt wird]
M1.8 und wobei die durch einzelne [deleted: Offsets] Korrekturwerte veränderbaren Stützpunkte anhand des Soll-Ist-Vergleichs so weit angehoben oder abgesenkt werden, dass der Istwert innerhalb eines vorher definierten Toleranzbandes liegt.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet wie folgt (mit gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 entsprechend gekennzeichneten Änderungen):
"Verfahren zur Bremskennlinieneinstellung eines Retarders für ein Kraftfahrzeug, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei in der Steuer- bzw. Regeleinheit des Retarders ein Kennfeld bzw. eine Bremskennlinie abgelegt wird, die den Zusammenhang zwischen Stellgröße und Bremsmoment darstellt, wobei die Bremskennlinie mehrere Stützpunkte aufweist, an denen die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment durch einzelne Offsets verändert werden kann, und wobei am Serien-Abnahmeprüfstand für jeden Retarder an definierten Punkten ein Vergleich zwischen Sollvorgabe für das Bremsmoment und Istwert durchgeführt wird und die durch einzelne Offsets veränderbaren Stützpunkte anhand des Soll-Ist-Vergleichs so weit angehoben oder abgesenkt werden, dass der Istwert innerhalb eines vorher definierten Toleranzbandes liegt, wobei die auf diese Weise ermittelten Korrekturwerte in der Steuer- bzw. Regeleinheit dauerhaft abgelegt werden."
In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II wurde gegenüber dem erteilten Anspruch 1 die Reihenfolge der Merkmale M1.6 und M1.7 vertauscht und Merkmal M1.5 ersetzt durch:
M1.5' beim Vergleich zwischen Sollvorgabe und Istwert an den definierten Punkten einzelne Korrekturwerte zu je zwei Stützpunkten einer Bremskennlinie (A) mit hohem Bremsmoment und einer Bremskennlinie (C) mit niedrigem Bremsmoment ermittelt werden,
V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, insoweit es für die vorliegende Entscheidung relevant ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des angegriffenen Patents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 100 c) i.V.m. 123 (2) EPÜ).
In den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (D0) werde ganz klar zwischen den Begriffen "Offset" und "Korrekturwert" unterschieden, was im Streitpatent nicht mehr wiederzufinden sei. Aus D0 ergebe sich unmittelbar aus dem Wortlaut von Anspruch 1, dass mit "Offset" der Versatz bezeichnet werde, durch den die Stützpunkte der Bremskennlinie (also die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment) verändert werden könnten, also ein additiver oder subtraktiver Betrag des Kennfeldes bzw. der Bremskennlinie. Diese durch die einzelnen Offsets veränderten Stützpunkte dienten anschließend dazu, eine korrigierte Bremskennlinie zu ermitteln. Nach den Lehren der D0 (Anspruch 2; Seite 6, dritter Absatz) bezeichneten die "Korrekturwerte" nicht Offset-Werte, sondern die korrigierten (durch einzelne Offsets veränderten) Werte für die Stützpunkte, welche die korrigierten Werte der Bremskennlinie darstellten, d. h. der Begriff "Korrekturwert" werde nur im Zusammenhang mit der korrigierten Bremskennlinie verwendet. Die so ermittelten Korrekturwerte würden in der Steuer- oder Regeleinheit des Retarders abgelegt (Seite 6, dritter Absatz; auch Seite 5, zweiter Absatz). Den Begriffen "Korrekturwert" und "Offset" komme nicht der identische Bedeutungsinhalt zu.
In der erteilten Fassung des Streitpatents finde diese ursprüngliche Differenzierung nicht mehr statt (siehe erteilter Anspruch 1, Merkmale M1.5 bis M1.8). Im Merkmal M1.8 werde gefordert, dass die Werte der Stützpunkte über die Korrekturwerte veränderbar seien. Merkmal M1.6 fordere, dass die Korrekturwerte bzw. (vgl. Merkmal M1.18) die Werte, mit denen die Stützpunkte angehoben oder abgesenkt würden, also die "Offsets" im Sinne der D0, in der Steuer- oder Regeleinheit des Retarders abgelegt würden (und nicht die korrigierten Werte für die Stützpunkte). Dieser Aspekt sei der D0 zumindest nicht eindeutig und unmittelbar entnehmbar. Vielmehr seien es die Offset-Werte, mit denen die Stützpunkte verändert würden, um so Korrekturwerte der Bremskennlinie zu erzeugen.
Die beiden in der mündlichen Verhandlung eingereichten Druckschriften seien verspätet und somit nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Auch könne damit die Auslegung des Begriffs "Korrekturwert" nicht eindeutig belegt werden, da dies kein feststehender Begriff sei (siehe beispielsweise Wikipedia).
Der erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag I werfe neue Fragen auf (siehe dazu Artikel 13 (1) VOBK und auch Artikel 13 (3) VOBK). Die isolierte Aufnahme eines Merkmals aus der Beschreibung (siehe auch Anspruch 2 oder Seite 6) führe zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung (Artikel 123 (2) EPÜ). Es sei zudem unklar, ob nicht eine Verschiebung des Schutzbereiches vorliege, da Anspruch 1 des Streitpatents unter Schutz stelle, dass die in der Steuer- bzw. Regeleinheit abgelegten Werte letztlich die Offsetwerte seien (Artikel 123 (3) EPÜ). Schließlich sei nicht klar, was unter den "ermittelten Korrekturwerten" zu verstehen sei, da weitere für die Interpretation wichtige Merkmale aus dem zweiten Absatz der Seite 5 der Beschreibung fehlten (Artikel 84 EPÜ). Auch für die Zulassung des verspätet eingereichten Hilfsantrags II gelte Artikel 13 (1) VOBK.
VI. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:
D0 verwende die beiden Begriffe "Offsets" und "Korrekturwerte" mit der gleichen technischen Bedeutung (die "Offsets" aus Anspruch 1 und die "Korrekturwerte" aus Anspruch 2 seien aufeinander bezogen), ohne dass eine klare Unterscheidung zwischen beiden stattfinde. Die Zuordnung von Stellgröße zu Bremsmoment bei einer Bremskennlinie gemäß Anspruch 1 beinhalte, dass das Einstellen bzw. Verändern einer bestimmten Stellgröße das Erreichen eines bestimmten bzw. eines veränderten Bremsmomentes zur Folge habe. Eine Veränderung um einen Wert hin in Richtung einer größeren Stellgröße bewirke, dass die veränderte Stellgröße ein größeres Bremsmoment erzeuge. Dieser Wert werde so gewählt (Übergang Seite 4 auf Seite 5 in D0), dass das Bremsmoment innerhalb eines Toleranzbandes liege, und stelle den Unterschied bzw. Abstand der neuen Stellgröße zur alten Stellgröße, also den "Offset" dar. Gleichzeitig werde durch diesen Wert die ursprüngliche Stellgröße "korrigiert", wie im ursprünglichen Anspruch 2 formuliert. Dieser Wert stelle also den (verändernden bzw. korrigierenden) "Korrekturwert" von der ursprünglichen Stellgröße hin zur neuen Stellgröße dar, sei also nicht die neue Stellgröße, der dann abgespeichert werde (D0, Seite 5, erster vollständiger Absatz). Im Druckexemplar habe der Prüfer die Vereinheitlichung der Begriffe "Offsets" und "Korrekturwerte" vorgenommen, woraus unzweideutig geschlossen werden könne, dass für ihn kein Zweifel an der Gleichbedeutung der Begriffe bestanden habe.
Zudem beziehe sich die beanspruchte Erfindung explizit auf ein Verfahren zur Bremskennlinieneinstellung, woraus klar sei, dass eine Einstellung und kein "Überschreiben" oder "erneutes Einstellen" (wie bei geänderten Stützpunkten) stattfinde. Die Einstellung finde vorliegend durch Speicherung der Korrekturwerte (=Offsets) statt (Merkmal M1.6), mittels derer die bestehenden Stützpunkte im Sinne von Merkmal M1.8 verändert würden, ohne dass die Stützpunkte im Ganzen erneut abgelegt werden müssten. In den Absätzen [0020] und [0022] des Streitpatents werde dem Fachmann unmissverständlich klar gemacht, was genau in der Steuer- bzw. Regeleinheit abgelegt werde: Zum einen das durch die Stützpunkte gekennzeichnete Kennfeld bzw. die Bremskennlinie, an denen die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment durch die einzelnen Korrekturwerte veränderbar sei (die Korrekturwerte stellte also nicht die geänderten Stützpunkte dar); zum anderen die Korrekturwerte und nicht die geänderten Stützpunkte. Dies entspreche exakt der Lehre der D0.
Der Fachmann sei ein mit grundlegenden Aspekten der Programmierung vertrauter Applikationsingenieur der Fachrichtung Kraftfahrzeugtechnik, der die Fahrzeugsoftware an die spezifische Hardwareumgebung anpasse. Neben festen Werten (Konstanten) gebe es auch veränderbare Größen (Variablen), wie in Anspruch 1 klar angegeben. Das abgelegte Kennfeld mit Stützpunkten bilde eine Konstante, wobei die Stützpunkte nur durch den Korrekturwert veränderbar seien, der eine anpassbare Variable bilde. Anspruch 1 sei nicht so auszulegen, dass die neu abgelegten variablen Korrekturwerte die bereits abgelegten konstanten Stützpunkte ersetzten, sondern dass sie zu deren Anpassung bzw. Einstellung dienten und daher zusätzlich abzulegen seien. In D0 (Seite 4, 5. Absatz bis Seite 5, 2. Absatz) würden als Variablen die Begriffe "Offsets" bzw. "Korrekturwerte" gleichbedeutend verwendet, die Konstante bildete immer das bereits abgelegte Kennfeld mit Stützpunkten. Sollten die Stützpunkte als Ganzes (erneut) in der Steuer- bzw. Regeleinheit abgelegt werden, so müsse dies unmittelbar und eindeutig entnehmbar sein.
D0 beschreibe (Seite 4, erster Absatz) als Nachteil im Stand der Technik, dass Kennfelder nur als Ganzes verschoben werden könnten. Würden neue Korrekturwerte abgelegt, würde das Kennfeld als Ganzes neu erstellt. Die erfindungsgemäße Bremskennlinieneinstellung erzeuge gerade keine neue Kennlinie, sondern stelle die Kennlinie nur ein, indem abgespeicherte Offsets angewendet würden. Mit dieser Intention seien unter "Korrekturwerte" die "Offsets" zu verstehen. Nur mit diesen könne die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment verändert werden, wie in D0 (Seite 4, vorletzter Absatz) ausgedrückt. D0 beschreibe, wie das erfinderische Verfahren erfolge (Übergang von Seite 4 auf Seite 5). Das abzulegende Kennfeld bzw. die abzulegende Bremskennlinie stelle den Zusammenhang zwischen einer Stellgröße und einem Bremsmoment dar. Innerhalb dieses Kennfeldes bzw. dieser Bremskennlinie seien mehrere Stützpunkte vorgesehen, an denen die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment verändert werden könne. Liege das erzielte Ist-Bremsmoment unterhalb oder oberhalb eines Toleranzbandes, so müsse die aktuelle Stellgröße verändert werden, so dass das neue Ist-Bremsmoment innerhalb des Toleranzbandes liege. Dazu werde die ursprünglich vorgesehene Stellgröße um einen Wert ("Offset", "Korrekturwert") nach oben oder unten zu einer neuen Stellgröße verändert. Wichtig sei, dass das Ist-Bremsmoment innerhalb des Toleranzbandes liege, nicht aber sein Wert. Daher sei auch nicht wichtig, das neue Ist-Bremsmoment abzuspeichern, sondern lediglich, mit welchem Wert das neue Ist-Bremsmoment eingestellt werden könne, also der Wert, um den die ursprüngliche Stellgröße geändert werde. Wenn Korrekturwerte den neuen Stützpunkten entsprechen würden, wäre die ursprüngliche Kennlinie obsolet. Das in D0 erwähnte Korrekturkennfeld (Seite 5, zweiter Absatz) sei keine neue Kennlinie. Die korrigierte Bremskennlinie (D0, Seite 6, dritter Absatz) werde dynamisch erzeugt und nicht abgelegt, und zwar anhand der "korrigierten Werte" für die Stützpunkte, nicht der "Korrekturwerte".
Der von der Beschwerdeführerin angeführte dritte Absatz der Seite 6 der D0 stehe in direkter Verbindung mit dem davor stehenden Absatz, wonach die Stützpunkte anhand eines Soll-Ist-Vergleichs durch einzelne Offsets verändert, und zwar angehoben oder abgesenkt würden, also durch eine Korrekturmaßnahme korrigiert würden. Zwangsläufig entstünden durch eine Korrekturmaßnahme auch Korrekturwerte, die naheliegenderweise den Offsets zum Anheben oder Absenken entsprächen, was zum Ergebnis der Korrektur führe. Die Korrekturwerte würden dann in der Steuer- und Regeleinheit des Retarders abgelegt. Es sei nicht gesagt, dass eine korrigierte Bremskennlinie abgelegt werde. Nur die ermittelten Korrekturwerte (um die verändert würde) würden abgelegt, vgl. Ansprüche 1 und 2 der D0. Anspruch 2 lege klar, dass anhand der "korrigierten Werte" eine korrigierte Bremskennlinie ermittelt werde, dass aber die "Korrekturwerte" in der Steuer- und Regeleinheit abgelegt würden. Daraus sei offensichtlich, dass nicht die "korrigierten Werte" abgespeichert würden, also die veränderten Stellgrößen, über deren Zuordnung zum jeweiligen Bremsmoment sich die Bremskennlinie ergebe. Die "Korrekturwerte" seien etwas anderes als die Stellgrößen oder die Werte der Bremskennlinie.
Als Beleg für das Fachwissen, was der Fachmann unter "Korrekturwert" oder "Korrekturkennfeld" verstehe, werde auf die D3 (Zusammenfassung) oder D1 (Seite 6) verwiesen sowie auf zwei weitere, in der mündlichen Verhandlung überreichte Druckschriften. D1 verwende den Begriff "Korrekturwert" in exakt der gleichen Bedeutung wie im Streitpatent im Sinne eines "Offsets" von der ursprünglichen Stellgröße und speichere die neue, geänderte Stellgröße und nicht den Korrekturwert ab.
Würden die Änderungen im erteilten Anspruch 1 als unzulässig erachtet, helfe Hilfsantrag II nicht weiter. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I beinhalte wieder den Begriff "Offsets" und entspreche dem ursprünglichen Anspruch 1 in Verbindung mit dem ersten Satz auf Seite 5, zweiter Absatz, der D0. Damit sei klar, dass es sich bei den "Korrekturwerten" nur um die Werte der "Offsets" handeln könne. Die Hilfsanträge seien einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin habe genug Zeit gehabt sich damit auseinanderzusetzen. Dies habe sie auch getan, wie ihre Einwände zeigten.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - unzulässige Erweiterung
1.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ), so dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegensteht.
1.2 Gemäß gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Änderung gegenüber der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung maßgeblich, was der Fachmann der ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen würde (sogenannter "Goldstandard").
Für die Kammer ergab sich aus den Vorträgen beider Parteien nicht zweifelsfrei, dass die Begriffe "Korrekturwerte" und "Offsets" in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gleichbedeutend verwendet werden, wie im Folgenden dargelegt. Damit kann die Änderung im erteilten Anspruch 1 gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1, wonach die Stützpunkte durch die (gemäß Merkmal M1.6) in der Steuer-/Regeleinheit des Retarders abgelegten Korrekturwerte und nicht wie ursprünglich offenbart durch die Offsets veränderbar sind (wie mit Merkmal 1.7 und 1.8 gefordert), nicht als unmittelbar und eindeutig offenbart angesehen werden.
1.2.1 Die Auslegung des in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (D0) verwendeten Begriffs "Offsets" ist zwischen den Parteien unstrittig. Mit "Offset" wird ein Versatz im Sinne eines additiven oder subtraktiven Betrags bezeichnet, um den die Stützpunkte der Bremskennlinie verändert werden können, wie explizit im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 ausgedrückt. Die Stützpunkte der Bremskennlinie ordnen Stellgrößen einem Bremsmoment zu. Die Kammer kann auch noch anerkennen, dass mit den "Offsets" der Wert der Stellgrößen verändert werden soll, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, auch wenn dies in D0 nicht explizit ausgesagt wird. Dies ergibt sich z. B. implizit aus dem Wortlaut des ursprünglich eingereichten Anspruch 1, da beim Vergleich zwischen Bremsmoment-Sollvorgabe und Istwert der Istwert des Bremsmoments gemessen und bei Abweichung von der Sollvorgabe die Stützpunkte angehoben oder abgesenkt werden, bis der Istwert innerhalb eines vorher definierten Toleranzbandes liegt. Dies impliziert, dass der Istwert das aufgrund einer veränderten Stellgröße erreichte Bremsmoment ist, d. h. es wurde der Wert der Stellgröße verändert, um diesen Istwert zu erreichen.
Man mag in den "Offsets" wie in D0 ursprünglich offenbart damit auch "Korrekturwerte" sehen, da sie die ursprüngliche Stellgröße "korrigieren", wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert. Entscheidend ist aber, ob den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen auch unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sind, dass die so verstandenen "Korrekturwerte" in der Steuer- oder Regeleinheit abgelegt werden, wie im erteilten Anspruch 1 ausgedrückt, oder ob dies dem Fachmann eine neue technische Lehre vermittelt. Die Tatsache, dass der das Druckexemplar überarbeitende Prüfer keine Zweifel an der Gleichbedeutung der beiden Begriffe gehabt haben mag, ist für die Kammer unbeachtlich.
1.2.2 Die Kammer folgt der Beschwerdegegnerin nicht darin, dass das "Verfahren zur Bremskennlinieneinstellung" gemäß erteiltem Anspruch 1 ein "Überschreiben" oder "erneutes Einstellen" - also das Abspeichern geänderter Stützpunkte - ausschließt und eindeutig Korrekturwerte im Sinne von Offsets abgespeichert würden. Der Begriff "Einstellung" sagt noch nichts darüber aus, ob damit eine dynamische Anpassung einer ursprünglich abgelegten Bremskennlinie z. B. während des Fahrbetriebs oder eine einmalige Anpassung und erneute Abspeicherung der angepassten Bremskennlinie am Serien-Abnahmeprüfstand erfolgt. Die Beschwerdegegnerin verweist bezüglich der Merkmale M1.6 und M1.8 auf die Absätze [0020] und [0022] des Streitpatents, die angeblich klar machten, das in der Steuer- bzw. Regeleinheit die Korrekturwerte zur Veränderung der Stützpunkte - also Offsets - und nicht die geänderten Stützpunkte als Ergebnis der Korrektur - also eine korrigierte Kennlinie - abgelegt würden.
Es ist festzustellen, dass sowohl der dem Merkmal M1.8 entsprechende Absatz [0021] des Streitpatents ("durch einzelne Korrekturwerte veränderbaren Stützpunkte") als auch Absatz [0020] des Streitpatents ("Stützpunkte, an denen die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment durch einzelne Korrekturwerte verändert werden kann") gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen (Seite 4, vorletzter und letzter Absatz) im Prüfungsverfahren geändert wurden, indem der Begriff "Offsets" durch "Korrekturwerte" ersetzt wurde. In Absatz [0022] wie in Merkmal M1.6 des Streitpatents wurde hingegen wie ursprünglich offenbart der Begriff "Korrekturwerte" beibehalten. Damit wurde zwar eine Übereinstimmung zwischen den Merkmalen M1.6 bis M1.8 des erteilten Anspruchs 1 und der zugehörigen Beschreibung des Streitpatents hergestellt. Dies ist aber kein Beleg für die Zulässigkeit der Änderungen im erteilten Anspruch 1 (und auch der entsprechend geänderten Beschreibung), also der Streichung des Begriffs "Offsets" in Merkmal M1.7 und dem Ersetzen von "Offsets" durch "Korrekturwerte" in Merkmal M1.8. Denn die Zulässigkeit von Änderungen ist anhand eines Vergleichs mit den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen und nicht mit der geänderten Beschreibung des Streitpatents zu prüfen.
1.2.3 Die Beschwerdegegnerin verweist noch auf den hier relevanten Fachmann für Fahrzeugsoftware und den Unterschied zwischen Konstanten und Variablen bei der Programmierung. Anspruch 1 des Streitpatents mag dem Fachmann zwar klar angeben, dass das abgelegte Kennfeld mit Stützpunkten eine Konstante bildet und die Stützpunkte durch Korrekturwerte nur veränderbar sind, ohne dass die bereits abgelegten Stützpunkte durch die Korrekturwerte ersetzt werden. Ob diese Korrekturwerte nun aber als Konstanten oder Variablen aufzufassen sind, ist vorliegend irrelevant. Entscheidend für die Zulässigkeit des so geänderten Anspruchs 1 gemäß Streitpatent ist, ob sich eine Grundlage für diese Änderung in D0 finden lässt, oder ob diese dem Fachmann eine ursprünglich nicht offenbarte Lehre vermittelt. Wie richtigerweise von der Beschwerdegegnerin festgestellt, ist Anspruch 1 wie erteilt so auszulegen, dass die abgelegten Korrekturwerte nun zur Anpassung bzw. Einstellung der bereits abgelegten konstanten Stützpunkte dienen. Die Kammer kann aber ihrer Auffassung nicht zustimmen, dass der Begriff "Offsets" in D0 mit der gleichen technischen Bedeutung bzw. gleichbedeutend verwendet werde wie der Begriff "Korrekturwerte", wie nachfolgend dargelegt.
1.2.4 D0 benennt als Nachteil bekannter Lösungen zur Minimierung der Abweichung des Bremsmoments (siehe Seite 4, erster Absatz), dass Kennfelder nur als Ganzes verschoben werden können. Das erfindungsgemäße Verfahren zur Bremskennlinieneinstellung wird dann in D0 dahingehend beschrieben (Seite 4, vorletzter Absatz), dass in der Steuer- bzw. Regeleinheit des Retarders eine den Zusammenhang zwischen Stellgröße und Bremsmoment darstellende Bremskennlinie abzulegen ist, wobei an mehreren Stützpunkten die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment durch einzelne Offsets verändert werden kann. Wie in D0 explizit gesagt (ab Seite 4, letzter Absatz), erfolgt der Vergleich zwischen Sollvorgabe für das Bremsmoment und Istwert am Serien-Abnahmeprüfstand, wobei die durch einzelne Offsets veränderbaren Stützpunkte so weit angehoben oder abgesenkt werden, bis der Istwert innerhalb eines vorher definierten Toleranzbandes liegt. D0 beschreibt weiter "die auf diese Weise ermittelten Korrekturwerte werden in der Steuer- oder Regeleinheit in geeigneter Weise dauerhaft abgelegt" (Seite 5, zweiter Absatz). Der Ausdruck "die auf diese Weise ermittelten Korrekturwerte" ist nach Auffassung der Kammer nicht eindeutig so zu interpretieren, dass als Korrekturwerte die "Offsets" und nicht die "veränderbaren Stützpunkte" der Bremskennlinie abgespeichert werden. Selbst wenn der D0 damit auch nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist, dass die Stützpunkte erneut abgelegt werden, so ist dies lediglich ein Beleg dafür, dass sich aus der D0 keine klare, eindeutige Lehre ableiten lässt, was am Ende der Korrektur in der Steuer- bzw. Regeleinheit abgelegt wird.
Die Beschwerdegegnerin weist zwar auf die Intention der Erfindung hin, gerade keine neue Kennlinie zu erzeugen und die vorhandene Kennlinie nur mittels der abgespeicherten Offsets einzustellen. Wie sie aber selbst ausführt, erfolgt das erfindungsgemäße Verfahren derart, dass innerhalb des abzulegenden Kennfeldes mehrere Stützpunkte - also definierte Punkte (wie auch in Merkmal M1.5 ausgedrückt) - vorgesehen sind, an denen die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment verändert werden kann (wobei das Bremsmoment dem mittels der Stellgröße angeforderten Soll-Bremsmoment entspricht), indem für die Stellgröße ermittelt wird, ob das erzielte Ist-Bremsmoment innerhalb eines Toleranzbandes liegt. Damit wird bereits ausgedrückt, dass die abgelegte Kennlinie nur an definierten Stellen bzw. Stützpunkten und damit nicht als Ganzes korrigiert werden soll, wie mit der Erfindung beabsichtigt. Dies ist nach Auffassung der Kammer gleichermaßen sowohl dadurch zu erreichen, dass Offsets zur Korrektur von Stützpunkten abgespeichert werden, als auch dass korrigierte Stützpunkte abgespeichert werden. Wird aber keine dieser beiden Varianten eindeutig in D0 offenbart, kann die Änderung gemäß Anspruch 1 wie erteilt, die sich auf eine dieser Varianten festlegt (und zwar auf das Abspeichern bzw. Ablegen der zur Veränderung der Stützpunkte verwendeten Korrekturwerte) nicht als eindeutig und unmittelbar offenbart angesehen werden. Auch wenn ein korrigierter Stützpunkt neu abgelegt würde, wird die ursprüngliche Kennlinie damit noch nicht obsolet, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, da eine Korrektur der ursprünglich abgelegten Bremskennlinie nur an definierten Stellen erfolgt. Es ist der Beschwerdegegnerin zwar zuzustimmen, dass kein neues Ist-Bremsmoment abzuspeichern ist, sondern nur ein Wert, mit dem dieses Ist-Bremsmoment eingestellt werden kann. Wie bereits ausgeführt kann dies sowohl der Wert der veränderten Stellgröße als auch der Wert sein, um den die ursprüngliche Stellgröße geändert wird (Offset), wobei keine der beiden Varianten eindeutig in D0 offenbart ist. D0 stellt zudem als Ergebnis des am Serien-Abnahmeprüfstand durchgeführten Verfahrens abschließend fest (Seite 5, zweiter Absatz) "Anhand der Korrekturwerte ergibt sich ein Korrekturkennfeld", was nach Auffassung der Kammer sogar gegen eine dynamisch erzeugte korrigierte Bremskennlinie spricht, also gegen das bloße Addieren eines für definierte Stützpunkte abgespeicherten Offsets zur Stellgröße der ursprünglich abgespeicherten Bremskennlinie, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet. Denn wenn das Ergebnis der Maßnahmen am Serien-Abnahmeprüfstand ein Korrekturkennfeld sein soll, deutet dies auf ein Überschreiben des ursprünglich abgelegten Kennfeldes zumindest an den gewählten Stützpunkten hin.
1.2.5 Die Figurenbeschreibung (Seite 6, zweiter und dritter Absatz) ebenso wie der gleichlautende Anspruch 2 in D0 bieten nach Auffassung der Kammer auch keine Grundlage dafür, dass Offsets als Korrekturwerte in der Steuer- oder Regeleinheit abgelegt werden, denn der Begriff "Korrekturwerte" wird hier in engem Zusammenhang mit den "korrigierten Werten für die Stützpunkte" und der "korrigierten Bremskennlinie" verwendet. Auch wenn zuvor von "durch einzelne Offsets veränderbaren Stützpunkten" gesprochen wird, kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass den Begriffen "Korrekturwerte" und "Offsets" der identische Bedeutungsinhalt zukommt. Die Beschwerdeführerin selbst argumentiert in diesem Zusammenhang ("entstünden durch eine Korrekturmaßnahme auch Korrekturwerte, die naheliegenderweise den Offsets entsprächen") mit dem Kriterium des "Naheliegens", das bei Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anzuwenden ist, jedoch nicht zur Beurteilung, ob eine Änderung eindeutig und unmittelbar offenbart ist (wie auch nicht zur Beurteilung der Neuheit). Die an den genannten Stellen in D0 beschriebene Vorgehensweise (korrigierte Bremskennlinie wird anhand der korrigierten Werte für die Stützpunkte ermittelt - Zwischenwerte durch Interpolation - die Korrekturwerte werden in der Steuer- oder Regeleinheit des Retarders abgelegt) legt nach Auffassung der Kammer vielmehr nahe, dass "die Korrekturwerte" das Ergebnis der durchgeführten Korrektur darstellen und eine korrigierte, durch Interpolation ermittelte Bremskennlinie beschreiben, auch wenn dies wiederum nicht explizit gesagt ist und damit nicht eindeutig darauf geschlossen werden kann. Genauso wenig kann aber auch aus den genannten Stellen in D0 abgeleitet werden, dass die Offsets zur Veränderung der Stützpunkte der Bremskennlinie abgelegt würden, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert.
1.2.6 Die von der Beschwerdegegnerin als Beleg für das Fachwissen zum Verständnis des Begriffs "Korrekturwert" vorgelegten Druckschriften können die Kammer nicht überzeugen, dass mit diesem Begriff in jedem Fall ein "zur Korrektur einer Größe verwendeter Wert" (im Sinne eines Offsets) und keinesfalls ein "Wert als Ergebnis einer Korrektur" (im Sinne eines neu abzuspeichernden Stützpunkts der Kennlinie) zu verstehen ist. Wie die Beschwerdegegnerin selbst ausführt, entstehen durch Korrekturmaßnahmen auch Korrekturwerte und beschreiben also auch das Ergebnis einer Korrektur. Die Kammer war nicht davon überzeugt, dass eine oder sogar mehrere Druckschriften, in denen ein Begriff mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt verwendet wird, geeignet sind zu belegen, dass diesem Begriff - der vorliegend auch nicht speziell definiert wurde - im betreffenden Fachgebiet eine eindeutige Bedeutung zuzumessen ist.
Es erübrigt sich daher, auf die Frage der Zulassung der erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Druckschriften einzugehen.
1.3 Da wie vorstehend ausgeführt aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nicht unmittelbar und eindeutig abzuleiten ist, dass dort die Begriffe "Offsets" und "Korrekturwerte" gleichbedeutend und damit austauschbar verwendet werden, führt das Ersetzen von "Offsets" durch "Korrekturwerte" in Anspruch 1 und an den entsprechenden Stellen in der Beschreibung des Streitpatents dazu, dass der Fachmann eine neue technische Information erhält. Das Ablegen von Korrekturwerten in der Steuer- oder Regeleinheit des Retarders (Merkmal M1.6), durch die die Zuordnung von Stellgröße und Bremsmoment und damit die Stützpunkte einer Bremskennlinie veränderbar sind (Merkmale M1.7 und M1.8), ist der D0 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
2. Hilfsanträge I und II
2.1 Die Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 4. Juni 2018 und damit einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung Hilfsanträge I und II eingereicht.
Nach Artikel 13(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens der Beschwerdegegnerin nach Einreichung ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin in das Verfahren zuzulassen. Bei der Ausübung dieses Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
2.2 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I wurde gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 um ein Merkmal aus der Beschreibung ergänzt (siehe Seite 5, zweiter Absatz der D0). Allerdings sind weitere Merkmale aus dem entsprechenden Absatz der Beschreibung nicht aufgenommen worden, was eine Diskussion hinsichtlich Artikel 123(2) EPÜ erforderlich macht und nach Auffassung der Beschwerdeführerin auch zu einem Klarheitsproblem führt. Außerdem ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I hinsichtlich einer möglichen Verschiebung des Schutzbereiches und damit der Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ zu prüfen. Damit wirft der Gegenstand des Hilfsantrags I eine Reihe von neuen Fragen auf, die erstmalig in der mündlichen Verhandlung zu klären wären.
Unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes und der gebotenen Verfahrensökonomie hat die Kammer deshalb von ihrem Ermessen gemäß Artikel 13 (1) VOBK Gebrauch gemacht und den Hilfsantrag I nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
2.3 Da Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II gegenüber Anspruch 1 wie erteilt nur durch Aufnahme eines zusätzlichen Merkmals aus der Beschreibung geändert wurde, bestehen weiterhin die bereits diskutierten Einwände unter Artikel 100 c) EPÜ, wie auch von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung anerkannt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag II ist somit nicht eindeutig gewährbar.
Dieser verspätet vorgelegte Antrag wird deshalb ebenfalls in Ausübung des Ermessens der Kammer unter Artikel 13 (1) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen.
3. Da kein gewährbarer Antrag vorliegt, war das Patent zu widerrufen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.