T 2057/15 () of 2.3.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T205715.20200302
Datum der Entscheidung: 02 März 2020
Aktenzeichen: T 2057/15
Anmeldenummer: 09778446.6
IPC-Klasse: H01R 39/64
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schleifringeinheit
Name des Anmelders: LTN Servotechnik GmbH
MD Elektronik GmbH
Name des Einsprechenden: Ondal Medical Systems GmbH
Schleifring und Apparatebau GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 01 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung der Einsprüche gegen das Europäische Patent Nr. 2 338 211.

II. Eine mündliche Verhandlung fand am 2. März 2020 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerinnen vor der Kammer statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 01) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit Schreiben vom 19. Mai 2016, aufrecht zu erhalten.

Die Einsprechende 02 hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt. Wie mit Telefax vom 21. Januar 2020 angekündigt, nahm sie nicht an der mündlichen Verhandlung teil.

III. Die folgenden im Beschwerdeverfahren genannten Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:

E1: DE 103 06 330 A1

E2: EP 1 227 554 A1

E3: DE 199 26 473 A1

E4: US 2,519,933

E5: DE 1 259 984

E6: DE 35 87 469 T2

E7: Internetseitenausdruck eines Angebots bzgl. eines Koaxialkabels auf Amazon.de

E8: WO 2009/138115 A1

E9: US 6,634,896 B1

IV. Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) lautet wie folgt (Merkmalsnummerierung hinzugefügt entsprechend Absatz III auf Seiten 3 und 4 der Beschwerdebegründung vom 22. Dezember 2015):

"Schleifringeinheit, zur elektrischen Verbindung zweier relativ zueinander drehbarer Bauelemente (11, 12;21, 22)[Merkmal 1.1], wobei ein Bauelement als ein erstes Kabel (21) ausgestaltet ist, welches eine Seele (21.1) und einen Schirm (21.3) aufweist [Merkmal 1.2], und die Schleifringeinheit

- ein erstes Bürstenelement (1.1) umfasst, welches in elektrischem Kontakt mit einem ersten Schleifkörper (2.1) ist [Merkmal 1.3], sowie

- ein zweites Bürstenelement (1.2) umfasst, welches in elektrischem Kontakt mit einem zweiten Schleifkörper (2.2) ist, zur Übertragung einer an der Seele (21.1) anliegenden Spannung [Merkmal 1.4],

- ein drittes Bürstenelement (1.3) umfasst, welches in elektrischem Kontakt mit einem dritten Schleifkörper (2.3) ist zur Übertragung einer am Schirm (21.3) anliegenden Spannung [Merkmal 1.5], und das zweite Bürstenelement (1.2) mit radialem Versatz (X) zum dritten Bürstenelement (1.3) angeordnet ist [Merkmal 1.6], dadurch gekennzeichnet, dass der erste Schleifkörper (2.1) eine axial durchgehende Ausnehmung aufweist, durch welche das erste Kabel (21) zur Übertragung der an der Seele (21.1) anliegenden Spannung geführt ist [Merkmal 1.7]."

Die Ansprüche 2 bis 15 sind von Anspruch 1 abhängig.

V. Die Argumente der Beschwerdeführerin, sofern sie wesentlich für diese Entscheidung sind, waren wie folgt:

Zur Auslegung des Anspruchs 1 sei festzustellen, dass er zwar auf eine "Schleifringeinheit" gerichtet sei, aber keine strukturellen oder funktionellen Merkmale enthalte, welche die beanspruchte Schleifringeinheit von einer drehbaren Steckvorrichtung im Sinne der Dokumente E1, E8 oder E9 unterscheide. Insbesondere sei Merkmal 1.1 auf eine Schleifringeinheit zur elektrischen Verbindung zweier relativ zueinander drehbarer Bauteile gerichtet, wobei ein Bauelement eine Seele und einen Schirm aufweise. Das Kabel sei folglich nicht Teil der beanspruchten Vorrichtung, sondern diese müsse für ein entsprechendes Kabel nur geeignet sein.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 werde durch das Dokument E1 neuheitsschädlich vorweggenommen oder zumindest durch E1 in Verbindung mit einem der Dokumente E3 bis E7 oder mit Fachwissen nahegelegt. Das Dokument E1 betreffe eine "drehbare Steckverbindung", die insbesondere für bewegliche Videokameras Verwendung finde (siehe E1 in Absatz [0005]). Gemäß E1 in Absatz [0002] würden derartige Steckverbindungen mit mehradrigen Zuleitungen und Schutzumhüllungen und/oder Abschirmungen verwendet werden, die auch als "Koaxialkabel" bekannt seien.

Die E1 offenbare in Absatz [0009]: "Erfindungsgemäß kann die Vorrichtung auch so aufgebaut werden, dass ein Teil der Pole axial hintereinander angeordnet wird, um den Durchmesser kleiner zu halten." Für den maßgeblichen Fachmann führe dies zwangsläufig zu einer Ausgestaltung einer Schleifringeinheit im Sinne des Anspruchs 1, bei der der erste Schleifkörper eine axial durchgehende Ausnehmung aufweise, durch welche das erste Kabel zur Übertragung der an der Seele anliegenden Spannung geführt sei (Merkmal 1.7).

Das Merkmal 1.7 sei auch bereits aus der Figur 1 der E1 ersichtlich. Der erste Schleifkörper (erster Metall-Zylinder) weise eine axial durchgehende Ausnehmung auf, durch welche das erste Kabel (eine Seele oder Ader ggf. mit noch weiteren Adern und dem Schirm des Kabels gemäß Absatz [0002] und [0006] der E1) zur Übertragung der an der Seele anliegenden Spannung geführt sei. Ein vollständiges Einführen des Kabels durch die axial durchgehende Ausnehmung werde von Anspruch 1 nicht gefordert. Auch ein axialer Versatz der Schleifkörper werde nicht beansprucht.

Zumindest beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber E1. Die objektive technische Aufgabe, die sich durch das Merkmal 1.7 ausgehend von E1 ergebe, sei die Bereitstellung einer kompakteren Schleifringeinheit unter Gewährleistung einer verbesserten Signalübertragung.

Der Fachmann hätte keinerlei technische Schwierigkeiten gehabt, gemäß den Anweisungen in Absatz [0009] der E1 die Steckverbindung so abzuändern, dass er zu einer modifizierten Steckverbindung gemäß einer der abgeänderten Figuren I. bis III., C oder D gelangt wäre (siehe Annex 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2020). Insbesondere die vorgelegte modifizierte Figur C zeige die beste und einfachste Änderung, die sich für den Fachmann aus Absatz [0009] der E1 unmittelbar ergeben hätte und die in einer Steckverbindung resultiere, bei der ein Kabel zur Übertragung der an der Seele anliegenden Spannung durch eine axial durchgehende Ausnehmung im ersten Schleifkörper gemäß Merkmal 1.7 geführt sei. Der Fachmann kannte im Übrigen Koaxialkabel und er hätte ein solches ohne Weiteres in eine gemäß Absatz [0009] der E1 entsprechend modifizierte Steckverbindung mit hintereinander angeordneten Schleifkörpern hineingeführt, um zu einer kompakteren Schleifringeinheit zu gelangen.

Sofern dem Fachmann nicht schon aus Absatz [0009] der E1 nahegelegt worden sei, wie Schleifkörper hintereinander angeordnet werden können, so sei dies dem Fachmann auf der Suche nach einer Lösung jedenfalls aus einem der Dokumente E3 bis E7 und insbesondere aus E6 nahegelegt. E6 offenbare ringförmige Kontakte (15), die axial hintereinander liegend am Rotor angeordnet und über axial innenliegende Koaxialkabel kontaktiert werden.

Das Dokument E8 nehme den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg. Eine Kabelverbindung zu den Kontakten (50) bzw. (51) in Figur 5 des Dokuments E8 könne mittels eines durch eine axiale Ausnehmung geführten Kabels gemäß Absatz [0052] der E8 erfolgen. Auch eine starre oder quasi-starre Leitung könne ein "Kabel" im Sinne von Anspruch 1 sein. E8 in Absatz [0052] nehme Bezug auf einen Koaxialverbinder. Figur 5 in Verbindung mit der vorgenannten Offenbarungsstelle führe zwingend zu einer Ausgestaltung im Sinne des Merkmals 1.7. Dem Dokument E8 sei insbesondere zu entnehmen, dass der erste Schleifkörper ("sleeve portion 17" bzw. "ground connector 17") eine axial durchgehende Ausnehmung aufweise, denn eine Hülse weise typischerweise eine axiale Ausnehmung auf, durch welche das erste Kabel zur Übertragung der an der Seele anliegenden Spannung geführt sei. Nicht nur die Merkmale 1.1 bis 1.6, sondern auch das Merkmal 1.7 ergebe sich somit zweifelsfrei aus E8.

Auch das Dokument E9 nehme den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg. Die drehbare Steckvorrichtung gemäß E9 diene zur Daten- und Spannungsübertragung und weise zwei Kabel auf (siehe Figur 2 und Spalte 12, Zeilen 2 bis 9). Der Stift 115 bilde die Seele eines Kabels.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 schließe nicht aus, dass der zweite Schleifkörper auch integral einstückig mit der Seele des ersten Kabels ausgebildet sein könne und/oder dass der dritte Schleifkörper integral einstückig mit dem Schirm des ersten Kabels ausgebildet sein könne. Insofern bilde der leitende Stift 115 zusammen mit der leitenden Innenhülse 113 (entsprechend dem Schirm) ein Koaxialkabel, welches dann dem "ersten Kabel" im Sinne des Streitpatents entspreche.

Der erste Schleifkörper in Form der ersten leitenden Außenhülse (105) weise eine axial durchgehende Ausnehmung auf, durch welche das erste Kabel (leitender Stift (115), leitende Innenhülse (113)) zur Übertragung der an der Seele (leitender Stift (115)) anliegenden Spannung geführt sei.

VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen, sofern sie wesentlich für diese Entscheidung sind, waren wie folgt:

Die Auslegung des Merkmals 1.1, insbesondere des Begriffs "Schleifringeinheit" könne dahinstehen bleiben, denn jedenfalls sei das Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Merkmal 1.7 nehme explizit Bezug auf ein Kabel, welches gemäß Merkmal 1.2 eine Seele und einen Schirm aufweise. Das gemäß Merkmal 1.2 definierte Kabel sei daher Gegenstand des Anspruchs 1.

Das Dokument E1 offenbare Anschlussfahnen und keine Kabel (siehe Absatz [0006] der E1). Die Verbindung der Anschlussfahnen mit den Kabeln sei außerhalb der Stecker bzw. der Buchse vorgesehen. Es sei in Steckverbindungen nicht vorgesehen, Kabel in die kontaktgebenden Zylinder einzuführen. Eine entsprechende Befestigung von Kabeln in den Zylindern sei technisch weder sinnvoll noch machbar. Das Merkmal 1.7 werde durch das Dokument E1 somit nicht offenbart. Es werde im Übrigen weder durch Absatz [0009] in E1 noch durch eines der weiteren Dokumente E3 bis E7 oder durch Fachwissen nahegelegt.

Der aus Merkmal 1.7 resultierende technische Effekt sei die Reduzierung von Störeinflüssen, indem das Kabel mit Seele und Schirm gemeinsam durch die Ausnehmung im ersten Schleifkörper geführt werde. Das Dokument E1 thematisiere weder hochfrequente Strahlungen noch Störeinflüsse. Die Hauptaufgabe der E1 sei es das Eindringen von Staub zu verhindern. Die Modifizierung einer Steckverbindung sei eine komplexe Problemstellung, die nicht durch die von der Beschwerdeführerin vorgelegten und im Hinblick auf E1, Absatz [0009] abgeänderten Figuren der E1 gelöst werde. Die Abänderungen seien darüber hinaus schwer nachvollziehbar und technisch nicht umsetzbar. Es werde im Übrigen beantragt, die während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals vorgelegte und damit verspätete modifizierte Figur C (siehe Annex 2) nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Das Dokument E8 offenbare eine Steckverbindung und keine Schleifringeinheit im Sinne von Anspruch 1. E8 offenbare ferner kein Kabel mit Seele und Schirm im Sinne des Merkmals 1.2. Dementsprechend könne auch das Merkmal 1.7, welches Bezug auf das Kabel und dessen Seele nehme, nicht in E8 offenbart sein.

Das Dokument E9 betreffe eine Steckverbindung und keine Schleifringeinheit im Sinne von Anspruch 1. Es offenbare darüber hinaus kein Kabel mit Schirm. Bei den Elementen 123, 125 handele es sich um Litzengeflechte. Ein Kabel, welches gemäß Merkmal 1.7 durch eine axial durchgehende Ausnehmung geführt sei, offenbare das Dokument E9 nicht. Insbesondere könne es sich bei dem Element 115 nicht um eine Seele eines Kabels handeln, da kein solches Kabel vorhanden sei. Das Merkmal 1.7 sei demnach nicht in E9 offenbart.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

2.1 Dokument E8

2.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu gegenüber dem Dokument E8 im Sinne von Artikel 54 EPÜ, denn das Merkmal 1.7 ist nicht in E8 offenbart.

2.1.2 Gemäß Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 weist die erste Schleifringeinheit eine axial durchgehende Ausnehmung auf, durch die das Kabel (aufweisend Seele und Schirm gemäß Merkmal 1.2) zur Übertragung einer an der Seele anliegenden Spannung geführt ist.

2.1.3 Das Dokument E8 offenbart in Absatz [0052] zwar die Verbindung eines Kabels mit einem Kontakt ("pin 51"). Wie die Einspruchsabteilung jedoch richtig festgestellt hat, ergibt sich hieraus nicht unmittelbar und eindeutig, dass das Kabel tatsächlich durch die Ausnehmung der ersten Schleifringeinheit ("sleeve portion 17") geführt wird. Eine entsprechende Konfiguration ist insbesondere weder der Figur 5 noch der Offenbarung in den Absätzen [0050] bis [0052] zu entnehmen und ist in dem Dokument E8 auch nicht an anderer Stelle offenbart. Die bloße Möglichkeit die Offenbarung in Absatz [0052] im Sinne von Merkmal 1.7 zu implementieren, ohne jeden konkreten Hinweis auf eine solche Implementierung, ist jedenfalls nicht ausreichend, um eine (implizite) Offenbarung des in Rede stehenden Merkmals zu belegen. Vorliegend kommen vielmehr alternative Möglichkeiten in Betracht, ein Kabel mit dem Kontakt ("pin 51") zu verbinden, was die Beschwerdeführerin grundsätzlich nicht bestritten hat (siehe Absatz 1 auf Seite 9 der Beschwerdebegründung).

Da somit weder eindeutig beschrieben noch erkennbar ist, wie die Verbindung zwischen dem Kontakt ("pin 51") und dem Kabel realisiert wird, kann die Kammer der Beschwerdeführerin nicht in ihrer Argumentation folgen, wonach die Seele eines Kabels gemäß Absatz [0052] der E8 zwingend bis zu dem Kontakt geführt werden müsse, sodass Merkmal 1.7 in jedem Fall erfüllt sei (siehe Absatz 3 auf Seite 12 der Beschwerdebegründung). Die Umdeutung einer starren Leitung als Kabel im Sinne von Anspruch 1 kann die Kammer aus den oben genannten Gründen ebenfalls nicht überzeugen.

2.1.4 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass das Dokument E8 das Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht unmittelbar und eindeutig, insbesondere auch nicht implizit offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist damit neu gegenüber E8 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ).

2.2 Dokument E9

2.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu gegenüber dem Dokument E9 im Sinne von Artikel 54 EPÜ. Insbesondere ist das Merkmal 1.7 nicht in E9 offenbart.

2.2.2 Das Hauptargument der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Offenbarung des Merkmals 1.7 in dem Dokument E9 beruht auf der Annahme, dass das Element 115 (siehe E9, Figur 2 und Spalte 12, Zeilen 2 bis 9) einer Seele entspricht, welche zusammen mit dem Element 113 Teil eines "ersten Kabels" im Sinne des Merkmals 1.7 ist.

2.2.3 Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. Vielmehr ist der Einspruchsabteilung darin zuzustimmen, dass es sich bei dem Element 115 um einen starren Stift des Steckers 101 handelt, dessen Qualifizierung als "Seele eines Kabels" nicht dem entspricht, was der Fachmann darunter im Lichte des Anspruchs 1 verstehen würde. Ferner ist den Beschwerdegegnerinnen darin zuzustimmen, dass es sich bei den Kabeln 123 und 125 (siehe E9, Figur 2) um Litzengeflechte zu handeln scheint. Ein Kabel mit Seele und Schirm im Sinne des Merkmals 1.2 in Verbindung mit Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 ist dem Dokument E9 somit insgesamt nicht entnehmbar. Selbst wenn also das Element 105 als ein erster Schleifkörper mit axial durchgehender Ausnehmung aufgefasst würde, ist nicht ersichtlich, dass ein Kabel mit Seele und Schirm (Merkmal 1.2) durch diese Ausnehmung zur Übertragung einer an der Seele des Kabels anliegenden Spannung geführt ist (Merkmal 1.7).

2.2.4 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass das Dokument E9 das Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist damit neu gegenüber E9 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ).

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

3.1 Dokument E1 - Unterscheidungsmerkmale

3.1.1 Es ist unstreitig zwischen den Parteien, dass das Dokument E1 den nächstliegenden Stand der Technik bildet.

3.1.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich zumindest durch das Merkmal 1.7 von dem Dokument E1.

Ungeachtet der Frage, ob es sich bei der in E1 offenbarten Steckvorrichtung um eine Schleifringeinheit im Sinne von Merkmal 1.1 des Anspruchs 1 handelt oder nicht, offenbart das Dokument E1 jedenfalls kein Kabel mit Seele und Schirm (Merkmal 1.2), welches gemäß Merkmal 1.7 durch eine axial durchgehende Ausnehmung in einer ersten Schleifringeinheit zur Übertragung der an der Seele anliegenden Spannung geführt ist.

3.1.3 Die in E1 offenbarte Steckvorrichtung weist ein Steckerteil 7 und eine Buchse 8 auf, die jeweils kontaktgebende Zylinder 1 bis 3 bzw. 4 bis 6 mit Anschlussfahnen 9 bzw. 10 umfassen, die zum Anschluss von stromführenden Kabeln dienen (siehe E1, Absatz [0006]). In Absatz [0002] wird zwar Bezug auf "mehradrige[n] Zuleitungen und Schutzumhüllungen und/oder Abschirmung" genommen, ihre relative Positionierung in Bezug auf die kontaktgebenden Zylinder und/oder Anschlussfahnen wird jedoch nicht beschrieben.

3.1.4 Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach ein vollständiges Einführen des Kabels in die Ausnehmung nicht erforderlich sei, und daher auch das Einführen einer Kabelspitze in die Öffnung des mittleren Zylinders unter das Merkmal 1.7 falle, ist nicht überzeugend. Wie die Beschwerdegegnerinnen zu recht vorgetragen haben, ist die Befestigung des Kabels eindeutig außerhalb des Steckerteils bzw. der Buchse an den Anschlussfahnen vorgesehen, sodass ein Durchführen eines Kabels durch eine axiale Ausnehmung einer ersten Schleifringeinheit im Sinne des Merkmals 1.7 eindeutig nicht vorgesehen ist.

3.1.5 Ferner mag Absatz [0009] der E1 die Möglichkeit einer Anordnung der kontaktgebenden Zylinder in axialer Richtung hintereinander zum Zwecke einer Reduzierung des Durchmessers offenbaren. Die Kammer folgt jedoch den Beschwerdegegnerinnen in ihrer Auffassung, wonach hieraus keineswegs zwingend die Führung eines Kabels durch einen ersten Schleifkörper im Sinne des Merkmals 1.7 folgt. Insbesondere ist selbst bei Berücksichtigung einer von der Beschwerdeführerin im Lichte des Absatzes [0009] abgeänderten Figur 1 (siehe Seite 7 der Beschwerdebegründung: "Figur 1 i.V.m. Abs. [0009]") nicht ersichtlich, wie ein Kabel, aufweisend Seele und Schirm (Merkmal 1.2), durch eine axial durchgehende Ausnehmung eines ersten Schleifkörpers im Sinne des Merkmals 1.7 geführt wird.

Die Beschwerdegegnerinnen haben in diesem Zusammenhang überzeugend vorgetragen, dass eine solche Ausgestaltung der Steckvorrichtung technisch sinnlos erscheint und insbesondere dem Sinn der Anschlussfahnen vollkommen zu wider läuft, die gerade einem Anschluss der Kabel außerhalb der Steckvorrichtung dienen. Auch eine von der Beschwerdeführerin vorgenommene Interpretation der kontaktgebenden Zylinder oder der Anschlussfahnen des Dokuments E1 im Sinne eines Schirms oder einer Seele eines Kabels entspricht nicht dem, was der Fachmann in Zusammenhang mit Kabeln unter diesen Begriffen üblicherweise und insbesondere im Lichte des Streitpatents verstehen würde.

3.1.6 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 zumindest durch das Merkmal 1.7 von dem Dokument E1 unterscheidet.

3.2 Dokument E1 - Naheliegen im Lichte der Dokumente E3, E4, E5, E6, E7 oder Fachwissen

3.2.1 Das Unterscheidungsmerkmal 1.7 wird dem zuständigen Fachmann weder durch eines der Dokumente E3 bis E7 noch durch Fachwissen nahegelegt.

3.2.2 Die Beschwerdeführerin sieht die objektive technische Aufgabe des Unterscheidungsmerkmals ausgehend von E1 in der Bereitstellung einer kompakteren Schleifringeinheit unter Gewährleistung einer verbesserten Signalübertragung. Die Kammer ist jedoch überzeugt, dass die von den Beschwerdegegnerinnen formulierte objektive technische Aufgabe zutreffend ist, nämlich die Gewährleistung eines bezüglich elektromagnetischer Störungen unempfindlichen Betriebs (siehe Absätze [0004], [0019] und insbesondere [0042] des Streitpatents). Diese objektive technische Aufgabe wird insbesondere dadurch gelöst, dass das Kabel mit Seele und Schirm durch die erste Schleifkörper geführt wird.

3.2.3 Das Hauptargument der Beschwerdeführerin bezieht sich auf die Tatsache, dass Absatz [0009] der E1 eine axiale Hintereinanderanordnung der kontaktgebenden Zylinder zur Reduzierung des Durchmessers offenbare. Im Lichte der von ihr formulierten objektiven technischen Aufgabe würde der Fachmann die Lehre des Absatzes [0009] des Dokuments E1 im Sinne des Merkmals 1.7 umsetzen (siehe Annex 2, insbesondere Figur C, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2020). Alternativ hätte ein Fachmann aus den Dokumenten E2 bis E7 eine Anregung erhalten, die aus E1 bekannte Steckvorrichtung im Sinne des Merkmals 1.7 anzupassen, um so zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen. Insbesondere durch das Dokument E6 sieht die Beschwerdeführerin die Führung eines Koaxialkabels durch einen Schleifringkörper nahegelegt (siehe E6, Figur 2 und Seite 3, Zeilen 17 bis 33).

3.2.4 Die Kammer ist überzeugt, dass weder die Offenbarung in Absatz [0009] des Dokuments E1 noch eines der Dokumente E2 bis E7 eine Anregung zur Modifizierung der in E1 offenbarten Steckvorrichtung im Sinne des Anspruchs 1 des Streitpatents liefert. Auch unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgelegten modifizierten Figuren, insbesondere Figur C (siehe Annex 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2020), ist die Kammer vielmehr zu dem Schluss gelangt, dass der Fachmann die Steckverbindung nicht derart modifiziert hätte, dass er zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt wäre.

Die Kammer bemerkt zunächst, dass elektromagnetische Störungen oder hochfrequente Signale in dem Dokument E1 nicht explizit thematisiert werden, auch wenn dort bewegliche Videokameras Erwähnung finden (siehe E1, Absatz [0004]).

Selbst wenn der Fachmann im Sinne des Absatzes [0009] der E1 eine axiale Hintereinanderanordnung der kontaktgebenden Zylinder vorgenommen hätte, ist nicht ersichtlich, was ihn dazu veranlasst hätte, ein Kabel mit Seele und Schirm durch eine Ausnehmung eines ersten Schleifkörpers der Steckvorrichtung zu führen. Insbesondere ist unklar, ob ein entsprechendes Kabel tatsächlich in die Steckvorrichtung einführbar ist und wie es in dem Steckerteil bzw. der Buchse befestigt werden kann. Dies scheint mittels hierfür vorgesehenen Öffnungen höchstens außerhalb des Steckerteils bzw. der Buchse möglich zu sein, die jedoch in den von der Beschwerdeführerin vorgelegten modifizierten Figuren I. bis III., C oder D nicht erkennbar sind.

Hinsichtlich der modifizierten Figuren bemerkt die Kammer, dass in den Figuren I. bis III. kein Kabel erkennbar ist, welches durch eine axial durchgehende Ausnehmung in einem ersten Schleifkörper geführt ist. Ferner deuten die Figuren C und D zwar eine modifizierte Steckvorrichtung an, bei der eine Seele in eine axiale Ausnehmung des Steckerteils hineinragen soll. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass es sich, entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin, weder um die beste noch um die einfachste Modifikation der Steckvorrichtung handelt. Vielmehr scheint das Einführen einer Seele in die Steckvorrichtung der Verwendung von Anschlussfahnen zu wider zu laufen und die Befestigung der Seele in der Ausnehmung wirft ebenfalls Zweifel in Bezug auf die technische Umsetzbarkeit dieser Modifikation auf (s.o.). Ungeachtet der weiteren Zweifel, ob die gezeigte Variante in Bezug auf das Vorhandensein eines Kabels mit Seele und Schirm überhaupt unter das Merkmal 1.7 fällt, scheint eine entsprechend geänderte Steckvorrichtung somit weder technisch einfach umsetzbar noch sinnvoll zu sein.

Die Kammer bemerkt in diesem Zusammenhang auch, dass die Beschwerdeführerin zumindest in Figur C keine passende Ausgestaltung der Buchse dargestellt hat, was den Vortrag der Beschwerdegegnerinnen zu bestätigen scheint, dass eine konstruktive Änderung der Steckvorrichtung komplexe Fragen aufwirft.

Im Lichte der objektiven technischen Aufgabe, also die Gewährleistung eines bezüglich elektromagnetischer Störungen unempfindlichen Betriebs, ist somit insgesamt nicht ersichtlich, woher der Fachmann die Anregung erhalten haben soll, die in E1 offenbarte Steckvorrichtung so zu ändern, dass ein Kabel (mit Seele und Schirm, Merkmal 1.2) durch eine axial durchgehende Ausnehmung eines ersten Schleifkörpers geführt wird (Merkmal 1.7). In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Absatz [0009] der E1 weder konstruktive Details einer Hintereinanderanordnung der Zylinder noch die Integration eines Kabels mit Seele und Schirm offenbart. Ferner ist selbst bei Zugrundelegen einer bekannten radial innenliegenden Führung eines Koaxialkabels im Sinne des Dokuments E6 nicht ersichtlich, ob und wie der Fachmann diese Lehre auf eine Steckvorrichtung nach E1 hätte übertragen sollen.

Eine Umdeutung der in E1 offenbarten Anschlussfahnen bzw. der Zylinder als Seelen bzw. Schirme eines Kabels ist ebenfalls nicht überzeugend, denn der Fachmann würde die integralen Elemente des Steckerteils nicht als Teile eines Kabels im Sinne des Anspruchs 1 verstehen.

3.2.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass auch unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegten modifizierten Figuren I. bis III., C und D, der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Dokument E1 in Verbindung mit einem der Dokumente E3 bis E7 oder Fachwissen im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Die Frage, ob die in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmalig vorgelegte modifizierte Figur C zuzulassen war, konnte daher dahinstehen bleiben.

3.3 Dokument E2 Figuren 1 und 2 in Verbindung mit Fachwissen - Zulassung (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

3.3.1 Es besteht offensichtlich Einigkeit zwischen den Parteien, dass die Einspruchsabteilung den auf E2, Figuren 1 und 2 in Verbindung mit Fachwissen beruhenden Einwand einer fehlenden erfinderischen Tätigkeit der Einsprechenden 01 (Beschwerdeführerin) mit der Begründung nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen hat, er sei verspätet und prima facie nicht relevant.

3.3.2 Die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung bezog sich auf die Nichtzulassung des auf Figur 1 und 2 der E2 in Verbindung mit Fachwissen gerichteten, erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgebrachten Einwandes der Einsprechenden 01 und jetzigen Beschwerdeführerin.

3.3.3 Nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 liegt es im Ermessen der Kammer, Tatsachenvortrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, der im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen wurde. Die Anwendbarkeit des Artikels 12 (4) VOBK 2007 im vorliegenden Fall ergibt sich aus Artikel 25 (2) VOBK 2020, wonach Artikel 12 Absätze 4 bis 6 der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern nicht anzuwenden ist auf Beschwerdebegründungen, die vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung eingereicht wurden, was vorliegend der Fall ist.

3.3.4 Die Beschwerdegegnerinnen haben zu erkennen gegeben, dass sie die Nichtzulassung des Einwandes in das Einspruchsverfahren für gerechtfertigt halten. Die Kammer interpretiert dies als Antrag, den in der Beschwerdebegründung erneut vorgebrachten Einwand nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Die Beschwerdeführerin hat sich zur Zulassung des besagten Einwandes in das Beschwerdeverfahren nicht explizit geäußert. Sie hat lediglich in der Beschwerdebegründung vorgetragen, Belege des allgemeines Fachwissens könnten nicht verspätet sein (siehe Seite 17, zweiter Absatz der Beschwerdebegründung vom 22. Dezember 2015). Die Beschwerdeführerin hat hingegen nichts dazu vorgetragen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in Bezug auf den neuen Einwand (E2 Figuren 1 und 2 mit Fachwissen) fehlerhaft, insbesondere willkürlich oder anhand der falschen Kriterien ausgeübt hätte.

3.3.5 Die Kammer bemerkt, dass die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zumindest knapp ausgeführt hat, der Tatsachenvortrag sei verspätet und prima facie nicht relevant. Die Kammer sieht, insbesondere auch mangels eines substantiierten Vortrags der Beschwerdeführerin zur Frage einer möglicherweise fehlerhaften erstinstanzlichen Ermessensausübung, folglich keinen Grund, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung in diesem Punkt abzuweichen (siehe Punkt 16.7 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung).

3.3.6 Die Kammer hat daher das ihr nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, den auf E2 Figuren 1 und 2 in Verbindung mit Fachwissen vorgebrachten Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3.4 Ergebnis

Da der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 100 a) und 56 EPÜ beruht und die Beschwerdeführerin keine weiteren Einwände gegen den Hauptantrag vorgebracht hat, war dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerinnen stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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