T 1987/15 () of 16.5.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T198715.20190516
Datum der Entscheidung: 16 Mai 2019
Aktenzeichen: T 1987/15
Anmeldenummer: 07019795.9
IPC-Klasse: G02B 21/00
A61B 5/00
G01B 9/02
A61B 19/00
A61B 3/13
A61B 3/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Ophthalmo-Operationsmikroskop mit OCT-System
Name des Anmelders: Carl Zeiss Meditec AG
Name des Einsprechenden: MÖLLER-WEDEL GmbH & Co. KG /
OptoMedical Technologies GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechenden haben gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 1918755 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52(1), 54(1) und 56 EPÜ angegriffen worden.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem am 3. Juli 2015 während der mündlichen Verhandlung eingereichten ersten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des Beschwerdeverfahrens mit.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 16. Mai 2019 statt.

VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.

VII. Die Einsprechenden (Beschwerdeführerinnen) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

VIII. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden, aus dem erstinstanzlichem Verfahren bereits bekannten Dokumente:

E2: EP 0697611 A2

E3: US 6,485,413 B1

E5: "Combining Optical Coherence Tomography (OCT) with an Operating Microscope", E. Lankenau et al., in "Advances in Medical Engineering", Springer Verlag, 2007, Seiten 343 bis 348.

IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Nummerierung M1.1 bis M1.8 der Merkmale des Anspruchs 1 wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmale des Anspruchs 1 vorangestellt):

"[M1.1] Ophthalmo-Operationsmikroskop (100) - [M1.2] mit einem Mikroskop-Hauptobjektiv (101); - [M1.3] mit einem Beobachtungsstrahlengang (105, 205), der zur Visualisierung eines Objektbereichs (108) das Mikroskop-Hauptobjektiv (101) durchsetzt; und - [M1.4] mit einem OCT-System (140, 150, 700, 800) zur Aufnahme von Bildern des Objektbereichs (108), [M1.5] wobei das OCT-System (140, 150, 700, 800) einen OCT-Abtaststrahlengang (142, 152, 702, 802) umfasst, der über eine Scanspiegelanordnung (146, 156, 705, 706, 805) zum Objektbereich (108) geführt ist; - [M1.6] wobei zwischen der Scanspiegelanordnung (146, 156, 705, 706, 805) und dem Mikroskop-Hauptobjektiv (101) ein Optikelement (147, 157, 711, 806) vorgesehen ist, das den aus der Scanspiegelanordnung (146, 156, 705, 706, 805) austretenden OCT-Abtaststrahlengang (142, 152, 702, 802) bündelt und in einen Strahlengang überführt, der das Mikroskop-Hauptobjektiv (101) durchsetzt,

dadurch gekennzeichnet, dass - [M1.7] das Optikelement [a] als bewegliche Linseneinheit (147, 157) ausgebildet ist oder [b] in einer Linsenwechseleinrichtung (709) aufgenommen ist oder [c] als Zoomsystem (806) mit variabler Brennweite ausgebildet ist, [M1.8] so dass ein Versatz von einer OCT-Abtastebene, in der eine Intensitätsverteilung des OCT-Abtaststrahlengangs eine kleinste Einschnürung aufweist, und einer Fokusebene im Operationsmikroskop einstellbar ist."

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann auf naheliegende Weise aus den Dokumenten E5 und E3 ergibt (Artikel 56 EPÜ 1973).

1.1 E5 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar. Insbesondere hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ihren vor der Einspruchsabteilung und in der Beschwerdebegründung vorgetragenen Einwand (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; Beschwerdebegründung, Punkt IV.2.1), dass nicht nachgewiesen sei, dass das Dokument E5 vor dem Prioritätsdatum öffentlich zugänglich gewesen sei, nicht aufrechterhalten.

1.2 E5, in Verbindung mit Figur 1, offenbart:

- ein Ophthalmo-Operationsmikroskop [siehe Seite 348, erster Absatz]

- mit einem Mikroskop-Hauptobjektiv [implizite Offenbarung],

- mit einem Beobachtungsstrahlengang, der zur Visualisierung eines Objektbereichs das Mikroskop-Hauptobjektiv durchsetzt [implizite Offenbarung]; und

- mit einem OCT-System zur Aufnahme von Bildern des Objektbereichs [OCT adapter],

- wobei das OCT-System einen OCT-Abtaststrahlengang umfasst, der über eine Scananordnung zum Objektbereich geführt ist [implizite Offenbarung; siehe auch Seite 344, dritter Absatz, und Seite 345, erster Absatz, wo eine Scananordnung für seitliches Scannen offenbart ist: "OCT B-scans are produced by scanning the probe in lateral direction" und "one axis scanner"],

- wobei ein Optikelement vorgesehen ist, das den aus der Scananordnung austretenden OCT-Abtaststrahlengang bündelt und in einen Strahlengang überführt, der das Mikroskop-Hauptobjektiv durchsetzt [implizite Offenbarung; siehe den in Figur 1 eingetragenen OCT-Abtaststrahlengang].

1.3 E5 offenbart nicht explizit, dass der Scanner eine Scanspiegelanordnung ist (Merkmal M1.5), dass das Optikelement zwischen der Scanspiegelanordnung und dem Mikroskop-Hauptobjektiv angeordnet ist (Merkmal M1.6) und dass das Optikelement als bewegliche Linseneinheit, als Linse in einer Linsenwechseleinrichtung oder als Zoomsystem mit variabler Brennweite ausgebildet ist (Merkmal M1.7), so dass ein Versatz von einer OCT-Abtastebene, in der eine Intensitätsverteilung des OCT-Abtaststrahlengangs eine kleinste Einschnürung aufweist, und einer Fokusebene im Operationsmikroskop einstellbar ist (Merkmal M1.8).

Diese Unterscheidungsmerkmale M1.5 bis M1.8 können aus den folgenden Gründen keine erfinderische Tätigkeit begründen:

1.3.1 Merkmal M1.5

Eine Scanspiegelanordnung ist eine Anordnung mit wenigstens einem Scanspiegel. Wie von den Einsprechenden während der mündlichen Verhandlung vorgetragen, zeigen alle sich im Verfahren befindlichen Dokumente mit OCT-Scanner eine Scanspiegelanordnung, so dass es für den Fachmann naheliegend ist, den Scanner von E5 als eine Scanspiegelanordnung auszuführen.

1.3.2 Merkmal M1.8

Wie von den Einsprechenden vorgetragen, ermöglicht der Beobachtungsstrahlengang des Operationsmikroskops, die Oberfläche des Objekts zu beobachten. Im Gegensatz dazu ermöglicht der OCT-Abtaststrahlengang, in die Tiefe des Objekts einzudringen, um eine Ebene im Innern des Objekts zu beobachten. Die beste OCT-Bildqualität befindet sich in der OCT-Abtastebene, in der die Intensitätsverteilung des OCT-Abtaststrahlengangs eine kleinste Einschnürung aufweist.

Um die bestmögliche OCT-Bildqualität auch in der Tiefe des Objekts zu gewährleisten, ist ein Versatz der OCT-Abtastebene gegenüber der an der Oberfläche des Objekts gelegenen Fokusebene des Beobachtungsstrahlengangs notwendig. Zur Verbesserung der Anwendungsfreundlichkeit und Erhöhung der Flexibilität ist es für den Fachmann naheliegend, diesen Versatz zwischen den beiden Bildebenen einstellbar zu gestalten.

1.3.3 Merkmal M1.7 gemäß der Alternative M1.7a

Wie von den Einsprechenden vorgetragen, greift der Fachmann auf E3 zurück, um einen einstellbaren Versatz der OCT-Abtastebene gegenüber der an der Oberfläche des Objekts gelegenen Fokusebene des Beobachtungsstrahlengangs zu erzielen: E3 lehrt die Verschiebung eines Fokuspunkts, beispielsweise anhand der Verschiebung einer beweglichen Linse entlang der optischen Achse (siehe E3, Figuren 9a und 9b; Spalte 15, Zeile 60 bis Spalte 16, Zeile 51). Bei der Umsetzung dieser Lehre von E3 in dem konkreten Fall des Operationsmikroskops von E5 handelt sich um eine handwerkliche Maßnahme, der keine erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt.

1.3.4 Merkmal M1.6

Wie ebenfalls von den Einsprechenden vorgetragen, ist hinsichtlich des Versatzes der OCT-Abtastebene kein besonderer technischer Effekt mit dem genauen Ort der beweglichen Linse im OCT-Abtaststrahlengang verbunden. Eine Verschiebung der OCT-Abtastebene ist unabhängig davon erreichbar, ob die verschiebbare Linse vor oder nach der Scanspiegelanordnung angeordnet ist. Die beiden Linsenpositionen sind in dieser Hinsicht gleichwertige Alternativen.

Die Bestimmung des genauen Orts, an dem die verschiebbare Linse angeordnet ist, und eine dadurch möglicherweise bedingte Anpassung des restlichen optischen Systems des Operationsmikroskops, abhängig von dessen konkreter Ausführung, stellen für den Fachmann handwerkliche Maßnahmen dar.

1.3.5 Daher ergeben sich die Merkmale M1.5 bis M1.8 auf naheliegende Weise aus den Dokumenten E5 und E3.

1.4 Gegenargumente der Patentinhaberin

1.4.1 Gemäß der Patentinhaberin zeigt E5, Figur 1, überhaupt keinen OCT-Abtaststrahlengang, insbesondere nicht einen OCT-Abtaststrahlengang, der parallel auf das Einkoppelelement auftrifft. Daher gehe die Schlussfolgerung, dass hierfür eine Linse nach der Scanspiegelanordnung angeordnet sein müsse, fehl. Die eingezeichneten Strahlengänge in E5, Figur 1, seien die beiden rechten und linken Beobachtungsstrahlengänge (siehe Beschwerdebegründung, IV.2.2a)).

Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Wie von den Einsprechenden in dem Schreiben vom 4. Mai 2016, Punkt III.4, erläutert, zeigt E5, Figur 1, einen OCT-Adapter, der an den Kameraport des Operationsmikroskops angeschlossen ist. Somit zeigt der linke Strahlengang in Figur 1 einen OCT-Abtaststrahlengang mit einem Einkoppelelement. Weiter heißt es dort: "Da der OCT-Strahlengang als kollimiertes (paralleles) Strahlenbündel auf das Einkoppelelement trifft, muss zwischen dem Austrittsende des Lichtleiters und dem Einkoppelelement eine Sammellinse angeordnet sein. Aus dem Lichtleiter tritt der OCT-Strahl nämlich in divergenter Form aus".

1.4.2 Gemäß der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, Punkt IV.2.2b), offenbart E5 "des Weiteren weder ein Optikelement, geschweige denn eine Linse im OCT-Abtaststrahlengang, noch offenbart E5 die Anordnung von Scanspiegeln, noch ob eine Linse vor oder nach der Scanspiegelanordnung angeordnet ist".

Die Kammer kann diesen Argumenten nicht folgen. Eine Linse im OCT-Abtaststrahlengang ist implizit in E5, Figur 1, offenbart, um den von der OCT-Lichtquelle ausgesendeten OCT-Lichtstrahl zu bündeln. Eine Scanspiegelanordnung ist zwar nicht explizit in E5 offenbart, jedoch sieht die Kammer dieses Merkmal als offensichtlich an (siehe oben Punkt 1.3.1). Ähnliches gilt für den genauen Ort der Linse (siehe oben Punkt 1.3.4).

1.4.3 Mit Verweis auf ihre von E2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgehenden Ausführungen hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit bestritt die Patentinhaberin, dass der Fachmann eine Anregung erhalte, das Operationsmikroskop von E5 so zu modifizieren, dass er auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1, insbesondere zu dem Merkmal M1.7a, gelangen würde (siehe Beschwerdebegründung, IV.2.2c)).

Die Kammer kann diese Behauptung nicht nachvollziehen, weil das Operationsmikroskop von E5 sich grundsätzlich von dem Operationsmikroskop von E2 unterscheidet, u.a. darin, dass in E2 das OCT-System dazu verwendet wird, um einen Autofokus im Beobachtungsstrahlengang zu steuern. Hingegen gibt es keine Koppelung der Beobachtungs- und OCT-Abtaststrahlengänge in E5, die den Fachmann davon abhalten könnte, einen einstellbaren Versatz zwischen den jeweiligen Bildebenen vorzusehen. Daher ist der Verweis der Patentinhaberin auf eine möglicherweise fehlende Anregung, das Operationsmikroskop von E2 zu modifizieren, nicht relevant, wenn von E5 als nächstem Stand der Technik ausgegangen wird.

1.4.4 Während der mündlichen Verhandlung bestritt die Patentinhaberin, dass kein technischer Effekt mit dem genauen Ort der beweglichen Linse in dem OCT-Abtaststrahlengang zusammenhinge.

Die Kammer ist mit der Pateninhaberin der Auffassung, dass der genaue Ort der beweglichen Linse in dem optischen Strahlengang des Operationsmikroskops grundsätzlich einen technischen Effekt ausübt. Dieser technische Effekt geht jedoch nicht über eine vorhersehbare und berechenbare Veränderung des optischen Strahlengangs hinaus. Eine möglicherweise notwendige Anpassung des optischen Systems des Operationsmikroskops von E5 an eine bestimmte Position der beweglichen Linse im OCT-Strahlengang, insbesondere an eine Position zwischen der Scanspiegelanordnung und dem Mikroskop-Hauptobjektiv, stellt für den Fachmann eine handwerkliche Maßnahme dar.

1.4.5 Während der mündlichen Verhandlung bestritt die Patentinhaberin allgemein, dass die Anordnung der beweglichen Linse nach der Scanspiegelanordnung eine handwerkliche Maßnahme darstelle.

Diese allgemeine Aussage der Patentinhaberin überzeugt die Kammer nicht. Insbesondere bestritt die Patentinhaberin nicht die Fähigkeit des Fachmanns, ein optisches System, in dem die bewegliche Linse nach der Scanspiegelanordnung angeordnet ist, so zu berechnen, dass zwischen der OCT-Abtastebene und der Fokusebene des Beobachtungsstrahlengangs ein gewünschter Versatz erzielt wird.

1.4.6 Während der mündlichen Verhandlung bestritt die Patentinhaberin, dass E5 ein Operationsmikroskop offenbare, welches für die Ophthalmologie geeignet sei.

Dieses Argument ist im Hinblick auf den eindeutigen Hinweis in E5, Seite 348, erster Absatz, auf ein Ophthalmo-Operationsmikroskop ("Clinical applications of the new system may range from brain surgery ... over ophthalmology ...") nicht überzeugend.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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