T 1953/15 (Pigmente für Papier) of 29.3.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T195315.20190329
Datum der Entscheidung: 29 März 2019
Aktenzeichen: T 1953/15
Anmeldenummer: 05742659.5
IPC-Klasse: C09C 3/00
C09C 3/04
C09C 3/10
C09C 1/02
D21H 19/38
D21H 17/67
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: OBERFLÄCHENMODIFIZIERTE ANORGANISCHE FÜLLSTOFFE UND PIGMENTE
Name des Anmelders: Alpha Calcit Füllstoff Gesellschaft mbH
Name des Einsprechenden: Omya International AG
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1023/02
T 0431/03
T 0278/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin (im Folgenden "Beschwerdeführerin") betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent 1 747 252 B1 zu widerrufen.

II. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin unter anderem einen neuen Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht.

Sie hat geltend gemacht, dass diese Anträge die Erfordernisse der Artikel 123 und 84 EPÜ erfüllten und hat beantragt, die Sache zur weiteren Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von oberflächenmodifizierten anorganischen Pigmenten gewünschter Korngröße als Beschichtungen oder Streichmassen für die Papierindustrie dadurch gekennzeichnet, dass man Pigment-Slurries von anorganischen Pigmenten mit einem Feststoffgehalt von 40 bis 95 Gew.-% unter Einwirkung von Druck- und Scherkräften in wässriger Phase unter Einsatz von

(a) Polymerdispersionen in einer Menge von 0,1 bis 15 Gew.-%, bezogen auf die Pigmente, ausgewählt aus Kunstharzen und Kunststoffen auf der Basis von Polyurethan, Styrol/Butadien, Styrol/Acrylsäure oder -ester, Styrol/Butadien/Acrylsäure oder -ester sowie Vinylacetat/Acrylsäure oder -ester und

(b) an sich bekannte Mahlhilfsmittel und/oder Dispergiermittel in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-% (Wirksubstanz), bezogen auf die Pigmente, wobei die Mahlhilfsmittel und/oder die Dispergiermittel Polyacrylate sind

auf eine Korngröße der Pigmente von 10 bis 95 Gew.-% an Teilchen < 1 mym, bezogen auf den Äquivalentdurchmesser vermahlt, die Bindemittel der Polymerdispersionen auf die Pigmente aufreibt und damit verfilmt."

IV. Mit ihrer Erwiderung hat die Einsprechende (im Folgenden "Beschwerdegegnerin") beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und den Widerruf des Streitpatents zu bestätigen oder, hilfsweise, die Sache zur Prüfung der Voraussetzungen von Artikeln 83, 54, 56 EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Darüber hinaus hat die Beschwerdegegnerin beantragt, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge wegen Verspätung nicht ins Verfahren zuzulassen.

V. Mit Schreiben von 27. Dezember 2018 und nach Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer, hat die Beschwerdeführerin einen neuen Hilfsantrag 1 eingereicht, der die bestehenden Hilfsanträge 1-3 ersetzt.

Anspruch 1 gemäß neuem Hilfsantrag 1 lautet (Änderungen hervorgehoben durch die Kammer):

"1. Verfahren zur Herstellung von oberflächenmodifizierten anorganischen Pigmenten...

(a) Polymerdispersionen in einer Menge von 0,1 bis 15 Gew.-% (Feststoffe), bezogen auf die Pigmente...

(b) an sich bekannte Mahlhilfsmittel [deleted: und/oder Dispergiermittel in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-% (Wirksubstanz), bezogen auf die Pigmente],[deleted: ]wobei die Mahlhilfsmittel [deleted: und/oder die Dispergiermittel] Polyacrylate sind..."

VI. Mit Schreiben vom 19. Februar 2019 hat die Beschwerdegegnerin beantragt, den neuen Hilfsantrag 1 als verspätet nicht ins Verfahren zuzulassen.

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 29. März 2019 statt.

Am Ende der Verhandlung lautete die Antragslage wie folgt:

- Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten auf der Basis des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Basis des Hilfsantrags 1, eingereicht am 27. Dezember 2018, weiter hilfsweise, die Sache zur weiteren Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

- Die Beschwerdegegnerin beantragt die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur Prüfung der Artikel 83, 84, 54 und 56 EPÜ an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Zulassung

1.1 Der geltende Hauptantrag unterscheidet sich von dem in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten Hauptantrag (vom 17. Juni 2015) in den folgenden Punkten:

- das Komma in der zweiten Zeile des Anspruchs 1 nach den Worten "ausgewählt aus" wurde gestrichen;

- der Bezug auf "Füllstoffe oder" im Teil (b) von Anspruch 1 wurde gestrichen, weil der Anspruch bereits nur auf die Herstellung von Pigmenten beschränkt worden war;

- der Punkt am Ende des Merkmals (b) im Anspruch 1 wurde gestrichen.

1.2 Für die Kammer handelt es sich bei diesen Änderungen um Korrekturen nach Regel 139 EPÜ der in der alten Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag enthaltenen offensichtlichen Fehler, die den wesentlichen Inhalt des ursprünglichen Hauptantrags nicht verändern.

Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

2. Hauptantrag - Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass der Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) nicht erfüllt. Insbesondere ist die Kammer der Ansicht, dass Teile (a) und (b) von Anspruch 1 aus den folgenden Gründen über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgehen.

2.2 Teil (a) von Anspruch 1

2.2.1 Die von der Beschwerdeführerin zitierte Basis (Seite 8, erster Absatz der ursprünglichen Beschreibung in ihrer veröffentlichen Fassung) für Teil (a) des Anspruchs 1 lautet:

"die... Pigmente mit einer Menge von 0,1 bis 50, insbesondere 5 bis 15 Gew.-% Polymerdispersionen (Feststoffe), bezogen auf die Menge an Pigment in Kontakt zu bringen".

2.2.2 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdegegnerin darin überein, dass das Weglassen des Merkmals "(Feststoffe)" im Teil a) von Anspruch 1 dazu führt, dass sich die definierte Menge an Polymerdispersionen auf das Gesamtgewicht der Dispersionen (d.h. Flüssigkeitsanteil plus Feststoffanteil) bezieht. Im Gegensatz dazu stellt die ursprüngliche Basis auf Seite 8 eindeutig fest, dass sich diese Menge ausschließlich auf den Feststoffsanteil der Dispersionen bezieht.

2.2.3 Die Beschwerdeführerin hat die Meinung vertreten, dass aus dem oben zitierten Absatz eindeutig und unmittelbar hervorgehe, dass die in Teil (a) von Anspruch 1 angegebene Menge der Polymerdispersionen so zu verstehen sei, dass sie auf den Feststoffinhalt bezogen ist.

2.2.4 Im vorliegenden Fall ist jedoch für die Kammer eindeutig, dass der Verweis auf die Menge der Polymerdispersionen im Anspruch 1 das Gewicht der Dispersionen als Ganzes betrifft. Teil (a) des Anspruchs 1 ist daher an sich klar, sodass es keinen ersichtlichen Grund gibt, die Beschreibung heranzuziehen, um das Merkmal auszulegen (siehe z.B. T 197/10).

Das Weglassen des Begriffs "(Feststoffe)" führt daher zu einem Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgeht.

2.3 Teil (b) von Anspruch 1

2.3.1 Die von der Beschwerdeführerin angegebene Basis (Seite 8, dritter Absatz der Beschreibung in der veröffentlichen Fassung) für Teil (b) des Anspruchs 1 lautet:

"Im Sinne der vorliegenden Erfindung bringt man die Füllstoffe oder Pigmente mit obengenannter Dispergiermittelwirksubstanz in einer Menge von 0,1 bis 2,0, besonders bevorzugt 0,2 bis 0,4 Gew.-%, bezogen auf die Festsubstanz in Kontakt."

2.3.2 Hinsichtlich des Wortlauts "(b) an sich bekannte Mahlhilfsmittel und/oder Dispergiermittel in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-% ...wobei die Mahlhilfsmittel und/oder die Dispergiermittel Polyacrylate sind", hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass Teil (b) von Anspruch 1 sprachlich zweideutig und somit unklar sei. Unter diesen Umständen sollte der Fachmann die Beschreibung (d.h. den oben zitierten Absatz) heranziehen und dadurch feststellen, dass sich die "Menge" in diesem Merkmal ausschließlich auf die Dispergiermittel beziehen müsse. Zur Untermauerung ihrer Argumentation hat die Beschwerdeführerin die Entscheidung T 0278/09 zitiert.

2.3.3 Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt.

Unter bestimmten Umständen kann es angebracht sein, die Beschreibung heranzuziehen, um mehrdeutige bzw. unklare Merkmale in einem Anspruch auszulegen. Zum Beispiel, können ausnahmsweise sprachlich sinnvolle Auslegungen im Lichte der Beschreibung ausgeschlossen werden, wenn sie technisch sinnlos sind (siehe T 1023/02). Dies scheint in der von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 0278/09 der Fall zu sein, in der die Beschreibung herangezogen wurde, um eine alternative Auslegung auszuschließen, die zwar sprachlich plausibel, dennoch technisch unwahrscheinlich erschien.

Es ist jedoch im vorliegenden Fall angesichts des Wortlauts des Anspruchs 1 eindeutig, dass sämtliche andere Merkmale des Teils (b) sich sowohl auf Mahlhilfsmittel als auch auf Dispergiermittel beziehen. Zum Beispiel sind die Merkmale "an sich bekannt" und "Polyacrylate" auf beide Komponente bezogen (dies wird im Übrigen auch im Absatz [0022] der Beschreibung bestätigt). Dem entsprechend kann sich auch das verbleibende Merkmal "in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-%" sinngemäß nur auf beide Komponenten beziehen.

Die Kammer ist zudem der Meinung, dass der vorliegende Fall ähnlicher zu dem der Entscheidung T 431/03 ist, in dem es streitig war, ob gemäß Anspruch 1 die Mengen von bestimmten Komponenten auf ein Copolymer oder ein Kunststoff zu beziehen waren. Während die Beschreibung die Idee unterstützen konnte, dass die Komponenten Teil eines allgemeinen Kunststoffs waren, kam die Beschwerdekammer zu dem Schluss (Punkt 2.2.2 der Gründe), dass es keinen Grund gebe von der vernünftigsten sprachlichen (auch technisch sinnvollen) Auslegung des Anspruchs abzuweichen.

In Anlehnung an diese gängige Praxis ist die Kammer der Ansicht, dass die Beschreibung im vorliegenden Fall nicht heranzuziehen ist, um von der oben genannten sprachlich und technisch sinnvollen Auslegung des Teils (b) abzuweichen.

Daher bezieht sich der Wortlaut "in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-%" in Anspruch 1 des Hauptantrags sowohl auf die Mahlshilfsmittel als auch auf die Dispergiermittel.

2.3.4 Da sich die für das Merkmal (b) angegebene Basis demgegenüber nur auf "Dispergiermittel" (und nicht auf "Mahlshilfsmittel") bezieht, führt die Hinzufügung des Begriffs "Mahlhilfsmittel" zu Teil (b) des Anspruchs 1 zu einem Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausgeht.

3. Hilfsantrag 1 - Zulassung (Artikel 13(1) VOBK)

3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags mit folgenden Änderungen:

- Im Teil (a) wurde der Begriff "(Feststoffe)" hinzugefügt;

- Im Teil (b) wurde das Merkmal "und/oder Dispergiermittel in einer Menge von mehr als 0,2 bis 0,4 Gew.-% (Wirksubstanz), bezogen auf die Pigmente" gestrichen.

3.2 Die Beschwerdegegnerin hat die Zulassung dieses verspäteten Antrags auch deswegen beanstandet, da der neue Anspruch 1 nicht alle vorgebrachten Einwände ausräume und neue Fragen, zum Beispiel hinsichtlich der Zulässigkeit unter Artikel 123(3) EPÜ aufwerfe.

3.3 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass angesichts der oben ausgeführten Auslegung von Teil (b) die Streichung in Teil (b) prima facie mindestens zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Gegenstands und somit zu weiteren Einwänden unter Artikel 123(3) EPÜ führen könnte.

3.4 Die Kammer hat daher beschlossen, ihr Ermessen nach Artikel 13(1) VOBK dahingehend auszuüben, diesen neuen Antrag nicht ins Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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