European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T193115.20191205 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 05 Dezember 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1931/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 02762444.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 9/70 A61P 5/24 A61P 15/08 A61P 15/12 A61P 5/18 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | TRANSDERMALES THERAPEUTISCHES SYSTEM AUF DER BASIS VON POLYACRYLAT-HAFTKLEBERN OHNE FUNKTIONELLE GRUPPEN | ||||||||
Name des Anmelders: | LTS LOHMANN Therapie-Systeme AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Acino Supply AG Henkel AG & Co. KGaA |
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Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Hauptantrag - eingereicht mit Beschwerdebegründung - zugelassen (ja) Hauptantrag - Neuheit - (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 1 418 895 wurde mit acht
Ansprüchen erteilt. Diese hatten ein transdermales therapeutisches System umfassend eine Rückschicht, eine Schutzschicht und mindestens eine wirkstoffhaltige Polymermatrix zum Gegenstand und waren ferner auf ein solches System zur Anwendung in der Behandlung des Hypogonadismus, zur Hormonsubstitutionstherapie oder zur Kontrazeption gerichtet.
II. Gegen die Erteilung des Patents haben zwei Einsprechende Einspruch eingelegt. Einspruchsgründe waren fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ, unzureichende Offenbarung gemäß Artikel 100 b) EPÜ sowie unzulässige Erweiterung des Inhalts gemäß Artikel 100 c) EPÜ.
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurde unter
anderem das folgende Beweismittel genannt:
E7: WO 95/04554 A1
III. Der Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Patents lag das Patent in der erteilten Fassung als einziger Antrag zugrunde.
IV. In der angefochtenen Entscheidung befand die
Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unter anderem gegenüber E7 nicht neu sei.
V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin (im Folgenden als "Beschwerdeführerin" bezeichnet) Beschwerde ein. Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (im Folgenden als "Hauptantrag" bezeichnet). Ferner reichte die Beschwerdeführerin einen einzigen Hilfsantrag ein (im Folgenden als "Hilfsantrag 1" bezeichnet).
Anspruch 1 dieses Hilfsantrags lautete wie folgt:
"Transdermales therapeutisches System umfassend eine Rückschicht, eine Schutzschicht und mindestens eine wirkstoffhaltige Polymermatrix, wobei der Wirkstoff ein Steroidhormon oder eine Kombination von Steroidhormonen ist, und wobei die Polymermatrix aus dem Wirkstoff und einem haftklebenden Polyacrylat besteht das ein Homopolymer Copolymer oder Block-Copolymer ist, welches herstellbar ist durch Polymerisation eines Monomerengemisches bestehend aus:
a) einem Monomeren oder einer Mischung von Monomeren aus der Gruppe der Ester der Acryl- bzw. Methacrylsäure, die lineare, verzweigte und/oder cyclische aliphatische C1 -C12 -Substituenten ohne sonstige funktionelle Gruppe tragen,
b) gegebenenfalls Acrylsäure, Methylacrylsäure, 2-Hydroxyethylacrylat, 2-Hydroxyethylmethacrylat, 3-Hydroxypropylacrylat und/oder 3-Hydroxypropylmethacrylat, wobei der Anteil dieser Monomere in der Summe unterhalb von 2 Gew.-% liegt,
c) gegebenenfalls Vinylacetat in einem Anteil unterhalb von 20 Gew.-%,
d) gegebenenfalls Vernetzer in einem Anteil unterhalb von 0,5 Gew.-%
e) gegebenenfalls Hilfsstoffen aus der Gruppe der Antioxidantien, Stabilisatoren und/oder Alkylmercaptanen in einem Anteil unterhalb von 0,1 Gew.-%."
VI. In ihren Beschwerdeerwiderungen beantragten die Einsprechende 01 (im Folgenden als "Beschwerdegegnerin 01" bezeichnet) und die Einsprechende 02 (im Folgenden als "Beschwerdegegnerin 02" bezeichnet) die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 vom 25. Oktober 2019 erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 5. Dezember 2019 in Anwesenheit aller Beteiligten statt. Zu Beginn dieser Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin ihren bisherigen Hauptantrag zurück und erhob Hilfsantrag 1 zu ihrem Hauptantrag.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung waren die Anträge der Parteien wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten und in der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag erhobenen Hilfsantrags 1.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde. Ferner beantragte die Beschwerdegegnerin 02, den Hauptantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten
Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt
zusammenfassen:
Zulassung des Hauptantrags
Dieser Antrag sei in Reaktion auf die in der angefochtenen Entscheidung festgestellte mangelnde Neuheit des Anspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung eingereicht worden. Diese Entwicklung sei nicht vorhersehbar gewesen, da die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Stellungnahme die Ansprüche des Streitpatents noch für neu erachtet hatte. Demzufolge sei der Hauptantrag nicht verspätet. Ferner sei dieser prima facie gewährbar. Darüber hinaus sei die in Anspruch 1 vorgenommene Änderung leicht nachvollziehbar und werfe keine weiteren Fragen auf.
Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber E7
Ausgehend von der Lehre der E7 bedürfe es einer Mehrfachauswahl, um zu den anspruchsgemäßen Polyacrylaten zu gelangen. Insbesondere müsse zunächst das Methylacrylat unter den auf Seite 4, Zeilen 1 bis 6 bzw. den in Anspruch 1 der E7 offenbarten Comonomeren ausgewählt werden. Anschließend müsse dieses als einziges Comonomer des Copolymers ausgewählt werden, d.h. der Gewichtsanteil der auf Seite 4 und in Anspruch 1 der E7 ebenfalls genannten Comonomere Vinylacetat und Acrylsäure müsse 0 % betragen.
Im Übrigen enthielten sämtliche der auf Seite 4, Zeilen 15 bis 24 und in Beispiel 1 der E7 konkret aufgeführten, kommerziell erhältlichen Polyacrylate Acrylsäure bzw. Vinylacetat in einem Gewichtsanteil oberhalb der in Anspruch 1 des Hauptantrags angegebenen Obergrenzen.
Aus alledem folge, dass der beanspruchte Gegenstand neu gegenüber der Lehre der E7 sei.
XI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten
Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung des Hauptantrags
Der Hauptantrag sei als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen. Insbesondere sei in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausgiebig über die Auslegung des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung diskutiert worden, so dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt die in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Anspruchsauslegung und die sich daraus ergebende mangelnde Neuheit hätte vorhersehen können und sollen. Dementsprechend hätte sie den Hauptantrag in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung einreichen können und müssen.
Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber E7
Anspruch 1 der E7 nenne drei verschiedene Arten von haftklebenden Polyacrylaten, darunter ein Copolymer bestehend aus 2-Ethylhexylacrylat und Methylacrylat, welches unter den Wortlaut des Anspruchs 1 des Hauptantrags falle. Somit müsse ausgehend von dem Gegenstand des Anspruchs 1 der E7 nur eine einzige Auswahl getätigt werden, um zu einem anspruchsgemäßen Polyacrylat zu gelangen. Anspruch 7 der E7, wiederum, sei auf Anspruch 1 rückbezogen und offenbare alle übrigen technischen Merkmale des beanspruchten transdermalen therapeutischen Systems. Dementsprechend treffe dieser Anspruch den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des Hauptantrags
1.1 Dieser Antrag wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht und zählt daher grundsätzlich zur Grundlage des Beschwerdeverfahrens gemäß Artikel 12 (1) VOBK 2007. Die Kammer hat allerdings die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können (Artikel 12 (4), erster Halbsatz VOBK 2007).
1.2 Im vorliegenden Fall hatte die Einspruchsabteilung im Anhang zu ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung eine positive vorläufige Meinung hinsichtlich der Neuheit der Ansprüche des Streitpatents in der erteilten Fassung geäußert. Erst in der mündlichen Verhandlung selbst ist sie dann zu dem Ergebnis gekommen, dass unter anderem die Entgegenhaltung E7 den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich trifft. Unter diesen Umständen erachtet die Kammer die Einreichung des Hauptantrags mit der Beschwerdebegründung als eine legitime Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung und sieht deshalb keine Veranlassung, ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4)
VOBK 2007 auszuüben und den Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen.
2. Artikel 54 EPÜ
2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein transdermales therapeutisches System (im Folgenden als "TTS" bezeichnet)
i) umfassend eine Rückschicht, eine Schutzschicht
und mindestens eine wirkstoffhaltige
Polymermatrix,
ii) wobei der Wirkstoff ein Steroidhormon oder eine
Kombination von Steroidhormonen ist,
iii) wobei die Polymermatrix aus dem Wirkstoff und
einem haftklebenden Polyacrylat besteht, und
iv) wobei das haftklebende Polyacrylat ein
Homopolymer, ein Copolymer oder ein
Block-Copolymer ist, welches herstellbar ist durch
Polymerisation eines Monomerengemisches bestehend
aus einem Monomeren oder einer Mischung von
Monomeren gemäß Punkt a) des Anspruchs 1, und
gegebenenfalls weiterhin bestehend aus einer der
unter den Punkten b) bis e) des Anspruchs 1
aufgeführten Komponenten (siehe oben
unter Punkt V.).
2.2 Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass das TTS gemäß dem auf Anspruch 1 rückbezogenen Anspruch 7 der E7 die Merkmale i) bis iii) des TTS gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags aufweist.
2.3 Demzufolge bleibt vorliegend zu klären, ob das in Anspruch 7 der E7 offenbarte TTS ein haftklebendes Polyacrylat gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst (i.e. Merkmal iv) oben unter Punkt 2.1).
2.4 Hierzu stellt die Kammer folgendes fest:
2.4.1 Das in Anspruch 7 der E7 erwähnte TTS umfasst eine Polymermatrix, die aus folgenden Komponenten besteht:
a) einem der in Anspruch 7 genannten Steroidhormone,
b) und einem adhäsiven Copolymer gemäß Punkt (b) des Anspruchs 1 der E7, i.e. einem Copolymer aus dem Monomer 2-Ethylhexylacrylat und mindestens einem Comonomer ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Vinylacetat, Acrylsäure, und Methylacrylat.
2.4.2 Dementsprechend offenbart Punkt (b) des Anspruchs 1 der E7 die folgenden drei Arten von Copolymeren in individualisierter Form:
a) Copolymere umfassend die Monomereinheiten 2-Ethylhexylacrylat und Vinylacetat,
b) Copolymere umfassend die Monomereinheiten 2-Ethylhexylacrylat und Acrylsäure,
c) Copolymere umfassend die Monomereinheiten 2-Ethylhexylacrylat und Methylacrylat.
Bestimmte Prozentsätze oder Gewichtsanteile dieser Monomere werden in Punkt (b) des Anspruchs 1 der E7 indessen nicht genannt.
Zudem geht aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 der E7 als solchem unmittelbar und eindeutig hervor, dass die zuvor genannten Copolymere keine weiteren Monomere in ihrer Struktur aufweisen müssen.
Folglich offenbart Anspruch 1 der E7 in Punkt (b) ein haftklebendes Copolymer, das ausschließlich aus 2-Ethylhexylacrylat und Methylacrylat aufgebaut ist.
2.4.3 Diese beiden Substanzen sind unstreitig Monomere gemäß Punkt a) des Anspruchs 1 des vorliegenden Hauptantrags. Darüber hinaus schreibt Punkt a) dieses Anspruchs keine bestimmten Prozentsätze oder Gewichtsanteile der darin genannten Monomere vor. Ebenso wenig steht außer Frage, dass die unter den Punkten b) bis e) des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufgeführten Komponenten fakultative Merkmale des beanspruchten TTS sind.
2.4.4 Dementsprechend gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass Anspruch 7 der E7 in Punkt (b) ein Copolymer offenbart, das ein haftklebendes Polyacrylat gemäß Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags ist.
2.5 Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass ausgehend von Anspruch 1 der E7 eine Mehrfachauswahl getätigt werden müsse, um zu dem anspruchsgemäßen Polyacrylat zu gelangen. Darüber hinaus machte sie geltend, dass keines der in der E7 konkret aufgeführten Polyacrylate anspruchsgemäß sei (siehe oben unter Punkt X.).
2.6 Dieses Argument überzeugt die Kammer indessen nicht. Es steht außer Zweifel, dass diejenigen Copolymere, die auf Seite 4, Zeilen 15 bis 24 und in Beispiel 1 der E7 konkret beschrieben sind, keine Polyacrylate gemäß Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags sind. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der E7 für sich allein genommen ausschließlich hinsichtlich des Merkmals des Polyacrylats mehrere Alternativen zur Wahl stellt (siehe oben unter Punkt 2.4.2). Entsprechend muss ausgehend von Anspruch 1 bzw. dem darauf rückbezogenen Anspruch 7 der E7 nur eine einfache Auswahl aus einer einzigen Liste getroffen werden, um zu dem beanspruchten TTS zu gelangen.
2.7 Daraus folgt, dass Anspruch 7 der E7 den Gegenstand des Anspruchs 1 des vorliegenden Hauptantrags neuheitsschädlich vorwegnimmt, und demzufolge der Hauptantrag nicht den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ genügt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.