T 1858/15 () of 30.11.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T185815.20161130
Datum der Entscheidung: 30 November 2016
Aktenzeichen: T 1858/15
Anmeldenummer: 07729317.3
IPC-Klasse: B60R 22/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GURTSTRAFFERANTRIEB
Name des Anmelders: Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG, Würzburg
Name des Einsprechenden: Autoliv Development AB
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 3. September 2015 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 2029401 aufgrund des Artikels 101 (3) (b) EPÜ widerrufen worden ist.

II. In dieser Entscheidung sind die folgenden Dokumente genannt:

WO 03 / 099619 A2 (D1)

DE 3616847 A1 (D7)

DE 3616900 A1 (D8)

III. Am 30. November 2016 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Der Anspruchs 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Gurtstrafferantrieb, welcher einen Elektromotor (2), eine Getriebewelle (3) und ein Abtriebselement (4) aufweist, wobei

- der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein erstes Schneckengetriebe (2d, 3b) antreibt,

- die Getriebewelle (3) ihrerseits über ein zweites Getriebe (3d, 4a) das Abtriebselement (4) antreibt,

- das zweite Getriebe (3d,4a) als ein Schneckengetriebe ausgebildet ist, wobei ein Schrägungswinkel des Schneckengetriebes derart ausgelegt ist, dass dieses in getriebener Richtung einen schlechteren Wirkungsgrad als in treibender Richtung aufweist,

- das erste und das zweite Getriebe als 90°-Umlenkgetriebe ausgebildet sind, und

- das Abtriebselement (4) als ein Abtriebsrad ausgebildet ist, dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft.

V. Die Argumente der Beschwerde­führerin (Patentinhaberin) lauteten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Es sei zugestanden, dass dem Fachmann das gute Geräuschverhalten von Schneckengetrieben und deren Bremswirkung bei schneckenradseitigem Antrieb prinzipiell bekannt sei. Daraus könne indes nicht geschlossen werden, dass es naheliegend sei, das motorseitige Kronenradgetriebe im Gurtstraffer gemäß D1 gegen ein Schneckengetriebe auszutauschen. Es reiche nämlich nicht, dass der Fachmann diesen Schritt ausführen könne. Es müsse auch eine Motivation haben, genau dies zu tun. Der Gurtstraffer der D1 sei jedoch auskonstruiert. Dies bedeute, dass eine Veränderung der Konstruktion in Richtung des Streitpatents aus technischer Sicht nicht sinnvoll sei.

Vor allem die axial verschiebliche Gelenkwelle, die bei einem gurtseitigen Antrieb sich gegen ein Widerlager am Gehäuse abstütze, und damit eine gewünschte Reibung erzeuge, funktioniere bei einem zweiten Schneckengetriebe, welches motorseitig angebracht sei, nicht mehr. Die Gelenkwelle sei in diesem Falle eingespannt zwischen zwei Schnecken­getrieben. Also müsse der Fachmann dann die Lagerung der Gelenkwelle umbauen und sich überlegen, wie er die Bremswirkung der Reibungsbremse in die Schneckengetriebe verlagere. Der Umbau der Gelenkwellenlagerung sei auch schon deshalb geboten, da bei dem Kronenradgetriebe sich die Längsachsen der Getriebewelle und der Motorwelle schnitten. Da das Schneckenrad in wälzendem Eingriff seitlich in die Schnecke greife, müsse die Lage der Gelenkwelle verändert werden, was auch zu einem geänderten Getriebegehäuse mit größeren Ausmaßen führe.

Schließlich bleibe die Beschwerdegegnerin die Begründung schuldig, warum der Fachmann alle diese Maßnahmen hätte ergreifen sollen, wenn doch eine einfache Geräuschdämmung oder ein Kegelradgetriebe einen ähnlichen geräuschdämmenden Effekt gehabt hätten.

VI. Die Beschwerdegegnerin begegnete diesen Argumenten wie folgt:

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

So sei das Dokument D1 der nächste Stand der Technik und offenbare alle Merkmale, außer einem zweiten Schneckengetriebe, welches motorseitig an der Gelenkwelle angebracht sei (siehe Merkmal b); vgl. Merkmalsgliederung in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 3).

Die Patentschrift nenne als zu lösende Aufgabe die Geräuschminderung. Es sei aber dem Fachmann bekannt, dass Schneckengetriebe ein hervorragendes Geräusch­verhalten aufwiesen. Dies sei auch durch die Dokumente D7 und D8 belegt, die einen motorseitigen Einsatz von Schneckengetrieben in Sicherheitsgurtaufrollern lehrten.

Des Weiteren wisse der Fachmann, dass Schneckengetriebe eine höhere Schwergängigkeit (d.h. einen geringeren Wirkungsgrad) aufwiesen, wenn sie vom Schneckenrad her getrieben würden, als bei einem Antrieb über die Schnecke; insofern sei das Merkmal e) des Anspruchs, welches genau diese Eigenschaft für das zweite Schneckengetriebe definiere, eine Selbst­verständlich­keit.

Damit aber sei es auch für den Fachmann naheliegend, die Bremswirkung, die in D1 zusätzlich über eine axial verschiebliche Getriebewelle mit Reibelement und ortsfestem Widerlager realisiert sei, über den Wider­stand eines oder beider gurtseitig angetriebenen Schneckengetriebe einzustellen. Sowohl die bessere Geräuschentwicklung als auch die Reibverluste bei gurtseitigem Antrieb seien dem Fachmann wohlbekannt.

Letztlich sei der Aufwand zur konstruktiven Umgestaltung gering und die Vorteile prima facie erkennbar.

Somit könne der Einsatz eines Schneckengetriebes als erstes Getriebe in D1 keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Erfindung gemäß Anspruch 1 wie erteilt beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da dessen Gegenstand - ausgehend von D1 - nicht nahegelegt ist, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt unterscheidet sich von dem Gurtstrafferantrieb gemäß D1 dadurch, dass

der Elektromotor (2) die Getriebewelle über ein erstes Schneckengetriebe (2b, 3b) antreibt

(Merkmal b, vergleiche Merkmalsgliederung in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 3, Punkt 5).

2.2 Die mit dem Merkmal b) zu lösende Aufgabe besteht zum einen darin, die Geräuschentwicklung durch den harten Verzahnungseingriff eines Kronenradgetriebes zu verhindern (vgl. Paragraph [0004] und [0010] der Patentschrift). Des Weiteren wird mit dem ersten Schneckengetriebe gemäß Merkmal b) die Aufgabe gelöst, die Bremse, die in Dokument D1 vorgesehen ist, zu ersetzen.

Diese Punkte werden von den Parteien nicht bestritten.

Die mit dem Merkmal b) gelöste Aufgabe beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin/Einsprechenden in ihrer Argumentation insofern zu, als es dem Fachmann bekannt ist, dass Schneckengetriebe prinzipbedingt aufgrund des abwälzenden Zahneingriffs geräuschärmer laufen, als Kronenrad- oder Kegelgetriebe. Weiterhin ist der Beschwerdegegnerin zugestanden, dass Schneckengetriebe bekanntermaßen eine größere Schwergängigkeit aufweisen, wenn sie über das Schneckenrad angetrieben werden als wenn der Antrieb über die Schnecke geschieht. Dies ist gleichbedeutend mit einem schlechteren Wirkungsgrad in getriebener Richtung als in treibender Richtung, vgl. dazu auch Merkmal e) des strittigen Anspruchs 1. Dieses Merkmal ist daher aus Sicht der Kammer ebenfalls aus D1 bekannt.

Allerdings folgt die Kammer letztlich der Darstellung der Beschwerdeführerin/Patentinhaberin, wonach der Fachmann, ausgehend von D1, keine Motivation hat, die Konstruktion zu verändern, da ein Schneckengetriebe als erstes Getriebe der Grundidee von D1 widerspricht, nämlich ein Kronenrad­getriebe mit hohem Wirkungsgrad bei motorseitigem Antrieb vorzusehen und die erwünschte Schwergängigkeit bei gurtseitigem Antrieb durch eine axial verschiebbare Getriebewelle zu erreichen, die sich bremsend am Getriebegehäuse abstützt.

Hierbei ist, der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern folgend, nicht nur zu bewerten, ob der Fachmann ein Schneckengetriebe als erstes Getriebe verwenden könnte, sondern ob er auch die Konstruktion des Gurtstraffers gemäß D1 verändern würde.

Um von der Konstruktion gemäß D1 (Figur 2) zu der Vorrichtung gemäß Streitpatent zu gelangen, sind die folgenden Schritte nötig:

2.2.1 In der Konstruktion gemäß Figur 2 der D1 schneiden sich die Längsachsen der Motorwelle und der Getriebewelle in einem mathematischen Punkt. Bei der Verwendung eines Schneckengetriebes muss die Lage der Getriebewelle seitlich gekippt werden, derart dass das Schneckenrad seitlich in die Schnecke auf der Motorwelle eingreifen kann.

2.2.2 Dieser Umstand hat auf jeden Fall auch Modifikationen am Getriebegehäuse zur Folge und damit auf den Platzbedarf des Gurtstraffers im Fahrzeug.

2.2.3 Weiterhin bedeutet dies, dass auch die Konstruktion der verschiebbaren Getriebewelle verändert werden muss, da die Getriebewelle, die dann beidseitig in Schnecken­getrieben gefasst ist, kein axiales Spiel mehr aufweist, welches zur Betätigung einer Bremse gemäß den Figuren 4 bis 8 der D1 verwendet werden könnte.

Der Fachmann muss sich an dieser Stelle Gedanken machen, wie er das durch die Bremse der D1 erzeugte Reibmoment durch andere konstruktive oder elektrische Maßnahmen ersetzt.

2.2.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Umfang der Maßnahmen den Schluss begründet, dass der Fachmann diese Maßnahmen zwar ergreifen könnte, dies aber ohne erfinderisches Zutun nicht in Betracht zöge.

Dies gilt umso mehr, als der Fachmann weitere, weniger konstruktiv aufwendige Maßnahmen hätte ergreifen können, um eine Geräuschminderung zu erzielen. So hätte er beispielsweise die Ausgestaltung der Zahneingriffe im Kronenradgetriebe optimieren oder Maßnahmen am Gehäuse zur Schalldämmung ergreifen können.

2.2.5 Diese Feststellung wird auch durch die von der Beschwerdegegnerin/Einsprechenden im schriftlichen Verfahren vorgetragene Argumentation, die Dokumente D7 und D8 legten den Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D1 nahe, nicht in Frage gestellt. Diese Dokumente offenbaren den prinzipiellen Vorteil im Geräuschverhalten von Schneckengetrieben. Da dieser nicht bestritten wird, ist die Kammer davon überzeugt, dass auch bei Heranziehung der Lehre von D7 oder D8 der Fachmann keine Veranlassung hätte, die Konstruktion von D1 zu verändern.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die erstinstanzliche Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird aufrecht erhalten wie erteilt.

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