T 1833/15 () of 30.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T183315.20200930
Datum der Entscheidung: 30 September 2020
Aktenzeichen: T 1833/15
Anmeldenummer: 04739904.3
IPC-Klasse: H02M7/48
H02J3/38
F03D7/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Windenergieanlage
Name des Anmelders: Senvion GmbH
Name des Einsprechenden: Vestas Wind Systems A/S
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention R 80 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsanträge 2, 4 und 6 (nein)
Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - Hilfsanträge 1, 3 und 5 (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge 1a, 3a, 5a und 6a
Spät eingereichte Hilfsanträge - bedingter Antrag auf Zulassung prozessual unwirksam
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr. 1 634 365 widerrufen worden ist.

II. Die Einspruchsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass keiner der Gegenstände der zugelassenen Anträge der Patentinhaberin ausgehend von Dokument E14 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung aufrecht zu erhalten auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags oder eines ihrer Hilfsanträge 1 bis 6, allesamt eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder hilfsweise, für den Fall, dass für den Hilfsantrag 1 eine unzulässige Erweiterung festgestellt wird, auf der Grundlage eines ihrer Hilfsanträge 1a, 3a, 5a oder 6a, eingereicht mit Schriftsatz vom 18. August 2016. Nachrangig zu ihrem Hauptantrag beantragte die Beschwerdeführerin hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

V. Die folgenden Dokumente, auf denen auch die Begründung der angefochtenen Entscheidung beruht, sind für die Beschwerde relevant:

E14 : DE 100 40 273 A1

E24 : Erich Hau: "Windturbines: Fundamentals, Technologies, Application and Economics", "Chapter 10: Control Systems and Operational Sequence", 2000, Springer Verlag, Germany, ISBN: 3540570640

VI. In einer gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer den Parteien mitgeteilt, sie neige zu der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von der Offenbarung des Dokuments E14 nahegelegt sei.

Ferner seien die Hilfsanträge 1, 3 und 5 nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst und entsprächen folglich nicht Regel 80 EPÜ. Die Gegenstände der Hilfsanträge 2, 4 und 6 beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Darüber hinaus neige die Kammer dazu, ihr Ermessen unter Artikel 13 (1) VOBK 2020 dahingehend auszuüben, die Hilfsanträge 1a, 3a, 5a sowie 6a nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

VII. Mit ihrer Eingabe vom 16. Juni 2020 hat die Beschwerdeführerin erklärt, dass sie den Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren wünsche ohne sich weiter zu der vorläufigen Meinung der Kammer zu äußern.

VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt. Hierbei verwendet die Kammer die bereits in der Beschwerdebegründung (dort II.1.7) verwendete Merkmalsgliederung.

"1.a Windenergieanlage mit einem Rotor (100)

1.b mit mindestens einem Rotorblatt (101), der direkt oder indirekt mit einem Generator (110), zur elektrischen Leistungserzeugung gekoppelt ist,

1.c und einem elektrischen System (200), bestehend aus unterschiedlichen elektrischen Systemeinheiten (210, 220, 230, 400), die elektronische, elektrische und/oder elektromechanische, und/oder sensorische Komponenten und/oder elektrotechnische Schutzeinrichtungen aufweisen,

1.d wobei die elektrischen Systemeinheiten (210, 220, 230, 400) mindestens umfassen eine Einrichtung zur Kopplung des Generators (230) [sic] an ein elektrisches Stromnetz (125),

1.e und alle Komponenten einer elektrischen Systemeinheit Systemeinheiten (210, 220, 230, 400) oder bestimmte Komponenten der elektrischen Systemeinheit (210, 220, 230, 400) entsprechend ihrer Aufgaben in ein oder mehrere Funktionsmodule (250, 250', 410) zusammengefasst sind, die mindestens eine Funktion in Verbindung mit der elektrischen Leistungserzeugung ausführen,

1.f wobei zu mindestens einem Funktionsmodul (250, 250', 410) mindestens ein Parallelmodul (270, 410') vorgesehen ist, das bei Normalbetrieb der Anlage eine gleiche oder ähnliche Funktion des Funktionsmodul [sic] (250, 250', 410) ausführt oder ausführen kann,

1.g und wobei Funktionsmodul (250, 250', 410) und Parallelmodul (270, 410') dergestalt miteinander verbunden oder verbindbar sind, dass bei einer Betriebsstörung, bei der ein Funktionsmodul (250, 250', 410) oder ein Parallelmodul (270, 410') ausfällt, das verbleibende funktionsfähige Funktions- oder Parallelmodul (250, 250', 270, 410, 410') zumindest teilweise die elektrische Leistungserzeugung aufrecht erhält

1.h dadurch gekennzeichnet, dass die elektrischen Systemeinheiten mindestens eine Steuerungseinrichtung (201, 400) mit einem Betriebsführungsrechner umfassen,

1.k die unter anderem die elektrische Leistungserzeugung optimiert

1.m und Umgebungs- und Anlagenparameter der Steuerungseinrichtung (210) zugeführt werden

1.o und die Steuerungseinrichtung (210) mittels Umgebungs- und Anlagenparameter [sic] eine Betriebsführung der Anlage durchführt, wobei zulässige Bereichsgrenzen der Umgebungsparameter und Anlagenparameter über Auslegungsparameter definiert werden,

1.p und dass der Betriebsführungsrechner bei einer Betriebsstörung auf Temporär-Auslegungsparameter zugreift, die im Betriebsführungsrechner hinterlegt und/oder erzeugt und/oder dem Betriebsführungsrechner zugeführt werden, über die an die Betriebsführung angepasste Temporär-Bereichsgrenzen für zulässige Umgebungsparameter und Anlagenparameter definiert werden, die eine Aufrechterhaltung der elektrischen Leistungserzeugung zumindest zeitweise ermöglichen."

IX. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1, 3 und 5 unterscheidet sich von jenem des Hauptantrags unter Anderem dadurch, dass das Merkmal "Auslegungsparameter" in Merkmal 1.o in "Standard-Auslegungsparameter" geändert ist.

X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und 4 enthält gegenüber jenem des Hauptantrags am Ende die folgenden zusätzlichen Merkmale:

"und dass der Betriebsführungsrechner auf die Temporär-Auslegungsparameter bis zur Wiederherstellung des Normalbetriebs der Anlage zugreift und das [sic] bei einer Betriebsstörung nur eine zeitlich eingeschränkt zulässige Modifikation der Bereichsgrenzen der Umgebungs- und Anlagenparameter erfolgt, wobei die zeitlichen Begrenzungen in den temporären Auslegungsparametern enthalten sind, und wobei die Steuerung der Anlage bei Überschreitung der zeitlichen Begrenzung abschaltet oder die Leistung der Anlage reduziert".

XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 enthält im Vergleich mit jenem des Hilfsantrags 2 oder 4, unter anderem die weitere Einschränkung, dass bei der Betriebsstörung "ein Funktionsmodul (250, 250', 410) oder ein Parallelmodul (270, 410') ausfällt".

XII. Die Hilfsanträge 1a, 3a, 5a und 6a wurden von der Beschwerdeführerin lediglich für den Fall eingereicht, dass von der Kammer für den Hilfsantrag 1 eine unzulässige Erweiterung festgestellt werden sollte (Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. August 2016, II.2.3 sowie IV). Über die entsprechende unzulässige Erweiterung des Hilfsantrags 1 wurde von der Kammer jedoch nicht entschieden.

XIII. Die verfahrensrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag unterscheide sich jedenfalls durch Merkmal 1.p von der Offenbarung des Dokuments E14. Merkmal 1.p sei weder aus E14 noch durch das allgemeine Fachwissen (E24) vorweggenommen oder nahegelegt. Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Hilfsantrag 1 enthalte gegenüber dem Hauptantrag lediglich Klarstellungen. Die Änderung des Ausdrucks "Auslegungsparameter" in Standard-Auslegungsparameter" verdeutliche, dass die Standard- und Temporär-Auslegungsparameter zumindest nicht vollständig identisch seien. Dieselbe Änderung sei auch in den Hilfsanträgen 3 und 5 enthalten

Die in Hilfsantrag 2 definierte zeitlich eingeschränkte Betriebsführung mittels Temporär-Auslegungsparametern sei insbesondere aus Dokument E14 nicht nahegelegt. Die in E14 offenbarten Redundanzen dienten dazu, die Funktion einer ausgefallenen Komponente auf Dauer vollständig zu übernehmen. Der Gegenstand des Hilfsantrags 2 beruhe folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit. Für den Hilfsantrag 4 gelte dies entsprechend.

Hilfsantrag 6 sei dahingehend weiter eingeschränkt, dass die elektrische Leistungsabgabe nur noch teilweise aufrechterhalten werden solle. Aus Dokument E14 lerne der Fachmann jedoch, dass, sofern überhaupt eine Redundanz vorgesehen seien sollte, diese auch im Falle eines Ausfalls einer Komponente die vollständige Leistungsabgabe ermöglichen. Somit sei der Gegenstand des Hilfsantrags 6 ausgehend von E14 nicht nahegelegt und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

XIV. Die verfahrensrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Für den Fall, dass die "Temporär-Auslegungsparameter" mit den "Auslegungsparametern" gemäß Hauptantrag übereinstimmten, gehe der Anspruch 1 des Hauptantrags nicht über den erteilten Anspruch 1 hinaus. Anspruch 1 des Hauptantrags sei daher nicht durch einen Einspruchsgrund veanlasst und entspreche somit nicht Regel 80 EPÜ. Folglich sei der Hauptantrag nicht zuzulassen.

Der Gegenstand des Hauptantrags beruhe darüber hinaus ausgehend von Dokument E14 in Zusammenschau mit dem durch E24 dargestellten allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dokument E14 offenbare die Merkmale 1.a bis 1.g sowie 1.p gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Die verbleibenden Merkmale 1.h bis 1.o seien in Anbetracht des allgemeinen Fachwissens (E24) naheliegend.

Die Hilfsanträge 1, 3 und 5 enthielten durch die Änderung des Ausdrucks "Auslegungsparameter" in "Standard-Auslegungsparameter" lediglich Klarstellungen und entsprächen daher nicht Regel 80 EPÜ.

Der Anspruch 1 der Hilfsanträge 2, 4 und 6 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die in Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 4 vorgenommene Einschränkung auf eine zeitlich eingeschränkte Betriebsführung mittels Temporär-Auslegungsparametern sei bereits aus Dokument E14 bekannt, sodass sich hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit dieselben (naheliegenden) Unterscheidungsmerkmale wie zum Hauptantrag ergäben. Die weitere Einschränkung im Hilfsantrag 6, dass die elektrische Leistungsabgabe nur noch teilweise aufrechterhalten werden solle, sei ebenfalls bereits aus Dokument E14 bekannt, sodass auch der Gegenstand des Hilfsantrags 6 nahegelegt sei.

Insgesamt sei die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingereicht und begründet. Folglich ist die Beschwerde zulässig.

2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren

Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf mündliche Verhandlung mit ihrer Eingabe vom 16. Juni 2020 zurückgenommen und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf mündliche Verhandlung ist nur für die Bedingung gestellt, dass die Beschwerde nicht zurückgewiesen wird. Da die Kammer zu dem Schluss gekommen ist, dass die Beschwerde zurückzuweisen ist, liegt kein wirksamer Antrag auf mündliche Verhandlung mehr vor und die Entscheidung kann im schriftlichen Verfahren ergehen.

3. Hauptantrag

3.1 Erfinderische Tätigkeit Artikel 56 EPÜ

3.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird, wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt und von der Einsprechenden vorgetragen, durch eine Zusammenschau der Offenbarung des Dokuments E14 mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.

3.1.2 Bei dem Dokument E14 handelt es sich unstreitig um den nächstliegenden Stand der Technik. Die Merkmale 1.a bis 1.g sind unstrittig aus der Offenbarung des Dokuments E14 bekannt, siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. August 2016, Seite 7, Absatz I.4.3.

3.1.3 Unstrittig unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Merkmale 1.h bis 1.o von der Offenbarung des Dokuments E14. Hierbei schließt selbst die Beschwerdeführerin nicht aus, dass die Merkmale 1.h bis 1.o durch das allgemeine Fachwissen, wie z.B. durch das Dokument E24, nahegelegt sein könnten (siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. August 2016, Seite 7, fünfter Absatz) und schlussfolgert, dass sich eine Diskussion des diesbezüglichen Vortrags der Beschwerdegegnerin erübrige.

Auf diesem Verständnis basiert auch die in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK geäußerte vorläufige Meinung der Kammer, dass lediglich strittig ist, ob das Merkmal 1.p aus Dokument E14 bekannt oder nahegelegt ist. Die Beschwerdeführerin ist diesem vorläufigen Verständnis der Kammer in keiner Weise entgegengetreten. Insofern stellt die Kammer fest, dass die Merkmale 1.h bis 1.o unstrittig als aus dem allgemeinen Fachwissen, repräsentiert durch das Dokument E24, nahegelegt angesehen werden.

3.1.4 Strittig bleibt jedoch unter den Parteien, ob auch das Merkmal 1.p durch das Dokument E14 vorweggenommen oder nahegelegt ist.

Bereits in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK hatte die Kammer darauf hingewiesen, dass sie den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von Dokument E14 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen als naheliegend betrachte, da sie das Merkmal 1.p als in Dokument E14 offenbart ansehe. Die Beschwerdeführerin hat sich zu dieser vorläufigen Meinung der Kammer in der Sache nicht weiter geäußert. Nach erneuter sachlicher und rechtlicher Würdigung durch die Kammer hat sich nichts Anderes ergeben. Die Kammer sieht daher keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen.

Hinsichtlich des strittigen Merkmals 1.p kommt es vordringlich darauf an, welche Bedeutung das Patent dem Merkmal "Temporär-Auslegungsparameter" beimisst.

3.1.5 Zunächst hat die Kammer das Merkmal 1.p anhand des Anspruchswortlauts ausgelegt.

Sowohl die Auslegungsparameter, als auch die Temporär-Auslegungsparameter sind in Anspruch 1 lediglich funktional definiert, nämlich dadurch, dass sie Bereichsgrenzen bzw. Temporär-Bereichsgrenzen der Anlagenparameter und der Umgebungsparameter definieren, welche der elektrischen Systemsteuerung zugeführt werden.

An keiner Stelle des Anspruchs 1 findet sich eine Definition des Inhalts der im Anspruchswortlaut verwendeten Parameter. Der einzig objektiv feststellbare Unterschied zwischen Auslegungsparametern und Temporär-Auslegungsparametern ist das Präfix "Temporär" und dass die Temporär-Bereichsgrenzen "angepasst" sein sollen.

Diesen Unterschieden ist im Anspruch jedoch keinerlei weitere Bedeutung beigemessen, sodass nicht ersichtlich ist, inwiefern der Anspruch hierdurch eingeschränkt sein soll. Eine breite Auslegung hinsichtlich der Bereichsgrenzen ist daher zulässig.

Damit fallen sowohl unter den Ausdruck "Anlagenparameter" als auch unter den Ausdruck "Temporär-Anlagenparameter" sämtliche Parameter, die im Rahmen des üblichen Betriebs einer Windenergieanlage auftreten können.

Infolgedessen vermag die Kammer dem Anspruchswortlaut keinen Unterschied zwischen Anlagenparametern und Temporär-Anlagenparametern entnehmen. Dies würde auch keinen Sinn ergeben, da für den Fall einer vollständigen Redundanz eines Funktionsmoduls, welche dem Ausführungsbeispiel des Patents entspricht, eine Anpassung der Bereichsgrenzen sinnlos erscheint.

Eine Anpassung von Anlagenparametern erscheint nur für den Fall sinnvoll, dass keine vollständige Redundanz des ausgefallenen Funktionsmoduls vorliegt und infolgedessen andere Funktionsmodule die ausgefallene Funktion mit übernehmen müssen. Diese müssten dann beispielsweise eine erhöhte Leistung abgeben können, um den Ausfall ausgleichen zu können.

3.1.6 Eine abweichende Auslegung des Merkmals 1.p ergibt sich auch nicht ausgehend von der Beschreibung und den Figuren des Patents.

In der Beschreibung des Ausführungsbeispiels kommt der Ausdruck "Auslegungsparameter" indes überhaupt nicht vor. Ebenso wenig stützt das Ausführungsbeispiel die von Anspruch 1 umfasste teilweise Aufrechterhaltung der Leistungserzeugung, da das Ausführungsbeispiel lediglich vollständige Redundanzen offenbart.

Im Falle des in Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiels könnten die Temporär-Auslegungsparameter lediglich darin bestehen, dass die Schalter 261' und 262' geöffnet und die Schalter 271 und 272 geschlossen werden. Das ist jedenfalls im Patent in den Absätzen [0111] bis [0114] für den Ausfall eines Funktionsmoduls 250, 250' beschrieben. Für die redundant ausgeführten Betriebsführungsrechner MC und MC' gemäß Figur 2 des Patents gilt offenbar dasselbe. Auch hier sind die Betriebsführungsrechner MC, MC' lediglich über Schalter alternativ mit einem Datenbus verbindbar.

Nichts anderes geht aus Dokument E14 hervor, siehe insbesondere Figur 2 und die Beschreibung, Absätze [0051] bis [0059], insbesondere Absatz [0054], wonach "Im Falle einer Störung ... durch geeignete Ansteuerung ... die Windenergieanlage trotz der Störung immer noch den größten Teil der erzeugten Energie oder sogar die gesamte erzeugte Energie abgibt."

Das Merkmal 1.p ist folglich in Dokument E14 offenbart.

3.2 Da die verbleibenden Merkmale 1.a bis 1.o unstrittig aus E14 bekannt bzw. aus dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, zieht die Kammer den Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ausgehend von der Offenbarung des Dokuments E14 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nahegelegt ist.

4. Hilfsanträge 1 bis 6

4.1 Die Prüfung, ob die neu eingereichten Hilfsanträge (nicht) zuzulassen sind, hat nach Maßgabe des Artikels 12 (4) VOBK 2007 (Artikel 25 (2) VOBK 2020) zu erfolgen. Diese Prüfung kann jedoch dahinstehen, da die Kammer zu der Auffassung gelangt ist, dass keiner der Hilfsanträge 1 bis 6 gewährbar ist.

Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK dargelegt, dass sie keinen der Hilfsanträge 1 bis 6 für gewährbar erachtet. Die Beschwerdeführerin ist dieser vorläufigen Meinung der Kammer in keiner Weise entgegengetreten. Nach erneuter sachlicher und rechtlicher Würdigung durch die Kammer hat sich nichts Anderes ergeben. Folglich sieht die Kammer keinen Grund von ihrer vorläufigen Meinung bezüglich der Hilfsanträge 1 bis 6 abzuweichen.

4.2 Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vorgenommenen Änderungen betreffen nach eigener Aussage der Beschwerdeführerin lediglich Klarstellungen. Tatsächlich verändert das Präfix "Standard" den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht, so dass es sich nicht um einen ernsthaften Versuch handelt, einen Einspruchsgrund auszuräumen. Daher ist Hilfsantrag 1 nicht in Einklang mit Regel 80 EPÜ. Für die Hilfsanträge 3 und 5 gilt dasselbe, da sie die unter Regel 80 EPÜ beanstandete Änderung des Hilfsantrags 1 ebenfalls enthalten.

4.3 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 entspricht jenem des Hilfsantrags 3e aus dem Einspruchsverfahren, welchem von der Einspruchsabteilung die erfinderische Tätigkeit abgesprochen worden ist. Die Einspruchsabteilung hat dies damit begründet, dass einerseits die Bedingung "bis zur Wiederherstellung des Normalbetriebs" keine erfinderische Tätigkeit begründen könne und dass sich andererseits die beanspruchte Redundanz von Komponenten auch auf den Mikrocontroller beziehe, in diesem Falle jedoch eine zeitlich eingeschränkt zulässige Modifikation der Bereichsgrenzen keinen Sinn mache. Folglich werde die zugrundeliegende technische Aufgabe nicht für alle Ausführungsformen gelöst und es liege keine erfinderische Tätigkeit vor. Die Kammer sieht keinen Grund, von dieser Einschätzung der Einspruchsabteilung abzuweichen.

Der Gegenstand Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 beruht folglich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 entspricht jenem des Hilfsantrags 2. Daher ist Hilfsantrag 4 aus den oben für den Hilfsantrag 2 angegebenen Gründen ebenfalls nicht gewährbar.

4.4 Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 ist auf eine teilweise aufrechterhaltene elektrische Leistungserzeugung eingeschränkt. Dies ist jedoch bereits in Absatz [0054] des Dokuments E14 explizit erwähnt. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 durch dieselben Merkmale 1.h bis 1.o von der Offenbarung des Dokuments E14, für die die Kammer bereits zum Hauptantrag festgestellt hat, dass diese unstrittig aus dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind. Der Gegenstand des Hilfsantrags 6 beruht folglich ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

4.5 Da keiner der Hilfsanträge 1 bis 6 gewährbar ist, kann die Frage, ob die Hilfsanträge 1 bis 6 gemäß Artikel 12 (4) VOBK zuzulassen sind, dahinstehen. Ebenso kann eine Entscheidung über die übrigen von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Gründe gegen den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 6 dahinstehen.

5. Hilfsanträge 1a, 3a, 5a und 6a

Die Hilfsanträge 1a, 3a, 5a und 6a sind erst mit Schriftsatz vom 18. August 2016 eingereicht und lediglich hilfsweise für den Fall gestellt worden, dass die Kammer die Hilfsanträge 1, 3, 5 und 6 wegen unzulässiger Änderungen für nicht gewährbar erachtet

(siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. August 2016 II.2.3 und IV).

Diese Bedingung ist jedoch nicht eingetreten, da die Kammer im Hinblick auf die oben erwähnten Anträge keine Feststellungen zu Artikel 123 (2) EPÜ getroffen hat.

Folglich entfaltet der bedingte Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der Hilfsanträge 1a, 3a, 5a und 6a keine prozessuale Wirkung. Es kann daher dahinstehen, ob diese neuen Anträge überhaupt in das Verfahren zuzulassen gewesen wären.

6. Schlussfolgerung

Aus den oben angeführten Gründen ist die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass keiner der zulässigen Anträge der Beschwerdeführerin, über die zu entscheiden war, gewährbar ist. Folglich gibt die Kammer dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Zurückweisung der Beschwerde statt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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