T 1771/15 () of 30.4.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T177115.20190430
Datum der Entscheidung: 30 April 2019
Aktenzeichen: T 1771/15
Anmeldenummer: 05006322.1
IPC-Klasse: E06B 7/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Regenschutzschiene ohne Endkappen
Name des Anmelders: GUTMANN AG
Name des Einsprechenden: G.S. Stemeseder GmbH
R.B.B Aluminium Profiltechnik AG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - Offenbarung durch Zeichnung
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 29. Juni 2015 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1 das europäische Patent Nr. 1 580 394 und die Erfindung die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genügen.

II. Gegen diese Entscheidung haben die Einsprechenden I und II (Beschwerdeführerinnen I und II) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 30. April 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1-3, alle eingereicht mit Schreiben vom 29. März 2019.

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags, mit durch die Kammer hinzugefügten Merkmalsbezeichnungen, lautet:

A)|"Regenschutzschiene verbunden mit einem Fenster oder einer Tür, wobei das Fenster oder die Tür ein Flügelprofil (5), ein Blendrahmenholz (3) mit Schulter sowie Rahmenüberschlag (4.1) sowie einen Falzbereich (4,2) aufweist, |

B)|bestehend aus einem metallischen Profil vorzugsweise aus Aluminium |

C)|mit einem zusätzlichen Kunststoffprofil, das mit seiner vertikalen Anlagefläche an einer vertikalen Montagefläche (3.1) innerhalb des Rahmenüberschlags (4.1) des Blendrahmenholzes (3) anliegt und |

D)|auf dem das Metallprofil zur Montage aufgeklipst wird, |

E)|wobei das Metallprofil (2) folgendes umfasst: einen sich vom Kunststoffprofil (1) schräg zur Fassadenaußenseite hin erstreckenden, unteren ersten Metallprofilabschnitt, der zur Abdeckung der Schulter des Blendrahmenholzes (3) dient und in seinem äußeren Endbereich eine Rundung nach unten aufweist, |

F)|einen sich an den ersten Metallprofilabschnitt nach oben anschließenden zweiten Metallprofilabschnitt, im Bereich dessen das Metallprofil (2) zur Montage auf das Kunststoffprofil (1) aufklipsbar ist, |

G)|einen sich an den zweiten Metallprofilabschnitt über einen sich zur Fassadenaußenseite hin schräg nach oben erstreckenden Verbindungssteg nach oben in vertikaler Richtung anschließenden dritten Metallprofilabschnitt sowie |

H)|einen sich an den dritten Metallprofilabschnitt nach oben über eine Profilrundung anschließenden vierten Metallprofilabschnitt, der schräg nach oben zum Flügelprofil (5) hin verläuft und an dessen Ende ein sich vertikal nach unten erstreckender Profilsteg oder eine Aufnahmenut für eine Dichtung vorgesehen ist, |

I)|wobei der dritte Metallprofilabschnitt in vertikaler Richtung über den Blendrahmen (3) hinausragt und der dritte sowie vierte Metallprofilabschnitt zusammen mit dem Flügelprofil (5) des Fensters oder der Tür einen Hohlraum bilden, welcher den Falzbereich von der Fassadenaußenseite her abdeckt, |

|dadurch gekennzeichnet, dass |

J)|die dem Flügelprofil (5) zugewandte Seite des Profilstegs oder der Aufnahmenut für die Dichtung des schräg zum Flügelprofil (5) hin orientierte Endes des vierten Metallprofilabschnitts sowie die vertikale Anlagefläche des Kunststoffprofils (1) eine gemeinsame Begrenzungsebene hin zum Falzbereich (4.2) festlegen,|

K)|sodass die Regenschutzschiene (2) sich nur auf den Bereich des Rahmenüberschlages (4.1) erstreckt und nicht in den Falzbereich (4.2) des Blendrahmenholzes (3) hineinreicht." |

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass Merkmal I), mit durch Unterstreichung gekennzeichneten Hinzufügungen und durch Durchstreichung gekennzeichneten Streichungen, lautet:

"wobei [deleted: der dritte Metallprofilabschnitt in vertikaler Richtung über den Blendrahmen (3) hinausragt und] das Kunststoffprofil (1), der zur Fassadenaußenseite hin schräg nach oben sich erstreckenden Steg, der dritte sowie vierte Metallprofilabschnitt zusammen mit dem Flügelprofil (5) des Fensters oder der Tür einen Hohlraum bilden, welcher den Falzbereich von der Fassadenaußenseite her abdeckt,"

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass am Ende das Merkmal hinzugefügt wurde wonach:

"und zum Anschlag des Kunststoffprofils (1) als Anlagekante zur vertikalen Fixierung die Seite des Anschlags (3.2) des unteren Blendrahmenholzes (3) dient."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die Änderungen von beiden Hilfsanträgen 1 und 2.

VII. Die Beschwerdeführerinnen argumentierten im Wesentlichen wie folgt:

Weder eine Bezugsebene, noch das Merkmal J) seien in der ursprünglich eingereichten Anmeldung schriftlich offenbart und sie könnten auch nicht aus den schematischen Figuren entnommen werden.

Es stimme zwar, dass Figur 2 eine von den rechten Seiten des Metallprofils und des Kunststoffprofils festgelegte gemeinsame Begrenzungsebene zu zeigen scheine. Seite 3, Zeilen 8 bis 14, die eine Ausführungsform der Erfindung beschreibe besage aber, dass der Abstand zwischen dem Metallprofil und dem Flügelprofil je nach erwünschter Schlagregendichtigkeit 1 mm, oder alternativ 0.5 mm betragen könne. Beim geringeren Abstand lägen aber das Metallprofil und das Kunststoffprofil nicht in einer Begrenzungsebene. Darüber hinaus würde das Metallprofil in dem Ausführungsbeispiel mit 0.5 mm Abstand zum Flügelprofil in dem Falzbereich hineinreichen, wenn die Regenschiene in der gezeigten Ausführung mit 1.0 mm Abstand sich zur Grenze zum Falzbereich erstrecken würde. Laut Seite 2, Zeilen 11 bis 13 dürfe sich die Regenschiene jedoch nicht in dem Falzbereich hinein erstrecken. Da ein Widerspruch zwischen den Figuren und der Beschreibung vorliege, sei es nicht möglich Merkmal J) ausschließlich aus einer Figur zu entnehmen.

Anders als von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, könne ein in der ursprünglich eingereichten Anmeldung vorliegender Widerspruch nicht durch ein Streichen der widersprüchlichen Offenbarungen im Nachhinein geheilt werden.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Es stimme zwar, dass Merkmal J) ursprünglich nicht wörtlich offenbart sei. Die Figuren zeigten jedoch eine Begrenzungsebene gemäß Merkmal J). Die dem Flügelprofil zugewandte Seite des Profilstegs des Metallprofils und die vertikale Anlagefläche des Kunststoffprofils der in der in Figuren 1 und 2 gezeigten Regenschutzschiene, wo der Abstand zwischen Metallprofil und Flügelprofil etwa 1 mm beträgt, legten eindeutig eine gemeinsame Begrenzungsebene zum Falzbereich fest.

Dies sei umso mehr der Fall, da der Fachmann aus der Beschreibung Seite 2, Zeilen 11 bis 13 sowie Seite 3, Zeilen 20 bis 23 entnähme, dass der Kern der Erfindung darin liege, dass sich die Regenschiene nur auf dem Bereich des Rahmenüberschlags erstrecke und nicht in den Falzbereich hineinragen dürfe. Folglich sei es für ihn zum einen offensichtlich, dass eine Begrenzungsebene zwischen Falzbereich und Rahmenüberschlag vorhanden sein müsse und dass sich die Regenschiene über den ganzen Überschlagbereich bis zu dieser Ebene erstrecke, wie auch die Figur 2 zeige. Zum anderen sei es für ihn auch offensichtlich, dass ein Ausführungsbeispiel, das diese Voraussetzungen nicht erfülle - wie die auf Seite 3, Zeilen 12 bis 14 beschriebene Alternative wo der Abstand zwischen Blendrahmen und Regenschiene 0.5 mm betrage - nicht unter die Erfindung fallen würde. Deswegen liege kein Widerspruch zwischen den Figuren, die die Erfindung darstellten und der genannten Passage auf Seite 3 der Beschreibung vor.

Falls ein Widerspruch tatsächlich vorläge, könne er durch das Streichen der auf Seite 3, Zeilen 11 bis 14 beschrieben Alternative (0.5 mm Abstand), die sowieso nur eine Alternative im Sinne einer "Kann-Bestimmung" sei, behoben werden.

Entscheidungsgründe

1. Es ist unstreitig, dass weder Merkmal J), noch eine Begrenzungsebene zwischen dem Falzbereich und dem Rahmenüberschlag in der ursprünglich eingereichten Anmeldung wörtlich offenbart sind.

2. Es stimmt, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, dass das beanspruchte Merkmal J) in Figur 2 gezeigt zu sein scheint.

Die Zeichnungen des Streitpatents sind jedoch offensichtlich keine Konstruktionszeichnungen, sondern lediglich schematische Darstellungen eines Ausführungsbeispiels der Erfindung. Solche Darstellungen erlauben in der Regel kein Ausmessen von Maßen und nur in Ausnahmefällen die Entnahme der genauen relativen Lage zweier Objekte. Eine solche Ausnahme kann nicht vorliegen, wenn ein Widerspruch zwischen den Figuren und der Beschreibung besteht.

Entscheidend ist letztlich was der Fachmann dem gesamten Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

3. Die Textstelle auf Seite 3, Zeilen 9 bis 14 der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung betrifft ein Ausführungsbeispiel der Erfindung. Sie besagt, dass der Abstand zwischen dem oberen Schenkel [des Metallprofils] und dem Flügelprofil [des Fensters] etwa 1 mm beträgt. Zur Verbesserung der Schlagregendichtigkeit kann dieser Abstand durch den Einsatz eines dünneren Kunststoffprofils auf 0.5 mm verringert werden.

Da die Position der Anlagefläche des Kunststoffprofils von der Geometrie des Blendenrahmens festgelegt ist, führt die Reduzierung des Abstandes zwischen Metallprofil und Flügelprofil auf 0.5 mm bei gleichbleibender Blendenrahmen zu einer Verschiebung des gesamten Metallprofils in Richtung Fensterflügel und Falzbereich.

Wenn - wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen - die Figuren 1 und 2 das Ausführungsbeispiel mit etwa 1 mm Abstand zwischen Metallprofile und Flügelprofil des Fensters darstellten, so würden die dem Flügelprofil zugewandten Seite des Profilstegs des Metallprofils und die vertikale Anlagefläche des Kunststoffprofils in der Ausführung mit 0.5 mm Abstand zum Flügelprofil erstens nicht eine gemeinsame Begrenzungsebene festlegen, zweitens würde das Metallprofil teilweise in dem Falzbereich hineinreichen. Letzteres darf laut Seite 2, Zeilen 11 bis 13 jedoch nicht der Fall sein.

Die Beschwerdegegnerin meint, dass der Fachmann gerade daraus schließen würde, dass das Ausführungsbeispiel mit 0.5 mm Abstand zwischen Regenschiene und Flügelprofil des Fensters nicht erfindungsgemäß sei.

In der ursprünglichen Anmeldung ist von einer Begrenzungsebene nicht die Rede. Daher hat der Fachmann keinen Grund auszuschließen, dass die beschriebene Regenschiene mit 0.5 mm Abstand zum Flügelprofil des Fensters ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel ist, obwohl dieses mit den Darstellungen in Figur 2 in Kombination mit der Textstelle auf Seite 2, Zeilen 11 bis 13 nicht konform ist. Er würde stattdessen die Möglichkeit in Erwägung ziehen müssen, dass die Darstellung in Figur 2 fehlerhaft bzw. ungenau sei, und dass bei der Ausführung mit etwa 1 mm Abstand zwischen der Regenschiene und dem Flügelprofil die Regenschiene nicht bis zur Grenze zum Falzbereich reicht, da die Ausführung mit 0.5 mm Abstand zum Flügelprofil sonst in den Falzbereich hineinragt.

Es wäre für den Fachmann auf der Grundlage der ursprünglichen Offenbarungen nicht möglich zu entscheiden, ob das Ausführungsbeispiel mit 0.5 mm Abstand zwischen Regenschiene und Flügelprofil des Fensters nicht erfindungsgemäß ist oder ob die Darstellung in Figur 2 fehlerhaft beziehungsweise ungenau ist.

Folglich kann der Fachmann Merkmal J) aus dem gesamten Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht eindeutig und unmittelbar entnehmen. Dieses Merkmal geht daher über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

4. Die Beschwerdegegnerin hat vorgeschlagen, den vermeintlichen Widerspruch zwischen den Figuren und der Beschreibung durch das Streichen des sich auf einen Abstand von 0.5 mm beziehende Ausführungsbeispiels zu beheben.

Wie von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen, kann aber ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ nicht durch das nachträgliche Streichen eines in der Anmeldung vorhandenen Ausführungsbeispiels geheilt werden. Bei der Frage, ob ein Merkmal ursprünglich offenbart war geht es nämlich darum, was der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehen des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

5. Da sich das Merkmal J) in Anspruch 1 aller Anträge befindet, geht der Gegenstand des Anspruchs 1 aller Anträge über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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