T 1721/15 () of 9.3.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T172115.20180309
Datum der Entscheidung: 09 März 2018
Aktenzeichen: T 1721/15
Anmeldenummer: 04025215.7
IPC-Klasse: B60J 7/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 507 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rollo für ein Schiebedachsystem
Name des Anmelders: Roof Systems Germany GmbH
Name des Einsprechenden: BOS GmbH & Co. KG
Webasto SE
Advanced Comfort Systems France SAS-ACS France
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention R 106
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Spät eingereichter Hilfsantrag 1 - zugelassen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Spät eingereichte Hilfsanträge 2 bis 4
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 584 509 in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrags aufrechterhalten wurde, haben die Beschwerdeführerin I (Einsprechende 1) sowie die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 2) Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass Anspruch 1 nicht unzulässig erweitert und klar sei sowie dass die Erfindung deutlich offenbart und ausführbar sei. Außerdem wurde der Gegenstand von Anspruch 1 als neu gegenüber der Druckschrift D7 (US 4,825,921) und auch als erfinderisch gegenüber einer Kombination von Fachwissen mit D7 angesehen. Im Einspruchsschriftsatz wurden als weiterer Stand der Technik unter anderem Druckschrift D1 (DE 42 02 342 C) sowie Druckschrift D2 (GB 1 416 431 A) zitiert.

III. Mit Schreiben vom 1. Februar 2018 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) Hilfsanträge 1 bis 6 sowie 1A bis 6A ein.

IV. Am 9. März 2018 wurde vor der Beschwerdekammer verhandelt.

Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1, 2 ("von 13:50"), 3 oder 4. Sie stellte ferner die Anträge

1) auf Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und Fortsetzung an einem anderen Tag, um der Beschwerdegegnerin ausreichend Zeit zu geben, um die Relevanz von Dokument D2 zu prüfen, auch in Kombination mit anderen Dokumenten,

2) hilfsweise den Antrag auf Zurückverweisung des Verfahrens an die erste Instanz,

3) der Großen Beschwerdekammer nach Art. 112 (1) a EPÜ die Frage vorzulegen,

a) ob eine Entscheidung der Beschwerdekammer, dass ein Dokument den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, von dem ausgehend einem beanspruchten Gegenstand die erfinderische Tätigkeit fehlt, auch auf ein Dokument gestützt werden kann, wenn dieses Dokument nicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung diskutiert wurde, von den Beschwerdeführern nicht in den Beschwerde­begründungen erwähnt wurde und auch in der vorläufigen Stellungnahme der Beschwerdekammer nicht als potentiell für den Ausgang des Verfahrens relevant erwähnt ist, und

b) falls Frage a) mit "Ja" beantwortet wird, die Beschwerdekammer die Verhandlung unterbrechen und an einem anderen Tag fortsetzen muss, um der Beschwerdegegnerin ausreichend Gelegenheit zu geben, sich mit diesem Dokument auseinanderzusetzen,

(Anträge 1) bis 3) gemäß in der mündlichen Verhandlung eingereichtem Blatt mit der Überschrift "Anträge"), wobei bei Nichtgewährung keines dieser Anträge ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gerügt wurde.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (Merkmale M1 bis M9 in Anlehnung an die Merkmalsgliederung der angefochtenen Entscheidung gekennzeichnet):

M1 Schiebedachsystem-Rollo (10)?, M2 das aus einem flexiblen Material besteht, M3 wobei zwei Spiralfedern (18) vorgesehen sind, M4a die sich entlang den Längsrändern des Rollos (10) erstrecken,M4b unmittelbar auf das Rollo (10) einwirken undM4c sich zu einer Spirale zusammenzuziehen suchen,M4d so dass sich der Teil des Rollos (10), der sich nicht in Führungsschienen (14) befindet, automatisch zu einem Wickel zusammenrollt,M4e so dass auf den Teil des Rollos (10), der sich in den Führungsschienen (14) befindet, nur eine sehr geringe Zugkraft einwirkt, M5 wobei die Spiralfedern (18) gleichzeitig zur Führung des Rollos (10) in einer Führungsschiene (14) dienen, M6 wobei die Vorspannung der Spiralfedern (18) dazu führt, dass sie innerhalb der Führungsschienen (14) eine vergleichsweise hohe Reibung erzeugen,M7 so dass zuverlässig verhindert ist, dass sich das Rollo (10) von allein in unerwünschter Weise verstellt, und M8 dass auf eine separate Rollobremse verzichtet ist, M9 und wobei die Spiralfedern (18) mit den Längsrändern des Rollos (10) fest verbunden sind. |Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wurde um die Merkmale des erteilten Anspruchs 4 ergänzt, so dass sich ein geändertes Merkmal M1' sowie die weiteren, als M10 und M11 gekennzeichneten Merkmale ergeben: M1' Baugruppe bestehend aus einem Schiebedachsystem- Rollo (10)?,...M10 und zwei Führungsschienen (14), in denen jeweils eine Spiralfeder (18) aufgenommen ist, so dass das Rollo (10) zwischen den Führungsschienen (14) geführt ist,M11 wobei sich der Teil der Spiralfedern (18), der sich außerhalb der Führungsschienen (14) befindet, zusammen mit dem daran angebrachten Rollo (10) von allein zu einem Wickel aufwickelt. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch eine Änderung in Merkmal M1' (nun: Merkmal M1") und ein weiteres am Ende hinzugefügtes Merkmal (als M12 gekennzeichnet): M1" Baugruppe bestehend aus einem Fahrzeugschiebedach- system-Rollo (10)?,...M12 wobei am hinteren Rand des Rollos ein Wickelkörper (16) angebracht ist. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 wurde gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 um das zusätzliche, als M13 gekennzeichnete Merkmal ergänzt: M13 der die Funktion hat, den hinteren Rand des Rollos in einer Richtung quer zur Längsrichtung des Fahrzeugs gespannt zu halten. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 durch eine Änderung in Merkmal M2 (nun: Merkmal M2'): M2' das aus Stoff oder einer Kunststofffolie besteht, VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin I, insoweit es für die vorliegende Entscheidung relevant ist, kann wie folgt zusammengefasst werden: Die technische Gestaltung des Rollos gemäß der D7 sei vollständig identisch zu der des Rollos des Streit­patents. Bei richtiger Auslegung sei demzufolge Merkmal M1 durch die D7 vorweggenommen. Mit Merkmal M1 sei eine Eignung eines Rollos in allgemeiner Form für ein Schiebedachsystem, auch für ein Schiebedachsystem eines Gebäudes, beansprucht. Merkmal M1 spreche nicht von einem Schiebedachsystem für ein Kraftfahrzeug oder für ein Fahrzeug. D7 zeige zwar kein Rollo als Teil eines Schiebedachsystems, aber ein Rollo, das für ein Schiebedachsystem geeignet sei. Bei der D7 gehe es ganz allgemein um Schutzrollos, ohne dass von Fliegengitter gesprochen werde (Spalte 1, Zeilen 4 und 5; auch Anspruch 1). Das Streitpatent enthalte keine Aussagen über Vibrationsfestigkeit, Geräuscharmut, Betriebs­temperaturen oder eine geringe Bauhöhe. Die Merkmale M6 bis M8 definierten lediglich allgemeine Funktions- und Vorteilsangaben, die bei dem Rollo aus D7 mit identischer Funktion bereits vorhanden seien. In D7 sei auch keine Bremse (die nicht erwähnt werde) vorhanden. Mit Merkmal M2 ("besteht aus...") sowie Anspruch 3 sei klar, dass nur die Rollobahn ohne Führungsschienen beansprucht werde. Dokument D7 zeige ein Rollo für Gebäudefenster, z. B. auch ein Schiebedachfenster, und sei somit neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, mit dem lediglich ein Rollo für ein Schiebedachsystem beansprucht werde. Der erst in der mündlichen Verhandlung und damit verspätet eingereichte Hilfsantrag 1 sei nicht ins Verfahren zuzulassen. Im Übrigen zeige D7 auch eine Baugruppe mit Führungsschienen gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 1. Merkmal M8 sei kein technisches Merkmal, und auch in Figur 1 der D7 sei auf eine Rollobremse verzichtet. Mit den Merkmalen M6 und M7 werde eine Reibungskraft größer als die Rückholkraft der Spiralfeder (gemäß Streitpatent eine Zugfeder mit konstanter Rückzugskraft) beansprucht. Dies stelle aber ein Problem der Ausführbarkeit dar, da die Reibungskraft sich (in Abhängigkeit des Bereiches bzw. der Fläche, mit dem die Spiralfeder an der Innenwand der Führungsschiene anliege) in dem Maße verändere, wie die Spiralfeder ausgezogen sei.Dem Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 fehle gegenüber einer Kombination aus Fachwissen und der D7 die erfinderische Tätigkeit. Nächstkommender Stand der Technik seien nicht nur Rollos aus dem Kraftfahrzeug­bereich, sondern auch Rollos aus dem Gebäudebereich, da Anspruch 1 keinen Bezug auf ein Kraftfahrzeug enthalte. Ausgehend von D7 stelle sich die Aufgabe, die Spiralfedern ohne Rollobremse so einfach wie möglich in die Baugruppe zu integrieren. Schon allein mit seinem Fachwissen gelange der Fachmann zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1. Diese Angriffslinie ergebe sich aus der angefochtenen Entscheidung (siehe Unterpunkt 14, Seite 11: fehlende Merkmale M6 bis M8). Die Hilfsanträge 2 bis 4 seien verspätet eingereicht und prima facie nicht relevant. Es entstünden neue Diskussionspunkte, da die neu aufgenommenen Merkmale aus dem Zusammenhang der ursprünglichen Offenbarung gerissen seien. Der nun beanspruchte zusätzliche Wickelkörper führe zu einer Verlagerung des Schutzbereiches und einer unzulässigen Zwischen­verallgemeinerung. Der Begriff des "hinteren Rand" beziehe sich auf die Öffnung im Fahrzeugdach. Weitere Anträge der Beschwerdegegnerin seien nicht relevant. VII. Das für die vorliegende Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin II lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es bestand keine Veranlassung zur Zulassung des neuen Hauptantrags der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, da dieser als verspätetes Vorbringen die Einsprechenden hinsichtlich der Vorbereitung von Argumenten benachteiligte. Das Rollo gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber dem in das Verfahren eingeführten Stand der Technik. Der Zusatz "Schiebedachsystem" des generischen Begriffs des Anspruchs 1 sei lediglich eine Zweckangabe, welche die Eignung des beanspruchten Rollos indiziere und bei Prüfung der Patentfähigkeit außer Acht zu lassen sei, sofern sich aus ihr für den Fachmann keine weiteren zwingenden gegenständlichen Merkmale ergäben. Anforderungen hinsichtlich Vibrationsfähigkeit, Geräuscharmut, Betriebstemperatur und Bauhöhe seien allein durch diese Zweckangabe - ohne Angabe weiterer technischer Merkmale - nicht erfüllt. Auch die Beschreibung des Streitpatents enthalte keine Anforderungen an ein Rollo für ein Schiebedachsystem. Im Übrigen definiere Anspruch 1 nur das Rollo bzw. die Rollobahn. Weitere Bauelemente einer zugeordneten Rolloanordnung (wie Führungsschienen) seien nicht Inhalt des Anspruchs, sondern nur in Zusammenhang mit dem Verhalten des Rollos im eingebauten Zustand erwähnt. Bei sachgerechter und inhaltlicher Analyse umfasse das beanspruchte Rollo lediglich die Merkmale M1, M2, M3, M4a, M4b, M4c und M9, was gestützt werde durch den auf eine aus Rollo und Führungsschienen bestehende Baugruppe gerichteten Anspruch 3. Aber selbst bei Berücksichtigung der Merkmale M4d, M4e und M6 bis M8 sei D7 neuheitsschädlich.Das aus D7 bekannte Rollo umfasse die Zweckangabe gemäß Merkmal M1 und die für den beanspruchten Gegenstand nicht relevanten Merkmale M6, M7 und M8. In D7 sei nicht nur ein Fliegengitter-Rollo beschrieben, sondern auch ein Sichtschutzrollo zur Beschattung von Fenstern und Türen. Aufgrund konstruktiver Übereinstimmung des Rollos aus D7 mit dem beanspruchten Rollo sei es zum Einsatz bei Schiebedachsystemen geeignet. Es sei auch im Gebäudebereich üblich, Dachflächenfenster im Sinne eines Schiebedachs auszubilden und Rollos vorzusehen. Die aus D7 (z. B. Anspruch 11) bekannten Spiralfedern seien so ausgelegt, dass sie sich außerhalb von Führungsschienen zu einem Wickel zusammenrollten (Merkmal M4d). Da sie innerhalb von Führungsschienen auch dieses Bestreben aufwiesen, werde innerhalb der Führungsschienen eine Reibung erzeugt, die der von der Spiralfeder ausgeübten Zugkraft entgegenwirke. Da D7 keine Rollobremse zu entnehmen sei, müsse ein Kräftegleichgewicht bestehen, damit sich das Rollo nicht in ungewollter Weise selbständig verstelle. In Einklang mit Merkmal M4e wirke daher auf den Teil des Rollos in den Führungsschienen nur eine Zugkraft kleiner als die Reibungskräfte. Folglich seien auch die vergleichsweise unspezifischen Merkmale M6 sowie M7 und M8 aus D7 bekannt. Eine Abstimmung zwischen der Zugkraft der Spiralfedern und den Reibungskräften in den Führungsschienen sei also auch bei der aus D7 bekannten Rolloanordnung gegeben, die ansonsten nicht funktionsfähig wäre. Dies sei insbesondere bei den Ausführungsformen gemäß Figur 7 oder 9 der Fall, da dort das ganze Rollo gezeigt sei, und zwar ohne Rollobremse. Auch die mit Anspruch 3 beanspruchte Baugruppe sei aus D7 bekannt. Auch D2 zeige ein Rollo mit den Merkmalen des Anspruchs 1 (siehe Ziffer V. der Einspruchsbegründung). Der erst in der mündlichen Verhandlung und damit in einem späten Stadium des Verfahrens eingereichte Hilfsantrag 1 sei nicht ins Verfahren zuzulassen.Im Übrigen sei Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht neu gegenüber D7. Druckschrift D7 zeige auch eine Baugruppe mit Führungsschienen und einem Verhalten der Spiralfedern wie mit den Anspruchsmerkmalen definiert. Die Figuren 1, 7, 9 und 11 zeigten auch keine Rollobremse. Die Spiralfedern mit ihrem Bestreben sich aufzuwickeln würden an eine Wand der Führungsschiene gepresst. Die Zugkraft von Spiralfedern sei relativ klein, so dass schon eine kleine Reibungskraft ausreiche, um eine unerwünschte Verstellung des Rollos zu verhindern. Dieses Verhalten sei dem Fachmann geläufig, so dass die Funktionsmerkmale aus Anspruch 1 für den Fachmann unmittelbar aus D7 hervorgingen. Ausgehend von den seitens der Beschwerdegegnerin ausgemachten Unterschiedsmerkmalen gegenüber D7 stelle sich die Frage nach dem Verhalten der Spiralfedern in den Führungsschienen, d. h. wie groß die Reibungskraft in der Führungsschiene im Vergleich zur Zugkraft sein müsse, so dass sich das Rollo nicht verstelle. Dies folge aus dem Fachwissen des Fachmanns (siehe D1 oder D2, wo die Funktionsweise einer Spiralfeder genau beschrieben sei). Es sei technisch recht einfach, Reibungskräfte höher als die Rückstellkräfte zu realisieren, was gegen die Erfindungshöhe spreche. Die verspätet eingereichten Hilfsanträge 2 bis 4 enthielten aus der Beschreibung entnommene Merkmale, was zu einer Zwischenverallgemeinerung führe. Außerdem sei der nun beanspruchte Gegenstand neu zu bewerten hinsichtlich des Wickelkörpers. Die übrigen Anträge seien nicht relevant für die Entscheidung der Kammer. VIII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen wie folgt: Es sei in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf den neu eingereichten Hauptantrag gerügt worden. Die Einsprechende 2 habe auch nicht substantiiert, dass die Einspruchsabteilung bei der Entscheidung über die Zulassung des geänderten Hauptantrags ihr Ermessen pflichtwidrig ausgeübt habe. Dokument D7 zeige ein Fliegengitter für Türen und Fenster von Gebäuden und auch ein Rollo, aber kein Schiebedach und somit auch kein Schiebedachsystem-Rollo wie mit Anspruch 1 gefordert. Anspruch 1 beanspruche kein Rollo mit einer Eignung für irgendwas. Der Begriff "Schiebedachsystem" schränke den Schutzumfang des Anspruchs 1 eindeutig auf ein Schiebedachsystem-Rollo ein. D7 zeige kein Rollo mit einer objektiv erkennbaren Eignung zur Verwendung in Schiebedachsystemen. Schiebedächer seien bei Gebäuden eher unüblich, und selbst wenn, so zeige D7 kein Schiebedach. Eine Erfindung könne auch darin liegen, einen bestimmten Gegenstand modifiziert in anderer Weise zu verwenden.Gehe man vom konkreten Anwendungsfall des in Anspruch 1 beanspruchten Schiebedachsystem-Rollos in einem Kraftfahrzeug aus, seien die Unterschiede zu D7 noch offensichtlicher. Dort gebe es implizit bestimmte Anforderungen hinsichtlich Vibrationsfestigkeit, Geräuscharmut, Betriebstemperaturen und Bauhöhe. Diese Anforderungen seien bei einem Fliegengitter nicht relevant, so dass das in D7 gezeigte Fliegengitter nicht geeignet sei in einem Schiebedachsystem eingesetzt zu werden. Dementsprechend offenbare Dokument D7 auch nicht die Merkmale M6 bis M8. Anspruch 1 sei eine Lehre zum technischen Handeln, wobei ein Großteil der Merkmale (insbesondere die Zugkraft gemäß Merkmal M4e sowie die Vorspannung gemäß den Merkmalen M6 bis M8) nur Sinn mache, wenn es um die Interaktion zwischen Rollo und Führungsschienen gehe. Zudem beziehe sich der Begriff Schiebedachsystem, der bei Gebäuden nicht verwendet werde, auf ein System aus Rollo und Führungsschienen. Anspruch 3 sei redundant zu Anspruch 1 zu sehen. Die Einspruchsabteilung habe richtig entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D7 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen beruhe. Andere Angriffe seien in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht präsentiert oder in der angefochtenen Entscheidung nicht begründet worden und damit nicht Gegenstand der Diskussion in der Beschwerde. Mit Hilfsantrag 1 werde nur ein in Bezug auf Anspruch 1 gemäß Hauptantrag diskutierter Punkt klargestellt. Die zusätzlichen Merkmale seien Gegenstand von gewährten Ansprüchen und führten nicht zu einer höheren Komplexität, so dass keine objektiven Gründe gegen eine Zulassung des Hilfsantrags 1 ins Verfahren sprächen. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 sei neu gegenüber D7, da das Verhältnis der Kräfte gemäß den Merkmalen M4e und M6 bis M8 nicht gezeigt sei. Die schematischen Zeichnungen in D7 enthielten objektiv keine Offenbarung dieser Merkmale, die eine Reibkraft größer als die Zugkraft sowie eine fehlende Rollobremse forderten (Figur 6 zeige z. B. einen federbelasteten Gleiter). Die Reibungskraft sei aufgrund der sich nicht verändernden Normalkraft (bei größerer Anlagefläche sei der Anpressdruck kleiner) als konstant anzusehen, wobei die Anlagekraft der Spiralfeder in der Führungsschiene und damit die Normalkraft insbesondere durch das vordere Ende verursacht werde. Es stelle sich auch im Randbereich bei fast aufgewickeltem Rollo kein Problem hinsichtlich der Ausführbarkeit, da der Fachmann z. B. die Dicke der Spiralfeder variieren könne. In D7 sei nicht zu erkennen, was im vorderen Bereich des Rollos passiere. Die Funktionsmerkmale aus Anspruch 1 gingen entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin II für den Fachmann nicht unmittelbar aus D7 hervor, wie z. B. anhand der Lehre von D2 erkennbar, wo explizit "friction pads" vorgesehen seien. Die Argumentation der Beschwerdeführerinnen zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Ausgehend von D7, welches Ausführungsformen mit Antrieb (Figur 2) oder mit einem federbelasteten Gleiter (Figur 6B) zeige, fehle es an jeglicher Aufgabe. Anspruch 1 müsse nicht spezifizieren, dass sich der Rollowickel irgendwo abstützen müsse, da dies für den Fachmann klar sei (die Abstützung könne an einer Wand des Rollokastens oder in der Führungsschiene erfolgen). Merkmal M4e hänge kausal ("so dass") mit den vorhergehenden Merkmalen zusammen, da nur die außenliegende, sich an der Wand abstützende Windung des Wickels die Rückzugskraft erzeuge. Daher wickele sich das Rollo so zusammen, dass sich eine sehr geringe Rückzugskraft ergebe. Merkmal M4e in Kombination mit den Merkmalen M6 und M8 (Reibungskraft in den Führungsschienen, nicht benötigte Rollobremse) liefere eine eindeutige und klare Lehre, was unter einer sehr geringen Zugkraft zu verstehen sei. Die Einspruchsabteilung habe zutreffend entschieden, dass der hier anzusetzende Fachmann in der Lage sei, das beanspruchte Rollo nachzubauen. Es sei ihm ohne großen Aufwand möglich, ein Rollo mit Spiralfedern so auszulegen, dass die Reibungskraft der Spiralfedern in den Führungsschienen höher sei als die Rückzugskraft des Rollowickels (z. B. mittels computergestützter Simulationsprogramme), wobei kein Kräftegleichgewicht einzustellen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass für die Beschwerdeführerinnen der Fachmann einerseits nicht in der Lage sei die Erfindung auszuführen, andererseits aber doch ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 komme. Die zusätzlichen Merkmale der Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 4 stünden nicht in einem engen Zusammenhang mit weiteren Merkmalen und erweiterten auch nicht den Schutzbereich. |

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit

1.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu gegenüber Dokument D7 (Artikel 54 (1) EPÜ).

1.2 Die in D7 offenbarte Erfindung ist (siehe Spalte 2, Zeilen 40 ff.) auf ein Fliegenschutzrollo, welches auch als Sichtschutzrollo zur Beschattung von Fenstern und Türen von Gebäuden dienen kann, gerichtet. Die Kammer kann aber nicht erkennen, dass dieses Rollo, welches gemäß den in D7 gezeigten Zeichnungen in verschiedenen Ausführungsformen Verwendung findet, darunter auch (Figur 7) für eine Pergola und damit eine Überdachung, nicht auch für ein Schiebedach zum Einsatz kommen kann. D7 zeigt nach Auffassung der Kammer ein für ein Schiebedachsystem geeignetes Rollo, welches zumindest im Gebäudebereich einsetzbar ist.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass Schiebedächer bei Gebäuden unüblich seien, konnte nicht überzeugen, da auch im Gebäudebereich Dachflächenfenster als Schiebedach ausgebildet sein können und D7 zudem wie bereits ausgeführt eine Ausführungsform eines Rollos für eine Überdachung zeigt. Dass D7 kein Schiebedach zeigt, ist dabei unbeachtlich, da Anspruch 1 kein Rollo in Verbindung mit einem Schiebedach oder als Teil eines Schiebedachsystems fordert. Zudem wird mit Anspruch 1 kein konkreter Anwendungsfall und keine bestimmte Verwendung spezifiziert, insbesondere kein Einsatz in einem Kraftfahrzeug, so dass Anforderungen aus dem Kraftfahrzeugbereich wie z. B. Vibrationsfestigkeit keine Einschränkung hinsichtlich der Eignung des beanspruchten Rollos darstellen. Nachdem Anspruch 1 als Vorrichtungsanspruch und nicht als Verwendungsanspruch formuliert ist, sind vorliegend die Kriterien zur Neuheit von Verwendungsansprüchen nicht anwendbar, d. h. das Argument der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der modifizierten Verwendung eines Gegenstands ist nicht zutreffend.

Aus dem Vorstehenden folgt, dass das gemäß Merkmal M1 definierte "Schiebedachsystem-Rollo" aus D7 bekannt ist, da mit diesem Merkmal nur die Eignung des Rollos für ein Schiebedachsystem gefordert ist.

Das in D7 gezeigte Rollo besteht aus einem flexiblen Material, da es ansonsten nicht zu einem Rollowickel aufgewickelt werden könnte. Hinsichtlich des Materials wird zudem explizit offenbart (Spalte 2, Zeilen 45-50), dass bei Verwendung als Sichtschutzrollo ein Rollo aus textilem - also flexiblem - Material zum Einsatz kommen kann. In D7 sind zwei Spiralfedern vorgesehen, die sich entlang der Längsränder des Rollos erstrecken (siehe Spalte 2, Zeilen 29-34 oder Spalte 4, Zeilen 31-33; Figuren 1, 4; auch Figur 7, da Anspruch 1 nicht auf "nur zwei Spiralfedern" eingeschränkt ist). Damit sind die Merkmale M2, M3 und M4a auch in D7 offenbart.

Die Spiralfedern sind mit den Längrändern des Rollos fest verbunden (Spalte 2, Zeilen 29-34 oder Spalte 4, Zeilen 31-33) und wirken damit unmittelbar auf das Rollo ein, wie mit den Merkmalen M4b und M9 gefordert. Wie im Streitpatent haben die Spiralfedern auch in D7 (siehe Figur 1) eine gekrümmte Querschnittsform und suchen sich zu einer Spirale zusammenziehen, wie mit Merkmal M4c gefordert und in D7 beispielsweise im Zusammenhang mit Figur 1 (Spalte 4, Zeilen 42-46: Vorzugsrichtung zum Aufrollen des Rollos in Richtung der konkaven Seite der Spiralfedern) oder Figur 7 (Spalte 5, Zeilen 65 ff.: es kann auf eine federbelastete Rollowelle verzichtet werden, da die Spiralfedern sich selbst aufzurollen versuchen) beschrieben. Daraus folgt auch direkt Merkmal M4d als Folge der Eigenschaft der Spiralfedern gemäß Merkmal M4b und M4c, wie im Streitpatent in Absatz [0007] auch explizit als Vorteil aufgeführt, wenn anstelle einer auf die Wickelachse einwirkenden Feder zwei unmittelbar auf das Rollo einwirkende Spiralfedern verwendet werden. Genau dieser Vorteil ist auch in D7 beschrieben (Spalte 5, Zeile 65, bis Spalte 6, Zeile 2), indem dort konkret der Verzicht auf eine auf die Wickelachse einwirkende Feder angesprochen wird, wenn sich zusammenrollende Spiralfedern verwendet werden, die den Rollobehang zusammenzurollen versuchen.

Die in D7 gezeigten Spiralfedern dienen auch zur Führung des Rollos in einer Führungsschiene (Figuren 1, 4, 7), wie mit Merkmal M5 gefordert.

1.3 Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass das Rollo gemäß Anspruch 1 notwendigerweise auch die Führungsschienen umfasst. Auch wenn der Begriff "Rollo" in der Umgangssprache oft zweideutig verwendet werden mag, indem er sowohl die Rollobahn bzw. den Rollobehang für sich als auch das System als Ganzes beschreiben kann, so ist nach Auffassung der Kammer im Lichte des Streitpatents die Bedeutung dieses Begriffs klar auf den ersten Fall eingeschränkt. Bereits Merkmal M2 ("aus einem flexiblen Material besteht") schränkt den Anspruchsgegenstand auf die Rollobahn ohne Führungsschienen ein, was auch durch das in Anspruch 1 verwendete Bezugszeichen 10 für das Rollo gestützt wird, welches sich gemäß den Figuren des Streitpatents auf die Rollobahn bezieht. Zudem wird erst in Anspruch 3 des Hauptantrags eine Baugruppe aus Rollo und Führungsschienen beansprucht. Da die Spiralfedern gemäß Merkmal M3 und M9 fest mit dem Rollo verbunden sind, sind diese hingegen noch als Teil des beanspruchten Rollos aufzufassen.

Damit werden die Merkmale M4e sowie M6 und M7, welche das Zusammenspiel zwischen Rollo und Führungsschienen spezifizieren, nicht als limitierend für den beanspruchten Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag erachtet. Dies gilt gleichermaßen für Merkmal M8, da der Verzicht auf eine "separate Rollobremse" (ebenso wie das mit "so dass" eingeleitete Merkmal M7) in Anspruch 1 als Folge der mit den Merkmalen M6 definierten hohen Reibung zwischen Rollo und Führungsschienen ausgedrückt wird. Zudem beschreibt Merkmal M8 den Verzicht auf eine Interaktion zwischen Rollobahn und einer separaten Rollobremse, also einer externen Einrichtung zum Bremsen des Rollos, welche für den vorliegenden, allein die Rollobahn umfassenden Anspruch 1 keine Beschränkung darstellen kann.

1.4 Damit offenbart D7 alle strukturellen Merkmale M1 bis M4c und M9 eines Rollos gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sowie die mit den Merkmalen M1 und M5 zusätzlich angesprochene Eignung des Rollos für ein Schiebedachsystem und die Eignung der Spiralfedern zur Führung des Rollos in einer Führungsschiene. Da wie vorstehend ausgeführt die weiteren Merkmale des Anspruchs 1 erst beim Zusammenwirken mit einer Führungsschiene oder einer externen Einrichtung zum Tragen kommen, die nicht notwendigerweise zum beanspruchten Gegenstand gehören und demnach nicht als limitierend angesehen werden, wird der Gegenstand von Anspruch 1 durch Dokument D7 neuheitsschädlich getroffen.

1.5 Bei dieser Sachlage muss auf den Einwand der Beschwerdeführerin II gegen die Zulassung des erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hauptantrags, der letztlich die korrekte Ausübung des Ermessens durch die Einspruchsabteilung in Frage stellt, nicht mehr eingegangen werden.

2. Hilfsantrag 1

2.1 Zulassung in das Verfahren

Die Beschwerdeführerinnen haben zwar die Verspätung des erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 gerügt, aber keine weiteren Argumente hinsichtlich Komplexität des Vorbringens und der gebotenen Verfahrensökonomie vorgetragen. Auch die Kammer hat diesbezüglich keine Einwände. Zudem wird die Einreichung des Hilfsantrags 1 als angemessene Reaktion auf die in der mündlichen Verhandlung verkündete vorläufige Auffassung der Kammer, dass Führungsschienen nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gehören, angesehen.

Die Kammer hat deshalb das ihr nach Artikel 13 (1) VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, ABl. EPA 2007, 536) eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

2.2 Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

2.2.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 kombiniert die Merkmale der Ansprüche 1 und 3 des Hauptantrags (Anspruch 3 entspricht dabei dem erteilten Anspruch 4) und ist jetzt auf eine Baugruppe bestehend aus einem Schiebedachsystem-Rollo und zwei Führungsschienen gerichtet. Ein solches Rollo gemäß Merkmal M1' und M10, bei dem die Spiralfedern zur Führung des Rollos in den Führungsschienen aufgenommen sind, ist bereits aus D7 bekannt (siehe Figuren 1, 4 oder 7). Das weitere Merkmal M11 gemäß Anspruch 3 des Hauptantrags, wonach sich der Teil der Spiralfedern, der sich außerhalb der Führungsschienen befindet, zusammen mit dem daran angebrachten Rollo von allein zu einem Wickel aufwickelt, wird - trotz geringer sprachlicher Abweichungen - als synonym zu dem bereits aus D7 bekannten Merkmal M4d angesehen.

Damit stellt sich nunmehr die Frage, ob die das Zusammenwirken zwischen den Spiralfedern und den Führungsschienen beschreibenden Merkmale M4e sowie M6 bis M8 auch in D7 gezeigt oder zumindest für den Fachmann nahegelegt sind.

2.2.2 Wie bereits in Bezug auf Merkmal M4d ausgeführt, werden im Streitpatent (Absatz [0007]) die Vorteile beschrieben, wenn anstelle einer auf die Wickelachse einwirkenden Feder zwei Spiralfedern verwendet werden, die unmittelbar auf das Rollo selbst einwirken. In diesem Zusammenhang wird auch gesagt, dass sich hieraus eine sehr geringe Zugkraft ergibt wie mit Merkmal M4e gefordert. Im Streitpatent ist allerdings nicht weiter ausgeführt, ob dies ein inhärentes Merkmal der beanspruchten Spiralfedern sein soll, oder ob dazu noch weitere Maßnahmen erforderlich sind.

Wie die Beschwerdegegnerin (hinsichtlich eines Klarheitseinwandes) selbst ausführt, sei dem Fachmann bei Lesen des Anspruchs 1 klar, dass der Rollowickel sich am Rollokasten oder der Führungsschiene abstütze. Diese Aussage steht in Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents in den Absätzen [0017] und [0018]. Zuerst wird in Absatz [0017] beschrieben, dass der Rollowickel an einer Wand anliegt, die den Aufnahmeraum für das aufgewickelte Rollo begrenzt. Anschließend wird in Absatz [0018] von einer konstanten Zugkraft gesprochen, die sich daraus ergibt, dass keine Feder vorhanden ist, die eine von der Stellung der Rollos abhängige Aufwickelkraft ausübt. Selbst wenn man also eine weitere strukturelle Einschränkung in dem Begriff "sehr geringe Zugkraft" gemäß Merkmal M4e mitlesen sollte, so ist auch in D7 (z. B. durch den Rollokasten in Figur 1; Figur 7 zeigt einen festen Abstand zwischen Längsbalken und der daran mittels Laschen befestigten Wickelachse) eine Abstützung des Rollowickels bzw. eine Begrenzung des Aufnahmeraums für das aufgewickelte Rollo gezeigt, die auf eine "sehr geringe Zugkraft" im Sinne des Streitpatents schließen lassen. Deshalb sieht die Kammer Merkmal M4e als in D7 offenbart an.

2.2.3 Eine Vorspannung der Spiralfedern und damit der erste Teil von Merkmal M6 ergibt sich bereits aus Merkmal M4c, welches wie weiter oben ausgeführt in D7 gezeigt ist. Hinsichtlich Merkmal M6 ist also noch zu bewerten, ob diese Vorspannung auch in D7 dazu führt, dass eine vergleichsweise hohe Reibung erzeugt wird. Der Begriff "vergleichsweise hohe Reibung" für sich alleine wäre sehr weit aufzufassen, wird aber durch Merkmal M7 dahingehend konkretisiert, dass eine Verstellung des Rollos von alleine in unverwünschter Weise verhindert wird. Damit wird also eine Abstimmung zwischen der in Merkmal M4e spezifizierten sehr geringen Zugkraft, die eine Rückstellkraft für das Rollo darstellt, und der Reibungskraft aus Merkmal M6 gefordert, die größer als die Zugkraft sein muss und in ihrer Wirkung noch näher mit Merkmal M7 spezifiziert wird. D7 schweigt sich bei der Beschreibung der Ausführungsbeispiele diesbezüglich aus und bemerkt lediglich z. B. in Bezug auf das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 7, dass das Rollo nach Belieben auf- und abgewickelt werden kann (Spalte 5, Zeilen 63-65: "may be withdrawn from and rolled up on the spindle as desired"). Da die Figuren auch nicht notwendigerweise ein Rollosystem mit allen seinen Bestandteilen zeigt (Figur 1 ist eine Teilzeichnung; in Figur 7 fehlt z. B. ein Rollokasten), sieht die Kammer auch das negative Merkmal M8 einer fehlenden separaten Rollobremse als nicht unmittelbar und eindeutig in D7 offenbart an, auch wenn D7 nicht explizit von einer Rollobremse anspricht. Sie folgt nicht der Auffassung der Beschwerdeführerin II, dass aufgrund einer in D7 nicht gezeigten Rollobremse eine Zugkraft der Spiralfeder kleiner als die Reibungskräfte in den Führungsschienen wirke, da ansonsten die Rolloanordnung nicht funktionsfähig sei, und damit alle Funktionsmerkmale aus Anspruch 1 für den Fachmann unmittelbar aus D7 hervorgingen.

2.2.4 Die Kammer sieht damit einen Unterschied zu der Lehre von D7 in den Merkmalen M6 bis M8, insbesondere im Verhältnis der Reibungskraft zu der Zugkraft gemäß Merkmal M4e, die nicht unmittelbar und eindeutig aus D7 hervorgeht. Damit ist die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber D7 anzuerkennen.

2.2.5 In Bezug auf Merkmal M8 ist die Kammer der Auffassung, dass dieses Merkmal in Form eines Disclaimers sich als Folge der mit den vorangegangenen Merkmalen spezifizierten Abstimmung zwischen Zugkraft und Reibungskraft ergibt. Damit ist dieses Merkmal nicht unabhängig von der in den Merkmalen M6 und M7 definierten Reibungskraft zu betrachten und löst keine separate Teilaufgabe.

Die Festlegung einer hohen Reibung gemäß Merkmal M6 soll bewirken, dass sich das Rollo nicht von allein in unerwünschter Weise verstellt, wie mit Merkmal M7 ausgedrückt, woraus auch der Verzicht auf eine separate Rollobremse gemäß Merkmal M8 folgt. Diese Merkmale zusammen spezifizieren also die Höhe der Reibungskraft über die beabsichtigte Wirkung bzw. das zu erzielende Ergebnis und im Verhältnis zur vorher definierten geringen Zugkraft. Die zu lösende objektive technische Aufgabe kann darin gesehen werden, ein Rollo bereitzustellen, das mit geringem Aufwand einerseits zuverlässig aufgewickelt werden kann und andererseits in jeder Stellung zuverlässig verbleibt.

2.2.6 Da die in D7 gezeigten Spiralfedern - wie bereits ausgeführt - aufgrund der eingebauten Vorspannung versuchen sich zusammenzurollen, werden sich die Spiralfedern auch innerhalb der langgestreckten Führungsschienen in D7 zu wölben versuchen. Dies hat zur Folge, dass Bereiche der Spiralfedern mit einer Normalkraft gegen die Führungsschienen drücken, und zwar auf jeden Fall das vordere Ende der Spiralfedern, abhängig vom Grad des Aufrollens, aber auch ein bauchiger Abschnitt der Spiralfedern innerhalb der Führungsschienen und/oder am Austrittsende aus den Führungsschienen. Dies ruft gemäß den bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten eine Reibungskraft hervor, die die Bewegung der Spiralfedern innerhalb der Führungsschienen zu hemmen versucht. Die Kammer sieht also bereits in D7 implizit eine Reibungskraft offenbart, allerdings ohne dass konkrete Angaben zur Größe bzw. Abstimmung der Reibungskraft im Vergleich zur Zugkraft der Spiralfedern angesprochen ist. Diese Reibkraft ist aber nicht nur von der Normalkraft bzw. der Anpresskraft abhängig, mit der die Spiralfedern gegen eine Innenwand der Führungsschienen drücken, sondern gemäß den bekannten und von den Parteien zitierten Reibungsgesetzen auch vom Reibbeiwert bzw. dem Reibungskoeffizienten, der eine charakteristische Größe für die Materialpaarung zwischen Spiralfeder und Führungsschiene darstellt.

Für den vor die oben genannte Aufgabe gestellten Fachmann ist es nach Auffassung der Kammer naheliegend, den Reibbeiwert ausreichend hoch zu wählen, um eine Selbsthemmung des Rollos zu erzielen, sei es durch Auswahl geeigneter Materialien oder auch durch Vorgabe einer bestimmten Oberflächenrauhigkeit zur Erhöhung der Reibung. Außerdem sind Schieberollos mit Selbsthemmung dem Fachmann für Gebäudefenster bekannt, und zwar insbesondere auch als manuell bedienbare Sonnenschutz- oder Verdunklungs­rollos für Dachfenster. Die Kammer kann nicht erkennen, warum der Fachmann ein solches Rollo mit entsprechender Abstimmung nicht auch bei einem Schiebedach einsetzen würde, insbesondere bei einem Schiebedach im Gebäudebereich wie mit Merkmal M1' lediglich verlangt. Damit gelangt der Fachmann in naheliegender Weise zu den Merkmalen M6 und M7. Im Übrigen hat die Beschwerdegegnerin bei Diskussion der Ausführbarkeit einen Fachmann angesetzt, dem eine Auslegung und Abstimmung des Rollos im Sinne der Merkmale M4e und M6 ohne großen Aufwand möglich sei, wobei dieser Fachmann auch der bei Diskussion der erfinderischen Tätigkeit anzusetzende Fachmann ist.

Der zusätzliche Verzicht auf eine Rollobremse wie mit Merkmal M8 gefordert kann nach Auffassung der Kammer keine erfinderische Tätigkeit begründen, denn dies ergibt sich für den Fachmann zwangsläufig bzw. zumindest in naheliegender Weise, wie auch im Streitpatent selbst ausgeführt (siehe Absatz [0018]: "... Erhöhung der Verschiebekraft, so daß man darüber eine Selbsthemmung erhält. Somit bleibt ein von Hand betätigtes Rollo in jeder Zwischenposition stehen, ohne daß eine zusätzliche Rollobremse notwendig ist.").

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass es ausgehend von D7 an einer Aufgabe fehle und D7 Ausführungsformen mit Antrieb (Figur 2) oder einem federbelasteten Gleiter zeige (Figur 6B), kann nicht überzeugen. Zum einen ist die objektive technische Aufgabe ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik, der in D7 insbesondere in Zusammenhang mit den Figuren 1 oder 7 gezeigt ist, anhand der Unterschiedsmerkmale zu definieren. Zum anderen weicht die in Figur 2 der D7 gezeigte Ausführung mit Spindelantrieb von den in Zusammenhang mit Figur 1 oder 7 beschriebenen, sich aufgrund der vorgespannten Spiralfedern selbst aufwickelnden Rollos ab und ist deshalb unbeachtlich. Dies gilt auch für das Ausführungsbeispiel in Figur 6B, welches ein Detail des in Figur 5 gezeigten Rollos zeigt (siehe Spalte 4, Zeilen 11 bis 14), welches wiederum eine alternative Ausführungsform zu den Figuren 1 und 7 darstellt.

2.2.7 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird deshalb als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen.

3. Anträge 1) bis 3) eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer

3.1 Im Verfahren vor der Beschwerdekammer rügte die Beschwerdegegnerin eine verspätete, mit der Beschwerdebegründung angeblich nicht ausreichend substantiierte Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 gegenüber Dokument D2 in der mündlichen Verhandlung erst, nachdem die Argumente diesbezüglich ausgetauscht und die Kammer sich eine vorläufige Meinung gebildet hatte.

3.2 Festzustellen ist, dass die Beschwerdeführerin II mit ihrer Beschwerdebegründung (Seite 8, Unterpunkt b)) einen Neuheitseinwand gegenüber D2 vorgebracht und dabei auf Zif. V der Einspruchsbegründung verwiesen hat. Zwar hat die Kammer in ihrer den Parteien mitgeteilten vorläufigen Auffassung (Punkt 7.1) darauf hingewiesen, dass es fraglich sei, ob dieser Einwand ausreichend substantiiert und Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurde dann allerdings zuerst die Patentfähigkeit gegenüber D2 diskutiert.

3.3 Abgesehen von der noch offenen Frage der ausreichenden Substantiierung der Einwände gegenüber D2 sah es die Kammer bei dieser Sachlage und angesichts der von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Anträge in Bezug auf die Diskussion von D2 (Zulassung der Angriffslinie ausgehend von D2, Unterbrechung der Verhandlung und Fortsetzung an einem anderen Tag, Zurückverweisung an die erste Instanz, Vorlage an die Große Beschwerde­kammer, Rüge nach Regel 106 EPÜ) als sachdienlich an, zunächst die angefochtene Entscheidung in Bezug auf erfinderische Tätigkeit gegenüber D7 zu überprüfen. Damit wird insbesondere berücksichtigt, dass die Einspruchsabteilung - anders als die Kammer - bereits die Neuheit des Anspruchs 1 mit den Merkmalen M1 bis M9 gemäß Hauptantrag gegenüber D7 anerkannt hat, da unter anderem die Merkmale M6 bis M8 nicht unmittelbar und eindeutig in D7 offenbart seien. Aus diesem Grund sieht die Kammer auch eine Argumentation ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 als zulässig an, auch wenn die angefochtene Entscheidung nur das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit für den Hauptantrag gegenüber dem Fachwissen des Fachmanns in Kombination mit D7 feststellt. Die Beschwerdegegnerin hatte im Übrigen diesbezüglich keine Einwände.

3.4 Da wie vorstehend ausgeführt Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber D7 und dem Fachwissen des Fachmanns nicht gewährbar ist, erübrigt es sich daher, auf die D2 betreffenden Anträge 1) bis 3) der Beschwerdegegnerin weiter einzugehen, die mangels Relevanz für dieses Verfahren zurückzuweisen sind. Dies gilt auch für die in diesem Zusammenhang beantragte Vorlage an die Große Beschwerdekammer und den Einwand nach Regel 106 EPÜ.

4. Hilfsantrag 2 bis 4

4.1 Die Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 4 enthalten als zusätzliches Merkmal einen Wickelkörper, der in Bezug auf das Rollo am hinteren Rand positioniert sein soll (Merkmal M12). Dieses aus der Beschreibung stammende Merkmal hat im bisherigen Verfahren, insbesondere auch bei den mit Schreiben vom 1. Februar 2018 gestellten und in der mündlichen Verhandlung zurückgezogenen Hilfsanträgen keine Rolle gespielt, so dass erstmals die Frage zu diskutieren wäre, ob dieses Merkmal nur in Verbindung mit weiteren Merkmalen ursprünglich offenbart ist und möglicherweise eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliegt. Zudem scheint der Begriff "hinterer Rand" einen Bezug zum Fahrzeug, insbesondere zu einer Orientierung in Fahrzeuglängsrichtung herzustellen, wobei die ursprüngliche Offenbarung in der Beschreibung (siehe Seite 4, Zeilen 12 bis 13 : "Im Bereich des hinteren Endes der Öffnung 7 befindet sich der hintere Rand des Rollos, an dem ein Wickelkörper 16 angebracht ist.") diesen Begriff in Beziehung zu der Öffnung des Fahrzeugsdachs stellt. Damit mögen sich weitere Fragen hinsichtlich unzulässiger Erweiterung sowie Klarheit des beanspruchten Gegenstands stellen.

4.2 Mit den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträgen 2 bis 4 wäre also erstmals in der mündlichen Verhandlung eine Diskussion zu führen zur Zulässigkeit von Änderungen, die nur eine Grundlage in der Beschreibung hätten und im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt haben. Unter Berücksichtigung des Standes des Verfahrens und der Verfahrensökonomie hat die Kammer deshalb in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK entschieden, Hilfsanträge 2 bis 4 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

4. Der Einwand nach Regel 106 EPÜ wird zurückgewiesen.

Quick Navigation