T 1660/15 () of 17.1.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T166015.20180117
Datum der Entscheidung: 17 Januar 2018
Aktenzeichen: T 1660/15
Anmeldenummer: 09765562.5
IPC-Klasse: B60T 8/00
B60T 17/22
B60T 13/68
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ÜBERWACHUNGSEINRICHTUNG ZUR ÜBERWACHUNG VON SYSTEMEN EINES FAHRZEUGS
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: WABCO GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 288 523 in geändertem Umfang Beschwerde eingelegt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 2 erfinderisch sei gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik.

II. Die Beschwerdeführerin argumentierte erstmals im Beschwerdeverfahren mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D5 (EP 1 541 437 A2) in Verbindung mit D6 (DE 103 20 608 A1) sowie folgenden, erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten Entgegenhaltungen:

D15: Datenkommunikation im Automobil, Christoph Marscholik, Peter Subke, 2007;

D16: SAE Technical Paper Series 860390, 1986;

D17: DE 10 2005 051 686 A1.

III. Am 17. Januar 2018 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung vom 24. Februar 2016 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

IV. Anspruch 1 gemäß dem im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrag 2 lautet (in Anlehnung an die von der Beschwerdeführerin verwendeten Merkmalsgliederung) wie folgt:

a) Überwachungseinrichtung zur Überwachung von Systemen eines Fahrzeugs,

a1) von denen wenigstens einige Systeme Selbstüber- wachungsroutinen zur Selbstüberwachung aufweisen,dadurch gekennzeichnet, dass

b) bei Detektierung einer Störung oder eines Fehlers in wenigstens einer einem ersten der Systeme in Form einer elektrischen Feststellbremseinrichtung (ECPB) zugeordneten Funktion durch Selbst­überwachungsroutinen dieses ersten Systems in Form der elektrischen Feststellbremseinrichtung (ECPB)

b1) ein zweites System (EBS) in Form einer elektrischen Betriebsbremseinrichtung (EBS) eines Zugfahrzeugs einer Zugfahrzeug-Anhängerkombination durch das eine, den Fehler oder die Störung aufweisende erste System in Form der elektrischen Feststellbremseinrichtung (ECPB) aktiviert wird,

c1) um durch dem zweiten System in Form der elektrischen Betriebsbremseinrichtung (EBS) zugeordnete Sensoren den Fehler oder die Störung in der wenigstens einen Funktion des ersten Systems in Form der elektrischen Feststellbrems- einrichtung (ECPB) zu erkennen und/oder einzugrenzen undc2) um ein Notlaufprogramm des zweiten Systems in Form der elektrischen Betriebsbremseinrichtung (EBS) als Ersatz für die gestörte Funktion des ersten Systems in Form der elektrischen Feststellbrems- einrichtung (ECPB) zu aktivieren.| |

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

D5 offenbare eine Ansteuerung von Bremskreisen, die im Normalbetrieb durch ein Zentralsteuergerät (EBS-ECU) erfolge und bei Fehlern von einer autarken Bremskreissteuerung übernommen werde (Absatz [0013]). Das Zentralsteuergerät könne Fehler melden, und zudem weise jedes der beiden Steuergeräte zwei Rechner zur gegenseitigen internen Überwachung auf, d. h. D5 zeige eine Überwachungseinrichtung gemäß Merkmal a) sowie eine Selbstüberwachung gemäß Merkmal a1).

Aus Absatz [0026] lasse sich eine Variante ableiten, bei der das Zentralsteuergerät ein erstes System in Form einer elektrischen Feststellbremseinrichtung darstelle und die autarke Bremskreissteuerung ein zweites System in Form einer elektrischen Betriebs­bremseinrichtung eines Zugfahrzeugs einer Zugfahrzeug-Anhängerkombination, welches ein Anhängersteuermodul aufweise (Abschnitt [0017] oder [0006]). Da das Zentralsteuergerät selbst einen Fehler melde und die autarke Bremskreissteuerung daraufhin die Berechnung der Sollwerte übernehme (Abschnitt [0013]), werde durch Selbstüberwachungsroutinen dieses ersten Systems das zweite System aktiviert im Sinne der Merkmale b), b1).

Die Übernahme der Berechnung der Bremssollwerte (vorher zentral im Zentralsteuergerät auf Grundlage des Signals des Bremspedalsensors erfolgt) durch die ebenfalls mit dem zweikreisig ausgebildeten Pedalsensor verbundene autarke Bremskreissteuerung für die Ansteuerung ihres Kreises könne als Notlaufprogramm des zweiten Systems als Ersatz für die gestörte, also nicht mehr zur Verfügung stehende Funktion des ersten Systems im Sinne von Merkmal c2) gesehen werden. Dieses Merkmal fordere nur irgendeine gestörte Funktion (wie die Berechnung der Sollwerte für die Ansteuerung der Bremskreise), nicht notwendigerweise eine gestörte Feststellbrems­funktion, da elektronische Steuersysteme (sowohl Betriebs- als auch Feststellbremssteuersysteme) häufig zusätzliche Funktionen aufwiesen. Es könne auch eine Funktion des Anhängersteuermoduls betreffen. Der Absatz [0028] von D5 beschreibe lediglich eine besondere Ausgestaltung der Ansteuerung der Feststellbremse durch das Zentralsteuergerät auf eine Eingabe eines Parkbremssignals aus Absatz [0026].

Es verbleibe noch Merkmal c1), wonach durch dem zweiten System zugeordnete Sensoren der Fehler oder die Störung in der wenigstens einen Funktion des ersten Systems in Form der elektrischen Feststellbremse erkannt und/oder eingegrenzt werde. Es sei dabei nicht notwendig, dass das zweite System den Sensor abfrage. Merkmal c1) sei auch so zu verstehen, dass das erste System den Sensorwert abfrage zur Erkennung oder Eingrenzung des Fehlers bzw. der Störung, was gestützt sei durch die Überwachungseinrichtung wie in Merkmal a) definiert sowie die Ausführungsformen gemäß Absatz [0033] und [0037] des Streitpatents. Davon gehe die im Folgenden vorgetragene Argumentationslinie aus.

Ausgehend von D5 stelle sich dem Fachmann die objektive Aufgabe, die Fehlerüberwachung durch die Überwachungs­einrichtung bei möglichst geringen Kosten möglichst sicher zu gestalten.

Zur Lösung dieser Aufgabe würde der Fachmann das in Abschnitt [0017] von D5 genannte Anhängersteuermodul in die Fehlerüberwachung einbeziehen und dessen korrekte Funktion mitüberwachen. Er würde ein bekanntes Anhängersteuermodul auswählen, in dem gemäß D17 ein Feststellbremskreis vorhanden sei, und in fachüblicher Weise wie in D17 beschrieben und in D5 gefordert, d. h. zweikreisig (elektrisch mit dem Zentralsteuergerät, elektrisch und/oder pneumatisch mit der autarken Bremskreissteuerung) ansteuerbar anschließen. Er würde den Feststellbremskreis des Anhängersteuermoduls mit dem Zentralsteuergerät verbinden, damit dieses gemäß den Angaben in D5 (Absatz [0026]) die Feststellbremse ansteuern könne, und zwar ergänzend zu der Ansteuerung der Bremskreise (vgl. Absatz [0013]). Wie D6 belege, eigne sich ein solches Anhängersteuermodul auch für den Einsatz in einer EBS-Anlage, in der die pneumatische Betätigung nicht über ein handbetätigbares Feststell­bremsventil erfolge, sondern - wie auch in Figur 1 des Streitpatents - über ein Parkbremsmodul. In D5 sei schon angedacht (Absatz [0019]), dass bei Hängern ohne pneumatische Bremssollwertübermittlung vom Zugfahrzeug das elektrische Ansteuersignal zweikreisig gebildet werde, d. h. sowohl das Zentralsteuergerät als auch die autarke Bremskreissteuerung seien an der Bildung des über die elektrische Schnittstelle zum Hänger gesendeten Bremssollwertes beteiligt. Bei Ausfall des Zentralsteuergeräts übernehme also die autarke Bremskreissteuerung die Bildung des Bremssollwerts des Anhängers. Um diesen Fehler zu erkennen, müsse das Zentralsteuergerät wissen, ob das Anhängersteuermodul den Bremsdruck wie angefordert einstelle. Es sei üblich, dass das Zentralsteuergerät eine Überwachungs­funktion besitze und Druckwerte abfrage. Es sei zudem fachüblich, sämtliche Komponenten einer Nutzfahrzeug-Bremsanlage - auch Anhängersteuermodule - zu überwachen und Sensordaten zwischen den Systemen auszutauschen, um Sensoren einzusparen und die Funktionalität der einzelnen Systeme zu maximieren. Dies führe zum Gegenstand von Anspruch 1, wie im Folgenden dargelegt.

Das Anhängersteuermodul gemäß D17 (oder D6) weise einen Drucksensor auf, der mit dem Steuergerät eines Bremskreises der elektrischen Betriebsbremseinrichtung in Verbindung stehe. Der Fachmann würde den Drucksensor bei der Anlage von D5 also mit der autarken Bremskreissteuerung verbinden. Sensoren würden für Regelungs- oder Überwachungsaufgaben eingesetzt. Das Bremssystem gemäß D5 weise einen Datenbus CAN-Bremse zur Verbindung der autarken Bremskreissteuerung mit dem Zentralsteuergerät auf. Es sei üblich, Sensordaten wie z.B. die Druckwerte des Drucksensors über den Datenbus anderen Systemen zur Verfügung zu stellen (siehe D15 oder D16), was die Anzahl der Sensoren reduziere. Der Fachmann würde daher bei dem System aus D5 mit angeschlossenem Anhängersteuermodul gemäß D17 die Drucksensor-Daten auch anderen Systemen zur Verfügung stellen, so dass auch das Zentralsteuergerät an die Daten des Drucksensors der autarken Bremskreissteuerung gelange. Es sei davon auszugehen, dass das die Feststellbremse steuernde Zentralsteuergerät auch über eine Fehlerüberwachung dieser Funktion verfüge, insbesondere auch der Feststellbremsfunktion des Anhängers über das Anhängersteuermodul, und dabei auf den über CAN zur Verfügung gestellten Wert des Drucksensors des Anhängersteuermoduls zugreifen könne. Da es wahrscheinlich sei, dass der Fachmann den Drucksensor des Anhängersteuermoduls, wenn es in der Anlage von D5 eingesetzt werde, mit der autarken Bremssteuerung verbinde, müsse der Fachmann zur Überwachung der Ansteuerung der Feststellbremse des Anhängers im Zentralsteuergerät den Druckmesswert des Drucksensors von der autarken Bremskreissteuerung zwangsläufig abfragen, was der in Merkmal c1) angegebenen Funktionalität entspreche.

Der in Anspruch 1 definierte Funktionszusammenhang sei also durch Anschluss des Anhängersteuermoduls wie in D5 gefordert gegeben. Das Zentralsteuergerät sei für alle Funktionen zuständig, so dass der Fachmann auch Fehler im Anhängersteuermodul erkennen und überwachen werde. Da das Anhängersteuermodul am zweiten System angeschlossen sei, müsse das Zentralsteuergerät den vom Anhängersteuermodul ausgesteuerten Druck kennen. Diese Druckinformation werde infolge Datenaustauschs zwischen den Systemen von der autarken Bremskreissteuerung übermittelt. Merkmal c1) könne also keine erfinderische Tätigkeit begründen.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Dokument D5 werde in Bezug auf Hilfsantrag 2 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung erstmals in der Beschwerdebegründung diskutiert, ebenso D15 bis D17. Ein Angriff basierend auf einer angeblich naheliegenden Kombination von D5 mit D17 und dem Fachwissens des Fachmanns sei nicht zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK).

In D5 werde weder explizit noch implizit offenbart, dass auf ein Feststellbremsanforderungssignal hin und bei einem Ausfall der EBS-ECU die Bremskreissteuerung für den Bremskreis der Vorderachse auch die Feststellbremse betätige. Absatz [0013] spreche bei einem Ausfall des Zentralsteuergeräts von einer Übernahme der Berechnung der Sollwerte durch die autarke Bremskreissteuerung für die Ansteuerung ihres Kreises, des Betriebsbremskreises für die Vorderachse. Gemäß Absatz [0028] müsse aber zum Betätigen der Feststellbremse noch ein zusätzlicher Aktuator die Radbremsen im zugespannten Zustand halten. Über dessen Ansteuerung bei Ausfall der EBS-ECU sei in D5 nichts gesagt, so dass Merkmal c2) nicht in D5 offenbart sei.

In Merkmal c1) seien Sensoren der elektrischen Betriebsbremseinrichtung gemeint (siehe Absatz [0037] des Streitpatents). Wie von der Einsprechenden eingeräumt, sei Merkmal c1) nicht in D5 offenbart.

Der Fehler oder die Störung in der Funktion des ersten Systems in Merkmal c1) oder c2), detektiert durch Selbstüberwachungsroutinen der elektrischen Feststellbremseinrichtung, beziehe sich auf die zuvor in Merkmal b) definierte Funktion, d.h. diese Merkmale seien logisch miteinander verbunden. Es gehe um das Erkennen eines Fehlers dieser bestimmten Funktion der Feststellbremse, der durch Sensoren der elektrischen Betriebsbremseinrichtung erkannt und/oder eingegrenzt werde, und ein Notlaufprogramm für diese Funktion. In D5 sei keine Funktion in diesem Zusammenhang gezeigt, da in D5 unabhängig von der ausgefallenen Funktion im Zentralsteuergerät nur die singuläre Berechnung der Bremssollwerte ersetzt werde.

Die Merkmale c1) und c2) bewirkten, dass ein passendes Notlaufprogramm als Ersatz für die gestörte Funktion der Feststellbremseinrichtung durch die elektrische Betriebsbremseinrichtung in Gang gesetzt werden könne. Die objektive Aufgabe bestehe darin, die Überwachungs­einrichtung derart fortzubilden, dass eine höhere Sicherheit gewährleistet werde.

Es gebe in D5 keine Anregungen, das in D5 erwähnte Anhängersteuermodul in die Fehlerüberwachung der Feststellbremse mit einzubeziehen, insbesondere da dieser Fehler auf eine bestimmte Funktion bezogen sei. Das Ausfallszenario in D5 (Absätze [007] und [0013]) betreffe immer den Ausfall des Zentralsteuergeräts und die Betriebsbremse. Im Hinblick auf höhere Sicherheit ließen sich D5 völlig andere Maßnahmen entnehmen.

Patentdokumente wie D17 seien nicht zum Beleg des Fachwissens des Fachmanns heranzuziehen. Zudem bleibe völlig offen, zu welchem Zweck in D17 der Druck in der Steuerleitung durch den Drucksensor gemessen und an das Steuergerät gemeldet werde. Der Fachmann würde das Anhängersteuermodul von D17 auch nicht in D5 einsetzen, weil es zum Betätigen der Feststellbremse in D17 durch ein handbetätigbares Feststellbremsventil pneumatisch betätigt werde, was in D5 nicht vorgesehen sei. Selbst wenn die Signale des Sensors des Anhängersteuermoduls von D17 auf dem Datenbus CAN zur Verfügung gestellt würden, so bliebe der Zweck dieser Signale völlig offen. Es ergebe sich kein Hinweis, sie zur Erkennung von Fehlern und Störungen in wenigstens einer Funktion einer Feststellbremseinrichtung heranzuziehen.

Entscheidungsgründe

1. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem im erstinstanzlichen Verfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrag 2 beruht ausgehend von der Druckschrift D5, die im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin als nächstliegender Stand der Technik angesehen wird, auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

1.1 Eine Überwachungseinrichtung im Sinne der Merkmale a) bis b1) ist in D5 zu erkennen, wenn von der in D5 in Absatz [0026] angesprochenen Variante ausgegangen wird, bei der das Zentralsteuergerät auf eine Eingabe eines Parkbremssignals hin auch die Feststellbremse ansteuert und somit als ein erstes System in Form einer elektrischen Feststellbremseinrichtung aufgefasst wird. Die autarke Bremskreissteuerung stellt dann ein zweites System in Form einer elektrischen Betriebsbrems­einrichtung eines Zugfahrzeugs einer Zugfahrzeug-Anhängerkombination dar (siehe auch Abschnitt [0017]). In dieser Ausgestaltung kann auch eine Aktivierung des zweiten Systems durch das fehlerhafte erste System als in D5 offenbart angesehen werden, da gemäß D5 bei Ausfall des Zentralsteuergeräts dieses einen Fehler meldet (siehe Absatz [0013]), also auch Routinen zur Selbstüberwachung aufweisen muss, woraufhin die autarke Bremskreissteuerung die Berechnung der Sollwerte für die Ansteuerung ihres Kreises übernimmt. Dies wurde seitens der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.

1.2 Strittig zwischen den Parteien war, ob auch Merkmal c2) in D5 offenbart ist. Die Aktivierung des zweiten Systems durch das fehlerhafte erste System gemäß Merkmal b1) hat zur Folge (wie durch das einleitende Wort "um" in Merkmal c2) ausgedrückt), dass ein Notlaufprogramm des zweiten Systems als Ersatz für die gestörte Funktion des ersten Systems aktiviert wird. Die gestörte Funktion bezieht sich dabei auf eine erstmals in Merkmal b) spezifizierte Funktion, welche dem ersten System in Form einer elektrischen Feststellbremseinrichtung, dem Zentralsteuergerät (siehe Punkt 1.1) "zugeordnet" ist. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass Anspruch 1 keine Einschränkung auf eine Feststellbremsfunktion fordert. Der Begriff "System" bzw. "Einrichtung" hat eine strukturelle bzw. gegenständliche Bedeutung. Wenn einem Gegenstand, wie z. B. einem Steuergerät, eine Funktion zugeschrieben bzw. "zugeordnet" wird, so bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass dieses Steuergerät nicht weitere Funktionen ausführen kann. Die Kammer folgt somit der Beschwerdeführerin insoweit, dass Anspruch 1 nur irgendeine gestörte Funktion innerhalb des ersten Systems fordert und nicht notwendigerweise eine gestörte Feststellbremsfunktion. Eine ersatzweise Betätigung der Feststellbremse durch die autarke Bremskreissteuerung ist also nicht erforderlich, auch keine Ansteuerung eines Aktuators der Feststellbremse wie in D5 in Absatz [0028] beschrieben.

Allerdings folgt die Kammer der Beschwerdegegnerin darin, dass die Merkmale b) bis c2) nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind. Gemäß Merkmal b) wird eine gestörte Funktion durch Selbstüberwachungsroutinen des ersten Systems detektiert, und für diese gestörte Funktion wird gemäß Merkmal c2) ersatzweise ein Notlaufprogramms des zweiten Systems aktiviert. Bei Ausfall des Zentralsteuergeräts in D5 übernimmt bzw. ersetzt die autarke Bremskreissteuerung die Funktion "Berechnung der Bremssollwerte" für die Ansteuerung ihres Kreises, also des Bremskreises der Vorderachse (siehe Absatz [0013]). Allerdings lässt D5 offen, ob gerade diese Funktion durch die Selbstüberwachung im Zentralsteuergerät als fehlerhaft bzw. gestört erkannt wurde. Deshalb kann Merkmal c2) lediglich zu Teilen als in D5 offenbart angesehen werden, indem allenfalls ein Notlaufprogramm des zweiten Systems als Ersatz für eine Störung (und nicht "für die gestörte Funktion") des ersten Systems offenbart ist.

1.3 Unstrittig zwischen den Parteien war, dass Merkmal c1) nicht in D5 gezeigt ist. D5 zeigt lediglich eine Fehlererkennung durch gegenseitige interne Überwachung der sowohl im Zentralsteuergerät als auch in der autarken Bremskreissteuerung jeweils enthaltenen zwei Rechner (Absatz [0014]), also eine Selbstüberwachung jedes der beiden Systeme. Es wird in D5 nichts darüber ausgesagt, dass der "Fehler oder die Störung in der wenigstens einen Funktion des ersten Systems" durch dem zweiten System zugeordnete Sensoren erkannt und/oder eingegrenzt wird, wie mit Merkmal c1) gefordert.

Die Argumentationslinie der Beschwerdeführerin geht davon aus, dass der Begriff "dem zweiten System zugeordnete Sensoren" nicht notwendigerweise bedeutet, dass das zweite System in Form der elektrischen Bremssteuereinrichtung (also die autarke Bremssteuerung in D5) den Sensorwert abfragt, sondern dies auch durch das erste System erfolgen könne. Dem kann die Kammer folgen, da das Streitpatent (siehe z. B. Absatz [0033]) eine Interpretation in diesem Sinne stützt. In dem im Streitpatent beschriebenen Ausführungsbeispiel gehört das Anhängersteuermodul TCM zur elektrischen Betriebsbremseinrichtung EBS, d.h. der Drucksensor des Anhängersteuermoduls ist dem zweiten System gemäß Anspruch 1 zugeordnet. Der Ausgangsdruck an port 22 des Anhängersteuermoduls (siehe auch Figur 3) wird vom Drucksensor des Anhängersensors erfasst und an die EBS-ECU übermittelt. Über den CAN-Datenbus wird der Druck auch dem Steuergerät der elektrischen Feststellbrems­einrichtung, also dem ersten System gemäß Anspruch 1 zur Verfügung gestellt und von diesem System abgefragt.

Im Einklang mit der Lehre des Streitpatents (siehe auch Absatz [0037]) wird der Ausdruck "durch dem zweiten System in Form der elektrischen Betriebsbrems­einrichtung (EBS) zugeordnete Sensoren" durch die Kammer aber dahingehend ausgelegt, dass es sich um Sensoren handelt, die mit dem zweiten System verbunden sind und diesem Messdaten übermitteln.

1.4 Die Kammer stimmt der von den Parteien formulierten Formulierung der objektiven Aufgabe zu, dass ausgehend von D5 die Überwachungseinrichtung bei möglichst geringen Kosten möglichst sicher zu gestalten sei.

1.4.1 Die Beschwerdeführerin sieht die Einbeziehung des in D5 genannten Anhängersteuermoduls (Absatz [0017]) in die Fehlerüberwachung als naheliegend an. Die Kammer kann der Beschwerdeführerin noch insoweit folgen, dass der Fachmann bekannte Anhängersteuermodule wie in D17 oder D6 beschrieben (welche auch die Feststellbremse ansteuern) auswählen und wie in D5 gefordert zweikreisig anschließen würde. Denn D5 beschreibt bereits detailliert die zweikreisige Anbindung eines Anhängersteuermoduls, welches elektrisch mit dem Zentralsteuergerät und elektrisch und/oder pneumatisch mit der autarken Bremskreissteuerung verbunden ist. Neben einer pneumatischen Ansteuerung des Anhängers kann auch eine elektrische Ansteuerung vorgesehen sein. Bei Verzicht auf eine pneumatische Bremssollwert­übermittlung vom Zugfahrzeug sind gemäß D5 aufgrund der geforderten Zweikreisigkeit das Zentralsteuergerät und die autarke Bremskreissteuerung an der Bildung des Bremssollwertes beteiligt (Absätze [0017] bis [0019]). Wenn wie weiter oben ausgeführt (siehe 1.1) das Zentralsteuergerät die Feststellbremse ansteuert, ist der Feststellbremskreis des Anhängersteuermoduls mit dem Zentralsteuergerät zu verbinden. Bei Ausfall des Zentralsteuergeräts wird aufgrund der Zweikreisigkeit die autarke Bremskreissteuerung die Bildung des Bremssollwertes für den Hänger übernehmen.

1.4.2 Bekannte Anhängersteuermodule mögen einen Drucksensor aufweisen, wie von der Beschwerdeführerin mit Verweis auf D17 oder D6 argumentiert. Die Kammer kann aber nicht erkennen, dass der Fachmann ausgehend von D5 den Drucksensor in naheliegender Weise mit der autarken Bremskreissteuerung in D5 verbinden würde. Das in D5 gezeigte Zentralsteuergerät ist das übergeordnete Steuergerät des EBS-Systems, welches im Normalfall die Bremsen aller Achsen des Zugfahrzeugs ansteuert und die Sollwerte für die Ansteuerung der Bremskreise berechnet (siehe Absatz [0013]), was auch für den Bremssollwert des Anhängers gelten wird. Es ist also naheliegend, dem Zentralsteuergerät alle Systeminformationen bereitzustellen, also auch die Daten des Drucksensors des Anhängersteuermoduls. Dies wird durch die Lehre von Dokument D17 gestützt, welches (Absatz [0015]) ein Anhängersteuermodul eines elektronischen Bremssystems EBS eines Zugfahrzeugs zeigt mit einem Drucksensor, der mit einem elektronischen Steuergerät - in D17 kann es sich nur um das EBS-Steuergerät handeln - verbunden ist (siehe Absatz [0018]). D17 zeigt keine unterlagerte autarke Bremskreissteuerung. Dies trifft ebenso auf D6 zu (siehe Figur 2), wobei D6 im Übrigen ein von D5 abweichendes Sicherheitskonzept aufweist und von der Beschwerdeführerin nur angeführt wurde in Reaktion auf den Einwand der Beschwerdegegnerin, dass in D17 im Gegensatz zu D5 ein pneumatisch betätigtes Feststellbremsventil vorgesehen sei.

Legt man die von der Kammer getroffene Auslegung des Merkmals c1) zugrunde (siehe Punkt 1.3), ist es also nicht naheliegend, ausgehend von D5 den Drucksensor eines bekannten Anhängersteuermoduls der autarken Bremskreissteuerung und in D5 damit dem zweiten System in Form der elektrischen Betriebsbremseinrichtung "zuzuordnen". Auch wenn man in naheliegender Weise ein bekanntes Anhängersteuermodul (siehe D17 oder D6) mit dem in D5 gezeigten elektronischen Bremssystem kombinieren würde, führt dies also noch nicht zu Merkmal c1) und damit zum Gegenstand von Anspruch 1.

1.4.3 Im Übrigen ergibt sich ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik auch unter Berücksichtigung von D6 oder D15 bis D17 nicht der mit Anspruch 1 definierte Funktionszusammenhang. Selbst wenn der Drucksensor eines Anhängersteuermoduls (wie von der Beschwerdeführerin argumentiert) mit der autarken Bremskreissteuerung verbunden wäre und ein Austausch von Sensordaten mit dem Zentralsteuergerät naheliegend sein mag (wie unter Verweis auf D15 und D16 argumentiert), so fehlt in D5 jede Anregung, das Anhängersteuermodul in die Fehlerüberwachung des Zentralsteuergeräts, also des ersten Systems in Form einer elektrischen Feststellbremseinrichtung, im Sinne von Anspruch 1 mit einzubeziehen.

Die Merkmale b) bis c2) geben eine logische Kette von Maßnahmen in der beanspruchten Überwachungseinrichtung an. Die Detektion einer Störung oder eines Fehlers in einer Funktion des ersten Systems durch Selbstüberwachungsroutinen dieses ersten Systems (Merkmal b)) führt zunächst zu einer Aktivierung des zweiten Systems (Merkmal b1)), in dessen Folge (wie durch das einleitende Wort "um" in den Merkmalen c1) und c2) ausgedrückt) durch dem zweiten System zugeordnete Sensoren der Fehler in der Funktion des ersten Systems erkannt/eingegrenzt wird (Merkmal c1)) und als Ersatz für die gestörte Funktion des ersten Systems ein Notlaufprogramm des zweiten Systems aktiviert wird (Merkmal c2)). Diese logische Folge ist ausgehend von D5 nicht nahegelegt.

Wie bereits ausgeführt, mögen die Merkmale b) und b1) noch in D5 gezeigt sein, indem das Zentralsteuergerät einen Fehler meldet, die als Aktivierung der autarken Bremskreissteuerung in D5 aufgefasst werden kann. Auf diese Fehlermeldung hin beschreibt D5 lediglich, dass die autarke Bremskreissteuerung die Berechnung der Sollwerte ihres Kreises (der Vorderachse) übernimmt. Es mag zwar noch naheliegend sein, dass die autarke Bremskreissteuerung bei Ausfall des Zentralsteuergeräts auch den Sollwert für die Ansteuerung des Anhängers bzw. dessen Feststellbremse vorgibt (siehe Absatz [0019] in D5), was einem Notlaufprogramm im Sinne von Merkmal c2) entsprechen würde. Die Kammer kann aber nicht erkennen, dass in Folge der Aktivierung der autarken Bremskreissteuerung in D5 eine Fehlererkennung oder -eingrenzung im Sinne von Merkmal c1) nahegelegt wäre, d. h. dass durch dem zweiten System in Form der autarken Bremskreissteuerung in D5 zugeordnete Sensoren das Zentralsteuergerät als erstes System diese Sensordaten (es wurde weiter oben angenommen, dass der Drucksensor mit der autarken Bremskreissteuerung verbunden sei) über den Datenbus abfragen und zur Fehlererkennung nutzen würde. Dies setzt voraus, dass das Zentralsteuergerät auch nach Detektion einer gestörten Funktion durch Selbstüberwachungsroutinen im Sinne von Merkmal b) noch weitere Maßnahmen zur Fehlererkennung oder -eingrenzung vornehmen würde. Dazu findet sich in D5 kein Hinweis.

Die Argumentation der Beschwerdeführerin hinsichtlich Merkmal c1) beruht auf einer isolierten Betrachtung dieses Merkmals, wenn eine Erkennung eines Fehlers im Anhängersteuermodul bzw. der Feststellbremsfunktion des Anhängers durch Auswertung des Messwertes des Drucksensors im Zentralsteuergerät als naheliegend unterstellt wird. Dies mag zwar gelten für den Normalbetrieb des Bremssystems eines Zufahrzeugs mit Anhänger wie in D5 beschrieben, jedoch nicht in Folge eines Ausfalls des Zentralsteuergeräts.

2. Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des vorliegenden Anspruchs 1 ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik und unter Berücksichtigung der Druckschriften D15 bis D17 sowie D6 nicht in Frage gestellt ist. 3. Es erübrigt sich daher, auf die Frage der Zulassung der erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Druckschriften D15 bis D17 sowie der Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D5 einzugehen.| |

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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