T 1609/15 () of 5.12.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T160915.20191205
Datum der Entscheidung: 05 Dezember 2019
Aktenzeichen: T 1609/15
Anmeldenummer: 08701033.6
IPC-Klasse: B67C 3/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR REINIGUNG VON GETRÄNKEABFÜLLANLAGEN
Name des Anmelders: aquagroup AG
Name des Einsprechenden: Krones AG
Innowatech GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 113(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(6)
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung
Spät vorgebrachte Argumente - Verlegung der mündlichen Verhandlung wäre erforderlich gewesen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0932/99
T 1704/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende 2 hat gegen die Entscheidung, mit der ihr Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP 2 114 815 zurückgewiesen wurde, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt. Eine gleichfalls von der Einsprechenden 1 (Krones AG) wirksam eingelegte Beschwerde wurde von dieser mit Schriftsatz vom 28. November 2019 zurückgenommen, mit der Folge, dass diese Einsprechende damit am Beschwerdeverfahren nicht mehr beteiligt ist.

II. Im Einspruchsverfahren war das Patent in vollem Umfang unter Geltendmachung der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) (fehlende Neuheit und erfinderische Tätigkeit), b) und c) EPÜ angegriffen worden.

III. Die vorliegende Entscheidung stützt sich auf den von der offenkundigen Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" dargestellten Stand der Technik.

IV. Die verfahrensbestimmenden Anträge der Parteien zu Beginn des Beschwerdeverfahrens waren wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beantragt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

das Streitpatent vollständig zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt,

beide Beschwerden zurückzuweisen und

das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

V. Mit einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents nicht erfinderisch gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" in Kombination mit der allgemeinen Fachwissen angesehen werde.

VI. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 5. Dezember 2019 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll Bezug genommen. Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

VII. Die Antragslage der Parteien zum Ende der mündlichen Verhandlung blieb unverändert (siehe Punkt IV. oben).

VIII. Der entscheidungserhebliche Vortrag der Parteien wird im Detail in den Gründen dieser Entscheidung diskutiert.

IX. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet:

Verfahren zur Reinigung von Getränkeabfüllanlagen, bei dem eine oder mehrere Getränkeabfüllvorrichtungen (30) mit einem Abfüllkopf (32) in einer Getränkeabfüllkammer (20) der Getränkeabfüllanlage während des Betriebs der Getränkeabfüllanlage kontinuierlich oder intermittierend mit einem von nativem Wasser verschiedenen, wässrigen, gesundheitlich unbedenklichen, bei Umgebungstemperatur vorliegenden Reinigungsmedium (110) gespült werden, wobei auch eine Fördereinrichtung (60) zum Transportieren der Behälter (40a) bei ihrer Bewegung durch die Getränkeabfüllkammer (20) kontinuierlich oder intermittierend mit Reinigungsmedium (110) gespült wird.

Entscheidungsgründe

1. Rechtliches Gehör

Obwohl die Beschwerdeführerin nicht an der mündlichen Verhandlung teilnahm, wurde das Prinzip des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ nicht verletzt, da es ausreicht, dass sie die Gelegenheit dazu hatte, gehört zu werden.

Durch das Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung verzichtet die fernbleibende Partei auf diese Möglichkeit (siehe die Erläuterung zu Artikel 15 (3) VOBK, zitiert in T 1704/06, nicht veröffentlich im ABl. EPA, sowie die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Abschnitte III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3).

Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin sich schriftsätzlich geäußert, und dieses Vorbringen ist in dieser Entscheidung berücksichtigt (Artikel 15 (3) VOBK).

2. Zulassung der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Änderungen des Vorbringens der Beschwerdegegnerin

In der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass die offenkundige Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" insgesamt zu bestreiten sei, weil diese auf widersprüchlichen Aussagen von unglaubwürdigen Zeugen basiere und dass nicht bewiesen worden sei, dass die Anlage der Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" im Betrieb das beanspruchte Verfahren ausführte.

Ferner bestreitet die Beschwerdegegnerin, dass die Anlage der Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" eine streitpatentgemäße Getränkeabfüllkammer aufweise. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass eine Einhausung bzw. Abfüllkammer in der obigen Anlage vorhanden sei, stütze sich auf Fotos, die die Anlage falsch darstellten.

Die Beschwerdegegnerin argumentiert ferner, dass die Abfüllkammer den Kern der Erfindung darstelle, wie es der Fachmann aus der Patentschrift, insbesondere aus der Figur 1 und aus den Absätzen [0019] und [0022] entnehme.

Wie von der Beschwerdegegnerin ausdrücklich eingeräumt, wurden die obigen Einwände zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung vorgebracht.

Die Zulassung ins Verfahren der obigen Einwände steht daher im Ermessen der Kammer gemäß Artikel 13 VOBK.

Die Kammer sieht keine besonderen Gründe, warum die obigen Einwände erst in der mündlichen Verhandlung erhoben wurden.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass sie bis zur mündlichen Verhandlung der Auffassung gewesen wäre, eine Einigung mit der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) erzielen zu können, ist nicht zielführend, da das entsprechende Verhalten bzw. Strategie der Beschwerdegegnerin der gebotenen Verfahrensökonomie widerspricht (siehe Artikel 12 (2) und 13 (1) VOBK).

Es ist ferner zu beachten, dass, sollten die Einwände der Beschwerdegegnerin entgegen den Vorgaben der Artikel 13 (3) und 15 (6) VOBK ins Verfahren zugelassen werden, der Beschwerdesache die ansonsten eigentlich bestehende Entscheidungsreife wieder entzogen wäre und die mündliche Verhandlung stattdessen vertagt werden müsste, um das Thema der bis zur Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin unstreitigen offenkundigen Vorbenutzung bzw. der Zeugeneinvernahme zu behandeln.

Die Kammer entscheidet daher unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) und (3) VOBK, das neue Vorbringen der Beschwerdegegnerin ins Verfahren nicht zuzulassen.

3. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

3.1 Die Kammer kann sich der Beschwerdegegnerin nicht anschließen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von der Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" nicht nur durch das Merkmal 1.9, sondern auch durch die Merkmale 1.1 und 1.3 gemäß der Merkmalsanalyse der Einspruchsabteilung unterscheide, wobei diese Merkmale lauten:

"...bei dem eine oder mehrere Getränkeabfüllvorrichtungen mit einem Abfüllkopf in einer Getränkeabfüllkammer der Getränkeabfüllanlage..." (Merkmal 1.1),

"... (eine oder mehrere Getränkeabfüllvorrichtungen) ..kontinuierlich oder intermittierend...(gespült werden)..." (Merkmal (1.3),

"... (eine Fördereinrichtung)... kontinuierlich...(gespült wird)..." (Merkmal 1.9).

3.2 Bezüglich des Merkmals 1.1 bestreitet die Beschwerdegegnerin, dass die Anlage "Altmühltaler Mineralbrunnen" eine streitpatentgemäße Getränkeabfüllkammer aufweist.

In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer nach Prüfung der angefochtenen Entscheidung und Diskussion des Parteivorbringens unter Punkten 11.2 bis 11.6 ihre vorläufige Beurteilung angegeben, dass entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung eine Getränkeabfüllkammer gemäß Anspruch 1 in der "Altmühltaler Mineralbrunnen" vorhanden ist.

Die Kammer hat zudem mitgeteilt, dass sie die Auffassung der Einspruchsabteilung nicht teilt, dass der Begriff "Getränkeabfüllkammer" unklar sei und eine Interpretation benötige. Vielmehr hat die Kammer darauf hingewiesen, dass sie im Wesentlichen der Argumentation der Beschwerdeführerin, wie auch der zum damaligen Zeitpunkt noch verfahrensbeteiligten Einsprechenden 1, folge, derzufolge eine Anspruchsauslegung, bei der nur in der Beschreibung genannte Merkmale als notwendige Einschränkungen der Ansprüche hineingelesen werden, nicht mit dem Übereinkommen vereinbar ist (siehe die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, II.A.6.3.4, insbesondere T 932/99, im ABl. EPA nicht veröffentlicht).

Die Kammer teilte überdies ihre Beurteilung mit, dass eine Getränkeabfüllkammer einer Getränkeabfüllanlage für einen Fachmann allgemein eine Kammer innerhalb der Getränkeabfüllanlage ist, in der das Abfüllen der Getränke vorgenommen wird. Dabei kann innerhalb dieser Kammer bedarfsabhängig auch der jeweilige Behälter verschlossen werden.

Die Beschwerdegegnerin hat zu diesen Erwägungen nicht Stellung genommen.

Nach erneuter Prüfung des Vorbringens der Parteien, schließt sich die Kammer der Beschwerdeführerin II an, in dem die Einhausung der offenkundigen Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" wohl als eine Getränkeabfüllkammer anzusehen ist.

3.3 Die Kammer kann ferner die Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht teilen, dass die Alternative, dass die Getränkeabfüllvorrichtungen intermittierend gespült werden im Sinne des Streitpatents, gemäß Absatz [0015] so auszulegen sei, dass die Reinigung in vorgegebenen Zeitabständen stattfinden soll.

Wie im Punkt 11.11 der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK angegeben, können die in Merkmal 1.3 verwendeten Begriffe "nicht kontinuierlich" und "intermittierend" in deren breiter Auslegung als gleichbedeutend angesehen werden. Ferner, wie oben bezüglich des Merkmals der Getränkeabfüllkammer ausgeführt, ist eine Anspruchsauslegung, bei der nur in der Beschreibung genannte Merkmale als notwendige Einschränkungen der Ansprüche hineingelesen werden, nicht mit dem Übereinkommen vereinbar.

Die Kammer hält daher an der in Punkt 11.11 ihrer Mitteilung angegebenen Meinung fest, dass das Merkmal, dass die Getränkeabfüllvorrichtungen "kontinuierlich oder intermittierend" gespült werden, keine beschränkende Wirkung für den Gegenstand des Anspruchs 1 hat, da keine weitere Alternative zu sehen ist. Sie hält auch ihre Beurteilung aufrecht, dass ebenfalls bei der offenkundigen Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" dieses Merkmal vorhanden ist.

3.4 Die Kammer ist daher von der Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht überzeugt und bleibt bei der in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK angegebenen Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 von der offenkundigen Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" sich nur durch das Merkmal 1.9 unterscheidet, dass die Fördereinrichtung "kontinuierlich" gespült wird.

In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer im Punkt 11.15 ihre Meinung mit, dass, sobald gespült wird, diese Spülung nur kontinuierlich oder nicht kontinuierlich bzw. intermittierend stattfinden kann. Es handelt sich dabei um eine Auswahl zwischen zwei Alternativen, deren Vorteile und Nachteile der Fachmann bewerten kann, um dann entsprechend zu entscheiden, welche Möglichkeit zu seinen Bedürfnissen am besten passt, wobei es anzumerken ist, dass im Streitpatent keine technische Wirkung für das kontinuierliche Spülen explizit angegeben wird.

Das unterscheidende Merkmal des Gegenstandes des Anspruchs 1 wird daher als das Ergebnis einer Auswahl zwischen zwei gleichwertigen und naheliegenden Alternativen angesehen (siehe auch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, I.D.9.19.10).

3.5 Die Beschwerdegegnerin hat bezüglich dieser Argumentationslinie zu keinem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren Gegenargumente vorgebracht, und zwar weder im schriftlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung (siehe auch Punkt 11.14, erster Absatz, der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK). Die Kammer sieht daher nach nochmaliger Würdigung des Sach- und Rechtslage keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen.

3.6 Es sei darauf hingewiesen, dass die erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argumentationslinie bezüglich der erfinderischen Tätigkeit, die auf das Merkmal der Getränkeabfüllkammer als Kern der Erfindung abstellt, nicht berücksichtigt werden muss, weil die entsprechenden Argumente in Bezug auf das Vorhandensein einer Getränkeabfüllkammer in der Vorbenutzung "Altmühltaler Mineralbrunnen" ins Verfahren nicht zugelassen worden sind (siehe Punkt 2 oben).

3.7 Die Kammer ist daher der Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne vom Artikel 56 EPÜ beruht und die Beschwerdeführerin in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung betreffend den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ dargetan hat.

4. Da keine weiteren zulässigen Anträge seitens der Beschwerdegegnerin vorliegen, kommt die Kammer zum Ergebnis, dass das Streitpatent insgesamt zu widerrufen ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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