T 1601/15 () of 4.12.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T160115.20191204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2019
Aktenzeichen: T 1601/15
Anmeldenummer: 06829241.6
IPC-Klasse: B29C45/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Betätigungsvorrichtung für Verschlussnadeln in Spritzgießvorrichtungen mit Nadelverschlussdüsen
Name des Anmelders: Günther Heisskanaltechnik GmbH
Name des Einsprechenden: Ewikon Heisskanalsysteme GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein: Hauptantrag und Hilfsantrag 1; ja: Hilfsantrag 2)
Orientierungssatz:

Der Fachmann bedarf keiner Anregung, um sein Fachwissen zur Anwendung zu bringen (siehe Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe)

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2197/16
T 2622/19
T 1426/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 1 943 078 (im Nachfolgenden als "das Patent" bezeichnet) aufrechterhalten werden kann.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags (erteiltes Patent) nicht neu sei gegenüber der von ihr als bewiesen anerkannten Vorbenutzung, dass aber der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags den Erfordernissen von Artikel 54 und 56 EPÜ (1973) genüge.

Im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung wurden von der Einspruchsabteilung unter anderem folgende Beweismittel berücksichtigt:

E5: Technische Zeichnung der Firma Ewikon;

E6: Technische Zeichnung "Zugleiste "rechts"" der Firma Ewikon.

Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Druckschriften sind folgende im Beschwerdeverfahren besonders relevant:

D1: EP 1 025 974 A2

D12: JP H5-42568 A

D13: US 6,461,143 B1

Zusammen mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Titel "Kohlenstoffschichten: Grundlagen, Schichttypen und Eigenschaften", datiert auf November 2005, eingereicht. Diese Richtlinien werden im Folgenden als Druckschrift "D15" bezeichnet.

Zusammen mit ihrem Schriftsatz vom 31. Oktober 2019 hat die Beschwerdeführerin zusätzlich noch die VDI-Richtlinie 3824 ("Qualitätssicherung bei der PVD- und CVD-Hartstoffbeschichtung") eingereicht. Sie wird nachfolgend als Druckschrift "D16" bezeichnet.

II. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 4. Dezember 2019 statt.

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß dem mit Schriftsatz vom 4. November 2019 eingereichten Hilfsantrag 1 oder einem der in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2019 eingereichten Hilfsanträge 2 bis 4 oder dem mit Schriftsatz vom 4. November 2019 eingereichten Hilfsantrag 5 aufrechtzuerhalten.

IV. Anspruch 1 des nunmehrigen Hauptantrags, von dem die Einspruchsabteilung der Auffassung war, dass er den Erfordernissen des EPÜ genüge, lautet wie folgt:

"Betätigungsvorrichtung (10) für Verschlussnadeln in Spritzgießwerkzeugen

a) mit Nadelverschlussdüsen,

b) mit einem Hubelement (20), an dem wenigstens zwei Verschlussnadeln (16) zweier Nadelverschlussdüsen festlegbar sind und das zwischen zwei in einer ersten Richtung (R1) längsverschieblich gelagerten Steuerschienen (30) in einer zu der ersten Richtung (R1) quer verlaufenden zweiten Richtung (R2) bewegbar ist, und

c) mit wenigstens zwei Gleitelementen (50), die eine Bewegung der Steuerschienen (30) entlang der ersten Richtung (R1) in eine Hubbewegung des Hubelements (20) in der zweiten Richtung (R2) umsetzen

d) wobei das Hubelement (20) längsseits zwischen den Steuerschienen (30) angeordnet ist, und

e) wobei die Gleitelemente (50) zwischen dem Hubelement (20) und den Steuerschienen (30) in zu der ersten Richtung (R1) und der zweiten Richtung (R2) schräg verlaufenden Nuten (40) angeordnet sind,

dadurch gekennzeichnet,

f) dass relativ zueinander bewegte und somit verschleißgefährdete Bauteile, insbesondere die Steuerschienen (30) und/oder die Gleitelemente (50), zumindest teilweise aus einem diamantartigen Material gefertigt oder zumindest teilweise mit einem selbstschmierenden oder einem diamantartigen Material beschichtet sind."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch ein geändertes Merkmal f) und ein neu aufgenommenes Merkmal g):

"f) dass, die Steuerschienen (30) und/oder die Gleitelemente (50) als relativ zueinander bewegte und somit verschleißgefährdete Bauteile, zumindest teilweise aus einem diamantartigen Material gefertigt oder zumindest teilweise mit einem diamantartigen Material beschichtet sind,

g) dass die aufgrund einer Relativbewegung verschleißenden Gleitelemente austauschbar angeordnet sind.".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch ein geändertes Merkmal f) und ein neu aufgenommenes Merkmal g):

"f) dass die Steuerschienen (30) und/oder die Gleitelemente (50), als relativ zueinander bewegte und somit verschleißgefährdete Bauteile, zumindest teilweise aus einem diamantartigen Material gefertigt oder zumindest teilweise mit einem selbstschmierenden oder einem diamantartigen Material beschichtet sind, und

g) dass die Gleitelemente (50) seitlich in das Hubelement (20) eingelassen sind.".

V. Die Parteien haben Folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit

i) Beschwerdeführerin

Dem Gegenstand von Anspruch 1 fehle es an der erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination des Gegenstands der offenkundigen Vorbenutzung mit (a) einer der Druckschriften D12 oder D13, oder (b) dem allgemeinen Fachwissen, wie es aus den Druckschriften D15 oder D16 hervorgehe.

Der Unterschied zum Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung bestehe darin, dass dort eine Zugleiste aus Bronze mit Schmiermitteln eingesetzt werde.

Bronze sei ein sehr teurer und weicher Werkstoff, den der Fachmann gerne umgehen würde. Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, eine Alternative zum selbstschmierenden Material zu finden. Die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe sei nicht angemessen, da sie von den Unterscheidungsmerkmalen gar nicht gelöst werde, denn der Anspruch umfasse auch Ausführungsformen mit selbstschmierender Beschichtung. Damit würde aber keine Verbesserung der Gleiteigenschaften erreicht.

Es stelle sich für den Fachmann also die Frage, wie er bei der Verwendung von Stahl die erforderlichen Gleiteigenschaften bzw. wenig Materialabrieb erreichen könne. Der Wunsch, eine Vorrichtung kostengünstiger zu machen und kein Material zu verwenden, das nur von bestimmten Herstellern angeboten würde, sei für den Fachmann Anlass genug, sich über alternative Ausgestaltungen der Gleitelemente Gedanken zu machen. Werkzeugstahl würde im Werkzeugbau grundsätzlich gerne zum Einsatz gebracht. Die Verwendung einer reibungsvermindernden Gleitschicht aus Hartstoff sei Teil seines Werkzeugkastens.

Die Druckschriften D12 und D13 seien durchaus einschlägig, da sie sich mit den gleichen Phänomenen im gleichen Bauteil befassten. In der Spalte 3 der Druckschrift D13, Zeilen 17 bis 21, werde die Reibung zwischen Maschinenteilen angesprochen ("... In order to allow the above described guide protrusions to move with the least possible friction over the surface co-acting therewith, the guide protrusions may co-act with the adjacent surface by means of a friction-reducing coating, for instance TiN, DLC (diamond-like carbon). ...").

Selbst wenn dem Fachmann diese Druckschriften nicht zur Verfügung stünden, würde ihn sein Fachwissen zur Erfindung führen. Dies gehe aus der Druckschrift D15 klar hervor (siehe die Einleitung und die Tabelle 2).

Die Argumentation der Beschwerdegegnerin werde dem Fachmann auf dem Gebiet der Spritzgießvorrichtungen nicht gerecht. Solche Vorrichtungen würden sehr viele zueinander bewegte Elemente umfassen, die von der Raumtemperatur aufwärts bis etwa 200°C funktionieren müssten. Es handle sich also um eine sehr komplexe Mechanik, die ein tiefes Verständnis für Reibungs- und Bewegungsvorgänge voraussetze, insbesondere weil ein Schmieren mit Fett nicht in Frage komme. Zusätzlich solle die Vorrichtung nicht nur einmal funktionieren, sondern Millionen Mal.

Der Fachmann verzichte gerne auf Bronze und brauche keinen besonderen Anlass dafür.

Vermutlich könnte der Fachmann auch die Bronze beschichten. Er würde jedenfalls nicht Schmiermitteldepots vorsehen und sie nachfolgend beschichten. Die Oberfläche sei auch bei den im Patent offenbarten Ausführungsbeispielen nicht immer durchgehend: es gebe eine Variante, in der die Gleitelemente als Passfedern ausgeführt seien.

Man könne mit dem could/would-Argument alles kleinreden, aber es werde dem Fachmann nicht gerecht, zu sagen, dass er einen expliziten Hinweis brauche, um das teure Bronzematerial loszuwerden.

ii) Beschwerdegegnerin

Der nächstliegende Stand der Technik sei der Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich davon durch das Merkmal f).

Die objektive Aufgabe bestehe darin, die Standzeit der Betätigungsvorrichtung und damit die Laufzeit der Spritzgießvorrichtung zu verbessern und die Wartungszeit und die Kosten zu reduzieren. Die von der Beschwerdeführerin und der Kammer definierte Aufgabe sei nicht zufriedenstellend, weil weder die Druckschriften D12 und D13 noch die VDI-Richtlinien eine Anregung gäben, dass es möglich und sinnvoll sei, auf einem selbstschmierenden Material mit Schmiermitteldepot eine Hartstoffschicht aufzubringen. Die gelöste Aufgabe könne nicht darin bestehen, eine alternative Beschichtung oder ein alternatives Material zu verwenden. Der Gegenstand der Vorbenutzung umfasse bereits reibungsmindernde Maßnahmen.

Das Unterscheidungsmerkmal begründe durchaus eine erfinderische Tätigkeit. Zum einen seien die entgegengehaltenen Schriften nur bedingt einschlägig. In der Druckschrift D12 verwende man einen beweglichen Ring auf der Düsenspitze, der eingeschraubt werde und durch seine Lage im Schmelzestrom abrasiven Einflüssen ausgesetzt sei. Er sei diamantbeschichtet, um die Abnutzung zu verhindern. Die Druckschrift D12 sei somit wenig einschlägig. Betreffend die Druckschrift D13 sei festzustellen, dass ihre vorrangige Aufgabe darin bestehe, ein verbessertes Schließen zu erreichen (siehe Spalte 2, ab Zeile 23). Diese Druckschrift gehe also in eine völlig andere Richtung. Sie offenbare zwar die Verwendung einer Hartstoffbeschichtung, aber in sehr speziellen Bereichen. Es sei in der Druckschrift D13 ein ganz anderes Element als die Führungselemente mit einem diamantartigen Material beschichtet, nämlich ein in einem Materialrohr angeordneter Torpedo. Sowohl die Rückstromsperre der Druckschrift D12 als auch der Torpedo der Druckschrift D13 sei ganz anderen Belastungen ausgesetzt als Führungselemente; es bleibe völlig offen, ob die Beschichtungen den Belastungen, wie sie in den Reibflächen der Führungselemente auftreten, widerstehen könnten.

Zum allgemeinen Fachwissen, wie es durch die Druckschriften D15 und D16 belegt sein soll, sei zu sagen, dass der Fachmann, der vom nächstliegenden Stand der Technik ausgehe, keine Veranlassung habe, auf diese Druckschriften zurückzugreifen. Die Beschichtungen, die in den Druckschriften D12, D13, D15 und D16 offenbart seien, seien diamantähnlich und somit sehr hart. Die Steuerschienen im nächstliegenden Stand der Technik hingegen seien aus einem selbstschmierenden Material gefertigt und mit Sackbohrungen versehen, in denen sich zusätzlich schmierfähiges Material befinde. Es gebe somit keine Möglichkeit, eine diamantähnliche Schicht aufzubringen. Eine solche Schicht würde im Bereich der Sacklochbohrungen bei jeder Belastung einbrechen. Das Problem ließe sich auch nicht damit lösen, dass die Löcher weggelassen würden, weil die Bronze oder das selbstschmierende Material für das Tragen der harten Schicht viel zu weich sei und es zum sogenannten "Eierschalen-Effekt" kommen würde. Der Fachmann würde deshalb die Lehre der Druckschriften D12, D13, D15 und D16 nicht in Betracht ziehen.

Es gebe auch innerhalb des nächstliegenden Standes der Technik keinen Hinweis darauf, dass die Sacklochbohrung weggelassen werden könnte bzw. wie die Bronze sinnvoll beschichtet werden könnte. Es komme nicht darauf an, ob der Fachmann einen harten Belag vorsehen könnte, sondern darauf, ob er das tun würde, mit der Erwartung, eine Verbesserung zu erzielen. Dies sei aber nicht der Fall. In der vorbenutzten Vorrichtung seien die Schienen bereits aus einem selbstschmierenden Material gefertigt und mit Schmiermitteldepots versehen. Somit sei die Reibung bereits vermindert. Der Fachmann, der die Standzeit und die Wartungsfreundlichkeit verbessern wolle, habe keinen Anlass, eine Hartstoffbeschichtung einzusetzen. Um zur Erfindung zu gelangen, müsse er erkennen, dass die Reibung noch zu groß sei und die Frage bejahen, dass eine Beschichtung möglich sei. Selbst wenn er eine Hartstoffschicht in Betracht ziehen würde, müsse er noch die Schmiermitteldepots auffüllen bzw. weglassen und sich über das Trägermaterial Gedanken machen. Diese Argumentation würde der Erfindung nicht gerecht.

b) Hilfsantrag 1: erfinderische Tätigkeit

i) Beschwerdeführerin

Merkmal g) verlange, dass die Gleitelemente "austauschbar angeordnet" seien. Dies sei ein sehr breiter Begriff. Die vorbenutzte Vorrichtung sei aus Einzelteilen zusammengesetzt. Eines der Elemente sei die Zugschiene, die die Gleitelemente umfasse. Eine aus Einzelteilen zusammengebaute Maschine lasse sich auch wieder in Einzelteile zerlegen. Die vorbenutzte Vorrichtung weise daher auch das Merkmal g) auf, denn die Zugleisten seien austauschbar. Es sei anzunehmen, dass die Beschwerdegegnerin den Begriff im Sinne von "leicht austauschbar" oder "separat austauschbar" verstanden wissen möchte, aber der Wortlaut verlange dies nicht. Auch die Beschreibung des Patents führe nicht in diese Richtung, denn dort komme nur derselbe Wortlaut vor und es gebe keine andere Offenbarungsstelle, die dem Begriff einen anderen Gehalt geben würde. Es sei nicht zulässig, den Begriff "austauschbar" im Sinne von "auszutauschen" zu deuten. Es gehe nur darum, ob ein Bauteil ausgetauscht werden könne oder nicht. In der vorbenutzten Vorrichtung sei der Teil, der die Zugleiste und die Steuerschiene umfasst, als separater Bauteil ausgeführt und somit austauschbar (siehe die Dokumente E5 und E6). Da das zusätzliche Merkmal somit aus der Vorbenutzung bekannt gewesen sei, sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 aus denselben Gründen wie der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch.

Alternativ sei der Gegenstand von Anspruch 1 auch nicht erfinderisch gegenüber der Druckschrift D1. Dort sei eine Hubplatte beschrieben (siehe Fig. 3) auf der eine Steuerschiene mit Gleitelementen (slide blocks) 136 angebracht sei (siehe Fig. 4 und Fig. 5). Letztere seien in Nuten 140 bzw. in Nuten der Hubplatte 110 gleitend gelagert und mit Schrauben 138 befestigt (siehe auch Spalte 4, ab Zeile 34). Daraus ersehe man, dass diese festgeschraubten Elemente notwendigerweise austauschbar seien. Die Gleitelemente würden durch eine Oberflächenbehandlung verschleißfest gemacht (siehe Spalte 4, Zeilen 48 bis 50). Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, ein Verfahren zu finden, welches erlaube, die Gleitelemente abriebfest zu machen. Dies sei aber Teil des Fachwissens, wie es durch die Druckschrift D15 belegt sei. Es sei richtig, dass die Figur 4 der Druckschrift D1 zeige, dass die Steuerschienen im Hinblick auf ihre Längsverschiebbarkeit über Wälzlager gelagert seien. Die Lagerung der Steuerschiene sei aber nicht ein Merkmal des Gegenstands von Anspruch 1.

ii) Beschwerdegegnerin

Das Merkmal der Austauschbarkeit ziele darauf ab, die Wartungsfreundlichkeit zu erhöhen. Die vorliegenden Unterlagen betreffend die offenkundige Vorbenutzung würden nicht explizit zeigen, dass die dort verwendeten Gleitschienen austauschbar seien; dies sei auch aus der Druckschrift D1 nicht erkennbar. In ihr werde eine Betätigungsanordnung mit einem Gleit- und Wälzlagersystem beschrieben, das es erlaube, Reibungseffekte zu vermindern. Die Gleitelemente der Vorbenutzung seien nicht ohne weiteres mit dem Stand der Technik zu kombinieren, da in der Vorbenutzung die Steuerschienen und Gleitelemente einstückig ausgeführt seien und deshalb ein Austausch der Gleitelemente nicht möglich sei. Es gebe somit keinen Anlass, die Merkmale miteinander zu kombinieren. Es sei erforderlich, drei drei verschiedene Elemente des Stands der Technik zu kombinieren, nämlich die vorbenutzte Vorrichtung, die Druckschrift D1 und die Beschichtung. In der Druckschrift D1 sei nicht offenbart, die Führungsschienen und die Gleitelemente zu beschichten. Es gehe darum, als reibungsvermindernde Maßnahme Wälzlager vorzusehen und eben keine Beschichtung oder ein diamantähnliches Material. Der vorletzte Satz von Absatz [0013] offenbare nichts Genaues betreffend das erwähnte Verfahren und führe nicht klar aus, ob es etwas mit den Wälzlagern zu tun habe. Es sei nicht zulässig, die Merkmale einzeln und ohne Berücksichtigung des gesamten Anspruchs zu betrachten. Ausgehend von der Druckschrift D1 gebe es keinen Hinweis für den Fachmann, die speziell im Merkmal f) beschriebene Lösung zu wählen.

c) Hilfsantrag 2: erfinderische Tätigkeit, ausgehend von der Druckschrift D1

i) Beschwerdeführerin

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch gegenüber der Lehre der Druckschrift D1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens (Druckschrift D15). Das zusätzliche Merkmal g) sei in der Druckschrift D1 bereits offenbart (siehe die in Fig. 5 dargestellten slide blocks 136, die in Nuten 134 eingelassen sind). Deshalb sei die Frage der erfinderischen Tätigkeit wie beim Hilfsantrag 1 zu beantworten.

Anspruch 1 gebe keine Definition, wie das Hubelement auszusehen habe. Von einer Hubplatte sei dort nicht die Rede. Die actuator bars 110 der Vorrichtung gemäß der Druckschrift D1 seien Teil des Hubelements. Anspruch 1 schließe nicht aus, dass das Hubelement auch noch seitlich über die Steuerschiene hinausragen könne. Es sei auch möglich, die actuator bars selbst als das anspruchsgemäße Hubelement zu deuten. Die Beschwerdeführerin räumte ein, dass aus der Fig. 2 der Druckschrift hervorgehe, dass die Steuerschienen zwischen den actuator bars liegen.

ii) Beschwerdegegnerin

In der Druckschrift D1 seien die Ventilnadeln 80 am Hubelement 90 festgelegt. Der Mechanismus umfasse Steuerschienen 116, die auf Gleit- und Wälzlagern gelagert sind, und gesonderte, auf der Hubplatte angebrachte Leisten (actuator bars) 110. Dazu sei in Absatz [0012] ausgeführt, dass auf der Hubplatte gesonderte Schienen aufgebracht seien, die mit Schrauben gesichert würden. Darin seien Quernuten eingelassen, in denen die Gleitelemente fixiert seien. In der Fig. 3 erkenne man, dass sich die Hubplatte 90 auf einer unteren Ebene befinde, die Steuerschienen 116 hingegen in der Ebene darüber. Um die Gleitelemente, die an den actuator bars befestigt seien, in den Nuten der Steuerschienen gleiten lassen zu können, müsse man mit den Gleitelementen in eine zweite Ebene ausweichen (nach oben in der Zeichnung). Die Gleitelemente seien nicht seitlich in das Hubelement eingelassen, sondern in getrennt ausgebildeten Steuerschienen ausgebildet.

Die objektive Aufgabe bestehe darin, eine kompaktere Ausführungsform zu finden. Der Stand der Technik zeige keine solche Lösung. Es gebe für den Fachmann, der von der Druckschrift D1 ausgehe, auch keinen Anlass zu einer entsprechenden Änderung, denn sie wäre nicht funktionsfähig. Das erkenne man z.B. in der Fig. 1. Die Hubplatte werde mit zylinderförmigen Elementen in den Ecken geführt. Die Steuerschienen 116 befänden sich in Richtung der Mitte der Platte, in einer Ebene über der Hubplatte. Um mit den Gleitelementen überhaupt an die Steuerschiene heranzukommen, bedürfe es der actuator bars 110, die auf der Rückseite der Platte befestigt seien. Unter einem Hubelement gemäß Anspruch 1 sei ein Element zu verstehen, an dem die Ventilnadeln festlegbar seien und das zwischen Steuerschienen bewegbar sei. In der Druckschrift D1 entspreche dies gerade der valve pin plate 90 (siehe Absatz [0011]). Die actuator bars hingegen gehörten nicht zwingend zum Hubelement (siehe Absatz [0012]). Der Fachmann könnte zwar die Gleitelemente seitlich in das Hubelement einbringen, aber er habe keinen Anlass dazu. Um ausgehend von der Druckschrift D1 zu dieser Lösung zu gelangen, müsste er (1) die Steuerschienen verlegen, (2) die actuator bars weglassen, und (3) die Gleitelemente seitlich in das Hubelement einlassen.

d) Hilfsantrag 2: erfinderische Tätigkeit, ausgehend vom Gegenstand der Vorbenutzung

i) Beschwerdeführerin

Der Vorteil der Unterscheidungsmerkmale bestehe darin,

dass die Gleitelemente aus einem anderen Material hergestellt und auch leicht ausgetauscht werden könnten. Hinter den Merkmalen stehe also die leichte Austauschbarkeit, auch wenn dies nicht explizit formuliert sei. Der Fachmann habe durchaus eine Veranlassung, die Elemente, die verschleißgefährdet seien, so auszugestalten, dass sie von Teilen, die nicht verschleißen, abgenommen werden könnten, und zwar unabhängig davon, wie die Beschichtung ausgeführt sei. Es gebe hier also zwei unterscheidende Merkmale ohne direkten Synergieeffekt. Dementsprechend seien zwei Teilaufgaben zu behandeln, nämlich zum einen, eine alternative Beschichtung zu finden, und zum anderen, die Austauschbarkeit zu erleichtern.

Wie aus der Zeichnung E5 hervorgehe, befinde sich die

Hubplatte gemäß der vorbenutzten Vorrichtung zwischen den Zugleisten. Angesichts der einteiligen Ausgestaltung der Zugleisten sei der Austausch kompliziert, da immer die gesamte Zugleiste ausgetauscht werden müsse. Der Fachmann stelle sich die Frage, wie er den Aufbau verbessern könne, um einen einfacheren Austausch der Gleitelemente zu ermöglichen. Dies könne durch eine mehrteilige Ausführung erreicht werden. Dies werfe aber die Frage der Befestigung der Gleitelemente auf. In der Druckschrift D1, die das gleiche Problem betreffe, wenngleich mit einem anderen Aufbau des Hubelements, finde sich die Anregung, dass die Gleitelemente in Nuten eingesetzt werden könnten, also in Vertiefungen, die die erforderliche Ausrichtung besitzen und durch den Formschluss dazu führen würden, dass die auftretenden Kräfte aufgenommen werden könnten. Im Grunde bedürfe der Fachmann der Lehre der Druckschrift D1 nicht, da klar sei, dass ein seitlich belastetes Element, das auf eine ebene Oberfläche aufgeschraubt werde, mit sehr hohen Kräften angeschraubt werden müsse, wenn seine Ausrichtung nur durch den Reibschluss gewährleistet werden solle. Eine Lösung mit Formschluss dränge sich dem Fachmann auf.

Das Merkmal f) werde durch einen Hinweis in der Druckschrift D1 (Spalte 4, Zeilen 48ff) nahegelegt.

Ausgehend vom Gegenstand der Vorbenutzung komme der Fachmann unter Hinzuziehung der Druckschrift D1 und seines Fachwissens in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1.

ii) Beschwerdegegnerin

In der vorbenutzten Anlage seien die Steuerschienen und Gleitelemente einstückig ausgebildet. Es gebe keine zwei Teilaufgaben, denn die Merkmalskombination habe einen synergetischen Effekt. Ausgehend von diesem Stand der Technik bestehe die Aufgabenstellung darin, die Verschleißfestigkeit und Langlebigkeit zu erhöhen bzw. den Wartungsaufwand zu verringern. Es gebe in der vorbenutzten Anlage keine Anregung, die Gleitelemente von den Steuerschienen abzulösen und seitlich in das Hubelement einzusetzen. Es sei richtig, dass in der Vorrichtung der Druckschrift D1 einzelne Gleitelemente an den actuator bars angeschraubt seien, aber letztere seien notwendig, um in einer weiteren Ebene an die Steuerschienen heranzukommen. Diese Schienen lägen innen (bezogen auf die Außenränder des Hubelements) in den Blöcken 118 (siehe Fig. 1), weil dort die Wälzlager ausgebildet seien. Es sei nicht plausibel, dass der Fachmann, der von der einteiligen Steuerschiene aus dem nächstliegenden Stand der Technik ausgehe, dazu bewegt würde, die Gleitelemente abzulösen und seitlich in das Hubelement einzulassen. Der Fachmann könne das natürlich tun, aber er habe dazu keinen Anlass.

Entscheidungsgründe

1. Anwendbares Recht

Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, wurde am 1. Dezember 2006 als internationale Patentanmeldung eingereicht. Deshalb ist im vorliegenden Fall gemäß Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 1, 196) und dem Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangs-bestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 1, 197) Artikel 56 EPÜ 1973 anzuwenden.

2. Vorbenutzung

Die geltend gemachte und von der Einspruchsabteilung anerkannte offenkundige Vorbenutzung betrifft die Lieferung eines Nadelverschlusssystems, das den technischen Zeichnungen E5 und E6 entspricht, an die Firma geobra Brandstätter GmbH & Co. KG. Das gelieferte System enthielt Zugleisten aus Bronze (also aus einem selbstschmierenden Material; siehe Absatz [0022] des Patents) mit Sacklochbohrungen, in die ein grafitähnlicher poröser Werkstoff zur Speicherung von Schmiermittel eingepresst wurde.

3. Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit

3.1 Ausgangspunkt

Es ist unbestritten, dass der Gegenstand der

offenkundigen Vorbenutzung einen technisch sinnvollen Ausgangspunkt darstellt.

3.2 Unterschiede

Es ist auch nicht strittig, dass die Vorrichtung gemäß der offenkundigen Vorbenutzung das Merkmal f) nicht offenbart.

Diesem Merkmal zufolge sind relativ zueinander bewegte und somit verschleißgefährdete Bauteile zumindest teilweise

- aus einem diamantartigen Material gefertigt [Option 1] oder

- mit einem selbstschmierenden Material beschichtet [Option 2] oder

- mit einem diamantartigen Material beschichtet [Option 3].

3.3 Fachmann

Im vorliegenden Fall ist der Fachmann ein Maschinenbauer mit Erfahrung auf dem Gebiet der Spritzgießmaschinen und -werkzeuge. Als solcher ist er mit Reibungs- und Bewegungsvorgängen, wie sie in solchen Vorrichtungen auftreten, vertraut.

3.4 Objektive technische Aufgabe

Die Einspruchsabteilung hat die technische Aufgabe darin gesehen, eine alternative Art der Reibungsverhinderung bzw. Reibungsverminderung vorzuschlagen.

Das Argument, die objektive Aufgabe bestehe vielmehr darin, die Standzeit der Betätigungsvorrichtung und damit die Laufzeit der Spritzgießvorrichtung zu verbessern und die Wartungszeit und die Kosten zu reduzieren, hat die Kammer nicht überzeugt, da diese Aufgabe nicht über den gesamten beanspruchten Bereich gelöst wird. Im Fall einer Beschichtung mit einem selbstschmierenden Material (Option 2, siehe Punkt 3.2 oben) ist keine Verbesserung der Standzeit oder Verringerung der Wartungszeit gegenüber verschleißgefährdeten Bauteilen, die zur Gänze aus selbstschmierendem Material bestehen, zu erwarten.

Auch die Tatsache, dass in der Vorrichtung gemäß der offenkundigen Vorbenutzung bereits Maßnahmen getroffen wurden, um die Reibung zu mindern, führt nicht zu einer anderen Formulierung der objektiven technischen Aufgabe.

Da keine technische Wirkung geltend gemacht wurde, die beim Ersetzen eines selbstschmierenden Materials durch ein beliebiges Material mit selbstschmierender Beschichtung erreicht wird, hält die Kammer an der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe durch die Einspruchsabteilung fest.

3.5 Naheliegen

Für den Fachmann, der - vor dem Prioritätstag - von der Vorrichtung der Vorbenutzung ausging und sich die Aufgabe stellte, eine alternative Art der Reibungsverhinderung bzw. Reibungsverminderung zu finden, wäre es angesichts seines Fachwissens, wie es insbesondere durch die Druckschrift D15 belegt ist (vgl. Tabelle 2, Spalten 2.3, 2.4, 2.6 und 2.7), naheliegend gewesen, zu einem diamantähnlichen Material zu greifen und die verschleißgefährdeten Bauteile von Spritzgießwerkzeugen entweder zur Gänze aus einem solchen Material herzustellen oder eine entsprechende Beschichtung auf einem geeigneten Grundmaterial (z.B. Werkzeugstahl) aufzubringen.

Der Einwand, dass weder die Druckschriften D12 und D13 noch die VDI-Richtlinien dem Fachmann eine Anregung gaben, eine Hartstoffschicht auf einem selbstschmierenden Material mit Schmiermitteldepot aufzubringen, geht ins Leere, da der Anspruch 1 nicht verlangt, dass eine Hartstoffschicht auf einem selbstschmierenden Material aufzubringen ist.

Das Argument, dass der Fachmann keinen Anlass gehabt hätte, auf sein Fachwissen zurückzugreifen, überzeugt nicht. Der Fachmann bedarf keines Anlasses, um sein Fachwissen zur Anwendung zu bringen. Sein Fachwissen bildet gewissermaßen den technischen Hintergrund für jede Tätigkeit des Fachmanns und fließt in alle seine Entscheidungen ein. In dieser Hinsicht ist das allgemeine Fachwissen von der Lehre fachspezifischer Druckschriften zu unterscheiden.

Da der Fachmann bereits aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zur Erfindung gelangt wäre, erübrigt es sich, zu prüfen, ob ihn auch die Lehre der Druckschriften D12 oder D13 zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt hätte.

3.6 Ergebnis

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist in Hinblick auf die Vorrichtung der offenkundigen Vorbenutzung unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

Dem Hauptantrag kann somit nicht stattgegeben werden.

4. Hilfsantrag 1: erfinderische Tätigkeit

4.1 Ausgangspunkt

Auch in diesem Fall dient die Vorrichtung der offenkundigen Vorbenutzung als Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.

4.2 Unterschiede

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der vorbenutzten Vorrichtung durch die Beschaffenheit der Steuerschienen und/oder der Gleitelemente (Merkmal f)).

Die Antwort auf die Frage, ob die vorbenutzte Vorrichtung das Merkmal g) offenbart, hängt wesentlich davon ab, wie der Begriff "austauschbar" verstanden wird. Der Begriff wird in der Beschreibung des Patents nur einmal erwähnt, nämlich im Absatz [0024] ("Zudem sind die aufgrund einer Relativbewegung verschleißenden Bauteile, insbesondere die Gleitelemente, bevorzugt austauschbar angeordnet, so dass sie im verschlissenen Zustand jederzeit durch neue Bauteile ersetzt werden können."). Diese Textstelle trägt nichts zum Verständnis des Merkmals g) bei, da auch sie den Begriff "austauschbar" nicht definiert. Letzterer ist daher gemäß seinem allgemeinen Wortsinn (Duden: "zum Austauschen geeignet") auszulegen. Die Auslegung, der zufolge "austauschbar" im Sinne von "getrennt austauschbar" zu deuten wäre, geht über diesen allgemeinen Wortsinn hinaus. Die Kammer sieht keinen Anlass, den Begriff derartig einschränkend auszulegen. Vielmehr ist dem Begriff seine breiteste technisch sinnvolle Bedeutung beizumessen (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, 2019, I.C.5.2.1). Dieser Auslegung zufolge ist ein Gleitelement "austauschbar angeordnet" im Sinne von Anspruch 1, auch wenn es nicht gesondert, sondern nur zusammen mit den Steuerschienen ausgetauscht werden kann, wie dies für die vorbenutzte Vorrichtung der Fall ist. Daher stellt das Merkmal g) kein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der vorbenutzten Vorrichtung dar. Die Tatsache, dass das Merkmal nicht explizit offenbart ist, tut dem keinen Abbruch, da der Fachmann verstanden hätte, dass das Element bestehend aus Steuerschiene und Gleitelement im offenkundig vorbenutzten Spritzgießwerkzeug demontiert und somit ausgetauscht werden kann.

4.3 Objektive technische Aufgabe

Die vom Merkmal f) gelöste objektive technische Aufgabe wird wie im Falle des Hauptantrags darin gesehen, eine alternative Art der Reibungsverhinderung bzw. Reibungsverminderung vorzuschlagen (siehe Punkt 3.4).

4.4 Naheliegen

Wie schon im Falle des Hauptantrags festgestellt (siehe Punkt 3.5), wäre es für den Fachmann, der von der vorbenutzten Vorrichtung ausging und sich die Aufgabe stellte, eine alternative Art der Reibungsverhinderung bzw. Reibungsverminderung zu finden, in Anbetracht seines Fachwissens, wie es durch die Druckschrift D15 belegt ist, naheliegend gewesen, zu einem diamantähnlichen Material zu greifen und die Steuerschiene und/oder die Gleitelemente als verschleißgefährdete Bauteile entweder zur Gänze aus einem solchen Material herzustellen oder aber auf einem geeigneten Grundmaterial wie z.B. Werkzeugstahl aufzubringen. Damit wäre der Fachmann aber in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.

4.5 Ergebnis

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist in Hinblick auf die Vorrichtung der offenkundigen Vorbenutzung unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

Dem Hilfsantrag 1 kann somit nicht stattgegeben werden.

5. Hilfsantrag 2: erfinderische Tätigkeit

5.1 Ausgehend von der Druckschrift D1

5.1.1 Unterschiede

Die Druckschrift D1 offenbart das Merkmal b) nicht, da dort das Hubelement nicht zwischen zwei Steuerschienen bewegbar ist. Wie insbesondere aus der Fig. 2 hervorgeht, sind die Steuerschienen 116 vielmehr zwischen den am Hubelement 90 befestigten Betätigungsleisten (actuator bars) 110 vorgesehen.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Selbst wenn man der Beschwerdeführerin dahingehend folgen sollte, dass die Betätigungsleisten selbst das Hubelement darstellen, ist somit das Merkmal b) nicht offenbart.

Es ist unbestritten, dass die Druckschrift D1 das Merkmal f) nicht offenbart.

Wenn der Auslegung des Begriffs "Hubelement" durch die Beschwerdeführerin gefolgt wird, ist das Merkmal g) als offenbart anzusehen. Dies geht z.B. aus Fig. 4 hervor, in der die Gleitelemente 136 seitlich in die Betätigungsleisten 110 eingelassen sind.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

5.1.2 Objektive technische Aufgabe

Das Patent schreibt der Anordnung des Hubelements zwischen den Steuerschienen (Merkmal b)) keine besondere technische Wirkung zu. Daher ist die vom Merkmal b) gelöste Aufgabe darin zu sehen, eine alternative Ausbildungsform zur Anordnung gemäß der Druckschrift D1 zu finden.

Die Beschichtung gemäß Merkmal f) stellt eine konkrete Ausführungsform einer abriebfesten Beschichtung dar, wie sie in der Druckschrift D1 selbst bereits angeregt wird (siehe Spalte 4, Zeilen 48 bis 50: "The actuator bars 110, cam bars 116, and slide blocks 136 are treated by a suitable process to be wear resistant.") Die entsprechende objektive technische Aufgabe kann also darin gesehen werden, eine konkrete geeignete Beschichtung zu wählen.

Es ist für die Kammer kein synergetischer Effekt der beiden Unterscheidungsmerkmale b) und f) zu erkennen. Die beiden oben genannten objektiven technischen Aufgaben sind daher als unabhängig voneinander zu behandelnde Teilaufgaben anzusehen (siehe dazu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, 2019, I.D.9.2.2).

5.1.3 Naheliegen

Es wurde nicht plausibel dargelegt, dass der Fachmann, der von der Lehre der Druckschrift D1 ausging und sich die Aufgabe stellte, eine alternative Ausführungsform zu finden, von dem der Kammer vorliegenden Stand der Technik dazu angeregt worden wäre, das Hubelement zwischen den Steuerschienen bewegbar anzuordnen. Daher ist die erfindungsgemäße Lösung dieser Teilaufgabe als erfinderisch anzusehen.

Angesichts dieser Feststellung ist es nicht erforderlich, zu prüfen, ob auch die Lösung der zweiten Teilaufgabe für den Fachmann naheliegend war.

5.2 Ausgehend von der Vorrichtung der offenkundigen Vorbenutzung

5.2.1 Unterschiede

Es ist unbestritten, dass der Gegenstand der

Vorbenutzung die Merkmale f) und g) nicht offenbart.

5.2.2 Objektive technische Aufgaben

Die vom Merkmal f) gelöste objektive technische Aufgabe wird wie im Falle des Hauptantrags darin gesehen, eine alternative Art der Reibungsverhinderung bzw. Reibungsverminderung vorzuschlagen (siehe Punkt 3.4).

Das Patent offenbart den Vorteil des Merkmals g) in Absatz [0015] der Beschreibung ("Damit sich die Gleitelemente nicht verdrehen bzw. verkanten können, sind sie seitlich in das Hubelement eingelassen."). Die entsprechende objektive technische Aufgabe könnte daher darin gesehen werden, ein Verdrehen oder Verkanten der Gleitelemente zu verhindern. Allerdings ist diese Aufgabe in der Vorrichtung der Vorbenutzung bereits gelöst, da dort die Gleitelemente einstückig mit den Steuerschienen ausgeformt sind und daher keine Gefahr des Verdrehens oder Verkantens besteht. Die Kammer schließt sich dahingehend dem Vortrag der Parteien an, dass die tatsächlich gelöste Aufgabe also vielmehr darin gesehen werden kann, die Gleitelemente zur Verringerung des Wartungsaufwands austauschbar zu machen, und zwar derart, dass es nach wie vor nicht zu einem Verdrehen oder Verkanten der Gleitelemente kommen kann.

Es ist für die Kammer kein Synergieeffekt der beiden Unterscheidungsmerkmale f) und g) zu erkennen. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die beiden Unterscheidungsmerkmale dieselbe Wirkung haben, wurde nicht überzeugend dargelegt, dass eine Synergie im Sinne der Rechtsprechung vorliegt, dass also die Wirkung der Merkmalskombination über die Summe der Wirkungen der beiden Merkmale hinausgeht. Die beiden genannten objektiven technischen Aufgaben sind daher als unabhängig voneinander zu behandelnde Teilaufgaben anzusehen (siehe dazu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, 2019, I.D.9.2.2).

5.2.3 Naheliegen

Wie im Falle des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 festgestellt, kann das Unterscheidungsmerkmal f) als solches keine erfinderische Tätigkeit begründen (siehe oben, Punkte 3.5 und 4.4).

Hingegen wurde nicht plausibel dargelegt, dass der Fachmann, der sich die Aufgabe stellt, die Gleitelemente austauschbar zu machen, und zwar derart, dass ein Verdrehen oder Verkanten der Gleitelemente nach wie vor unmöglich ist, in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen würde. Der auf der Lehre der Druckschrift D1 gegründete Vortrag überzeugt nicht. Die Druckschrift D1 stellt sich die Aufgabe, eine verbesserte ventilgesteuerte Mehrkavitäten-Spritzgießvorrichtung mit Betätigungsmechanismus bereitzustellen, um alle Ventilstifte gleichzeitig zwischen mehr als zwei verschiedenen Positionen genau zu positionieren, ohne dass eine Hydraulik in der Form erforderlich ist (siehe Absatz [0003]). Es ist daher nicht plausibel, dass der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung der objektiven technischen Aufgabe die Druckschrift D1 in Betracht gezogen hätte. Und selbst wenn der Fachmann dies getan hätte, hätte er angesichts der dort offenbarten, gänzlich anders aufgebauten Vorrichtung keine klare und eindeutige Anregung bekommen, die vorbenutzte Vorrichtung derart zu verändern, dass die Gleitelemente seitlich in das Hubelement eingelassen sind. Dies wird dort nur als eine Möglichkeit unter anderen erwähnt (siehe Spalte 1, Zeilen 49 bis 52). Nach Auffassung der Kammer würde der Fachmann, der vom Gegenstand der Vorbenutzung ausgeht, in dem das Gleitelement einstückig mit der Steuerschiene ausgebildet ist und das Hubelement Nuten aufweist, die Einlassungen in der Steuerschiene vorsehen und nicht im Hubelement. Der gegenteilige Vortrag der Beschwerdeführerin beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Daher ist die erfindungsgemäße Lösung dieser Teilaufgabe als erfinderisch anzusehen.

5.3 Ergebnis

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist in Hinblick auf den der Kammer vorliegenden Stand der Technik erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

Unter Vorbehalt der Anpassung der Beschreibung kann dem Hilfsantrag 2 somit stattgegeben werden.

5.4 Anpassung der Beschreibung

Da die von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegte neue Fassung der Beschreibung noch einige offenkundige Unzulänglichkeiten aufwies, hat die Kammer beschlossen, den Fall ohne angepasste Beschreibung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, um den Parteien zu ermöglichen, die Anpassung im schriftlichen Verfahren ohne übermäßigen Zeitdruck vorzunehmen bzw. zu überprüfen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 32 gemäß Hilfsantrag 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2019.

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