T 1414/15 () of 27.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T141415.20180227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2018
Aktenzeichen: T 1414/15
Anmeldenummer: 10773549.0
IPC-Klasse: B22D 17/14
B22D 17/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VAKUUMDRUCKGUSSANLAGE UND VERFAHREN ZUM BETRIEB EINER VAKUUMDRUCKGUSSANLAGE
Name des Anmelders: KSM Castings Group GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Europäische Anmeldung Nr. 10773549.0 zurückgewiesen wurde.

II. In ihrer Entscheidung hat die Prüfungsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 19 des mit Schriftsatz vom 19. Juni 2014 eingereichten Antrags nicht neu gegenüber D2 (JP 1 313171 A) ist (Artikel 54 EPÜ). Gemäß der Einschätzung der Prüfungsabteilung schließe der Begriff "Sammelvertiefung" in Anspruch 1 nicht aus, dass es sich dabei um eine evakuierbare Vertiefung handle. Ferner lasse sich ein Eindringen von Material in eine evakuierbare Ringnut eines Gießkolbens im laufenden Betrieb nicht verhindern.

Eine in Figur 3 der D2 dargestellte evakuierbare Ringnut sei daher auch eine Sammelvertiefung.

III. Hiergegen legte die Anmelderin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) Beschwerde ein.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Basis des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 7, jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 8. Mai 2015.

IV. Ansprüche gemäß Hauptantrag

Anspruch 1:

"Vakuumdruckgussanlage umfassend eine Gießkammer (10) mit Einfüllöffnung (12), einen in der Gießkammer (10) bewegbaren Gießkolben (14) und eine Kolbenstange (16), welche den Gießkolben (14) mit einem Gießantrieb verbindet, wobei zwischen dem Außenmantel des Gießkolbens (14) und der Innenwandung der

Gießkammer (10) ein Ringspalt (18) ausgebildet ist, wobei der Gießkolben (14) wenigstens eine mit dem Ringspalt (18) in Strömungsverbindung stehende, evakuierbare Vertiefung oder Aushöhlung (20, 36) aufweist und Mittel vorgesehen sind, über die die Vertiefung oder Aushöhlung (20, 36) evakuierbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens eine Sammelvertiefung (38) vorgesehen ist, welche mit dem

Ringspalt (18) in Strömungsverbindung steht und vor der wenigstens einen evakuierbaren Vertiefung oder Aushöhlung (20, 36) angeordnet ist.

Anspruch 19:

"Verfahren zum Betrieb einer Vakuumdruckgussanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 18 oder 22, umfassend folgende Verfahrensschritte:

a) Einbringen einer Gießschmelze durch die

Einfüllöffnung (12) in die Gießkammer (10)

b) Bewegen des Gießkolbens (14), bis die Vertiefung

oder Aushöhlung (20, 36) die Einfüllöffnung (12)

passiert hat, oder dichtes Verschließen der

Einfüllöffnung (12) und gegebenenfalls Bewegen des

Gießkolbens (14), bis die Vertiefung oder

Aushöhlung (20, 36) in der Gießkammer (10)

positioniert ist, und

c) Evakuieren der Vertiefung oder Aushöhlung (20, 36)

derart, dass sich die Strömungsrichtung im dem

zwischen Gießkolben (14) und die Gießkammer (10)

vorhandenen Spalt (18) umkehrt und die Gase oder

Luft in Richtung evakuierbare Vertiefung oder

Aushöhlung (20, 36) strömen, trotz dem im

Gießformhohlraum bzw. in der mit diesem

strömungstechnisch verbunden Gießkammer (10) ein

Unterdruck erzeugt wird."

Anspruch 22:

"Vakuumdruckgussanlage nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel wenigstens ein, vorzugsweise zwei oder mehrere

Absaugleitungen (22), insbesondere Absaugrohre, umfassen, die jeweils mit ihrem einen Ende strömungstechnisch mit der evakuierbaren Vertiefung oder Aushöhlung (20, 36) und mit ihrem anderen Ende strömungstechnisch mit einer Vakuumanlage verbunden sind, wobei die Absaugleitung (22), insbesondere das Absaugrohr, entlang der Kolbenstange (14) in einer auf der Außenseite der Kolbenstange (14) eingebrachten

Nut (26) verläuft und mit seinem einen Ende durch den der Kolbenstange (14) zugewandten Kolben- oder Werkstückbereich (28) in die Vertiefung oder

Aushöhlung (20, 36) übergeht und mit dieser strömungstechnisch verbunden ist."

Die Ansprüche 2 bis 18 und 20 bis 21 adressieren bevorzugte Ausführungsformen der in Anspruch 1 beanspruchten Vakuumdruckgussanlage und ihres Betriebs.

V. In einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ teilte die Beschwerdekammer der Beschwerdeführerin mit, dass sie den Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag als neu betrachte, eine weitere Prüfung der Anmeldung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht für angebracht halte und daher gemäß Artikel 111(1) Satz 2 EPÜ beabsichtigte, die Sache an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

VI. Mit Schreiben vom 10. Januar 2018 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie mit einer Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung einverstanden sei.

VII. Vorbringen der Beschwerdeführerin

Der in Figur 3 der D2 dargestellte Gießkolben weise lediglich evakuierbare Vertiefungen 10A bis 10D auf. Eine Sammelvertiefung, die lediglich dazu da ist, Material zu sammeln, das anderweitig unerwünschter Weise in die evakuierbaren Vertiefungen gelangen würde, werde in D2 nicht offenbart.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit

1.1 Die Prüfungsabteilung argumentiert in Punkt 1.1 der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu in Hinblick auf die Offenbarung in D2 sei.

1.2 D2 offenbart in der Zusammenfassung in Kombination mit Figur 3 eine Vakuumdruckgussanlage umfassend eine Gießkammer (injection cylinder sleeve 3) mit Einfüll-öffnung (4), einen in der Gießkammer (3) bewegbaren Gießkolben (piston tip 10) und eine Kolbenstange (6), wobei der Gießkolben (10) vier mit dem Ringspalt in Strömungsverbindung stehende, evakuierbare Vertiefungen (annular back pressure regulation room PA-PD, herge-stellt durch die Ringnuten 10D-10D) aufweist und Mittel (vacuum introduction passages 11A-11D) vorgesehen sind, über die die Vertiefungen (PA-PD) evakuierbar sind.

1.3 Gemäß der Argumentation in der angefochtenen Entscheidung kommt es im Betrieb der Vakuumdruck-gussanlage gemäß Figur 3 der D2 unausweichlich dazu, dass Material in die erste evakuierbare Vertiefung 10A gelangt. Daher sei die evakuierbare Vertiefung 10A der D2 als Sammelvertiefung gemäß Anspruch 1 anzusehen, insbesondere da Anspruch 1 nicht ausschließe, dass die Sammelvertiefung auch evakuierbar sei.

1.4 Daher ist zu klären, was unter dem Begriff "Sammelvertiefung" zu verstehen ist und ferner, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 unter Berücksichtigung dieser Auslegung aus D2 bekannt ist.

1.5 Auslegung des Begriffs "Sammelvertiefung" in Anspruch 1

1.5.1 Der Fachmann sollte bei der Prüfung eines Anspruchs unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen ausschließen. Er sollte versuchen, durch Synthese, also eher aufbauend als zerlegend, zu einer Auslegung des Anspruchs zu gelangen, die technisch sinnvoll ist und bei der die gesamte Offenbarung der Patentanmeldung berücksichtigt wird.

1.5.2 Der Begriff "Sammelvertiefung" wird in Anspruch 1 hinsichtlich seiner Ausgestaltung nicht näher definiert, bringt aber durch seine Funktionsangabe klar zum Ausdruck, dass die Vertiefung dazu geeignet sein muss, dass sich darin Material ansammeln kann.

Eine Vertiefung, die evakuiert wird, sammelt dagegen kein Material an, sondern saugt dieses ab. Das ist gemäß der vorliegenden Anmeldung (siehe Seite 7,

3. Absatz) auch der Grund dafür, dass am Gießkolben eine Sammelvertiefung angebracht wird, nämlich als Schmutzfalle, die verhindert, dass Material die evakuierbare Vertiefung verstopft bzw. in die Vakuumanlage gezogen wird.

Im Kontext der Anmeldung ist daher eine Sammelvertiefung keine evakuierbare Vertiefung.

1.5.3 Der Begriff "Sammelvertiefung" wird in Anspruch 1 zudem dem Begriff "evakuierbare Vertiefung" gegenübergestellt.

Der Anspruch definiert somit einen Kolben mit zwei Arten von Vertiefungen, nämlich Vertiefungen, in denen sich Material ansammeln kann und Vertiefungen, die evakuierbar sind.

1.5.4 Die Auslegung der Prüfungsabteilung, dass jede beliebige Vertiefung, in die zumindest Material gelangen kann, eine Sammelvertiefung darstellt, greift daher zu kurz und spiegelt nicht das Verständnis des Fachmanns bei der Auslegung dieses Begriffs im Rahmen der Anmeldung wieder.

1.6 Auslegung der Figur 3 der D2

1.6.1 Als Offenbarungsgehalt des Standes der Technik ist gemäß ständiger Rechtsprechung das anzusehen, was vom Durchschnittsfachmann auf dem entsprechenden Fachgebiet an Kenntnissen und Verständnis erwartet werden kann und darf. Dabei sind einzelne Offenbarungsstellen nicht isoliert, sondern vielmehr im Kontext des gesamten Dokuments zu betrachten (Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 8. Auflage, 2016, Kapitel I.C.4).

1.6.2 D2 offenbart in Figur 3 einen Gießkolben einer Vakuumdruckgussanlage, der vier Ringnuten 10A bis 10D aufweist, die vier evakuierbare Vertiefungen PA bis PD darstellen:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

1.6.3 Es mag, wie von der Prüfungsabteilung argumentiert, unvermeidbar sein, dass Verunreinigungen wie Schmelze, Flitter, Schlacke oder Oxide beim Betrieb der Anlage gemäß Figur 3 in die vorderste Absaugvertiefung 10A gelangen.

Allerdings führt dies gegebenenfalls dazu, dass dieser Materialeintrag die Ansaugleitung der evakuierbaren Vertiefung verstopft oder in die Vakuumanlage gezogen wird. Es ist in diesem Fall zu erwarten, dass durch ein Ansammeln von Material in der ersten evakuierbaren Vertiefung 10A die gemäß der Lehre der D2 gewünschte Absaugfunktion mittels der evakuierbaren Vertiefung 10A nicht mehr gewährleistet werden kann.

Der Umstand, dass sich Material in unerwünschter Art und Weise in einer der vier evakuierbaren Vertiefungen 10A bis 10D des in Figur 3 der D2 dargestellten Gießkolbens im Betrieb ansammeln kann, ist daher keine Offenbarung für den Fachmann, dass es sich bei der ersten evakuierbaren Vertiefung 10A in Figur 3 um eine Sammelvertiefung handelt, da eine derartige Auslegung der D2 die Funktionsfähigkeit der in D2 dargestellten Vakuumdruckgussanlage einschränken würde.

1.7 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass D2 keine Druckgussanlage offenbart, deren Gießkolben unterschiedliche Vertiefungen, nämlich eine evakuierbare Vertiefung in Kombination mit einer Sammelvertiefung aufweist.

1.8 Anspruch 22 ist auf eine zu Anspruch 1 alternative Vakuumdruckgussanlage gerichtet, deren Neuheit von der Prüfungsabteilung bereits anerkannt wurde (Punkt 3.3. des Amtbescheids vom 10. Januar 2014) und deren Neuheit auch in der angefochtenen Entscheidung entsprechend nicht thematisiert wurde.

1.9 Anspruch 19 betrifft ein Verfahren zum Betrieb einer Vakuumdruckgussanlage nach Anspruch 1 oder Anspruch 22.

Da eine Vakuumdruckgussanlage gemäß jedem dieser Ansprüche neu ist, ist auch ein jeweiliges Verfahren zum Betrieb der Anlage gemäß Anspruch 19 neu.

1.10 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Hauptantrags neu in Hinblick auf die Offenbarung der D2 ist.

2. Zurückverweisung

Die Anmeldung wurde wegen mangelnder Neuheit in Hinblick auf die Offenbarung der D2 zurückgewiesen.

Zu weiteren Erfordernissen der Patentierbarkeit, wie beispielsweise der erfinderischen Tätigkeit, finden sich in der angefochtenen Entscheidung keine Ausführungen.

Über die verbleibenden Fragen zur Patentierbarkeit war für die Kammer somit nicht zu entscheiden.

Da die Ansprüche 1 bis 22 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ in Hinblick auf D2 erfüllen, hat die Kammer beschlossen, von ihrer Befugnis gemäß Artikel 111(1) EPÜ Gebrauch zu machen und die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung auf Grundlage des mit Schriftsatz vom 8. Mai 2015 eingereichten Hauptantrags zurückverwiesen.

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