T 1411/15 () of 1.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T141115.20180201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 2018
Aktenzeichen: T 1411/15
Anmeldenummer: 03704551.5
IPC-Klasse: F25D 23/06
F25D 17/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: INNENTEIL FUER EIN KAELTEGERAET
Name des Anmelders: BSH Hausgeräte GmbH
Name des Einsprechenden: Patentwerk B.V.
McLeish, Nicholas Alistair Maxwell
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1040/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 1 481 207 (im Folgenden: das Patent) ist aufgrund der früheren Entscheidung dieser Kammer in anderer Besetzung T 1040/08 vom 29. November 2010 erteilt worden. Es betrifft ein Kältegerät, insbesondere einen Kühlschrank, dessen Innenwand mit einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Ausrüstung versehen ist.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurden zwei Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung vor der Erteilung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht (Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung entschied, dass das Patent in geändertem Umfang gemäß Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

IV. Die Patentinhaberin und die Einsprechende 1 haben jeweils Beschwerde gegen diese Zwischenentscheidung eingelegt.

V. In der als Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) und 17 (1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Beschwerde mit.

VI. Die mündliche Verhandlung fand am 1. Februar 2018 in Anwesenheit der Patentinhaberin und der Einsprechenden 1 statt. Der Einsprechende 2 ist, wie angekündigt, nicht erschienen. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.

VII. Anträge

Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche gemäß den mit der Beschwerdeerwiderung vom 14. Januar 2016 eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 10 aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende 1 beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Der Einsprechende 2 hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt und keine Erwiderung auf die Beschwerdebegründungen eingereicht.

VIII. Anspruchssatz gemäß Hauptantrag

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 in der erteilten Fassung ist auf den folgenden Gegenstand gerichtet:

"1. Kältegerät mit einem eine Außenwand und eine Innenwand aufweisenden Gehäuse, wobei die Innenwand aus einer Bahn aus zerlegtem Kunststoff-Flachmaterial durch Tiefziehen gebildet ist, wobei die Bahn durch Koextrusion zweier Rohmaterialchargen erzeugt ist, wovon eine erste Charge eines Kunststoffmaterials oder -materialgemisches mit einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Silberverbindung versetzt ist und eine dem Innenraum des Kältegeräts zugewandte Oberflächenschicht der Innenwand bildet und eine zweite das gleiche Kunststoffmaterial oder -materialgemisch enthaltende Charge im Wesentlichen frei von der Silberverbindung ist und eine Trägerschicht der Innenwand bildet."

Der unabhängige Verfahrensanspruch 5 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen:

"5. Verfahren zum Herstellen der Innenwand des Gehäuses eines Kältegeräts mit den Schritten,

a) Erzeugen einer Bahn aus Kunststoff-Flachmaterial durch Koextrusion zweier Rohmaterialchargen, einer eine Trägerschicht bildenden Charge aus Kunststoffmaterial oder Kunststoffmaterialgemisch, das im Wesentlichen frei von einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Silberverbindung ist und einer zweiten Charge, die das gleiche Kunststoffmaterial oder Kunststoffmaterialgemisch enthält, mit der Silberverbindung beaufschlagt ist und eine dem Innenraum des Kühlgeräts zugewandte Oberflächenschicht bildet; und

b) Zerlegen der Bahn aus Kunststoff-Flachmaterial und Tiefziehen, um sie zur Innenwand zu formen."

IX. Entgegenhaltungen

In ihren jeweiligen Beschwerdebegründungen und Beschwerdeerwiderungen nahmen die Patentinhaberin und die Einsprechende 1 Bezug unter anderem auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften:

D1: WO99/47595 A1

D5a: Throne, J. L., "Technology of Thermoforming",

Carl Hanser Verlag, 1996

D5b: Illig, A., "Thermoforming: A Practical Guide",

Carl Hanser Verlag, 2001

X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Artikel 100 c) EPÜ

Die Patentinhaberin argumentiert, dass - entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung - das Merkmal b) von Anspruch 5 durch die allgemeine Lehre auf Seite 4, Zeilen 21 und 22 der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht (WO 03/071205 A1) gestützt sei.

In der mündlichen Verhandlung hat die Einsprechende 1 auf das erstinstanzliche Vorbringen des Einsprechenden 2 verweisen wollen, wonach der in Anspruch 1 verwendete Begriff "Kältegerät" eine unzulässige Erweiterung darstelle.

b) Hauptantrag - Neuheit

Vorbringen der Einsprechenden 1:

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung offenbare das Dokument D1 ein Kältegerät in Form eines Kühlschranks mit sämtlichen Merkmalen von Anspruch 1.

Insbesondere sei auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 von D1 offenbart, die Innenwand eines Kühlschrankgehäuses durch Tiefziehen einer zuvor extrudierten Bahn aus einem mit einer bioziden Silberverbindung versetzten Acrylpolymermaterial zu bilden (vgl. Seite 2, Zeilen 18 bis 27 und "silver" auf Seite 3, Zeile 2). Es sei zumindest implizit offenbart, dass die extrudierte Bahn in Form von Halbzeugen zugeschnitten bzw. zerlegt werde und aus einem Halbzeug anschließend durch Tiefziehen die fertige Innenwand hergestellt werde.

Ferner werde in D1 gelehrt (Seite 5, Zeile 32 bis Seite 7, Zeile 7), als Ausgangsmaterial für das Tiefziehen der Innenwand des Kühlschrankgehäuses alternativ eine Laminatbahn zu verwenden, bestehend aus einer relativ dünnen, dem Innenraum zugewandten Oberflächenschicht aus einem mit einer Silberverbindung versetzten Acrylpolymermaterial (Seite 6, Zeile 4) und einer damit koextrudierten Trägerschicht (Seite 6, Zeile 18 und Seite 7, Zeilen 5 bis 7), die aus dem gleichen Acrylpolymermaterial bestehe wie die Oberflächenschicht und frei von der Silberverbindung sei (Seite 6, Zeilen 13 bis 20 in Verbindung mit Seite 5, Zeile 32 bis Seite 6, Zeile 2; Beispiele 11, 12, 14 und 15 von D1).

Folglich sei der Gegenstand von Anspruch 1 durch die Lehre von D1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Vorbringen der Patentinhaberin:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D1.

Es könne diesem Dokument nicht entnommen werden, dass die Innenwand eines Kühlschrankgehäuses "aus einer Bahn aus zerlegtem Kunststoff-Flachmaterial durch Tiefziehen gebildet" werde, wie in Anspruch 1 vorgeschrieben. In D1 sei die Innenwand eines Kühlschrankgehäuses gar nicht erwähnt. Der auf Seite 3, Zeile 29 von D1 verwendete Begriff "lining for a refrigerated cabinet" sei breit in dem Sinne auszulegen, dass er eine Abdeckung oder Auskleidung eines vorgefertigten Kühlschranks bedeute, nicht jedoch einen Teil des Kühlschranks selbst. Das auf Seite 3, Zeile 29 von D1 verwendete Wort "thermoforming" offenbare zwar das Verfahren "Thermoformen", nicht jedoch das spezifischere Verfahren "Tiefziehen", eine besondere Form des Thermoformens. Der Wortlaut "aus zerlegtem Kunststoff-Flachmaterial" in Anspruch 1 impliziere, dass die extrudierte Bahn vollständig zerlegt werde, bevor die zerlegten Halbzeuge durch Tiefziehen umgeformt werden. Dieser Verfahrensschritt könne D1 nicht entnommen werden. Dort erfolge möglicherweise nur ein Zuschneiden der extrudierten Bahn im Batchbetrieb.

Ferner offenbare D1 nicht die Merkmale "Tiefziehen", "gleiches Kunststoffmaterial oder -materialgemisch" und "Koextrusion" in einer einzigen Offenbarung, wie in T 1040/08 bereits festgestellt worden sei. D1 offenbare zwar ein transparentes bzw. lichtdurchlässiges Laminat aus zwei koextrudierten Schichten, nämlich einer biozidenthaltenden Oberflächenschicht und einer biozidfreien Trägerschicht. Es könne D1 jedoch nicht entnommen werden, dass diese Schichten aus dem gleichen Kunststoffmaterial oder -materialgemisch bestehen, geschweige denn, dass das Laminat zur Bildung eines Formteils durch Tiefziehen geeignet sei. In den Beispielen 11 und 14 von D1 wiesen die zwei Schichten des Laminats unterschiedliche Grundmaterialien auf. Beispiele 12 und 15 von D1 beträfen keine Ausführungsbeispiele des Laminats gemäß D1, sondern nur Vergleichsbeispiele, die keine ausreichende biozide Wirkung zeigten.

c) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Vorbringen der Einsprechenden 1:

Sollte die anspruchsgemäße Laminatbahn aus zwei koextrudierten Schichten nicht als in D1 offenbart angesehen werden, so sei es jedoch für den Fachmann eine naheliegende Maßnahme, eine solche Laminatbahn zu verwenden.

Auf Seite 5, Zeilen 27 bis 30 von D1 sei bereits offenbart, die Innenwand eines Kühlschrankgehäuses durch Extrudieren und Tiefziehen einer Bahn aus einem biozidfreien Kunststoffmaterial zu bilden und anschließend mit dem biozidenthaltenden Kunststoffmaterial zu beschichten, um die biozide Wirkung mit einer relativ geringen Menge an Biozid zu erhalten. Ausgehend von diesem Beschichtungsverfahren bringe die Verwendung der anspruchsgemäßen Laminatbahn keinen neuen technischen Effekt. Demnach liege die objektiv zu lösende Aufgabe nur darin, ein alternatives Verfahren zur Bildung der biozidenthaltenden Oberflächenschicht bereitzustellen. Hier würde sich die Verwendung des in D1 offenbarten Laminats anbieten, insbesondere da sie in D1 als Alternative zum Beschichtungsverfahren definiert werde (Seite 5, Zeile 32). Es sei daher naheliegend, bei dem in D1 offenbarten Verfahren zur Herstellung der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses durch Tiefziehen das in D1 beschriebene Laminat einzusetzen.

Der Wortlaut von Anspruch 1 schließe nicht aus, dass die Innenwand transparent sei. Insbesondere sei Anspruch 1 nicht darauf beschränkt, dass in den Zwischenraum zwischen Innen- und Außenwand eine isolierende Schaumfüllung eingebracht sei. Davon abgesehen könne die Transparenz des Laminats in ästhetischer Hinsicht vorteilhaft sein.

Das Merkmal von Anspruch 1, für die koextrudierten Schichten des Laminats das gleiche Kunststoffmaterial oder -materialgemisch zu verwenden, sei in D1 auf Seite 6, Zeilen 13 bis 20 und in Beispielen 12 und 15 ausdrücklich offenbart. Im Übrigen sei es eine naheliegende Maßnahme für den Fachmann, um die Koextrusion der zwei Schichten zu vereinfachen.

Vorbringen der Patentinhaberin:

Die genannten Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und D1 begründeten das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit, wie in der angefochtenen Entscheidung und in T 1040/08 festgestellt worden sei.

Die zu lösende Aufgabe liege darin, ein Kältegerät auf einfache und kostensparende Weise in seinem Innenraum biozid auszugestalten (vgl. Absatz 9 der Patentschrift).

Der damit befasste Fachmann habe keine Veranlassung, das in D1 offenbarte, transparente bzw. lichtdurchlässige Laminat aus zwei koextrudierten Schichten als Ausgangsmaterial für das Tiefziehen der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses zu verwenden. Insbesondere würde der Fachmann kein transparentes bzw. lichtdurchlässiges Laminat benutzen, das eine Sicht auf das unappetitlich anzusehendes Isolationsmaterial zwischen Innen- und Außenwand freigeben würde. Schließlich erhalte er in D1 keine Anregung dafür, die koextrudierten Schichten aus dem gleichen Kunststoffmaterial oder -materialgemisch herzustellen.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 100 c) EPÜ

1.1 In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer ihre vorläufige Meinung zum Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ wie folgt kundgetan:

"8.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden (Gründe Nr. 4.1), dass das in Verfahrensanspruch 5 aufgeführte Merkmal b), nämlich "Zerlegen der Bahn aus Kunststoff-Flachmaterial und Tiefziehen, um sie zur Innenwand zu formen", keine Stütze in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen finde.

8.2 Die Kammer teilt derzeit die Auffassung der Patentinhaberin, dass das Merkmal b) durch die allgemeine Lehre auf Seite 4, Zeilen 21 und 22 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt ist. Das strittige Merkmal verlangt lediglich ein Zerlegen und Tiefziehen der Bahn aus Kunststoff-Flachmaterial. So bezieht sich der Teilsatz "um sie zur Innenwand zu formen" offensichtlich auf die zerlegte und tiefgezogene Bahn, wobei offen gelassen ist, ob sie zunächst zerlegt oder tiefgezogen wird. Das Merkmal schreibt also nicht zwingend vor, dass der Verfahrensschritt "Zerlegen" vor dem Verfahrensschritt "Tiefziehen" erfolgt: Dies könnte auch in umgekehrter Reihenfolge erfolgen. Im Übrigen wird dieses Verständnis von Merkmal b) durch die Lehre in der Beschreibung des Patents bestätigt (vgl. Absatz 18 der Patentschrift).

8.3 Die Einspruchsabteilung hat weiter entschieden, dass die Ansprüche 1 bis 4 unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden seien (Gründe Nr. 3). Die Kammer sieht derzeit keine Veranlassung, von dieser Feststellung abzuweichen.

8.4 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) der Aufrechterhaltung des Patents

in der erteilten Fassung nicht entgegensteht."

1.2 Der Einsprechende 2 hat auf diese vorläufige Meinung nicht reagiert. In der mündlichen Verhandlung hat die Einsprechende 1 ihren schriftlich vorgebrachten Einwand gegen Merkmal b) von Anspruch 5 zurückgenommen.

1.3 Die Kammer sieht auch bei nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage keinen Grund, ihre vorläufige Meinung zum Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ zu ändern.

1.4 Im schriftlichen Beschwerdeverfahren hatte die Einsprechende 1 ihren Einwand der unzulässigen Erweiterung ausschließlich auf Merkmal b) von Anspruch 5 gestützt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, d. h. zum spätmöglichsten Zeitpunkt, machte sie geltend, dass der in Anspruch 1 verwendete Begriff "Kältegerät" eine unzulässige Erweiterung darstelle. Dieses Vorgehen hatte als Konsequenz, dass dieser neue Einwand sowohl für die Patentinhaberin als auch für die Kammer völlig überraschend kam, so dass eine Vorbereitung hierzu nicht möglich war.

1.5 Nach Artikel 12 (2) VOBK sollen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung jeweils den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Die Einsprechende 1 hätte deshalb den vorgenannten Einwand gegen die Verwendung des Begriffs "Kältegerät" bereits in ihrer Beschwerdebegründung vom 7. September 2015 bzw. in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 13. Januar 2016 erheben müssen. Die Einsprechende 1 machte geltend, dass sie in ihrer Beschwerdebegründung (Seite 1, Zeilen 7 und 8) ausdrücklich auf das gesamte, erstinstanzliche Vorbringen beider Einsprechenden verwiesen hatte und dieser Einwand bereits im Einspruchsverfahren vom Einsprechenden 2 erhoben worden war. Dieser pauschale Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen verstößt aber gegen dem Erfordernis des Artikels 12 (2) VOBK, insbesondere da die Einsprechende 1 nicht auf die Beurteilung des Einwands in der angefochtenen Entscheidung eingegangen ist.

1.6 Aus diesen Gründen und unter Berücksichtigung des Standes des Verfahrens und der gebotenen Verfahrensökonomie entschied die Kammer, diesen neuen Einwand in das Verfahren nicht zuzulassen (Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 13 (1) und (3) VOBK).

1.7 Folglich steht der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.

2. Hauptantrag - Neuheit

2.1 D1 offenbart ein Kunststoffmaterial mit biozider Wirkung, das ein Acrylpolymermaterial und eine biozide Verbindung enthält, wobei das Acrylpolymermaterial 5 bis 50 Gew.-%, bezogen auf das gesamte vorliegende Polymer, eines gummiartigen Copolymers enthält (unabhängiger Sachanspruch 1 und Seite 2, Zeilen 24 bis 27). Auf Seite 3, Zeilen 1 bis 9 von D1 ist eine Reihe von unterschiedlichen bioziden Verbindungen genannt, die zum Einmischen in das Acrylpolymermaterial geeignet sind, insbesondere Silber (Seite 3, Zeile 2).

2.2 Auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 von D1 ist beispielhaft erwähnt, dass zur Herstellung der Auskleidung eines Kühlschranks zunächst eine Bahn aus diesem biozidenthaltenden Kunststoffmaterial extrudiert und diese anschließend thermogeformt wird ("For example, if the plastics material is intended to be extruded into a sheet for subsequent thermoforming, e. g. to form a lining for a refrigerated cabinet, then an acrylic material formulated for thermal moulding should be selected"). Der Begriff "lining for a refrigerated cabinet" bezeichnet nach dem allgemeinen Sprachverständnis die Auskleidung eines Kühlschranks.

2.3 Die Kammer kann der Einsprechenden 1 darin folgen, dass ein fachkundiger Leser dieser Lehre erkennt, dass sie im Hinblick auf die biozide Funktion der Auskleidung sinnvoll nur so zu verstehen ist, dass die Innenauskleidung des Kühlschranks - und mithin die Innenwand des Kühlschrankgehäuses - durch Extrudieren und Tiefziehen einer Bahn aus biozidenthaltendem Kunststoffmaterial erzeugt wird. Unter dem auf Seite 3, Zeile 29 verwendeten Begriff "thermoforming" versteht der Fachmann das Thermoformen, d. h. ein Verfahren zum Umformen eines erwärmten, thermoplastischen Halbzeugs zu einem Formteil, mit den folgenden Schritten: Erwärmen des Halbzeugs auf Umformtemperatur; Verformen des Halbzeugs in einem Formwerkzeug über eine Druckdifferenz und/oder mechanisch mit entsprechenden Formhelfern; Abkühlen und Entformen des formstabilen Formteils. Das Thermoformen wird umgangssprachlich auch als "Tiefziehen" bezeichnet (vgl. u. a. D5a, Seite 2 und D5b, Seite 1).

2.4 Damit offenbart D1, in den Worten des streitigen Anspruchs 1, ein Kältegerät mit einem eine Außenwand und eine Innenwand aufweisenden Gehäuse, wobei die Innenwand aus einer Bahn aus zerlegtem Kunststoff-Flachmaterial durch Tiefziehen gebildet ist, wobei die Bahn durch Extrusion eines Kunststoffmaterials erzeugt ist, das mit einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Silberverbindung versetzt ist.

2.5 Die Patentinhaberin argumentiert, dass der Wortlaut "aus zerlegtem Kunststoff-Flachmaterial" in Anspruch 1 so zu verstehen sei, dass das extrudierte Kunststoff-Flachmaterial vollständig in Halbzeugen zerlegt werde, bevor die Halbzeuge tiefgezogen werden, und dass dieses Merkmal dem Dokument D1 nicht entnommen werden kann. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn es ist nicht erkennbar, dass sich in der Praxis dieses streitige Merkmal aus der Dicke und/oder den Kanten der fertig umgeformten Innenwand ermitteln lassen kann und einen deutlichen Unterschied zu der in D1 offenbarten, tiefgezogenen Innenwand ergibt. Als Ausgangsmaterial für das Thermoformen bzw. Tiefziehen muss nämlich stets ein Halbzeug in Form einer Folie bzw. Platte verwendet werden. Bei dem auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 von D1 offenbarten Herstellungsverfahren der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses muss notwendigerweise die extrudierte Bahn in Zuschnitte entsprechend den gewünschten Maßen zerlegt werden, bevor die Zuschnitte der Thermoform-Maschine zugeführt werden können.

2.6 Die Kammer teilt jedoch die Auffassung der Patentinhaberin, dass es in D1 nicht offenbart ist, die Innenwand des Kühlschrankgehäuses durch Tiefziehen einer Bahn zu bilden, die "durch Koextrusion zweier Rohmaterialchargen erzeugt ist, wovon eine erste Charge eines Kunststoffmaterials oder -materialgemisches mit einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Silberverbindung versetzt ist und eine dem Innenraum des Kältegeräts zugewandte Oberflächenschicht der Innenwand bildet und eine zweite das gleiche Kunststoffmaterial oder -materialgemisch enthaltende Charge im Wesentlichen frei von der Silberverbindung ist und eine Trägerschicht der Innenwand bildet", wie in Anspruch 1 vorgeschrieben.

2.7 Im Hinblick auf diese Merkmale verweist die Einsprechende 1 auf das in D1 offenbarte Laminat, das aus einer Oberflächenschicht des vorgenannten, biozidenthaltenden Kunststoffmaterials und einer damit koextrudierten Trägerschicht besteht, die ohne Biozid verbleibt (Sachanspruch 11 und Verfahrensanspruch 14, Seite 5, Zeile 32 bis Seite 7, Zeile 7, insbesondere Seite 6, Zeile 18 und Seite 7, Zeilen 5 bis 7).

2.8 D1 kann aber nicht entnommen werden, dass dieses Laminat durch Tiefziehen verarbeitet wird, geschweige denn zur Herstellung der Innenwand des Kühlschrankgehäuses verwendet wird. In D1 wird lediglich hervorgehoben, das Laminat eigne sich zur Herstellung von transparenten bzw. lichtdurchlässigen Gegenständen, insbesondere inneren Einbauten für Kühlschränke, Regalen für Lebensmittelprodukte und Duschwänden, wenn die biozidenthaltende Oberflächenschicht dünn sei und die biozidfreie Trägerschicht aus transparentem Acrylpolymer bestehe (Seite 6, Zeilen 5 bis 12 und Zeilen 28 bis 31). Beispiele 11, 14, 16 und 17 von D1 betreffen besondere Ausführungsbeispiele eines derartigen lichtdurchlässigen Laminats, bei dem eine 50-100 mym dicke Oberflächenschicht aus 63 Gew.-% Acrylpolymer (PMMA Diakon**(TM) LG156), 35 Gew.-% Gummi-Copolymer und 2% Gew.-% Biozid (Vanquish**(TM) bzw. Triclosan) und eine 1 mm dicke, biozidfreie Trägerschicht aus transparentem Acrylpolymer (PMMA Diakon**(TM) LG156) koextrudiert werden. Nichts in der technischen Offenbarung von D1 spricht dafür, diese spezifische Lehre mit der Lehre auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 zu kombinieren, welche die Herstellung der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses betrifft. Im Übrigen ist es im Hinblick auf das verwendete Acrylpolymer und die geringe Dicke der Oberflächenschicht auch fraglich, ob die in Beispielen 11, 14, 16 und 17 offenbarten Laminate zur Bildung der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses durch Tiefziehen geeignet wären und ob damit eine geschlossene biozidenthaltende Oberflächenschicht mit einer für eine langfristige biozide Wirkung erforderlichen Materialdicke erhalten werden könnte.

2.9 Die Einsprechende 1 argumentiert ferner, dass - in einer besonderen Ausführungsform der auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 von D1 offenbarten Innenwand eines Kühlschrankgehäuses - die Innenwand durch Extrudieren und Tiefziehen einer Bahn aus einem biozidfreien Kunststoffmaterial gebildet und anschließend mit dem biozidenthaltenden Kunststoffmaterial beschichtet wird. Auch dieses Argument überzeugt nicht. Auf Seite 5, Zeilen 27 bis 30 von D1 wird lediglich erklärt, dass das biozidenthaltende Kunststoffmaterial zur Beschichtung eines biozidfreien Substratmaterials verwendet werden kann, um die biozide Wirkung mit einer relativ geringen Menge an Biozid zu erhalten. Dort ist keinerlei Hinweis auf die Herstellung der Innenwand eines Kühlschrankgehäuses zu finden.

2.10 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher neu im Sinne des Artikels 54 (1) und (2) EPÜ.

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

3.1 Der auf Seite 3, Zeilen 28 bis 30 von D1 offenbarte Kühlschrank bildet den nächstliegenden Stand der Technik zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

3.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich davon dadurch, dass die Bahn "durch Koextrusion zweier Rohmaterialchargen erzeugt ist, wovon eine erste Charge eines Kunststoffmaterials oder -materialgemisches mit einer gegen Mikroben und/oder Pilze wirksamen Silberverbindung versetzt ist und eine dem Innenraum des Kältegeräts zugewandte Oberflächenschicht der Innenwand bildet und eine zweite das gleiche Kunststoffmaterial oder -materialgemisch enthaltende Charge im Wesentlichen frei von der Silberverbindung ist und eine Trägerschicht der Innenwand bildet".

3.3 Die Einsprechende 1 trägt vor, dass diese Unterscheidungsmerkmale die gleiche technische Wirkung haben wie die auf Seite 5, Zeilen 27 bis 30 von D1 offenbarte Ausführungsform der Innenwand mit einer durch Tiefziehen umgeformten, biozidfreien Trägerschicht und einer nachträglich aufgebrachten, biozidenthaltenden Oberflächenschicht. Die technische Aufgabe, die sich objektiv gegenüber D1 ergebe, liege daher allenfalls darin, ein alternatives Verfahren zur Bildung der biozidenthaltenden Oberflächenschicht bereitzustellen.

3.4 Die Kammer kann sich diesem Vorbringen nicht anschließen, da es die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale außer Acht lässt. Insbesondere ist in D1 nicht offenbart, die Innenwand des Kühlschrankgehäuses durch Tiefziehen eines biozidfreien Kunststoffmaterials zu bilden und anschließend mit einem biozidenthaltendem Kunststoffmaterial zu beschichten (siehe Punkt 2.9 oben).

3.5 Dank der Unterscheidungsmerkmale befindet sich das Biozid nur in der dem Innenraum des Kältegeräts zugewandten Oberflächenschicht, wodurch im Vergleich zu dem in D1 offenbarten Kühlschrank der Verbrauch an Biozid, insbesondere an teurem Silber reduziert wird. Dabei haften die zwei Schichten aufgrund des gleichen Kunststoffmaterials bzw. -materialgemisches gut aneinander, wodurch ihre Koextrusion, wenn überhaupt, nur wenige Probleme darstellt.

3.6 Ausgehend von D1 besteht die objektiv zu lösende Aufgabe demnach darin, den Innenraum des Kühlschranks auf einfachere und kostensparendere Weise biozid auszugestalten (siehe Absatz 9 der Patentschrift).

3.7 Die Kammer kann der Einsprechenden 1 zwar darin folgen, dass es für den mit dieser Aufgabe befasste Fachmann im Hinblick auf die Lehre auf Seite 5, Zeilen 27 bis 30 von D1 nahe liegt, das biozidenthaltende Kunststoffmaterial als relativ dünne Oberflächenbeschichtung der fertig umgeformten Innenwand des Kühlschrankgehäuses aufzubringen.

3.8 Es liegt jedoch im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht nahe, als Ausgangsmaterial zur Bildung der Innenwand durch Tiefziehen das in D1 offenbarte Laminat bestehend aus zwei koextrudierten Schichten zu verwenden, wobei die eine Schicht Biozid enthält und die andere/zweite Schicht dagegen ohne Biozid verbleibt. Insbesondere kann D1 nicht entnommen werden, dass das dort offenbarte Laminat zur Lösung der gestellten Aufgabe Verwendung finden, geschweige denn durch Tiefziehen zu Formteilen umgeformt werden könnte. In D1 wird lediglich hervorgehoben, das Laminat eigne sich zur Herstellung von transparenten bzw. lichtdurchlässigen Gegenständen (siehe Punkt 2.8 oben). Dies würde den Fachmann daran hindern, das Laminat zu verwenden, da die Innenwand des Kühlschrankgehäuses, allein schon wegen der Unästhetik von zwischen der Außen- und Innenwand des Gehäuses untergebrachtem Isolierungsmaterial und mechanischen und elektrischen Gegenständen, standardgemäß keineswegs aus transparenten bzw. lichtdurchlässigen Materialien gefertigt sein sollte.

3.9 Selbst wenn der Fachmann die Verwendung des in D1 offenbarten Laminats als Ausgangsmaterial zur Bildung der Innenwand durch Tiefziehen in Betracht ziehen würde, erhielte er in D1 keine Anregung dazu, die koextrudierten Schichten des Laminats aus dem gleichen Kunststoffmaterial oder -materialgemisch herzustellen, wie in Anspruch 1 vorgeschrieben. Entgegen der Auffassung der Einsprechenden 1 kann diese besondere Maßnahme der Lehre auf Seite 6, Zeilen 13 bis 20 von D1 nicht entnommen werden. Dort ist zwar erwähnt, dass die Trägerschicht des Laminats vorzugsweise aus einem Acrylpolymer oder Acrylcopolymer besteht ("The substrate material preferably comprises a thermoplastic material selected from the group comprising ... acrylic polymers and copolymers"). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Trägerschicht aus dem gleichen Gemisch aus Acrylpolymer und gummiartigem Copolymer besteht wie die Oberflächenschicht des Laminats (Seite 5, Zeile 32 bis Seite 6, Zeile 2).

3.10 Dieses Merkmal ist auch nicht durch die Ausführungsbeispiele des in D1 offenbarten Laminats nahegelegt. In Beispielen 11, 14, 16 und 17 von D1 besteht die dünne Oberflächenschicht aus 63 Gew.-% Acrylpolymer (PMMA Diakon**(TM) LG156), 35 Gew.-% Gummi-Copolymer und 2% Gew.- % Biozid, während die dicke Trägerschicht ausschließlich aus Acrylpolymer (PMMA Diakon**(TM) LG156) besteht.

3.11 In Beispielen 12 und 15 von D1 sind die Oberflächenschicht und die Trägerschicht des Laminats zwar aus dem gleichen Acrylpolymer hergestellt (PMMA Diakon**(TM) LG156). Diese Beispiele sind jedoch keine Ausführungsbeispiele des in D1 offenbarten Laminats, sondern Vergleichsbeispiele ("comparative sample" auf Seite 9, Zeile 18 und Seite 10, Zeile 1), die langfristig keine ausreichende biozide Wirkung zeigten (siehe Versuchsergebnisse in Tabellen 2 und 3 von D1). Der Fachmann hätte deshalb keine Veranlassung, diese Vergleichsbeispiele heranzuziehen.

3.12 Zusammenfassend kann die Kammer also nicht feststellen, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 entgegen Artikel 56 EPÜ in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergibt.

4. Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die von der Einsprechenden 1 geltend gemachten Einspruchsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstehen.

5. Auf die Hilfsanträge 1 bis 10 der Patentinhaberin braucht deswegen nicht mehr eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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