T 1350/15 (Magnesiumpyrophosphtat als Triebsäure/BUDENHEIM) of 13.2.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T135015.20190213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 2019
Aktenzeichen: T 1350/15
Anmeldenummer: 09175720.3
IPC-Klasse: A21D 2/02
A21D 10/00
A23L 1/304
C01B 25/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Magnesiumpyrophosphat enthaltendes Produkt und dessen Verwendung als Triebsäure für die Herstellung von Backwaren
Name des Anmelders: Chemische Fabrik Budenheim KG
Name des Einsprechenden: BK Giulini GmbH
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde betrifft das Europäische Patent Nr. 2 327 309 mit der Anmeldenummer 09 175 720.3.

II. Das Streitpatent wurde mit 14 Ansprüchen erteilt. Die Ansprüche 1, 9 und 13 lauten wie folgt:

"1. Produkt, welches saures Magnesiumpyrophosphat und wenigstens Magnesiumorthophosphat enthält, herstellbar durch Entwässern einer wässrigen Lösung oder Suspension einer Magnesiumphosphatverbindung, die ein Molverhältnis von Mg:P von 0,4 - 0,6 : 1 aufweist, wobei das Produkt einen Glühverlust von 7,5 bis 13,5 % aufweist, der bestimmt wird, indem man 2 g Probe bei 800°C für 30 min glüht und den Massenverlust beim Glühen bestimmt, und wobei das Produkt 30 bis 99 Gew.-% Pyrophosphat-P205 und 1 bis 70 Gew.-% Orthophosphat-P205 enthält, wobei sich die Gewichtsprozentangaben auf den Gesamt-P205-Gehalt im Produkt beziehen."

"9. Triebsystem für die Herstellung von Backwaren mit einem Kohlendioxidträger und einem Triebsäuresystem, dadurch gekennzeichnet, dass das Triebsäuresystem das Produkt nach einem der vorangegangenen Ansprüche enthält."

"13. Verwendung des Produkt[.]nach einem der Ansprüche 1 bis 8 als Triebsäuresystem bei der Herstellung von Backwaren."

Der Hilfsantrag 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2019 enthält 11 Ansprüche.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"1. Triebsystem für die Herstellung von Backwaren mit einem Kohlendioxidträger und einem Triebsäuresystem, dadurch gekennzeichnet, dass das Triebsäuresystem ein Produkt enthält, welches saures Magnesiumpyrophosphat und wenigstens Magnesiumorthophosphat enthält, herstellbar durch Entwässern einer wässrigen Lösung oder Suspension einer Magnesiumphosphatverbindung, die ein Molverhältnis von Mg:P von 0,4 - 0,6 : 1 aufweist, wobei das Produkt einen Glühverlust von 7,5 bis 13,5 % aufweist, der bestimmt wird, indem man 2 g Probe bei 800°C für 30 min glüht und den Massenverlust beim Glühen bestimmt, und wobei das Produkt 30 bis 99 Gew.-% Pyrophosphat-P205 und 1 bis 70 Gew.-% Orthophosphat-P205 enthält, wobei sich die Gewichtsprozentangaben auf den Gesamt-P205-Gehalt im Produkt beziehen."

Anspruch 11 betrifft die Verwendung des Produkts:

"11. Verwendung des Produkts, welches saures Magnesiumpyrophosphat und wenigstens Magnesiumorthophosphat enthält, wie es in einem der vorangegangenen Ansprüche definiert ist, als Triebsäuresystem bei der Herstellung von Backwaren."

III. Im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wurden u.a. die folgenden Dokumente genannt:

(1) Englische Übersetzung von Itatani et al., Gypsum & Lime, 1986, 205, 27-32

(2) Chemische Backtriebmittel, Ernst Brose, Günter Becker und Wolfgang Bouchain, Universitätsdruckerei und Verlag H. Schmidt Mainz, August 1996

(3) US 5 405 636

(4) Matsuda et al., Gypsum & Lime, 1994, 251, 38-43

(5) Annotierte Abbildung 5 des Dokuments (1), eingereicht mit Schreiben vom 7. Oktober 2016, 1 Seite

IV. Die Einspruchsabteilung entschied, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen, da der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung neu und erfinderisch sei.

V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Inhaberin) reichte mit der Beschwerdeerwiderung vom 21. Januar 2016 die Hilfsanträge 1 bis 5 ein.

VII. Am 13. Februar 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

VIII. Die für diese Entscheidung maßgeblichen Argumente, die von der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.

Zulassung Dokument (4)

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das Dokument (4) als Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingereicht worden sei, insbesondere um zu bestätigen, dass bei dem Verfahren gemäß dem Dokument (1) immer Mischungen bestimmter Magnesiumphosphate entstünden. Das Vorliegen dieser Mischungen sei jedoch bereits dem Dokument (1) zu entnehmen.

Neuheit - Hauptantrag

Das Produkt gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei durch sein Herstellungsverfahren definiert. Ein Ausgangsprodukt, enthaltend Magnesiumphosphatverbindungen mit einem Molverhältnis von Mg:P von 0,4-0,6:1, werde entwässert bis ein Endprodukt mit einem Glühverlust in einem bestimmten Bereich erreicht sei. Dieser Glühverlustbereich entspreche einem Gemisch enthaltend Magnesiumorthophosphat und saures Magnesiumpyrophosphat in einem bestimmten Mischungsverhältnis. Dokument (1) offenbare die Entwässerung von Magensiumdihydrogenphosphattetrahydrat. Dieses werde in einem ersten Schritt synthetisiert, und zwar ausgehend von einem wässrigen System enthaltend Mengen an Magnesiumoxid und Phosphorsäure in einem Molverhältnis von Mg:P von 0,5. Diese Synthese entspreche dem definierten Verfahren des Anspruchs 1 des Streitpatents. Der Synthese folge die Entwässerung. In Abbildung 5 sei zu sehen, dass Umwandlungsbereiche zwischen den einzelnen Verbindungen vorliegen, die einzelnen Stufen der Entwässerung seien daher nicht unabhängig und isoliert voneinander zu sehen, vielmehr erfolge eine allmähliche Umwandlung. Im Temperaturbereich von ca. 250-260°C beginne die Umwandlung des Orthophosphats in das saure Pyrophosphat. Bis zu einer Temperatur von 330°C lägen Mischungen von Orthophosphat und Pyrophosphat vor, dann sei die Umwandlung zu saurem Magnesiumpyrophosphat abgeschlossen. Der Abfall der DTA Kurve entspreche der für die Umwandlung nötigen Energieaufnahme. Dieser Vorgang spiegele sich auch in der TG Kurve, die dem Glühverlust gleichzusetzen sei, wieder. Es sei zu sehen, dass der Übergang einen Bereich darstelle und nicht "scharf" bei einer bestimmten Temperatur stattfinde. Die gemessenen Gewichtsverluste, sowie die Gewichtsplateaus, entsprächen den theoretischen Berechnungen, siehe schriftliches Verfahren. Von maximal 37 Gew.-% möglichem Gewichtsverlust werden am Plateau vor der Umwandlung des Orthophosphats 24 Gew.-% erreicht, am Plateau nach der Umwandlung zu saurem Pyrophosphat könne ein Gewichtsverlust von 31 Gew.-% an der Ordinate abgelesen werden. Der mögliche Glühverlust im relevanten Bereich sei folglich mit 6-13 Gew.-% offenbart. Dies sei in Dokument (5) durch einen schraffierten Bereich gekennzeichnet. Die Mischungen, die in diesem Bereich vorlägen, entsprächen Produkten mit allen technischen Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents. Die Beschwerdeführerin merkte an, dass der Anspruch 1 das Herstellungsverfahren nicht abschließend definiere, und dass die Möglichkeit weiterer Verfahrensschritte bestehe. Des weiteren könne das Produkt des Anspruchs 1 weitere Verbindungen außer Magnesiumorthophosphat und Magensiumpyrophosphat enthalten.

Zulassung Hilfsantrag 1

Der Hilfsantrag 1 wurde verspätet, nämlich erst während der mündlichen Verhandlung, eingereicht und sei daher nicht ins Verfahren zuzulassen.

Erfinderische Tätigkeit Hilfsantrag 1

Der nächste Stand der Technik sei Dokument (2). Dieses Dokument sei ein erfolgsversprechenderer Ausgangspunkt als Dokument (3). In Dokument (2) werde saures Calciumpyrophosphat in Form von CAFOS PYRO als Backtriebsäure offenbart (Seite 67, letzte Zeile). Der Seite 71, im Kontext von Hefeteigen, sei explizit zu entnehmen, dass CAFOS PYRO eine Kombination von Phosphaten enthalte, diese müsse zwangsläufig Magnesiumorthophosphat und Magnesiumpyrophosphat enthalten. Seite 11, 5. Absatz, belege, dass verzögert reagierende Backpulver in schweren Hefeteigen eingesetzt werden. In diesem Kontext würden auch saure Calciumphosphate erwähnt. CAFOS PYRO sei daher in Dokument (2) eindeutig als Triebsäure offenbart. Der Unterschied zu Anspruch 1 des Streitpatents sei daher nur das Gegenion Magnesium. Tabelle 3 des Streitpatents zeige, dass mit saurem Calciumpyrophosphat ein vergleichbares Backergebnis wie mit den erfindungsgemäßen Produkten erzielt werde. Ein Vergleich mit CAFOS PYRO liege nicht vor. Das technische Problem bestehe daher darin, eine Alternative zu Calcium basierten Triebsäuren zur Verfügung zu stellen. Die Lösung sei offensichtlich. In Dokument (2) gebe es mehrere Hinweise, statt Calcium Magnesium einzusetzen. Dokument (2) bestätige durch seine Auflistung von Magnesium unter den Ionen zur qualitativen Analyse, dass Magnesium in Backtriebmitteln eingesetzt werde (Seite 44, 1. Absatz). Auf Seite 74, 2. Absatz, werde beschrieben, dass es eine alte Bäckerweisheit sei, dass hartes Wasser, also Wasser das Magnesiumionen enthalte, zu einem besseren Backergebnis führe. Das Streitpatent beschreibe des weiteren, dass Magnesium ein essentieller Stoff sei, der dem Körper täglich zugeführt werden müsse (siehe Absatz [0019] des Streitpatents). Dies werde durch die Angabe der RDA Werte im Dokument (3) bestätigt (Spalte 2, letzter Absatz). Die Eignung von Magnesiumphosphaten als Backtriebsäuren sei unbestritten. Dies werde auch durch das Dokument (3) gestützt, das lehre Magnesium als Phosphatverbindung in Triebsäuren einzusetzen. Magnesium sei daher das attraktivste Kation für den Fachmann. Der Gegenstand der Ansprüche des Hilfsantrags 1 sei daher nicht erfinderisch.

IX. Die für diese Entscheidung maßgeblichen Argumente, die von der Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.

Zulassung Dokument (4)

Die Beschwerdegegnerin stellte fest, dass das Dokument (4) ohne Angabe von Gründen erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden sei. Es könne nicht zur Interpretation des Sachverhalts des Dokuments (1) herangezogen werden. Obwohl große Teile des Dokuments (4) nicht in einer Amtssprache vorlägen, könne festgestellt werden, dass die wiedergegebenen Daten der beiden Dokumente nicht im Einklang seien. Es werde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten, dass bei dem Verfahren gemäß Dokument (1) Mischungen vorlägen.

Neuheit - Hauptantrag

Dokument (1) betreffe nicht das Gebiet der Triebsäuren, sondern das Gebiet der Sinterung von Metalloxidpulvern. Ein Fachmann hätte daher einen eventuellen Überschneidungsbereich mit dem beanspruchten Gegenstand nicht in Erwägung gezogen. Des weiteren offenbare das Dokument (1) solch einen Bereich auch nicht. Es sei zwar unstreitig, dass beim Entwässern Zwischenprodukte bestehend aus einem Gemisch einer Vielzahl von Verbindungen entstehen, dies entspreche aber keineswegs dem beanspruchten Produkt das aus einer Kombination von Orthophosphat und Pyrophosphat in einem bestimmten Verhältnis verbunden mit einem definierten Glühverlust bestehe. Die Art der Herstellung habe einen entscheidenden Einfluss auf das Endprodukt. Durch das Entwässern direkt aus einer wässrigen Lösung bzw. Suspension, wobei eine Wasserdampfatmosphäre über dem Produkt vorherrsche, werden sehr reine Produkte erhalten. Dies könne der Tabelle 1 entnommen werden. Diese zeige, dass die Endprodukte ausschließlich aus Magnesiumorthophosphat und Magnesiumpyrophosphat bestehen. Weitere Phosphatverbindungen lägen nicht vor. Demgegenüber beinhalte die Synthese des Dokuments (1) einen Fällungs- und Trocknungsschritt, was einen eklatanten Unterschied darstelle. Im Gemisch des Dokuments (1) können zu jedem Zeitpunkt bereits höhere Phosphate vorliegen. Daher könne aus der Abbildung 5 des Dokuments (1) nicht eindeutig der Glühverlust und das Verhältnis von Magnesiumorthophosphat zu Magnesiumpyrophosphat entnommen werden. Dies sei auch ersichtlich aus den Ansätzen (c) und (d) des Streitpatents. Diese Ansätze weisen, obwohl sie zu einer Temperatur von 280°C geführt wurden, ganz andere Verhältnisse von Magnesiumorthophosphat zu Magnesiumpyrophosphat auf (siehe Tabelle 1) als aus der Abbildung 5 für eine Temperatur von 280°C ablesbar sei.

Zulassung Hilfsantrag 1

Die unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 1 basierten auf den unabhängigen Ansprüchen des Hilfsantrags 3, der mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde, und orientierten sich an Anspruch 9 des Streitpatents, beträfen also einen Gegenstand der immer schon Teil des Verfahrens war. Das Streichen einer Alternative könne weder eine Überraschung darstellen, noch bewirke es eine Verzögerung des Verfahrens.

Erfinderische Tätigkeit Hilfsantrag 1

Ausgehend von Dokument (2) als nächstem Stand der Technik müsse zunächst angemerkt werden, dass Dokument (2) das saure Calciumphosphat CAFOS PYRO keinesfalls als Triebsäure beschreibe. Auf Seite 71, unter Punkt 10.4 werde explizit erwähnt, dass es zur Verbesserung der Teigeigenschaften in Tiefkühlhefeteigen Einsatz finde. Auch die Passage auf Seite 11 betreffe Hefeteige und nicht Teige mit chemischem Backtrieb. Der zitierten Passage auf Seite 74, die sich auf die alte Bäckerweisheit bezüglich des harten Wassers beziehe, sei zu entnehmen, dass das Calcium das sich im harten Wasser befindet eine Funktion erfülle. Daher habe der Fachmann keinen Anlass, es zu ersetzen. Des weiteren werde weder eine genaue Zusammensetzung des CAFOS PYRO noch dessen Glühverlust offenbart. Die Aufgabe des Streitpatents sei in Absatz [0019] beschrieben. Die beanspruchte Lösung führe zu den in Tabelle 3 wiedergegebenen sehr guten Backergebnissen. Die Aufgabe wurde folglich gelöst. Ausgehend vom Dokument (2) gäbe es keine Veranlassung für ein Ersetzen von Calcium durch Magnesium. Calcium sei beispielsweise ebenfalls ein essentielles Mengenelement. Dokument (3) offenbare zwar Magnesiumphosphate in Triebmitteln, betreffe jedoch ein ganz anderes System, nämlich eines, das auf Dimagnesiumphosphat abstelle. Die dort beanspruchten Verbindungen basierten auf einem Mg:P Verhältnis von 1:1, könnten also nicht zum Streitpatent führen. Des weiteren werde in Spalte 3, Zeilen 16-30, dargelegt, dass keine analoge Reaktivität zu erwarten sei, wenn Calcium gegen Magnesium getauscht werde. Die Aussage in Dokument (2), dass eine Magnesiumbestimmung in Backtriebsystemen erfolge, stelle ebenfalls keine Anregung dar, Calcium durch Magnesium zu ersetzten. Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 sei daher erfinderisch.

X. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. 2327309 zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geändertem Umfang basierend auf einem der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 oder auf einem der Hilfsanträge 3 bis 5, die mit der Beschwerdeerwiderung vom 21. Januar 2016 als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht worden waren, aufrecht zu erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung des Dokuments (4)

Zusammen mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin das Dokument (4) erstmals eingereicht. Die Zulassung dieses Dokuments zum Verfahren richtet sich nach Artikel 12 (4) VOBK.

Aus der Argumentation der Beschwerdeführerin ergibt sich, dass die zitierten Passagen des Dokuments (4) keine weiteren Sachverhalte gegenüber den relevanten Passagen des Dokuments (1) einbringen.

In Anbetracht des Fehlens einer Begründung in der Beschwerdebegründung, weshalb das Dokument (4) erst in der Beschwerde eingebracht worden ist, und in Anbetracht der Aussage der Beschwerdeführerin, dass die relevanten Informationen bereits im Dokument (1) enthalten seien und durch das Dokument (4) nur bestätigt würden, lässt die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK das Dokument (4) nicht ins Verfahren zu.

3. Neuheit - Hauptantrag (Patent wie erteilt)

3.1 Dokument (1) befasst sich mit der Untersuchung des Dehydratationsprozesses von primärem Magnesiumphosphat in Form des Tetrahydrats (Magensiumdihydrogenphosphattetrahydrat).

3.2 Im experimentellen Teil wird zuerst die Herstellung des primären Magnesiumphosphattetrahydrats beschrieben. Ausgehend von einer wässrigen Zubereitung einer Magensiumphosphatverbindung, die ein Molverhältnis von Mg:P von 0,5:1 aufweist, wird Magensiumdihydrogenphosphattetrahydrat synthetisiert und in getrockneter Form bereitgestellt (Seite 2, Punkt 2.1). Dieses wird charakterisiert und in einer weiteren Stufe einer gezielten, kontrollierten Entwässerung unterworfen.

Die Beschwerdegegnerin hat darauf hingewiesen, dass, gemäß Anspruch 1 wie erteilt, die Herstellung des Produkts durch Entwässern einer wässrigen Lösung oder Suspension einer Magnesiumphosphatverbindung erfolgt, und keineswegs, wie in Dokument (1) durch Entwässern einer getrocknet vorliegenden Magnesiumphosphatverbindung.

Anspruch 1 des Streitpatents ist ein Erzeugnisanspruch mit Verfahrensmerkmalen. Bei der Beurteilung der Neuheit solch eines Anspruches fließen die Verfahrensmerkmale nur dann ein, wenn sie bewirken, dass das beanspruchte Erzeugnis bestimmte Eigenschaften aufweist und sich durch diese Eigenschaften vom Stand der Technik unterscheiden. Im gegenwärtigen Fall wird jedoch das Herstellungsverfahren des Dokuments (1) durch den in Anspruchs 1 des Streitpatents definierten Herstellungsprozess miteingeschlossen, da der Anspruch 1 Zwischenschritte im Entwässerungsprozess nicht ausschließt. Daher stellt sich die Frage nicht, ob die Verfahrensmerkmale zu anderen Eigenschaften des Erzeugnisses/Produkts führen.

3.3 Bei der über das Trocknen hinausgehenden Entwässerung wird das primäre Magnesiumphosphattetrahydrat von Punkt 2.1 einer kombinierten DTA-TG Analyse unterzogen, wobei ein Temperaturbereich von Raumtemperatur bis 800 °C durchlaufen wird (Punkt 2.5). Die Messergebnisse werden in Abbildung 5 dargestellt. Die im Verlauf dieser Entwässerung erhaltenen Zustände/Verbindungen werden mittels Röntgendiffraktion bestimmt (siehe Abbildungen 5 und 6, sowie Erläuterung auf Seite 7, Zeilen 4 bis 8).

Die Beschwerdeführerin hat eine annotierte Version der Abbildung 5 als Dokument (5) eingereicht. In Dokument (5) ist ein Bereich schraffiert, der dem Übergang von Magnesiumorthophosphat zu saurem Magnesiumpyrophosphat entspricht. Der Temperaturbereich auf der Abszisse wird mit 250 bis 330 °C identifiziert, der entsprechende Gewichtsverlust auf der Ordinate wird mit 24% bis 31% (% des Gewichtsverlusts gegenüber Ausgangsmaterial) abgelesen.

Die Beschwerdegegnerin hat anerkannt, dass bei der Entwässerung von Magnesiumphosphat, wie in Dokument (1) beschrieben, Gemische der verschiedenen Magnesiumphosphatverbindungen vorliegen. Sie hat allerdings geltend gemacht, dass an diesen Mischungen verschiedene Verbindungen beteiligt sein können. So können, zum Beispiel, auch kondensierte Phosphate im oben erwähnten schraffierten Bereich bereits vorliegen. Einen fundierten Hinweis, dass dies tatsächlich so ist, hat die Beschwerdegegnerin jedoch nicht erbracht.

Dokument (1) liefert keinen Anhaltspunkt der darauf schließen oder auch nur vermuten lässt, dass in dem Bereich der entscheidungsrelevant ist (siehe schraffierter Bereich in Dokument (5)), höher kondensierte Phosphate vorliegen. Es zeigt, dass die theoretischen Gewichtsverluste durch die in Dokument (5) identifizierten Umwandlungen einer Verbindung in die nächste den auf der Ordinate ablesbaren Gewichtsverlusten entsprechen (siehe Berechnungen der Beschwerdeführerin, Schreiben vom 7. Oktober 2016, Seite 5 ab "Zu 2.:" bis Seite 8, 4. Absatz, insbesondere Seite 6, 1. Absatz bis Seite 7, 1. Absatz). Es gibt folglich keine Stütze für die Annahme der Beschwerdegegnerin, dass kondensierte Phosphate in dem betrachteten Bereich vorliegen.

3.4 Das Produkt, das in Anspruch 1 des Streitpatents definiert ist, wird durch ein Verhältnis von 30 bis 99 Gew.-% Pyrophosphat-P2O2 und 1 bis 70 Gew.-% Orthophosphat-P2O2 sowie einen Glühverlust in einem Bereich von 7,5 bis 13,5 % charakterisiert. Es besteht kein Zweifel, dass die Probe beim Entwässern gemäß dem Verfahren des Dokuments (1), d.h. die spezifische Probe die sich im Pfännchen des DTA-TG Messgeräts befindet, über einen bestimmten Temperaturbereich als Gemisch von saurem Magnesiumpyrophosphat und Magnesiumorthophosphat vorliegt. Es besteht auch kein Zweifel, dass sich dieses Gemisch über einen bestimmten Zeitraum entsprechend einem Temperaturbereich auf der Abszisse der Abbildung 5 (Heizrate 10 °C/min) in dem beanspruchten Bereich des Verhältnisses von Magnesiumpyrophosphat und Magnesiumorthophosphat befindet, d.h. mit diesem übereinstimmt.

Die Abbildung 5 des Dokuments (1) zeigt jedoch nicht nur die Übergänge zwischen den einzelnen Phosphaten, sondern auch den damit einhergehenden Masseverlust derselben Probe. Wie bereits erwähnt startet Dokument (1) mit getrocknetem Magensiumdihydrogen-phosphattetrahydrat in die Entwässerung. Ein Masseverlust ist daher rein an die Abgabe von Kristallwasser sowie an die Umlagerung der Phosphatformen gekoppelt. Wie bereits oben festgestellt, entsprechen die auf der Ordinate ablesbaren Werte den theoretisch zu erwartenden Werten. Die Abbildung 5 des Dokuments (1) offenbart daher eindeutig und direkt das gleichzeitige Vorliegen von Magnesiumorthophosphat und saurem Magnesiumpyrophosphat in einem Produkt, das einen möglichen Masseverlust, der einem Glühverlust bei 800 °C entspricht, von 13 Gew.-% (entspricht 37 Gew.-% minus 24 Gew.%, siehe Ordinate der Abbildung 5 in Dokument (5)) bis 6 Gew.-% (entpsricht 37 Gew.-% minus 31 Gew.%, siehe Ordinate der Abbildung 5 in Dokument (5)) aufweist. Die Kammer betont hier nochmals, dass die Probe in Dokument (1) tatsächlich die Umwandlung von Magnesiumorthophosphat zu Magnesiumpyrophosphat durchläuft. Daher liegen Gemische vor die, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, unterschiedliche Verhältnisse von Magnesiumorthophosphat zu Magnesiumpyrophosphat enthalten, die jedoch zwangsläufig zu einem gewissen Zeitpunkt im beanspruchten Mischungsbereich liegen. Da bei der Probe des Dokuments (1) nur die Abgabe der Kristallwasser und die Umlagerung der Phosphate einen Masseverlust bewirken können und die in Abbildung 5 auf der Ordinate angegebenen Werte den theoretisch berechenbaren entsprechen, wird auch der beanspruchte Glühverlust zwangsläufig erfüllt.

Es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um die Auswahl aus einem Bereich. Da, wie oben erläutert, Gemische die dem beanspruchten Produkt entsprechen tatsächlich vorgelegen haben und dieses Vorliegen durch die einzelnen Messpunkte in Abbildung 5 des Dokuments (1) offenbart ist, ist keine Auswahl zu treffen.

3.5 Dokument (1) offenbart damit alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents.

3.6 Es ist für die Beurteilung der Neuheit irrelevant, dass im Streitpatent offenbarte Ansätze, zum Beispiel die Ansätze (c) und (d) bei 280°C ein von der Offenbarung der Abbildung 5 des Dokuments (1) abweichendes Verhältnis Magnesiumorthophosphat zu Magnesiumpyrophosphat aufweisen. Bei der Neuheitsprüfung werden die beanspruchten technischen Merkmale in Betracht gezogen. Die in den Beispielen offenbarten Parameterkombinationen müssen vom Stand der Technik nicht erfüllt werden.

3.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist nicht neu gegenüber dem Dokument (1) (Artikel 54 EPÜ).

4. Hilfsantrag 1

4.1 Zulassung

Der Hilfsantrag 1 wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer als Reaktion auf einen erstmals während der Verhandlung erhobenen Einwand eingereicht. Er unterscheidet sich von dem Hilfsantrag 3, der mit der Beschwerdeerwiderung am 21. Januar 2016 eingereicht wurde, durch die Streichung einer Alternative. Das Streichen einer Alternative wird im vorliegenden Fall nicht als komplexer Sachverhalt gesehen. Die Kammer merkt an, dass die unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des Hilfsantrags 1 den Ansprüchen 9 und 13 des Hauptantrags entsprechen. Es wurden daher durch das verspätete Einreichen des Hilfsantrags 1 keine Sachverhalte geschaffen, die in der mündlichen Verhandlung nicht behandelt werden konnten.

Der Hilfsantrag 1 wird daher gemäß Artikel 13 (1) und (3) VOBK in das Verfahren zugelassen.

4.2 Neuheit - Artikel 54 EPÜ

Die Neuheit der unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 1 wurde von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Die Kammer schließt sich dieser Sichtweise an.

4.3 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

4.3.1 Das Streitpatent betrifft die Bereitstellung eines als Triebsäure geeigneten Produkts, das eine gute Lockerung und Porenbildung des Gebäcks bei vorteilhaften Reaktionsgeschwindigkeiten erzielt (Absatz [0016] des Streitpatents).

4.3.2 Als nächster Stand der Technik wurde ein Lehrbuch in Form von Dokument (2) zitiert. Hier wird in Tabelle 10.1 auf Seite 67 saures Calciumpyrophosphat unter dem Namen CAFOS PYRO C14-01 als Backtriebsäure aufgelistet. CAFOS PYRO C14-01 ist eine Kombination von Calciumphosphaten (Seite 71, 6. Absatz).

Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass CAFOS PYRO nur aus einer Kombination von Calciumorthophosphat und Calciumpyrophosphat bestehen könne. Des weiteren sei durch die Identifikation der Funktion als Backtriebsäure ein Einsatz in einem Triebsystem inhärent. Hierzu wurde auch auf Seite 11, Absatz 5, verwiesen.

Die Beschwerdegegnerin betonte, dass keine Offenbarung der genauen Zusammensetzung der Phosphate in CAFOS PYRO gegeben sei. Auch werde in Dokument (2) zwar der Einsatz von CAFOS PYRO in Hefeteigen gelehrt, jedoch gerade nicht als Backtriebsäure bzw. Bestandteil eines Triebmittels.

4.3.3 Der Unterschied zwischen dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 und der Offenbarung des Dokuments (2) ist zumindest, und das unbestritten, der Austausch von Calciumionen durch Magnesiumionen.

4.3.4 Das Streitpatent enthält keine Vergleichsversuche die einen Vergleich zwischen der Verwendung des beanspruchten Produkts und des CAFOS PYRO als Triebsäure zeigen. Auch wurden keine derartigen Vergleichsversuche im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vorgelegt.

Das technische Problem kann daher in der Bereitstellung eines Triebsystems enthaltend eine alternative Triebsäure bzw. die Verwendung einer alternativen Triebsäure bei der Herstellung von Backwaren gesehen werden.

4.3.5 Die Lösung liegt in dem Einsatz des Produktes enthaltend zumindest Magnesiumpyrophosphat und Magnesiumorthophosphat gemäß Anspruch 1.

Es besteht kein Zweifel, dass das Problem gelöst wird, siehe Backergebnisse in Tabelle 3 des Streitpatents.

4.3.6 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass es offensichtlich ist, Calcium durch Magnesium in Backtriebsäuren zu ersetzten. Sie stützt sich dabei auf die Tatsache, dass, unter anderem, Magnesium, Orthophosphat und Pyrophosphat bei der qualitativen Überprüfung von Backpulver bestimmt werden (Dokument (2), Seite 44, 1. Absatz). Es sei außerdem ein alte Bäckerweisheit, dass mit hartem Wasser, welches hohe Calcium- und Magnesiumgehalte hat, ein besseres Backergebnis erzielt werde. Des weiteren sei Magnesium ein essentielles Mengenelement. Die Anreicherung von Lebensmitteln mit Magnesium (siehe Dokument (2), Seite 81, 2. Absatz) werde empfohlen und Dokument (3) offenbare die empfohlenen täglichen Aufnahmemengen (Absatz die Spalten 2 und 3 verbindend). All dies seien wichtige Hinweise für den Fachmann Calcium durch Magnesium zu ersetzen.

Die Kammer kann dieser Argumentationslinie nicht folgen. Tatsache ist, dass die Beschwerdeführerin in Dokument (2) keine Stelle identifiziert hat, die Magnesiumsalze, insbesondere Magnesiumphosphate, als Backtriebsäuren ausweist. Der Fachmann mag zwar aus dem Dokument (2) die Lehre ziehen, dass Magnesium in Backwaren wünschenswert ist, jedoch nicht die Lehre, dass der wünschenswerte Zusatz in Form einer Backtriebsäure zu erfolgen hat. Dazu kommt, dass dem Dokument (3) entnommen werden kann, dass die Triebwirkungen der analogen Calcium- und Magnesiumphosphate nicht voneinander ableitbar sind und sogar entgegengesetzt sein können (Spalte 3, Zeilen 16 bis 32).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass der Fachmann aus dem Dokument (2) keine Lehre zum Einsatz von Magnesiumphosphaten als Backtriebsäuren erhält und von dem Dokument (3) erfährt, dass Magnesiumphosphate sich in ihren Backtriebeigenschaften von Calciumphosphaten unterscheiden können. Der Fachmann, der eine alternative Triebsäure einsetzten möchte, hat daher keinen Anlass die Calciumionen in CAFOS-PYRO C14-01 durch Magnesiumionen zu ersetzen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 ist erfinderisch.

Dieselbe Argumentation gilt mutatis mutandis für den Gegenstand des Anspruchs 11 des Hilfsantrags 1, der ebenfalls erfinderisch ist.

Weitere Einwände wurden nicht geltend gemacht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche Nr. 1-11 des Hilfsantrags 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2019.

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