T 1174/15 () of 19.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T117415.20200519
Datum der Entscheidung: 19 Mai 2020
Aktenzeichen: T 1174/15
Anmeldenummer: 09158261.9
IPC-Klasse: A61B1/12
A61L2/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zum Behandeln und Analysieren von Kanälen in Instrumenten, insbesondere in Endoskopen
Name des Anmelders: Belimed AG
Name des Einsprechenden: SciCan GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
RPBA2020 Art 011 (2020)
RPBA2020 Art 012(2) (2020)
European Patent Convention Art 111(1) (2007) Satz 2
European Patent Convention Art 113(1) (2007)
European Patent Convention R 111(2) (2007)
European Patent Convention R 103(1)(a) (2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
R 0003/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2524/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der geänderten Fassung gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. Am 19. Mai 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Außerdem beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund schwerwiegender Verfahrensmängel.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag) oder, hilfsweise, die Angelegenheit zur Beurteilung der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit Schreiben vom 6. Februar 2015, an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen oder, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 3 aufrechtzuerhalten.

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (Merkmalsgliederung durch die Kammer):

"a) Vorrichtung zum Behandeln und Analysieren von Kanälen in Instrumenten, insbesondere in Endoskopen mit

b) einem Leitungssystem (3) zum Zuführen wenigstens eines Behandlungsfluids zu einem Kanalanschluss (4), an dem ein Kanal des Instruments anschliessbar ist,

c) wobei das Leitungssystem einen Fluidanschluss (39) aufweist, der mit einer Behandlungsfluid-Quelle verbindbar ist,

c) sowie mit einer Messeinrichtung zum Messen der Strömung des Behandlungsfluids im Leitungssystem (3) und damit der Durchlässigkeit des angeschlossenen Kanals,

e) wobei das Leitungssystem (3) eine Messstrecke (6) aufweist,

f) und die Messeinrichtung über wenigstens einen Strömungssensor (7, 7') verfügt, der in der Messstrecke angeordnet ist,

g) wobei alle Behandlungsschritte über das Leitungssystem und insbesondere über die Messstrecke mit dem Strömungssensor ausführbar sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

h) in der Messstrecke (6) zwei Strömungssensoren (7, 7') nacheinander angeordnet sind, mit denen die Strömung redundant messbar ist, und

i) wobei mehrere Leitungssysteme (3) zu einer Messeinheit (9) zusammengefasst sind,

j) wobei jedes Leitungssystem zu einem Kanalanschluss (4) führt und

k) wobei alle Kanalanschlüsse (4) auf einem gemeinsamen Anschlusskopf (10) angeordnet sind."

Die übrigen Anträge sind für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.

V. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: EP 1 502 538 A1

D2: Kapitel "Dosieren von Flüssigkeiten mit Dosierpumpen und Dosiersystemen" von H. Fritsch, aus dem "Handbuch Dosieren", Gerhard Vetter (Hrsg.), Essen: Vulkan-Verlag, 1994, ISBN 3-8027-2167-5, Seiten 588-591 und 596-599

D6: EP 0 483 059 A1

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Die Vorrichtung gemäß Figur 17 von Dokument D1 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar und offenbare die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 des Hauptantrags. Die Pfade 44a und 44b in Figur 17 repräsentierten mehrere Leitungssysteme (Teil von Merkmal i)) mit je einem Strömungssensor (172, 173), wobei jedes Leitungssystem zu einem Kanalanschluss (33, 34) führe, so dass das Merkmal j) auch offenbart sei.

Hingegen offenbare D1 nicht die Merkmale h), i) und k).

Zu Merkmal h):

Merkmal h) löse die Aufgabe, die Zuverlässigkeit der Strömungsmessung zu verbessern. Dokument D2 belege als Handbuch das allgemeine Fachwissen, wonach die Zuverlässigkeit sicherheitsrelevanter Messungen durch den Einsatz redundanter Sensoren erhöht werden könne. Eine solche Maßnahme stehe nicht im Widerspruch zu Absatz [0199] der D1, wo eine Reduzierung der Sensoranzahl aus Gründen der Wirtschaftlichkeit angeregt werde, da Sicherheit und Zuverlässigkeit ein davon unabhängiges, übergeordnetes Ziel darstellten. Merkmal h) sei daher im Hinblick auf das Fachwissen gemäß D2 nahegelegt.

Die Merkmale i) und k) seien von Merkmal h) unabhängig und wirkten nicht kombinatorisch.

Zu Merkmal k):

Für sich allein genommen sei keine technische Wirkung durch Merkmal k) ersichtlich. Der Fachmann müsse jedoch, weil Figur 17 nur schematisch sei, bei der Realisierung der Vorrichtung der D1 eine praktische Ausgestaltung wählen. Prinzipiell könne er die Kanalanschlüsse entweder voneinander getrennt oder zusammengefasst anordnen. Dabei sei es jedoch fachüblich, eine Mehrzahl gleichartiger Anschlüsse stets als Sammelschnittstelle auszubilden, also auf einem gemeinsamen Anschlusskopf anzuordnen.

Ein technischer Effekt von Merkmal k) könne darin gesehen werden, dass der gemeinsame Anschlusskopf es ermögliche, alle Kanalanschlüsse gemeinsam und gleichzeitig zu verbinden. Allerdings sei die Realisierung eines Stecker-Steckdose-Systems zu diesem Zweck fachüblich und daher naheliegend.

Zu Merkmal i):

Merkmal i) sei breit auszulegen, ohne einschränkende Merkmale der Figuren oder der Beschreibung des Streitpatents mitzulesen. Die in diesem Merkmal zum Ausdruck gebrachte Zusammenfassung der Leitungssysteme stelle lediglich eine naheliegende Ausgestaltung bei der Aufgabe der praktischen Umsetzung der in Figur 17 der D1 nur schematisch angedeuteten Leitungssysteme dar.

Somit gelange der Fachmann ausgehend von Figur 17 der D1 aufgrund seines Fachwissens bzw. im Hinblick auf D2 ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand von Anspruch 1.

b) Zurückverweisung

Die Beschwerdeführerin habe keine Einwände gegen eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung und ziehe ihren früheren gegenteiligen Antrag zurück.

c) Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass mehrere wesentliche Verfahrensmängel im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorlägen und eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr daher der Billigkeit entspräche. Sie macht insbesondere geltend, dass die Einspruchsabteilung es versäumt habe, ihr mitzuteilen, worin der erfindungsbegründende technische Effekt liege. Darüber hinaus sei die Entscheidung nicht ausreichend substantiiert und enthalte Gründe, zu denen sich die Beschwerdeführerin nicht habe äußern können. Somit sei ihr rechtliches Gehör verletzt worden.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

Die Beschwerdegegnerin erkenne gegenüber dem in Figur 17 der D1 zum Ausdruck gebrachten nächstliegenden Stand der Technik dieselben Unterschiede in den Merkmalen h), i) und k) von Anspruch 1 wie die Beschwerdeführerin.

Zu Merkmal h):

Es stimme, dass der Einsatz redundanter Sensoren zur Verbesserung der Zuverlässigkeit grundsätzlich zum Fachwissen gehörten. Jedoch offenbare D1 in Absatz [0199], dass die Anzahl Sensoren vorteilhaft reduziert werden könne und bereits ein einziger Strömungssensor ausreichend sei, und führe so von einer Redundanz weg. Daher könnte der Fachmann Merkmal h) zwar realisieren, würde es aber nicht.

Zu den Merkmalen i-k):

Merkmale i-k) lösten gemeinsam eine von Merkmal h) unabhängige Teilaufgabe.

Zum Verständnis von Merkmal i) seien die Beschreibung und Figuren 8-10 heranzuziehen. Hieraus ergebe sich, ebenso wie aus dem Begriff "Einheit", dass das Merkmal strukturell zu verstehen sei und die Leitungssysteme mit ihren Sensoren gemeinsam mit dem Anschlusskopf zu einer einzigen festen Baugruppe zusammengefasst seien.

Die Merkmale i-k) seien daher, wie in Absatz [0010] des Patents dargestellt, gemeinsam zu betrachten und bewirkten zusammen eine erhebliche Vereinfachung der Handhabung, da alle Kanalanschlüsse über ein Stecker-Steckdose-System gleichzeitig verbunden werden könnten, was zudem aus Platzgründen vorteilhaft sei. Aufgrund dieses klaren technischen Effekts lösten die Unterscheidungsmerkmale i-k) gemeinsam die Aufgabe, eine möglichst einfach handhabbare Vorrichtung bereitzustellen.

Für die Wahl einer konkreten Realisierung der in Figur 17 der D1 schematisch dargestellten Kanalanschlüsse gebe es eine Vielzahl an Möglichkeiten, nicht nur die beiden Alternativen "voneinander getrennt" oder "zusammengefasst". Ohne konkrete Veranlassung würde der Fachmann daher keinen gemeinsamen Anschlusskopf vorsehen.

In der Vorrichtung der D1 werde ein Endoskop in eine fest eingebaute Wanne gelegt und mit einzelnen Schläuchen händisch an die jeweiligen Kanalanschlüsse angeschlossen. Da es in D1 kein passendes gemeinsames Gegenstück gebe, ergebe sich überhaupt kein Vorteil durch einen gemeinsamen Anschlusskopf und daher auch keine Veranlassung, Merkmal k) zu realisieren.

Darüber hinaus zeige die D1 auch keine Zusammenfassung aller Leitungssysteme zu einer einzigen festen Baugruppe gemäß Merkmal i), so dass der Fachmann hierzu ebenfalls keine Anregung erhalte.

Somit würde der Fachmann ausgehend von der Vorrichtung der Figur 17 in D1 keines der Merkmale h), i) und k) auf naheliegende Weise realisieren. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

b) Zurückverweisung

Die Beschwerdegegnerin halte an ihrem Antrag auf Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung fest.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

1.1 Dokument D1 offenbart im Ausführungsbeispiel der Figur 17 unstreitig eine

a) Vorrichtung (170, Figur 17, Absätze [0196]-[0199]) zum Behandeln ("cleaning and disinfecting") und Analysieren (detecting "clogging states", Seite 23, Zeile 32) von Kanälen in Instrumenten, insbesondere in Endoskopen, mit

b) einem Leitungssystem (44a, 44b) zum Zuführen wenigstens eines Behandlungsfluids (aus Pumpe 45 oder Kompressor 51) zu einem Kanalanschluss (33, 34), an dem ein Kanal ("air/water sending channel" 56, "suction channel" 57, Seite 23, Zeilen 29-32) des Instruments (2) anschliessbar ist,

c) wobei das Leitungssystem einen Fluidanschluss (49) aufweist, der mit einer Behandlungsfluid-Quelle (Pumpe 45 bzw. Kompressor 51) verbindbar ist,

d) sowie mit einer Messeinrichtung (Seite 23, Zeilen 29-32) zum Messen der Strömung des Behandlungsfluids im Leitungssystem und damit der Durchlässigkeit des angeschlossenen Kanals,

e) wobei das Leitungssystem eine Messstrecke aufweist,

f) und die Messeinrichtung über wenigstens einen Strömungssensor (172, 173) verfügt, der in der Messstrecke angeordnet ist,

g) wobei alle Behandlungsschritte über das Leitungssystem und insbesondere über die Messstrecke mit dem Strömungssensor ausführbar sind,

wobei mehrere Leitungssysteme (44a, 44b) vorhanden sind (Teil von Merkmal i)),

j) wobei jedes Leitungssystem zu einem Kanalanschluss (33, 34) führt.

1.2 Anspruch 1 unterscheidet sich somit unstreitig von der Vorrichtung der Figur 17 der D1 durch die Merkmale h), i) und k).

1.3 Ebenso unstreitig ist, dass das Merkmal h) einerseits und die Merkmale i) und k) andererseits unterschiedliche technische Effekte haben und Teilaufgaben lösen.

1.4 Merkmal h)

Merkmal h), wonach in der Messstrecke zwei Strömungssensoren nacheinander angeordnet sind, mit denen die Strömung redundant messbar ist, löst unstreitig die Aufgabe, die Zuverlässigkeit der Strömungsmessung zu verbessern.

Beide Parteien sind sich grundsätzlich einig, dass die Lösung von Merkmal h) für die genannte Aufgabe, unter anderem im Hinblick auf das Handbuch D2, zum Fachwissen gehört.

Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass der Fachmann das Konzept der redundanten Sensoren jedoch nicht auf die D1 anwenden würde, da in Absatz [0199] angeregt werde, Sensoren einzusparen, wobei bereits ein einziger gemeinsamer Strömungssensor für alle Leitungssysteme ausreichend sei.

Dem Fachmann ist jedoch bewusst, dass die Erhöhung von Sicherheit und Zuverlässigkeit eine dem Gedanken der Wirtschaftlichkeit, wie er in Absatz [0199] zum Ausdruck kommt, oft entgegenstehende, aber übergeordnete Zielsetzung darstellt. Er würde daher Absatz [0199] nicht so verstehen, dass ein einzelner Strömungssensor auch alle Anforderungen an die Zuverlässigkeit erfüllt, und würde sich daher nicht davon abbringen lassen, zwei Strömungssensoren hintereinander vorzusehen, wie in Merkmal h) verlangt.

Somit ist die Verwirklichung von Merkmal h) bereits aus dem allgemeinen Fachwissen heraus naheliegend und beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1.5 Merkmal i)

Die Parteien sind sich einig, dass das Zusammenfassen der Leitungssysteme zu einer Messeinheit gemäß Merkmal i) ein Unterscheidungsmerkmal darstellt, weil sich der schematischen Figur 17 keine räumlichen Merkmale entnehmen lassen.

Dabei war jedoch streitig, was darunter zu verstehen ist, dass die Leitungssysteme "zu einer Messeinheit zusammengefasst" sind.

Bei der Auslegung von Anspruchsmerkmalen zur Abgrenzung vom Stand der Technik dürfen nur solche Merkmale geltend gemacht werden, die in den Ansprüchen genannt oder aus ihnen ableitbar sind. Eine einschränkende Lesart, die auf Merkmalen beruht, die nur in der Beschreibung genannt oder in den Figuren gezeigt, nicht aber in den Ansprüchen aufgenommen sind, ist hingegen unzulässig (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.A.6.3.4). Daher ist das Merkmal nicht darauf eingeschränkt, dass die Leitungssysteme und Sensoren gemeinsam mit dem Anschlusskopf zu einer einzigen wie in den Figuren 8-10 gezeigten festen Baugruppe zusammengefasst sind.

Da sich das Merkmal auf die strukturell verstandenen Begriffe "Leitungssysteme" und "Einheit" bezieht, die konkrete Struktur oder Gestalt der "Messeinheit" im Anspruch jedoch offen bleibt, wird das Merkmal im weitesten Sinne als eine irgendwie geartete räumliche Bündelung der Leitungssysteme einschließlich ihrer Messstrecken und Strömungssensoren aufgefasst. Folglich muss die "Messeinheit" nicht zwingend auch den Anschlusskopf umfassen.

Daher sind Merkmale i) und k), anders als von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, getrennt voneinander zu betrachten, auch wenn Absatz [0010] des Patents die Merkmalsgruppe i)-k) gemeinsam behandelt.

Die von der Beschwerdeführerin für die Merkmale i) und k) gemeinsam vorgetragene Aufgabenstellung lässt sich aus diesen Gründen auch nicht für Merkmal i) heranziehen, da dieses nach seinem Wortlaut nur die Leitungssysteme, nicht den Anschlusskopf betrifft und daher keinen Beitrag zur einfachen Handhabbarkeit im Sinne der gleichzeitigen Anschließbarkeit aller Kanalanschlüsse leistet.

Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, ist der Fachmann bei der Realisierung der Vorrichtung der D1 vor die Aufgabe gestellt, eine konkrete Ausgestaltung der in der Figur 17 nur schematisch dargestellten Leitungssysteme zu wählen. Dabei ist es eine fachübliche, naheliegende Maßnahme, die Leitungssysteme einschließlich ihrer Sensoren zu bündeln und gemeinsam zu führen, mithin die Leitungssysteme "zu einer Messeinheit" zusammenzufassen, da dies, für den Fachmann offensichtlich, der inneren Ordnung dient, Beschädigungen vorbeugt und nicht zuletzt "aus Platzgründen vorteilhaft" ist.

Daher würde der Fachmann allein aus seinem Fachwissen heraus auch Merkmal i) auf naheliegende Weise verwirklichen.

1.6 Merkmal k)

Merkmal k) fordert, dass alle Kanalanschlüsse der Leitungssysteme auf einem gemeinsamen Anschlusskopf angeordnet sind.

1.6.1 Bereits bei der Realisierung der Vorrichtung der D1 ist der Fachmann vor die objektive technische Aufgabe gestellt, eine konkrete Ausgestaltung der in Figur 17 nur schematisch dargestellten Kanalanschlüsse zu wählen.

Diese als Sammelschnittstelle auszubilden, also "auf einem gemeinsamen Anschlusskopf" zusammenzufassen, ist nicht lediglich eine von vielen gleichwertigen Möglichkeiten, sondern entspricht dem routinemäßigen fachüblichen Vorgehen beim Realisieren mehrerer gleichartiger Anschlüsse, wenn keine anderslautenden Vorgaben vorliegen. Es bedürfte nach Ansicht der Kammer vielmehr eines konkreten Anlasses, die Kanalanschlüsse stattdessen bewusst räumlich getrennt voneinander auszuführen.

Merkmal k) für sich genommen stellt daher eine naheliegende Möglichkeit dar, die Vorrichtung der D1 auszugestalten.

1.6.2 Der gemeinsame Anschlusskopf von Merkmal k) wird, wie von beiden Parteien vorgebracht, jedoch auch als Sammelschnittstelle eines Stecker-Steckdose-Systems verstanden, auch wenn Merkmal k) keine bestimmte Geometrie des Anschlusskopfes oder räumliche Nähe der Kanalanschlüsse vorschreibt.

Die Parteien sind sich auch darin einig, dass eine technische Wirkung des so verstandenen Anschlusskopfes darin gesehen werden kann, dass alle Kanalanschlüsse gleichzeitig mit einem entsprechenden Gegenstück verbunden werden können.

Merkmal k) löst daher, wie von der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf Absatz [0010] des Patents vorgetragen, auch die Aufgabe, eine Vorrichtung zu schaffen, die dadurch einfach handhabbar ist, dass alle Kanalanschlüsse gleichzeitig an ein gemeinsames Gegenstück angeschlossen werden können.

Zur Lösung dieser Aufgabe ist jedoch die Realisierung eines Stecker-Steckdose-Systems eine im Rahmen des allgemeinen Fachwissens naheliegende Maßnahme. Diese führt den Fachmann nicht nur zur Realisierung von Merkmal k), sondern darüber hinaus auch zur Schaffung eines zum Anschlusskopf passenden gemeinsamen Gegenstücks, von welchem die einzelnen Schläuche zum zu behandelnden Endoskop führen.

Daher überzeugt das Argument der Beschwerdegegnerin nicht, wonach der Fachmann keinen Anlass habe, einen gemeinsamen Anschlusskopf zu realisieren, da die D1 kein passendes Gegenstück offenbare, weil darin die Kanäle der Instrumente mit einzelnen Spülschläuchen händisch nacheinander an die Kanalanschlüsse angeschlossen würden. Die Schaffung eines Stecker-Steckdose-Systems ist auch dann naheliegend, wenn noch keine Steckdose gegeben ist.

Für den Fachmann gäbe es nur dann keine Veranlassung, einen gemeinsamen Anschlusskopf zu realisieren, wenn er überhaupt keinen Sinn darin erkennen könnte, in der Vorrichtung von Figur 17 der D1 ein Stecker-Steckdose-System zu realisieren. Dies kann die Kammer jedoch nicht erkennen und es wurde auch nicht vorgetragen.

1.6.3 Zusammenfassend ist daher auch die Anordnung aller Kanalanschlüsse auf einem gemeinsamen Anschlusskopf gemäß Merkmal k) naheliegend.

1.7 Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von der Vorrichtung von Figur 17 der D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

2. Zurückverweisung

Nach Artikel 11 VOBK 2020 soll eine Zurückverweisung der Angelegenheit nur bei Vorliegen besonderer Gründe vorgenommen werden. Dieser Artikel muss unter Berücksichtigung des Artikels 12 (2) VOBK 2020 ausgelegt werden, der das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, nämlich die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, betont. Da die Hilfsanträge 1-3 weder Gegenstand der angefochtenen Entscheidung noch einer Stellungnahme der Einspruchsabteilung waren, und die Beschwerdegegnerin einen Antrag auf Rückverweisung gestellt hat, während die Beschwerdeführerin ihren gegenteilig lautenden Antrag zurückzog, hält es die Kammer im vorliegenden Fall für gerechtfertigt, die Angelegenheit gemäß Artikel 111 (1) zweiter Satz EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020 zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Die Kammer hat in ihrer Mitteilung vom 17. März 2020 ausführlich zum Vortrag der Beschwerdeführerin bezüglich angeblicher wesentlicher Verfahrensmängel Stellung genommen. Während der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin einige ihrer bereits schriftlich vorgetragenen Argumente nochmals vor und bestätigte auf Nachfrage der Kammer, dass dieser Vortrag keine neuen Aspekte hinzufüge. Die Kammer sah daher keinen Grund, ihre vorläufige Meinung zu ändern und die im Folgenden dargelegte Begründung ihrer Entscheidung lehnt sich im Wesentlichen an die vorläufige Stellungnahme an.

3.1 Verfahrensführung der Einspruchsabteilung

Die angeblich fehlerhafte Verfahrensführung begründet die Beschwerdeführerin damit, dass die Einspruchsabteilung es während der mündlichen Verhandlung unterlassen habe, in Abwesenheit der Patentinhaberin den faktischen und rechtlichen Rahmen darzulegen, der sich aus dem Einreichen des neuen Hauptantrags einen Monat vor der mündlichen Verhandlung ergeben habe. Hierzu hätte die Einspruchsabteilung ihrer Ansicht nach an Stelle der Patentinhaberin den technischen Effekt nennen müssen, der sich aus dem Unterscheidungsmerkmal zum nächstliegenden Stand der Technik ergebe, um der Einsprechenden Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren. Ansonsten fehle ihr eine Angriffsfläche für Gegenargumente.

Es ist festzustellen, dass die Pateninhaberin in ihrem Schreiben vom 6. Februar 2015, mit dem der neue Hauptantrag eingereicht wurde, ausgeführt hat, warum der Gegenstand von Anspruch 1 des neuen Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Kritik der Beschwerdeführerin an der Verfahrensführung der Einspruchsabteilung beruht auf einem grundsätzlichen Missverständnis ihrerseits über die Natur des zweiseitigen Einspruchsverfahrens. Bei einem solchen vertreten die Beteiligten in der Regel gegenteilige Interessen, und haben einen Anspruch auf die gleiche Behandlung (G 9/91, Gründe 2). In einem solchen Verfahren obliegt es jeder Beteiligten, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Dies gilt sowohl für die Einsprechende als auch die Patentinhaberin. Wird, wie im vorliegenden Fall von der Beschwerdeführerin vorgetragen, von der Patentinhaberin ein Teilaspekt der Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit, nämlich der technische Effekt, nicht explizit genannt, so ist es nicht Aufgabe der Einspruchsabteilung, dies an Stelle der Pateninhaberin zu tun. Zwar kann die Einspruchsabteilung sich zu ihrer eigenen Auffassung über einen technischen Effekt äußern, wenn sie dies für sachdienlich hält, allerdings hat keine Partei Anspruch auf eine solche Meinungsäußerung. Daher ist in der Verfahrensführung der Einspruchsabteilung kein Verfahrensmangel zu erkennen.

3.2 Unzureichende Begründung der Entscheidung

Gemäß Regel 111 (2) EPÜ sind Entscheidungen, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen. Entscheidungen sollen eine logische Kette von Tatsachen und Gründen enthalten, die zur Bildung des Urteils geführt haben und sich mit den maßgeblichen Tatsachen, Beweismitteln und Argumenten beschäftigen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage, III.K.3.4). Allerdings ist es nicht erforderlich, dass alle vorgebrachten Argumente eingehend behandelt werden. Die Begründung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit ist logisch klar nachvollziehbar. Sie geht vom nächstliegenden Stand der Technik aus, der von der Einsprechenden als solcher angegeben wurde, gibt die Unterscheidungsmerkmale an, leitet davon die objektiven technischen Teilaufgaben ab und erklärt dann, warum die Lösung einer dieser Teilaufgaben durch die Erfindung nicht naheliegend war. Folglich erfüllt diese Begründung die Erfordernisse der Regel 111 (2) EPÜ.

Auch die Begründung der Einspruchsabteilung dafür, die Anträge der Patentinhaberin vom 6. Februar 2015 zuzulassen, erscheinen als ausreichend, um den Erfordernissen der Regel 111 (2) EPÜ zu genügen. Aus der Entscheidung wird ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung die Frist gemäß Regel 116 EPÜ als ausschlaggebend für ihre Beurteilung der Zulassung der Anträge ansah. Auch war es nicht erforderlich zu dem Argument der Einsprechenden Stellung zu nehmen, dass ihr die Anträge erst nach Fristende zugestellt wurden, da es bei der Frist gemäß Regel 116 EPÜ nicht um eine Frist geht, deren Ende an die Zustellung an die andere Partei geknüpft ist.

3.3 Rechtliches Gehör und Begründung der Entscheidung

Die Einsprechende hat darüber hinaus gerügt, dass die Einspruchsabteilung in der Entscheidung eine neue Teilaufgabe formuliert habe. Die Entscheidung beinhalte somit Gründe, zu denen sie sich nicht habe äußern können. Die relevante Teilaufgabe ist "das Ankoppeln der Spülleitungen eines Endoskops bzw. mehreren [sic] Endoskope an die Kanalanschlüsse zu vereinfachen." Diese Aufgabe ergibt sich laut Einspruchsabteilung aus dem Unterschied zu der Lehre des Dokuments D1, der darin besteht, dass alle Kanalanschlüsse auf einem gemeinsamen Anschlusskopf angeordnet sind (Punkt 4.1 der Entscheidung).

Gründe im Sinne des Artikels 113 (1) EPÜ sind die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Gründe, auf denen eine Entscheidung beruht (R 3/15, Punkt 4.1). Im Hinblick auf die Entscheidungsbegründung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags ist zunächst anzumerken, dass der nächstliegende Stand der Technik, die Unterscheidungsmerkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 von diesem Dokument, sowie Dokument D6, was zur Beurteilung des Naheliegens herangezogen wurde, explizit Teil des Verfahrens waren. Die in der Entscheidung formulierte Teilaufgabe war hingegen nicht wortwörtlich im Einspruchsverfahren so zitiert worden. Allerdings hat die Pateninhaberin in ihrer Eingabe vom 6. Februar 2015 Folgendes ausgeführt: "[...] wie dargelegt, ist die erfindungsgemäss gestellte Aufgabe eine zweifache. Während die redundante Messung der Strömung die hohe Zuverlässigkeit des Systems garantiert, bewirkt die Zusammenfassung der Leitungssysteme zu einer Messeinheit und die Anordnung der Kanalanschlüsse auf einem gemeinsamen Anschlusskopf eine sehr rationelle und automatisierbare Behandlung". Vor allem der Hinweis auf eine rationelle Behandlung stellt einen allgemeineren Ausdruck der in der Entscheidung konkreter formulierten technischen Teilaufgabe dar. Auch wurde bereits in der Beschreibung der Anmeldung auf Folgendes verwiesen: "Am Anschlusskopf sind alle Leitungsanschlüsse zusammengefasst, was die Handhabung erheblich erleichtert" (Seite 4, Absatz 3). Somit kann die in der Entscheidung formulierte Teilaufgabe nicht als neu und überraschend angesehen werden.

Darüber hinaus war für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit vor allem ausschlaggebend, dass Dokument D6 aufgrund der Verwendung von auswechselbaren Aufnahmekörben als so weit von Dokument D1 entfernt angesehen wurde, dass der Fachmann es nicht heranziehen würde. Vor diesem Hintergrund erscheint die präzise Formulierung der technischen Aufgabe nicht von wesentlicher Bedeutung zu sein.

Daher liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

3.4 Da kein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, kann dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1)(a) EPÜ nicht stattgegeben werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Verfahrens zurückverwiesen.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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