T 1017/15 () of 3.5.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T101715.20190503
Datum der Entscheidung: 03 Mai 2019
Aktenzeichen: T 1017/15
Anmeldenummer: 06829371.1
IPC-Klasse: C08K 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MODELLIERMASSE SOWIE DEREN VERWENDUNG
Name des Anmelders: J.S. Staedtler GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: the clay and paint factory SA
Viva-Decor GmbH
Polyform Products Company
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichter Antrag - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 957 572 wegen mangelnder Neuheit widerrufen wurde.

II. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines Hauptantrags oder eines Hilfsantrags B1 aufrechtzuerhalten, allesamt mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

III. Der Anspruch 1 des Hauptantrags, der dem Hauptantrag im Einspruchsverfahren entspricht, lautet wie folgt:

"Verwendung von plastischen, von Hand verformbaren und durch Erhitzen härtbaren Massen als Modelliermassen für den Gebrauch durch Kinder und zur Herstellung von kunstgewerblichen Gegenständen und die daraus hergestellten Produkte, wobei die Masse aus Bindemittel besteht, welches als Plastisol vorliegt und ggf. weiteren Zusatzstoffen, wobei sich das Plastisol im Wesentlichen aus PVC und Weichmacher zusammensetzt, dadurch gekennzeichnet,

dass der Weichmacher phthalatfrei ist,

dass der phthalatfreie Weichmacher auf Citronensäurebasis, auf Adipinsäurebasis und/oder Benzoat-ester-Basis aufgebaut ist

und dass die Masse 5 - 30 Gew. % Weichmacher aufweist."

IV. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags B1, der keinem der Anträge im Einspruchsverfahren entspricht, unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass die Menge an Weichmacher im Anspruch 1 enger definiert wurde, nämlich von 15 bis 24 Gew. %.

V. Die Einsprechenden 1 und 3 (Beschwerdegegnerinnen 1 und 3) beantragten im schriftlichen Verfahren inter alia - soweit die Anträge für die gegenständliche Entscheidung relevant sind - den Hilfsantrag B1 nicht ins Verfahren zuzulassen, da dieser bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte eingereicht werden sollen.

VI. Unter Punkt 23 der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK wurden die Parteien inter alia darauf hingewiesen, dass die Frage der Zulassung des Hilfsantrags B1 nach Artikel 12 (4) VOBK in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren sein wird.

VII. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 3. Mai 2019 statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin ihren Hauptantrag zurück, sodass im Beschwerdeverfahren lediglich die Frage der Zulassung des Hilfsantrags B1 entscheidungserheblich war. Das Vorbringen zu anderen Themen konnte daher im Rahmen dieser Entscheidung unberücksichtigt bleiben.

VIII. Die Beschwerdegegnerinnen 1 bis 3 beantragten in der mündlichen Verhandlung, die Beschwerde zurückzuweisen und den Hilfsantrag B1 nicht ins Verfahren zuzulassen. Diesbezüglich brachten die Beschwerdegegnerinnen im Wesentlichen vor, dass dieser bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgelegt werden sollen. In der mündlichen Verhandlung sei die Einspruchsabteilung zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der zu diesem Zeitpunkt gültigen Anträge nicht neu sei. Daraufhin habe die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin ausdrücklich die Gelegenheit eingeräumt, einen neuen Antrag einzureichen. Die Patentinhaberin habe jedoch auf die Einreichung eines weiteren Antrags verzichtet. Dieser Vorgang sei auf den Seiten 6 (unten) und 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung dokumentiert. Durch das Nichteinreichen eines weiteren Antrags vor der Einspruchsabteilung konnte demnach weder die Neuheit noch die erfinderische Tätigkeit des jetzt vorliegenden Antrags vor der ersten Instanz diskutiert werden. Den Parteien würde eine Instanz geraubt werden, wenn der Hilfsantrag B1 ins Verfahren zugelassen würde. Auch wenn die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung zur Frage der Neuheit von ihrer vorläufigen Meinung abgewichen sei, bedeute dies nicht, dass die Patentinhaberin nicht bereits eine Rückfallposition hätte vorbereiten müssen, denn die Einwände seien von Beginn an im Verfahren gewesen. Es liege im Verantwortungsbereich der Partei sich entsprechend auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten und Rückfallpositionen rechtzeitig einzureichen.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte in der mündlichen Verhandlung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags B1 aufrecht zu erhalten. Sie brachte zur Frage der Zulassung des Hilfsantrags B1 im Wesentlichen vor, dass die Einspruchsabteilung hinsichtlich der Frage der Neuheit von ihrer vorläufigen Meinung in der mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Diese Wendung sei für die Patentinhaberin überraschend gewesen. Der Vertreter der Patentinhaberin sei in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen darauf zu reagieren, da ihm die erforderliche Autorisierung durch die Patentinhaberin für die Einbringung eines entsprechend geänderten Antrags gefehlt habe. Im Übrigen handle es sich bei der vorgenommenen Änderung um eine einfache Änderung, die lediglich in der Einschränkung eines Parameterbereichs bestehe und keine neuen Aspekte aufwerfe. Zudem sei die Änderung bereits mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden, sodass die Einsprechenden ausreichend Zeit gehabt hätten, sich darauf vorzubereiten.

Entscheidungsgründe

1. Hilfsantrag B1 - Zulassung

1.1 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK hat die Beschwerdekammer die Befugnis, Anträge, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, im Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen.

1.2 Die Zulassung von neuen, mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträgen zum Verfahren hängt nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern davon ab, ob ein Verfahrensbeteiligter in der Lage war, sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren einzureichen, und ob dies unter den gegebenen Umständen von ihm erwartet werden konnte.

1.3 Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten, das überdies mit der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung im Einklang steht (vgl. ebd. Seiten 6 (unten) und 7), wurde der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, nachdem die Neuheit der zu diesem Zeitpunkt gültigen Anträge verneint wurde, ausdrücklich die Gelegenheit eingeräumt, einen neuen Antrag einzureichen. Nach dem Vorbringen der Beteiligten wurde der Patentinhaberin hierfür eine Stunde eingeräumt, um den Antrag zu formulieren. Die Patentinhaberin hat jedoch ausdrücklich erklärt, keinen Antrag einreichen zu wollen.

1.4 Die Beschwerdeführerin hat ihr Verhalten damit zu rechtfertigen versucht, dass sie auf den Umstand hingewiesen hat, dass die Einspruchsabteilung von ihrer vorläufigen Meinung hinsichtlich der Frage der Neuheit der zu diesem Zeitpunkt gültigen Anträge in der mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Dies sei für die Patentinhaberin eine überraschende Situation gewesen. Deshalb sei der Vertreter der Patentinhaberin zu diesem Zeitpunkt auch nicht autorisiert gewesen, einen geänderten Antrag einzureichen.

1.5 Der zugrundeliegende Tatsachenvortrag wurde von den Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten, sodass zu prüfen war, ob dieses Vorbringen die Einreichung des Hilfsantrags B1 erst mit der Beschwerdebegründung rechtfertigen kann.

1.6 Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die Neuheitseinwände von Beginn an im Einspruchsverfahren vorhanden waren und eine in einer die mündliche Verhandlung vorbereitenden Mitteilung geäußerte vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung keine Bindungswirkung entfaltet. Es gehört vielmehr zum Grundcharakter des Verfahrens und entspricht dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass vorläufige Auffassungen des zur Entscheidung berufenen Organs aufgrund des Parteienvortrags in der mündlichen Verhandlung erneut überdacht und möglicherweise revidiert werden. Verfahrensbeteiligte können sich deshalb grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass eine vorläufige Auffassung in der mündlichen Verhandlung unverändert beibehalten wird. Es liegt daher im Verantwortungsbereich der Beteiligten sich auch darauf vorzubereiten, dass das zur Entscheidung berufene Organ von ihrer vorläufigen Meinung abweicht. Eine solche Vorbereitung beinhaltet auch das Abklären allfälliger Rückfallspositionen und das rechtzeitige Einreichen entsprechend geänderter Anspruchssätze. Dies wird in der Praxis auch eine Rücksprache des Vertreters mit der Patentinhaberin vor der mündlichen Verhandlung erforderlich machen und auch die Frage beinhalten, zu welchen Änderungen der Vertreter von der Partei autorisiert wird.

1.7 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass sie überrascht gewesen sei, dass die Einspruchsabteilung von ihrer vorläufigen Auffassung hinsichtlich der Neuheitseinwände in der mündlichen Verhandlung abgewichen sei, und der Vertreter mangels Autorisierung keinen geänderten Antrag einreichen konnte, kann die Beschwerdekammer daher nicht überzeugen. Überdies blieb die Frage unbeantwortet, weshalb eine Rücksprache mit der Patentinhaberin nicht auch innerhalb der eingeräumten Zeitspanne von einer Stunde hätte erfolgen können. Zudem ist auch zu bemerken, dass der Vertreter während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung keine längere Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, um Kontakt mit der Patentinhaberin aufzunehmen, beantragte.

1.8 Da es der Patentinhaberin deshalb durchaus zumutbar gewesen ist, einen entsprechend geänderten Antrag, bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung einzureichen, der überdies keine weitreichenden Änderungen umfasst, sondern lediglich eine Einschränkung der Menge der Kernkomponente, soll die Einreichung des Hilfsantrags B1 erst mit der Beschwerdebegründung daher nicht zu Lasten der Beschwerdegegnerinnen gehen, die durch dieses Vorgehen eine Instanz verloren hätten, um die Frage der Neuheit und allfällig der erfinderischen Tätigkeit dieses Antrags zu diskutieren, oder im Falle einer Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz eine nicht unerhebliche Verlängerung des Verfahrens in Kauf nehmen müssten.

1.9 Die Beschwerdekammer übte ihr Ermessen daher dahingehend aus, den Hilfsantrag B1 gemäß Artikel 12 (4) VOBK nicht ins Verfahren zuzulassen. In Ermangelung eines gewährbaren Antrags war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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