European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T100715.20200421 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 April 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1007/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05742834.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06T7/00 G01N21/956 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR BEURTEILUNG EINER QUALITÄT EINER VON EINER DRUCKMASCHINE PRODUZIERTEN DRUCKSACHE | ||||||||
Name des Anmelders: | Koenig & Bauer AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - (ja) Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja) Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 05 742 834.4.
II. Die Zurückweisungsgründe für den einzigen der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Antrag waren mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) und mangelnde Klarheit des Anspruchs 1 (Artikel 84 EPÜ).
III. Die Anmelderin legte Beschwerde ein und beantragte, die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Patentanmeldung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anmeldeunterlagen zu erteilen.
IV. In einer Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 7. Januar 2020 äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 83 EPÜ 1973). Die Kammer äußerte jedoch Zweifel an der Klarheit der Ansprüche (Artikel 84 EPÜ 1973).
Die Kammer führte weiter aus, dass sie beabsichtige, die Angelegenheit gemäß Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ 1973 an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, wenn kein Klarheitsmangel mehr vorliege. In diesem Fall wäre aus Sicht der Kammer die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung möglicherweise nicht mehr notwendig.
V. Mit Schreiben vom 17. März 2020 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche 1 bis 26 eines neuen Antrags ein, der den bisherigen einzigen Antrag ersetzte (siehe den Begriff "Austauschseiten" in Punkt 1.1 des genannten Schreibens).
Die Beschwerdeführerin erklärte, dass sie davon ausgehe, dass die jetzt vorliegenden Ansprüche 1 bis 26 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973 erfüllten und stimmte einer Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu.
Damit beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung.
VI. Anspruch 1 gemäß des neuen und einzigen Antrags lautet wie folgt:
"Verfahren zur Beurteilung einer Qualität einer von einer Druckmaschine produzierten Drucksache, wobei die Druckmaschine mehrere Exemplare derselben Drucksache produziert, wobei von den produzierten Exemplaren der Drucksache eine Menge von Exemplaren ausgewählt wird, wobei die Exemplare dieser ausgewählten Menge hinsichtlich mindestens eines zu einer Menge unterschiedlicher Fehlertypen gehörenden Fehlertyps beurteilt werden, wobei innerhalb der ausgewählten Menge von Exemplaren ein an mindestens einem dieser Exemplare detektierter Fehler eines bestimmten Fehlertyps im Verhältnis zu mindestens einem an demselben Exemplar oder einem anderen Exemplar dieser ausgewählten Menge detektierten Fehler eines anderen Fehlertyps beurteilt wird, wobei mit der Beurteilung die Drucksache als von guter oder schlechter Qualität klassifiziert wird, dadurch gekennzeichnet, dass von den Exemplaren der ausgewählten Menge produzierter Exemplare der Drucksache mit einem Bildsensor eine gemeinsame, Bilddaten erzeugende Aufnahme erstellt wird, wobei alle im Verhältnis zueinander zu beurteilenden Fehler aus Bilddaten derselben Aufnahme detektiert werden."
Die übrigen Ansprüche 2 bis 26 des neuen Antrags sind abhängige Ansprüche.
VII. In der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 9) befand die Prüfungsabteilung, dass die Anmeldung nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ und der Regel 42 (1) (e) EPÜ erfülle. Die Prüfungsabteilung befand insbesondere, dass die Anmeldung keine ausreichenden Informationen darüber vermittle, wie die gestellte Aufgabe, nämlich unnötige Makulatur zu vermeiden, gelöst werde.
In der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10) befand die Prüfungsabteilung, dass wegen der mangelnden Ausführbarkeit, die Ansprüche nicht von der Beschreibung gestützt seien. Darüber hinaus befand die Prüfungsabteilung, dass der der Entscheidung zugrundeliegende Anspruch 1 aus folgenden Gründen nicht klar sei:
a) es sei nicht klar, was mit Auswählen einer Menge von Exemplaren gemeint sei, weil Kriterien für oder Zweck der Auswahl nicht beschrieben würden;
b) es sei nicht klar, was Fehlertypen und/oder Eigenheiten eines Fehlers einer Drucksache seien, da diese Begriffe auf dem Fachgebiet keine allgemein bekannte Bedeutung hätten; die Beschreibung nenne zwar Beispiele für Fehlertypen und Eigenheiten, die Richtlinien forderten aber, dass die Bedeutung aus dem Wortlaut des Anspruchs allein deutlich werde;
c) Anspruch 1 sei nicht auf ein automatisches, maschinelles Klassifizierungsverfahren eingeschränkt, obwohl die Klassifizierung mit einer Bildverarbeitungseinrichtung durchgeführt werde (siehe Beschreibung, Seite 2, dritter Absatz);
d) gute/schlechte Qualität seien relative Begriffe; aus der Beschreibung werde nicht deutlich, ob es eine Beziehung mit objektiven Qualitätsnormen gäbe.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ 1973)
2.1 Die Prüfungsabteilung befand in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 9), dass die Anmeldung nicht den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ und der Regel 42 (1) (e) EPÜ genüge.
2.2 Wird die beanspruchte Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, so bedeutet das notwendigerweise, dass darin wenigstens ein Weg zur Ausführung der offenbarten Erfindung gemäß Regel 42 (1) (e) EPÜ bzw. Regel 27 (1) (e) EPÜ 1973 offenbart wird (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.C.5.3). Daher untersucht die Kammer im Folgenden nur noch den Einwand nach Artikel 83 EPÜ 1973.
2.3 Nach Artikel 83 EPÜ 1973 ist die Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach ständiger Rechtsprechung bezieht sich das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung auf die in den Ansprüchen definierte Erfindung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.C.1 und II.C.3.2).
2.4 Die angefochtene Entscheidung bemängelte zunächst (siehe Punkt 9, Absätze 1 - 4 auf Seite 3), dass eine Menge von Drucksachen ausgewählt werde, dann aber keine Entscheidung (gut/schlecht) über diese ausgewählte Menge getroffen werde. In diesem Zusammenhang wurde der Einwand erhoben, dass es unklar sei, wie Fehler in einer anderen Drucksache die Beurteilung der Drucksache beeinflussen könnten. Aus diesen Gründen war nach Ansicht der Prüfungsabteilung nicht deutlich, wie die zu lösende Aufgabe, nämlich unnötige Makulatur zu vermeiden, verwirklicht sei.
2.5 Anspruch 1 definiert ein "Verfahren zur Beurteilung einer Qualität einer von einer Druckmaschine produzierten Drucksache", wobei die Druckmaschine mehrere Exemplare derselben Drucksache produziert.
Daher schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin an (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 2, Seiten 2 - 3), dass der Begriff "Drucksache" als Gattungsbegriff zu verstehen ist und nicht ein einzelnes Exemplar bezeichnet.
Nach Ansicht der Kammer versteht ein Fachmann, dass in Anspruch 1 eine Stichprobe spezifiziert wird ("wobei von den produzierten Exemplaren der Drucksache eine Menge von Exemplaren ausgewählt wird"), wobei anhand der Fehler in Exemplaren dieser Stichprobe und deren Relation zueinander eine Aussage über die Qualität der Drucksache insgesamt erfolgt ("wobei mit der Beurteilung die Drucksache als von guter oder schlechter Qualität klassifiziert wird").
Aus diesen Gründen ist die Kammer der Ansicht, dass die Anmeldung für den Fachmann deutlich und vollständig offenbart, wie eine gemeinsame Bewertung unterschiedlicher Fehlertypen in der Stichprobe eine Aussage über die Qualität der Drucksache insgesamt ermöglicht, und somit ein Beitrag zur Vermeidung unnötiger Makulatur geleistet werden kann.
2.6 In der angefochtenen Entscheidung wurde ferner beanstandet (siehe Punkt 9, Absatz der die Seiten 3 und 4 verbindet), dass in der Anmeldung keine Beispiele für Verhältnisse zwischen Fehlern unterschiedlicher Fehlertypen oder Fehlereigenschaften angegeben seien.
Dies bezieht sich auf das folgende Merkmal des Anspruchs 1: "Fehler eines bestimmten Fehlertyps im Verhältnis zu mindestens einem an demselben Exemplar oder einem anderen Exemplar dieser ausgewählten Menge detektierten Fehler eines anderen Fehlertyps".
Die angefochtene Entscheidung führte dazu weiter aus, dass es sich bei diesem "Verhältnis" nicht um Mehrfachfehler oder ein spaltenweises, wiederholtes Auftreten eines Fehlers handeln könne, weil das zitierte Merkmal des Anspruchs 1 ja ein Verhältnis zwischen unterschiedlichen Fehlertypen spezifiziere. Demgegenüber erwähne Seite 8 der Beschreibung Mehrfachfehler und spaltenweises, wiederholtes Auftreten eines Fehlers als Eigenheiten eines Fehlertyps.
2.7 Die Kammer schließt sich der Ansicht der Beschwerdeführerin an (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 2, Seiten 4 - 5), dass die Beschreibung auf Seite 13 allgemein erläutert, wie die Beurteilung der Fehler "im Verhältnis" ausgeführt werden kann.
Dazu führt die Beschreibung auf Seite 13, Absatz 2 insbesondere aus: "die Schwere jedes Fehlers in insbesondere wechselseitiger Abhängigkeit von anderen detektierten Fehlern und/oder im Verhältnis zu anderen detektierten Fehlern abgewogen und/oder beurteilt wird" und "wobei die innerhalb der ausgewählten Menge detektierten Fehler in ihrer jeweiligen Relation zueinander beurteilt werden".
Die Kammer schließt sich ferner der Ansicht der Beschwerdeführerin an, dass die Beschreibung, Seite 12, erster Absatz in Verbindung mit Figur 4 ein Beispiel angibt, wie eine Drucksache durch die Festlegung eines Schwellwerts als von guter oder schlechter Qualität klassifiziert wird.
Konkret beschreibt Seite 12, erster Absatz, wie der Schwellwert der Fehlermenge zur Klassifizierung einer Drucksache als gut oder schlecht davon abhängt, ob ein oder zwei Inspektionskanäle verwendet werden, d.h. ob ein oder zwei verschiedene Fehlertypen erfasst werden (siehe Beschreibung Seite 9, Zeilen 4 - 7).
Die Kammer sieht darin ein einfaches Beispiel wie Fehler eines bestimmten Fehlertyps im Verhältnis zu Fehlern eines anderen Fehlertyps beurteilt werden.
Aufgrund der allgemeinen Erläuterungen auf Seite 13, Absatz 2 der Beschreibung und des konkreten Beispiels auf Seite 12, Absatz 1 der Beschreibung ist die Kammer der Ansicht, dass die Anmeldung ein Verhältnis unterschiedlicher Fehlertypen und eine darauf basierende Qualitätsbeurteilung als gut oder schlecht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2.8 In der angefochtenen Entscheidung (siehe Seite 5, zweiter Absatz) wurde in diesem Zusammenhang beanstandet, dass bei zum Beispiel zwei Fehlertypen (siehe Beschreibung, Seite 12, erster Absatz) es immer noch nicht angegeben sei, um welche zwei gemeinsamen Fehlertypen es sich handele und daher unklar sei, wie ein "Verhältnis" nach Anspruch 1 zu einer Berücksichtigung bei der Klassifizierung kodiert werden könnte.
2.9 Die Kammer ist der Ansicht, dass es natürlich möglich wäre, eine noch feinere Abstufung der Klassifizierung auszubilden, je nachdem, welche genaue Fehlertypkombination auftritt, z.B. 1+2, 1+3, 1+4. Aber die in der Beschreibung auf Seite 12, erster Absatz ausgeführte Funktion ist eben schon ein Beispiel dafür, dass ein und dieselbe Zahl an Gesamtfehlern unterschiedlich gewertet wird, ja nachdem auf wie vielen unterschiedlichen Fehlertypen sie beruht. Diese Funktion ist somit nach Ansicht der Kammer ein einfaches Beispiel für das Merkmal im Anspruch 1: "ein an mindestens einem dieser Exemplare detektierter Fehler eines bestimmten Fehlertyps im Verhältnis zu mindestens einem an demselben Exemplar oder einem anderen Exemplar dieser ausgewählten Menge detektierten Fehler eines anderen Fehlertyps beurteilt wird".
2.10 In der angefochtenen Entscheidung (siehe Seite 4, dritter vollständiger Absatz bis Seite 5, erster Absatz) wurde beanstandet, dass bestimmte Begriffe in der Beschreibung ("Fuzzifizierung") nicht klar seien und dass eine Fehlergröße ("N") in der Beschreibung eingeführt, aber dann nicht weiter benutzt werde. Ferner wurde beanstandet, dass die erste und zweite Zugehörigkeitsfunktion nicht nachvollziehbar definiert seien.
2.10.1 Die Kammer ist der Ansicht, dass diese Einwände sich auf Elemente der Beschreibung und nicht auf die in den Ansprüchen definierte Erfindung beziehen, und schon deshalb nicht die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung in Frage stellen können (siehe Punkt 2.3).
2.10.2 Es ist ferner ständige Rechtsprechung, dass der Fachmann die in der Anmeldung enthaltenen Informationen durch sein allgemeines Fachwissen vervollständigen kann und sogar Fehler in der Beschreibung aufgrund seines Fachwissens erkennen und berichtigen kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, II.C.4.1).
2.10.3 Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann daher unklare Begriffe in der Beschreibung entsprechend seinem allgemeinen Fachwissen interpretieren. So zum Beispiel den Begriff "fuzzifizieren" (siehe Beschreibung Seite 9, erster Absatz) in dem Sinne verstehen, dass verschiedene Parameter Eingangswerte einer gemeinsamen Funktion werden (siehe Beschreibung Seite 5, letzter Absatz: "erkannte Fehler werden in Abhängigkeit ihrer Topologie vorzugsweise gewichtet, z.B. in einer [...] Zugehörigkeitsfunktion zusammengeführt").
2.10.4 Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann auch erkennen, dass nicht alle einmal eingeführten Größen weiter benutzt werden müssen. So wird auf Seite 9, erster Absatz die Betrachtung der Fehlergröße als Alternative zur Betrachtung der Fehlermenge eingeführt ("dass für jedes einzelne Exemplar der Drucksache die Fehlermenge M mit M = 1 bis Mmax oder die Fehlergröße N mit N = 1 bis Nmax Pixel des Bildsensors zu beurteilen ist"). Wenn später nur noch die Fehlermenge verwendet wird, erkennt der Fachmann nach Ansicht der Kammer, dass eben nur eine der beiden Alternativen weitergeführt wurde. Daraus ergibt sich aber keine mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung.
2.10.5 Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann anhand der Beschreibung auf den Seiten 9 bis 10 verstehen, dass die Zahl der Fehler pro Exemplar der Drucksache entweder mit M oder m bezeichnet wird. Der Fachmann liest die Anmeldung mit der Intention sie zu verstehen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, 2019, II.A.6.1).
2.10.6 Die Prüfungsabteilung beanstandete, dass die erste Zugehörigkeitsfunktion von i abhängt, was nicht verständlich sei, da i gemäß der Beschreibung Seite 9, Zeilen 4 bis 7 die Zahl der Inspektionskanäle entsprechend der vier verschiedenen Fehlertypen angibt.
Nach Ansicht der Kammer wäre, wenn man nur die Zahl der Kanäle abzählt, diese Zahl in der Tat unabhängig vom überprüften Bild.
Der Fachmann würde daher nach Ansicht der Kammer die Beschreibung nicht so lesen, sondern den Abschnitt auf Seite 12, Absatz 1 hinzuziehen. Dort wird geschildert, wie sich die Bewertung ändert, je nachdem ob die Gesamtzahl an Fehlern aus nur einem Inspektionskanal kommt oder aus zwei Inspektionskanälen. Daraus würde der Fachmann schließen, dass i nicht nur die Zahl der Inspektionskanäle ist, sondern die Zahl der Inspektionskanäle, auf denen effektiv Fehler aufgetreten sind, d.h. die Zahl der verschiedenen Fehlertypen, die zur Gesamtzahl von Fehlern in einem Exemplar beitragen. Dann ist Figur 3 konsistent in dem Sinne, dass die gleiche Zahl von Gesamtfehlern (zum Beispiel 20) unterschiedlich gewertet wird, je nachdem ob diese Fehler alle vom selben Typ sind (i = 1) oder sich aus Fehlern von vier verschiedenen Typen zusammensetzen (i = 4).
2.10.7 Die Prüfungsabteilung beanstandete, dass es nicht logisch sei, dass die erste aggregierte Zugehörigkeitsfunktion, die in Fig. 3 dargestellt sei, für eine Fehlermenge m = 1 Werte i > 1 annehmen könne.
Nach Ansicht der Kammer ist es in der Tat nicht verständlich, wie bei nur einem Fehler, mehrere Fehlertypen auftreten können. Nach Ansicht der Kammer würde der Fachmann diesen Fehler aufgrund seines allgemeinen Fachwissens erkennen und entweder die Fehlermenge pro Exemplar als einen Durchschnittswert interpretieren oder erkennen, dass der Definitionsbereich der Funktion die Einschränkung i < m enthalten muss.
2.10.8 Zusammenfassend ist die Kammer der Ansicht, dass gewisse Inkonsistenzen bei der Definition der aggregierten Zugehörigkeitsfunktionen vorhanden sind, der Fachmann diese aber unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens dennoch nachvollziehen könnte.
Zudem beziehen sich die Inkonsistenzen nur auf Elemente der Beschreibung und nicht auf die in den Ansprüchen definierte Erfindung (siehe Punkt 2.10.1)
2.11 Aus diesen Gründen ist die Kammer der Ansicht, dass die beanspruchte Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann und somit die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ 1973 erfüllt sind.
3. Klarheit (Artikel 84 EPÜ 1973)
3.1 Gemäß Artikel 84 EPÜ 1973 müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen deutlich und knapp gefasst sein und von der Beschreibung gestützt werden.
3.2 Die Prüfungsabteilung bemängelte in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10), dass wegen der mangelnden Ausführbarkeit, die Ansprüche nicht von der Beschreibung gestützt seien.
Wie in den Punkten 2.1 bis 2.11 dargelegt, hält die Kammer die Erfindung für ausreichend offenbart. Die vorhandenen Inkonsistenzen (siehe Punkt 2.10.8) beeinträchtigen zwar etwas die Verständlichkeit der Beschreibung, sie ändern aber nichts daran, dass die Beschreibung grundsätzlich erkennbar zumindest ein Ausführungsbeispiel der beanspruchten Erfindung beschreibt. Daher sieht die Kammer auch die Ansprüche als von der Beschreibung gestützt an.
3.3 Die Prüfungsabteilung erhob in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10, erster Absatz) den Einwand, dass es nicht klar sei, was mit Auswählen einer Menge von Exemplaren gemeint sei, weil Kriterien für oder Zweck der Auswahl nicht beschrieben würden.
Diesbezüglich ist die Kammer der Ansicht, dass das Merkmal des Anspruchs 1: "wobei von den produzierten Exemplaren der Drucksache eine Menge von Exemplaren ausgewählt wird" aus sich heraus klar ist. Ein Fachmann würde ohne weiteres verstehen, dass hier eine Stichprobe zur Qualitätsprüfung genommen wird. Besondere Kriterien für die Auswahl der Elemente der Stichprobe sind nach Ansicht der Kammer nicht erforderlich und könnten sogar das Ergebnis verfälschen.
3.4 Die Prüfungsabteilung erhob in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10, zweiter Absatz) ferner den Einwand, dass es nicht klar sei, was Fehlertypen und/oder Eigenheiten eines Fehlers einer Drucksache seien, da diese Begriffe auf dem Fachgebiet keine allgemein bekannte Bedeutung hätten; die Beschreibung nenne zwar Beispiele für Fehlertypen und Eigenheiten, die Richtlinien forderten aber, dass die Bedeutung aus dem Wortlaut des Anspruchs allein deutlich werde.
Die Kammer ist der Ansicht, dass ein Fachmann unterschiedliche Fehlertypen als verschiedene Arten, Gattungen, Kategorien, Klassen oder Sorten von Fehlern verstehen würde. Daher sieht die Kammer das Merkmal "Fehlertyp" in Anspruch 1 als klar an. Im Zweifel würde der Fachmann die Beschreibung heranziehen (siehe den Absatz der die Seiten 7 und 8 verbindet), wo als Beispiele für Fehlertypen Farbfehler, Intensitätsfehler, Konturfehler und Anordnungsfehler genannt werden.
Das Merkmal "Eigenheiten eines Fehlers" wurde aus dem Anspruch 1 und den weiteren abhängigen Ansprüchen gestrichen. Damit sind nach Ansicht der Kammer die diesbezüglichen Klarheitseinwände obsolet, insbesondere die Frage der Abgrenzung zwischen Fehlertyp und Eigenheiten eines Fehlers sowie das Problem, wie ein Fehlertyp mit einer Eigenheit eines Fehlers verglichen werden kann.
3.5 Die Prüfungsabteilung erhob in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10, dritter Absatz) des Weiteren den Einwand, dass Anspruch 1 nicht auf ein automatisches, maschinelles Klassifizierungsverfahren eingeschränkt sei, obwohl die Klassifizierung mit einer Bildverarbeitungseinrichtung durchgeführt werde (siehe Beschreibung, Seite 2, dritter Absatz).
Die Kammer versteht diesen Einwand der Prüfungsabteilung als einen Einwand mangelnder Stützung des Anspruchs 1 durch die Beschreibung.
Allerdings enthält der zitierte Absatz 3 auf Seite 2 der Beschreibung keine effektive Beschränkung auf eine automatische, maschinelle Klassifizierung. Es wird dort nur generell von einem "mit der Bildaufnahmeeinheit verbundenen Bildverarbeitungssystem" gesprochen. Daraus lässt sich keine zwingende Beschränkung auf eine automatische, maschinelle Klassifizierung ableiten. Ein Bildverarbeitungssystem könnte auch von einem menschlichen Operator bedient werden (vgl. dazu die Seite 1 der Beschreibung), auch wenn das im Kontext der Ausführungsbeispiele nicht der Fall wäre. Darüber hinaus enthält die Beschreibung auf Seite 5 auch einen Verweis auf den Text des Anspruchs 1.
Daher sieht die Kammer den Anspruch 1 als durch die Beschreibung gestützt an, auch wenn er nicht auf ein automatisches, maschinelles Klassifizierungsverfahren eingeschränkt ist.
3.6 Die Prüfungsabteilung erhob in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 10, vierter Absatz) schließlich den Einwand, gute/schlechte Qualität seien relative Begriffe. Aus der Beschreibung werde nicht deutlich, ob es eine Beziehung mit objektiven Qualitätsnormen gäbe.
Die Kammer ist der Ansicht, dass, unabhängig voneinander betrachtet, gut und schlecht relative Begriffe sind. Im Zusammenhang des Merkmals des Anspruchs 1: "als von guter oder schlechter Qualität klassifiziert wird" ist nach Ansicht der Kammer aber klar, dass es sich hier um eine binäre entweder-oder Entscheidung handelt. Die Beschreibung gibt auf Seite 9, zweiter Absatz auch ein Beispiel an, wie diese binäre Entscheidung zwischen gut oder schlecht anhand eines Schwellwerts durchgeführt wird.
3.7 Seitens der Kammer bestehen keine weiteren Klarheitseinwände gegen die vorliegenden Ansprüche.
3.8 Die Ansprüche sind daher klar (Artikel 84 EPÜ 1973).
4. Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
4.1 Die angefochtene Entscheidung basierte nur auf Einwänden gemäß Artikel 83 EPÜ und Artikel 84 EPÜ gegen den damaligen einzigen Antrag. Wie oben dargelegt, erfüllen die vorliegenden geänderten Ansprüche die Voraussetzungen der Artikel 83 und 84 EPÜ 1973. Jedoch kann zu diesem Zeitpunkt kein Patent erteilt werden, ohne dass die Anmeldung zunächst bezüglich der Erfüllung der anderen Patentierungserfordernisse des Europäischen Patentübereinkommens, wie etwa Neuheit und erfinderischer Tätigkeit, geprüft wird.
4.2 Im gesamten erstinstanzlichen Prüfungsverfahren wurden die Fragen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit bislang nicht behandelt (siehe die Mitteilung nach Artikel 94 (3) EPÜ vom 26. Juli 2010, der der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung beigefügte Bescheid, sowie die angefochtene Entscheidung selbst). Das bedeutet, dass die Kammer erstmalig und mit einigem Aufwand die Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit einschließlich der Bestimmung des relevanten Stands der Technik durchführen müsste, wenn sie über die weiteren Patentierungsvoraussetzungen im vorliegenden Fall entscheiden würde. Dies würde aber weit über das von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern angesehene, und nunmehr in Artikel 12 (2) der am 1. Januar in Kraft getretenen revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63) definierte, vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, nämlich die gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, hinausgehen. Die Kammer sieht diese Situation als einen besonderen Grund für eine Zurückverweisung im Sinne des Artikels 11 VOBK 2020, der im vorliegenden Fall gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 anwendbar ist.
4.3 Die Kammer übt daher ihr Ermessen nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ 1973 dahingehend aus, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Zu einem solchen Vorgehen hat die Beschwerdeführerin ihre Zustimmung erklärt, und für diesen Fall auch ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgezogen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erübrigte sich deshalb.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.