T 0983/15 (Mobilitätsverwaltung von Endgeräten in Mobilfunknetzen/SBB) of 28.1.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T098315.20200128
Datum der Entscheidung: 28 Januar 2020
Aktenzeichen: T 0983/15
Anmeldenummer: 07113889.5
IPC-Klasse: H04W 4/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von Endgeräten in Mobilfunknetzen, Mobilfunknetz und Mobilendgerät
Name des Anmelders: Schweizerische Bundesbahnen SBB
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, nach der das Patent in geänderter Fassung gemäß einem Hilfsantrag 4 den Erfordernissen des Übereinkommens genügt, legten sowohl die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) als auch die Einsprechende (Beschwerdeführerin II) Beschwerde ein.

II. Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem auf die folgende Druckschrift Bezug genommen:

D6: US 2004/0058678 A1.

III. Die Beschwerdeführerin I beantragt, das Patent in geänderter Fassung gemäß einem Hauptantrag oder einem Hilfsantrag 1, beide eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten, hilfsweise gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 4.

Die Beschwerdeführerin II beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das Patent zu widerrufen.

IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2020, an der die Beschwerdeführerin II - wie schriftlich angekündigt - nicht teilnahm, wurde die

Entscheidung der Kammer verkündet.

V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von Mobilendgeräten (MS) in einem Mobilfunknetz (PLMN), wobei,

a) wenigstens eine Feststation (BSS, BSC, BTS) des Mobilfunknetzes (PLMN) den Mobilendgeräten (MS) zugehörige, mobilitätsrelevante Mobilendgeräte-Daten erfasst und ausgewertet werden,

b) die Mobilendgeräte (MS) anhand der mobilitätsrelevanten Mobilendgeräte-Daten einem Verkehrsweg und/oder einem Verkehrsmittel zugeordnet werden, und

c) die zueinander korrespondierenden, einem Verkehrsweg und/oder einem Verkehrsmittel zugehörigen Mobilendgeräte (MS) wenigstens einer Gruppe (A) zugeordnet und entsprechende Gruppierungsdaten gebildet werden, die entweder

einer dynamischen Feststation (BSSD, BSCD, BTSD) zugestellt werden, für die Radio Ressourcen in den entlang dem Verkehrsweg angeordneten Feststationen (BSS, BSC, BTS) reserviert werden, und die parallel mit den gruppierten Mobilendgeräten (MSA1, MSA2, ...) geführt wird;

oder

einer dynamischen Steuereinheit (BSSD, BSCD) zugestellt werden, der ein dynamischer Aufenthaltsbereich (LAD) zugeordnet ist, welcher zumindest annähernd auf gleicher Höhe mit den gruppierten Mobilendgeräten (MSA1, MSA2, ...) geführt wird, so dass Änderungen des Aufenthaltsbereichs während der Fahrt entlang dem Verkehrsweg entfallen."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag darin, dass der erste Absatz nun folgendermaßen lautet (Änderungen unterstrichen):

"Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von entlang einem Verkehrsweg transportierten Mobilendgeräten (MS) in einem Mobilfunknetz (PLMN), wobei,"

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von Mobilendgeräten (MS) in einem Mobilfunknetz (PLMN), wobei,

a) wenigstens eine Feststation (BSS, BSC, BTS) des Mobilfunknetzes (PLMN) den Mobilendgeräten (MS) zugehörige, mobilitätsrelevante Mobilendgeräte-Daten erfasst und ausgewertet werden,

b) die Mobilendgeräte (MS) anhand der mobilitätsrelevanten Mobilendgeräte-Daten einem Verkehrsweg und/oder einem Verkehrsmittel zugeordnet werden, und

c) die zueinander korrespondierenden, einem Verkehrsweg und/oder einem Verkehrsmittel zugehörigen Mobilendgeräte (MS) wenigstens einer Gruppe (A) zugeordnet und entsprechende Gruppierungsdaten gebildet werden, die

einer dynamischen Feststation (BTSD) zugestellt werden, für die Radio Ressourcen in den entlang dem Verkehrsweg angeordneten Feststationen (BTS) reserviert werden, und die parallel mit den gruppierten Mobilendgeräten (MSA1, MSA2, ...) geführt wird."

Entscheidungsgründe

1. HAUPTANTRAG

1.1 Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst folgende einschränkenden Merkmale (gemäß der im Einspruchsverfahren eingeführten Merkmalsgliederung):

Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von Mobilendgeräten in einem Mobilfunknetz, wobei,

M1 [durch] wenigstens eine Feststation des

Mobilfunknetzes den Mobilendgeräten zugehörige,

mobilitätsrelevante Mobilendgeräte-Daten erfasst

und ausgewertet werden,

M2 die Mobilendgeräte anhand der mobilitätsrelevanten

Mobilendgeräte-Daten einem Verkehrsweg und/oder

einem Verkehrsmittel zugeordnet werden, und

M3 die zueinander korrespondierenden, einem

Verkehrsweg und/oder einem Verkehrsmittel

zugehörigen Mobilendgeräte wenigstens einer Gruppe

zugeordnet und entsprechende Gruppierungsdaten

gebildet werden, die entweder

M4.1 einer dynamischen Feststation zugestellt werden,

für die Radioressourcen in den entlang dem

Verkehrsweg angeordneten Feststationen reserviert

werden, und die parallel mit den gruppierten

Mobilendgeräten geführt wird;

oder

M4.2 einer dynamischen Steuereinheit zugestellt

werden, der ein dynamischer Aufenthaltsbereich

zugeordnet ist, welcher mit den gruppierten

Mobilendgeräten geführt wird, so dass Änderungen

des Aufenthaltsbereichs während der Fahrt entlang

dem Verkehrsweg entfallen.

1.2 Anspruch 1 - Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

1.2.1 Die beanspruchte Erfindung gemäß Anspruch 1 ist nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass eine Fachperson sie ausführen kann. Die Gründe sind wie folgt:

1.2.2 Der Beschwerdeführerin II ist darin zuzustimmen, dass die Fachperson dem Streitpatent keine Angaben über eine mögliche Implementierung der Zustellungsfunktion in Bezug auf eine nicht näher definierte "dynamische Feststation" gemäß Anspruchsmerkmal M4.1 entnehmen kann.

1.2.3 Der Begriff "dynamische Feststation" gilt nicht als fachübliche Terminologie. Somit kann eine Fachperson bei der Implementierung dieses Elements der beanspruchten Erfindung gemäß Hauptantrag weder ein fertiges Produkt einsetzen noch einer öffentlichen Spezifikation folgen. Vielmehr müsste sie in der Lage sein, basierend auf der im Streitpatent angegebenen Funktionalitäten und im Rahmen des allgemeinen Fachwissens, eine solche "dynamische Feststation" selber zu entwickeln.

1.2.4 Im Folgenden wird eine Übersicht gegeben über die im Streitpatent enthaltenen Informationen über die "dynamische Feststation". Absatz [0020] des Streitpatents entnimmt man die Lehre, dass die Verwendung einer zusätzlichen proprietären Steuereinheit, wie aus D6 bekannt, vermieden werden soll. Im Absatz [0024] wird vorgegeben, dass durch die Verwendung einer dynamischen Feststation

Handover-Prozesse vollständig vermieden werden und der Signalisierungsaufwand auf ein Minimum reduziert werden soll, und dass - anstatt für eine Vielzahl von Mobilendgeräten zahlreiche (intra MSC und extra MSC) Handover-Prozesse durchzuführen - lediglich die dynamische Feststation "entlang dem Verkehrsweg" weitergeführt wird, was nur noch innerhalb des Festnetzes einen minimalen Signalisierungsaufwand verursache und die Luftschnittstelle vollständig entlaste. Zudem ist hier im Zusammenhang mit dem "parallelen Führen" keine Rede von der Zustellung von auf zugeordneten Mobilendgerätedaten basierenden Gruppierungsdaten.

Figur 2 stellt wiederum eine dynamische Feststation BTSD, die parallel zu einem Eisenbahnzug geführt wird, schematisch dar.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Absatz [0060] offenbart hierzu, dass die Gruppierungsdaten einer dynamischen Feststation BTSD zugestellt werden, für die Radioressourcen in den "entlang dem Verkehrsweg" angeordneten Feststationen BSS, BSC, BTS reserviert werden. Daher kann die dynamische Feststation, welche grundsätzlich die Funktionen einer normalen Feststation BTS aufweist, "entlang dem Verkehrsweg" VW1 geführt werden. Absatz [0061] gibt nähere Informationen über die Reservierung von Ressourcen. Bei der Verwendung einer dynamischen Feststation BTSD werden die am Verkehrsweg VW1 liegenden Feststationen BTS der zu besuchenden Zellen ebenfalls rechtzeitig über die Annäherung der dynamischen Feststation BTSD informiert, so dass die erforderlichen Radioressourcen bereitgestellt werden können.

Letztlich, laut Absatz [0065], weisen die Mobilendgeräte MS, um einer dynamischen Feststation BTSD und/oder einer dynamischen Steuereinheit BSCD oder einem dynamischen Aufenthaltsbereich LAD folgen und mit diesen kommunizieren zu können, vorzugsweise ein entsprechendes Betriebsprogramm auf, mittels dem sie beispielweise die den dynamischen Einheiten BTSD

und/oder BSCD oder LAD zugehörigen Daten den Steuerkanälen des Mobilfunknetzes PLMN entnehmen und verarbeiten können.

1.2.5 Diese Informationen hinterlassen viele offene Fragen.

Es wird nicht weiter präzisiert, ob die dynamische Feststation BTSD zusätzlicher Hardware bedarf, die "parallel mit den gruppierten Mobilendgeräten geführt wird", oder eher als rein "virtuell" zu verstehen ist, wie von der Beschwerdeführerin II angenommen.

Wenn es sich lediglich um Software handeln sollte, die von den herkömmlichen Feststationen BTS und/oder Mobilendgeräten ausgeführt werden soll, ist auch nicht offenbart, inwiefern und durch welche Mittel die vorgegebenen Ziele erreicht werden würden. Eine rechtzeitige Reservierung von Ressourcen bei den herkömmlichen Feststationen, wie z.B. aus D6 bekannt, ändert nichts an der Tatsache, dass an einem bestimmten Zeitpunkt die Kommunikation über die Luftschnittstelle von einer Feststation BTS zu einer anderen übergeben werden muss, wie bei einem herkömmlichen

Handover-Prozess.

Es gibt nämlich im Streitpatent keinerlei Ausführungsbeispiele für die Signalisierung zwischen Mobilendgeräten und "dynamischer Feststation" gemäß Erfindung. Dennoch wird im Streitpatent darauf hingewiesen, dass der Signalisierungsaufwand auf ein Minimum reduziert und die Luftschnittstelle vollständig entlastet werden soll. Eine Signalisierung mit solch ambitionierten Zielen ist für die Fachperson nicht offensichtlich.

1.2.6 Darüber hinaus kann sie dem Streitpatent nicht entnehmen, wie - für den von Anspruch 1 mitumfassten Fall, dass die Mobilendgeräte gemäß Merkmale b) und c) nur einem Verkehrsmittel und nicht einem Verkehrsweg zugeordnet sein sollten - Radioressourcen entlang eines Verkehrsweges reserviert werden können.

1.2.7 Die Beschwerdeführerin I vertritt dazu die Auffassung, dass die Übertragung von Daten zwischen Netzwerkeinheiten die grundlegende Aufgabe eines Mobilfunknetzes sei und dies zum allgemeinen Fachwissen gehöre. D6 belege dieses allgemeine Fachwissen und zeige in Figur 1, wie die nächste Feststation ermittelt und die entsprechenden Ressourcen reserviert werden würden.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Auf dieser Grundlage könne die "dynamische Feststation" der Erfindung gemäß Hauptantrag ohne Weiteres implementiert werden.

1.2.8 Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen handelt es sich bei D6 um eine Patentschrift, die als solche gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht ohne Weiteres als Beleg für das allgemeine Fachwissen betrachtet werden kann. Zum anderen wird D6 zwar im Streitpatent als Stand der Technik anerkannt, jedoch nicht als Grundlage für die Implementierung der "dynamischen Feststation" der Erfindung. Im Gegenteil: das in D6 beschriebene Verfahren wird als "nachteilig" angesehen, weil innerhalb der Transporteinheiten eine mobile Steuereinheit erforderlich sei. Es ist nicht offensichtlich, welche Änderungen in D6 notwendig wären, um die Ziele der beanspruchten Erfindung gemäß Hauptantrag erreichen zu können.

1.3 Folglich ist der Hauptantrag nach Artikel 83 EPÜ nicht gewährbar.

2. HILFSANTRAG 1

2.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wie folgt (Unterstreichungen der Kammer):

"Verfahren für die Mobilitätsverwaltung von entlang einem Verkehrsweg transportierten Mobilendgeräten in einem Mobilfunknetz, wobei ...".

2.2 Anspruch 1 - Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

2.2.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 enthält das Merkmal M4.1 wie Anspruch 1 gemäß Hauptantrag. Die vorgenommene Änderung bezieht sich zudem nicht auf die in Merkmal M4.1 enthaltene "dynamische Feststation". Demzufolge gilt die gleiche Begründung wie für den Hauptantrag (siehe Punkt 1.2 oben).

2.3 Der Hilfsantrag 1 ist somit ebenso nach Artikel 83 EPÜ nicht gewährbar.

3. HILFSANTRAG 4

3.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass das alternative Merkmal M4.2 gestrichen worden ist.

3.2 Da auch Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 das Merkmal M4.1 - nun als einzige Option - enthält, gilt die gleiche Begründung wie für den Hauptantrag (siehe Punkt 1.2 oben).

3.3 Folglich ist auch der Hilfsantrag 4 nach Artikel 83 EPÜ nicht gewährbar.

4. Daher ist das Streitpatent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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