European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T096915.20200130 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Januar 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0969/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08758569.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09D 175/04 C09C 1/00 C09C 1/64 C09D 5/36 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | WÄSSRIGE, PIGMENTIERTE BESCHICHTUNGSMITTEL, VERFAHREN ZU DEREN HERSTELLUNG UND DEREN VERWENDUNG ZUR HERSTELLUNG VON MEHRSCHICHTLACKIERUNGEN | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF Coatings GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Axalta Coating Systems Germany GmbH Bollig & Kemper GmbH & Co. KG |
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Kammer: | 3.3.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit Beschwerdebegründung - unsubstantiierter Sachvortrag eines Beteiligten |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerde der Einsprechenden 2 (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 2 158 280 (Streitpatent) zurückzuweisen.
II. In ihren Einspruchsschriften beantragten die Beschwerdeführerin und die Einsprechende 1 den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang auf der Basis von Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ.
III. Die folgenden Dokumente aus dem erstinstanzlichen Verfahren sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D1 WO 2006/017197 A1
D2 WO 2007/041228 A1
D3 EP 1 591 492 A1
D5 WO 2007/057200 A1
D5p DE 10 2005 054 867 A1
D13 Richtrezeptur "76-09005 A" der Firma Eckart
D15 Auszug aus der Europäischen Norm
EN ISO 4618:2006
D17 Römpp Lexikon Chemie, Eintrag "Bindemittel"
D18 Webseite des Farbenhauses Frankenthal "Erklärung
der Fachbegriffe"
D19 Webseite der American Coatings Association
"Glossary of Terms"
D22 "Korrelation der Werte aus der Tabelle des
Streitpatents mit dem Bindemittel-Begriff nach
DIN bzw. nach den Einsprechenden"
D23 Kopien einer Präsentation aus dem Internet
D24 Datenblatt "STOLLAQUID G 1152"
D25 Sicherheitsdatenblatt "STOLLAQUID G 1152"
E2 "Berechnung der Beispiele zur EP 08758569.1"
IV. Zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin das folgende Dokument ein:
D26 Technisches Datenblatt "HYDROSHINE WS 3001"
V. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 nahm die Einsprechende 1 ihren Einspruch zurück.
VI. Am 27. September 2019 erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007.
VII. Mit Schreiben vom 9. Januar 2020 sagte die Beschwerdeführerin ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ab.
VIII. Die Verhandlung vor der Kammer fand am 30. Januar 2020 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte
- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang,
- die Zulassung von D26 zum Verfahren, und
- "die Dokumente [D23 bis D25] bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen."
Die Beschwerdegegnerin beantragte
- die Zurückweisung der Beschwerde und mithin die Aufrechterhaltung des Streitpatents in seiner erteilten Fassung (Hauptantrag),
- hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf Basis der Anspruchssätze der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit Schreiben vom 6. Januar 2020,
- die Nichtzulassung von D26 zum Verfahren,
- die Entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Nichtzulassung von D23 bis D25 zu bestätigen und den entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung von D23 bis D25 zurückzuweisen
- den Vortrag der Beschwerdeführerin zum Gesamtbindemittelgehalt unter dem Gesichtspunkt der Neuheit als verspätet anzusehen und diesen nicht zuzulassen,
- den Vortrag der Beschwerdeführerin zur angeblich mangelnden Neuheit gegenüber D2 als nicht erfolgt anzusehen und damit den Einwand mangelnder Neuheit basierend auf D2 nicht zuzulassen,
- den Vortrag der Beschwerdeführerin in Bezug auf erfinderische Tätigkeit mit Verweis auf D23 bis D25, D13 bzw. D3 als nicht erfolgt anzusehen und damit die Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit, soweit sie sich auf diese Dokumente stützen, nicht zuzulassen.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten unabhängigen Ansprüche des erteilten Streitpatents (Hauptantrag) lauten wie folgt:
Anspruch 1
"Physikalisch, thermisch und physikalisch oder thermisch härtbare wässrige Beschichtungsmittel-Zusammensetzungen enthaltend
A) mindestens ein Polyurethan, ausgewählt aus der Gruppe, bestehend aus physikalisch härtbaren, thermisch selbstvernetzenden und/oder thermisch fremdvernetzenden, gesättigten, ungesättigten und/oder mit olefinisch ungesättigten Verbindungen gepfropften, ionisch und/oder nichtionisch stabilisierten Polyurethanen, als Bindemittel und
B) mindestens ein durch PVD-Verfahren (Physical Vapour Deposition) hergestelltes blättchenförmiges Metalleffektpigment,
wobei der Gehalt an B), bezogen auf den Gesamtbindemittelgehalt der Beschichtungsmittel-Zusammensetzung weniger als 10 Gew.-% beträgt und der Gesamtbindemittelgehalt bezogen auf die Beschichtungsmittel-Zusammensetzung weniger als 12 Gew.-% beträgt."
Anspruch 21
"Mehrschichtlackierung erhältlich durch das Nass-in-nass-Verfahren nach einem der Ansprüche 19 oder 20."
XI. Der Vortrag der Beschwerdeführerin kann, soweit er für die vorliegende Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammengefasst werden:
Die fehlenden (Gehalts-) Untergrenzen in Anspruch 1 und die fehlenden Angaben zur Bestimmung der Dicke und der maximalen Teilchengröße in den Ansprüchen 3 und 4 hätten einen Offenbarungsmangel zur Folge.
Sowohl der allgemeine Teil als auch Beispiel 2 der D1 seien neuheitsschädlich für die Ansprüche 1 und 21 des Streitpatents. Darüber hinaus seien auch D5/D5p (jeweils Beispiel 1) und D2 neuheitsschädlich für Anspruch 1 des Streitpatents.
D3 oder D13 seien als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. In Zusammenschau mit D13, D23 bis D25 bzw. D26 ergebe sich der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand in naheliegender Weise. Auch die Dokumente D1 und D2 seien für die erfinderische Tätigkeit relevant.
XII. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin kann, soweit er für die vorliegende Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammengefasst werden:
Die Einspruchsabteilung habe zu Recht entschieden, dass im Streitpatent kein Offenbarungsmangel vorliege.
Um zum beanspruchten Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, müsse aus dem allgemeinen Teil der D1 mehrmals eine Auswahl getroffen werden. Der allgemeine Teil der D1 könne daher nicht neuheitsschädlich sein. Was der Fachmann auf dem Gebiet der Farben und Lacke unter Bindemittel verstehe, könne D15 und D17 entnommen werden. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführten Dokumente (D18, D19, D2) seien weit weniger allgemeingültig. Bei Anwendung der korrekten Bindemittel-Definition müsse man zu dem Schluss gelangen, dass der Gesamtbindemittelgehalt in D1 (Beispiel 2) und D5/D5p (jeweils Beispiel 1) zu hoch sei und dass diese daher nicht neuheitsschädlich sein könnten. Der auf D2 basierende Neuheitseinwand sei wegen mangelnder Substantiierung nicht zum Verfahren zuzulassen.
Die Einwände der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit seien wegen mangelnder Substantiierung nicht zum Verfahren zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag (Streitpatent in seiner erteilten Fassung)
1. Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 b) EPÜ)
In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in seiner erteilten Fassung nicht entgegensteht. Zu dieser Mitteilung hatte die Beschwerdeführerin inhaltlich nicht mehr Stellung genommen. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, von ihrer vorläufigen Meinung abzurücken. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht entgegen.
2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2.1 Anspruch 1 ist auf eine wässrige Beschichtungsmittel-Zusammensetzung gerichtet, die ein bestimmtes Polyurethan A) als Bindemittel und ein bestimmtes Metalleffektpigment B) enthält. Die Beschichtungsmittel-Zusammensetzung zeichnet sich unter anderem dadurch aus,
- dass der Gehalt des Metalleffektpigments B), bezogen auf den Gesamtbindemittelgehalt der Beschichtungsmittel-Zusammensetzung weniger als 10 Gew.-% beträgt und
- dass der Gesamtbindemittelgehalt, bezogen auf die Beschichtungsmittel-Zusammensetzung, weniger als 12 Gew.-% beträgt.
2.2 Die Neuheitseinwände der Beschwerdeführerin basierten auf D1, D2 und D5/D5p.
2.3 In Zusammenhang mit diesen Neuheitseinwänden war insbesondere strittig, ob die aus diesen Dokumenten ableitbaren Gesamtbindemittelgehalte anspruchsgemäß sind.
Diesbezüglich diskutierte die Beschwerdeführerin die Bedeutung der Begriffe "Gesamtbindemittelgehalt" und "Bindemittel" in Anspruch 1 und insbesondere die Frage, welche Klassen von Inhaltsstoffen als "Bindemittel" anzusehen sind und welche nicht. Die Beschwerdegegnerin beantragte, diesen Vortrag nicht ins Verfahren zuzulassen. Die Kammer entschied in der mündlichen Verhandlung, diesen Vortrag zum Verfahren zuzulassen. Da der Hauptantrag selbst bei Berücksichtigung dieses Vortrags gewährbar ist (siehe unten), braucht diese Entscheidung nicht näher begründet zu werden.
2.4 Die Bedeutung der Begriffe "Gesamtbindemittelgehalt" und "Bindemittel".
Der Gesamtbindemittelgehalt ist im Streitpatent (Absatz [0032]) definiert durch Bezug des Gesamtbindemittelgewichts, d. h. der Summe aller Gewichte aller Bindemittel, auf das Gesamtgewicht der erfindungsgemäßen Zusammensetzung.
Der Begriff des Bindemittels wird im Streitpatent nicht abschließend definiert. Die Absätze [0032] und [0045] führen lediglich beispielhaft einige Bindemitteln zuzurechnende Polymere auf, nämlich Polyesterharze, Polyacrylatharze sowie die in Anspruch 1 genannten Polyurethan-Bindemittel (A)(Absatz [0032]) bzw. Polyesterharze, Poly(meth)acrylsäureharze und Poly(meth)acrylatharze (Absatz [0045]). Einer genauen Definition des Begriffs des Bindemittels bedarf es jedoch im Streitpatent nicht, da es, wie durch D15 und D17 gezeigt, im Stand der Technik eine allgemein anerkannte Definition für diesen Begriff gibt.
Bei D15 handelt es sich um einen Auszug aus der europäischen Norm EN ISO 4618:2006, welche Beschichtungsstoffe betrifft. Darin wird der Begriff des Bindemittels definiert als "nichtflüchtiger Anteil eines Beschichtungsstoffes ohne Pigmente und Füllstoffe" (D15: Seite 2, Punkt 2.24).
D17 gibt den Eintrag zu Bindemitteln des Standardwerks "Römpp Lexikon Chemie" wieder. Dieser Eintrag verweist auf die Vorläufernorm von D15, der DIN EN 971-1: 1996-09, und definiert die Bindemittel entsprechend analog: "Bei Anstrichstoffen und Lacken sind Bindemittel gemäß DIN EN 971-1: 1996-09 und DIN 55945: 1999-07 der oder die nichtflüchtigen Anteile ohne Pigment und Füllstoff, aber einschließlich Weichmachern, Trockenstoffen und anderen nichtflüchtigen Hilfsstoffen [...]." (D17: Seite 2, Abschnitt "Verwendung in der Lackindustrie"; Hervorhebung hinzugefügt).
Die Beschwerdeführerin führte im Gegenzug D18, D19 und D2 an, um diese Sichtweise zu entkräften. Dem kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen. So handelt es sich bei D18 um einen Auszug einer Internet-Seite, die die Firma Farbenhaus Frankenthal zum Vertrieb ihrer Produkte betreibt und in dem lediglich eine Erklärung für verschiedene Fachbegriffe, wie unter anderem dem des Bindemittels, gegeben werden. Bei D19 handelt es sich ebenfalls lediglich um einen Glossar, der zwar den Begriff des Bindemittels über seine Funktion erklärt, aber keine allgemeingültige Definition angibt. Bei D2 handelt es sich lediglich um ein Patentdokument. Keinem dieser Dokumente kommt daher eine Allgemeingültigkeit zu, wie sie eine Norm (D15) oder ein Eintrag in einem Standardwerk der Fachliteratur (D17) hat.
Daher versteht der Fachmann auf dem Gebiet der Farben und Lacke unter einem Bindemittel alle nichtflüchtigen Bestandteile einer Lackzusammensetzung ohne Pigmente und Füllstoffe.
2.5 Neuheit gegenüber D1
Basierend auf D1 trug die Beschwerdeführerin zwei Neuheitseinwände vor.
2.5.1 Der erste Neuheitseinwand der Beschwerdeführerin basierte auf dem allgemeinen Teil der D1.
Hinsichtlich dieses Einwands hatte sich die Kammer in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 der Argumentation in der angefochtenen Entscheidung angeschlossen, wonach dieser Einwand nicht durchgriff. Zu dieser Mitteilung hatte die Beschwerdeführerin inhaltlich nicht mehr Stellung genommen. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, von ihrer diesbezüglichen vorläufigen Meinung abzurücken.
2.5.2 Der zweite Neuheitseinwand der Beschwerdeführerin basierte auf D1, Beispiel 2.
2.5.3 D1, Beispiel 2, offenbart einen unmodifizierten wässrigen Basislack ("water-borne base coat"). Durch Zusatz eines Vernetzers wird daraus ein modifizierter Basislack erhalten. Beide Basislacke, d. h. der unmodifizierte und der modifizierte, werden bei der Beschichtung eines Substrats übereinander aufgetragen.
Der unmodifizierte Basislack enthält ein Polyester-Polyurethan-Harz und das Handelsprodukt "Hydroshine WS 1001". In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 hatte die Kammer angemerkt,
- dass es sich bei dem Polyester-Polyurethan-Harz um ein thermisch fremdvernetzendes Polyurethan-Bindemittel gemäß A) in Anspruch 1 und
- dass es sich bei dem Handelsprodukt "Hydroshine WS 1001" um ein durch PVD-Verfahren hergestelltes blättchenförmiges Metalleffektpigment gemäß B) in Anspruch 1
handele. Dies wurde in der Folge von keiner der Parteien bestritten.
Neben dem genannten Pigment enthält der unmodifizierte Basislack mit Talkum auch einen Füllstoff (D1: Seite 10, Zeilen 14 bis 18). Abgesehen von Pigment und Füllstoff sind die folgenden nichtflüchtigen Bestandteile enthalten, welche nach obiger Definition entsprechend als Bindemittel aufzufassen sind (jeweils in Gew.-%):
- Polyester-Polyurethan-Harz (5,9)
- Polyesteracrylat-Harz (6,4)
- Radikalfänger (1,0)
- UV-Absorber (0,5)
- Entschäumer (0,5)
- Polyacrylsäure-Verdicker (0,6)
- Polypropylenglykol 400 (1,2).
[Anmerkung zur Gehaltsangabe in Gew.-%: In D1 erfolgt die Gehaltsangabe in Form von Gew.-Teilen. Da sich die Summer der Gew.-Teile aller Bestandteile jedoch nicht auf 100 sondern auf nur 98,5 Gew.-Teile beläuft, wurde zur Berechnung des Gehalts eines Inhaltsstoffes in Gew.-% die entsprechende Gew.-Teilangabe mit dem Faktor 100/98,5 multipliziert.]
Ihre Summe, d. h. der Gesamtbindemittelgehalt, beläuft sich demnach auf 16,1 Gew.-%. Dieser Wert liegt deutlich über der dafür in Anspruch 1 vorgesehenen Obergrenze von "weniger als 12 Gew.-%". Die Beschichtungsmittel-Zusammensetzung nach Anspruch 1 ist folglich aufgrund ihres geringeren Gesamtbindemittelgehalts neu gegenüber dem unmodifizierten Basislack von D1, Beispiel 2.
Zur Herstellung des modifizierten Basislacks werden 100 Gew.-Teile des unmodifizierten Basislacks mit 10 Gew.-Teilen einer Vernetzer-Zusammensetzung, einer 70% gew.-%igen Lösung eines Polyisocyanats in N-Methylpyrrolidon, gemischt. Dieses Polyisocyanat ist kein Pigment und kein Füllstoff. Da es darüber hinaus nichtflüchtig ist, ist es gemäß obengenannter Definition dem Bindemittel zuzurechnen. Da sein Anteil in der Vernetzer-Zusammensetzung höher ist als der Gesamtbindemittelgehalt des unmodifizierten Basislacks, muss der modifizierte Basislack einen höheren Gesamtbindemittelgehalt aufweisen als der Unmodifizierte. Somit liegt auch der Gesamtbindemittelgehalt des modifizierten Basislacks oberhalb der dafür in Anspruch 1 vorgesehenen Obergrenze von "weniger als 12 Gew.-%".
Die Beschichtungsmittel-Zusammensetzung nach Anspruch 1 ist folglich aufgrund ihres geringeren Gesamtbindemittelgehalts auch neu gegenüber dem modifizierten Basislack von D1, Beispiel 2.
2.5.4 Anspruch 21 ist als product-by-process Anspruch formuliert und bezieht sich im Wesentlichen auf eine Mehrschichtlackierung, welche in ihrer einfachsten Form (Rückbezug von Anspruch 21 auf 19) durch ein Nass-in-Nass-Verfahren erhältlich ist, bei dem
i) mindestens eine Beschichtungsmittel-Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 auf ein grundiertes oder ungrundiertes Substrat appliziert wird, wodurch mindestens eine Wasserbasislackschicht (1) resultiert,
ii) mindestens ein Klarlack auf die Wasserbasislackschicht (1) appliziert wird, wodurch mindestens eine Klarlackschicht (2) resultiert, und
iii) zumindest die Wasserbasislackschicht(en) (1) und die Klarlackschicht(en) (2) gemeinsam gehärtet werden, wodurch die Basislackierung (1) und die Klarlackierung (2) resultieren.
D1, Beispiel 2, offenbart die Applikation des modifizierten und des unmodifizierten Basislacks auf ein Substrat. Die gemäß Anspruch 21 als Ausgangsmaterial verwendete Beschichtungsmittel-Zusammensetzung unterscheidet sich durch ihren Rückbezug auf Anspruch 1 von diesen Basislacken wie oben ausgeführt dadurch, dass sie einen geringeren Gesamtbindemittelgehalt aufweist. Folglich unterscheidet sich das Verfahren gemäß Anspruch 21 von dem in D1 Offenbarten zumindest dadurch, dass eine Beschichtungsmittel-Zusammensetzung als Ausgangsmaterial eingesetzt wird, die einen geringeren Gesamtbindemittelgehalt aufweist.
Da es sich bei Anspruch 21 um einen product-by-process Anspruch handelt, ist hinsichtlich der Neuheit zu prüfen, ob dieser Verfahrensunterschied zu einem Unterschied in dem durch das Verfahren erhaltenen Produkt führt.
Die Mehrschichtlackierungen V1, V2, V4 und V5 des Streitpatents wurden nach einem Anspruch 21 analogen Verfahren hergestellt und unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch voneinander, dass die eingesetzten Beschichtungsmittel-Zusammensetzungen unterschiedliche Gesamtbindemittelgehalte und/oder Pigmentgehalte aufweisen. Obige Bindemittel-Definition zu Grunde gelegt ergeben sich für die Beschichtungsmittel-Zusammensetzungen, mit denen diese Mehrschichtlackierungen hergestellt werden, die in der folgenden Tabelle angegebenen Werte für den Gesamtbindemittelgehalt bzw. den Gehalt an Metalleffektpigment in Bezug auf den Gesamtbindemittelgehalt (jeweils in Gew.-%, vgl. dazu die tabellarische Übersicht in D22, deren Korrektheit von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurde). In dieser Tabelle ebenfalls mit aufgeführt sind die Flop-Indices der entsprechenden Mehrschichtlackierungen (vgl. Streitpatent, Tabelle 1).
V1 V2 V4 V5
Gesamtbindemittelgehalt 9,0 9,1 12,9 13,2
Gehalt an Metalleffektpigment 4,2 6,3 4,1 7,1
Flop-Index 24 26 20 20
Aus diesen Daten geht hervor, dass Mehrschichtlackierungen, die aus Beschichtungsmittel-Zusammensetzungen gemäß Anspruch 1 erhalten wurden und welche demnach gemäß Anspruch 21 sind (V1, V2), einen höheren Flop-Index aufweisen als solche, zu deren Herstellung Beschichtungsmittel-Zusammensetzungen mit einem (annähernd) gleichen Gehalt an Metalleffektpigment aber nicht anspruchsgemäßen, nämlich höheren Gesamtbindemittelgehalt zum Einsatz kamen (V4, V5). Das Unterscheidungsmerkmal (geringerer Gesamtbindemittelgehalt der eingesetzten Beschichtungsmittel-Zusammensetzung) bedingt somit selbst bei annähernd gleichem Pigmentgehalt einen Unterschied (einen höheren Flop-Index) in der daraus erhaltenen Mehrschichtlackierung.
Die Mehrschichtlackierung gemäß Anspruch 21 ist demnach - soweit sie über einen Rückbezug auf Anspruch 19 definiert ist - neu gegenüber D1. Dies muss auch für die Mehrschichtlackierung von Anspruch 21 gelten, die über einen Rückbezug auf Anspruch 20 definiert ist, da Anspruch 20 von Anspruch 19 abhängig ist.
2.6 D2
In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, dass der Einwand mangelnder Neuheit gegenüber D2 nicht in das Verfahren zuzulassen ist, da die Beschwerdeführerin diesen Einwand in ihrer Beschwerdebegründung unzureichend substantiiert hatte. Zu dieser Mitteilung hatte die Beschwerdeführerin inhaltlich nicht mehr Stellung genommen. In ihrer Abwesenheit entschied die Kammer in der mündlichen Verhandlung daher, den auf D2 basierenden Neuheitseinwand nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 12 (4) und Artikel 12 (2) VOBK 2007).
2.7 D5/D5p
Ein weiterer Neuheitseinwand der Beschwerdeführerin basierte auf D5 und deren Prioritätsanmeldung D5p.
D5 und D5p wurden beide im Prioritätsintervall des Streitpatents veröffentlicht. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass jedes dieser Dokumente einen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ darstelle, da die Priorität des Streitpatents nicht wirksam in Anspruch genommen worden sei. Die jeweils in Beispiel 1 der D5 bzw. D5p offenbarte Zusammensetzung sei unter anderem aufgrund eines anspruchsgemäßen Gesamtbindemittelgehalts neuheitsschädlich für Anspruch 1.
Zugunsten der Beschwerdeführerin wird in der Folge davon ausgegangen, dass es sich bei D5 und D5p um Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ handelt.
Beispiel 1 von D5p und Beispiel 1 von D5 beschreiben die Herstellung eines Wasserbasislacks jeweils identischer Zusammensetzung. Wie oben bereits ausgeführt, war auch bezüglich dieser Offenbarungsstellen strittig, ob der Gesamtbindemittelgehalt anspruchsgemäß ist. Um ihren Standpunkt bezüglich des Gesamtbindemittelgehalts dieser Zusammensetzung darzulegen, reichte die Beschwerdeführerin E2 ein, welches unten auszugsweise wiedergegeben ist.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
In dieser Tabelle sind die Inhaltsstoffe (erste Spalte) zusammen mit ihrem Feststoffgehalt in Gew.-% (zweite Spalte) aufgeführt. In der dritten Spalte wiedergegeben ist jeweils die Menge (in Gew.-Teilen), die zur Herstellung der Zusammensetzung eingesetzt wird. Der Tabelle ist zu entnehmen, dass sich die Summe dieser Gew.-Teile auf 92,5 Gew.-Teile beläuft. Die Werte der Spalte "fest" werden durch Multiplikation der Werte in den zwei vorhergehenden Spalten erhalten und geben an, wie hoch der Beitrag an Feststoff ist, den ein Inhaltsstoff zur finalen Zusammensetzung beisteuert. In der fünften Spalte, "BiMi" (BindeMittel) hat die Beschwerdeführerin diejenigen Beiträge aus der vorhergehenden Spalte aufgeführt, die ihrer Auffassung nach dem Bindemittel zuzurechnen sind. Die Summe dieser Beiträge beläuft sich auf 10,8 Gew.-Teile. Dementsprechend betrüge der Gesamtbindemittelgehalt laut Beschwerdeführerin
10,8 / 92,5 · 100 Gew.-% = 11,7 Gew.-%
und wäre demnach gemäß Anspruch 1.
Diese Berechnung ist jedoch nicht überzeugend, da sie nicht in Einklang mit der oben gegebenen Bindemittel-Definition steht. So hat die Beschwerdeführerin die folgenden nichtflüchtigen nicht den Pigmenten und Füllstoffen zuzurechnenden Bestandteile der Lackzusammensetzung nicht bei ihrer Berechnung berücksichtigt: "Surfynol" (ein Netzmittel), "Nopco DSX" (ein Polyurethanverdicker), "Viscalex" (ein Methacrylpolymerisat). Ferner hat sie nicht den Beitrag berücksichtigt, der durch den Einsatz der Mischung aus DE 102 40 972 A1 (siehe vorletzte Zeile der Tabelle) stammt. Diese von ihr als "Additive" bezeichneten Inhaltsstoffe sind ebenfalls Bindemittel gemäß obengenannter Definition. Werden diese berücksichtigt, so ergibt sich, wie in der letzten Spalte der Tabelle dargestellt, ein Bindemittelgehalt von 12,9 Gew.-Teilen. Mithin beträgt der Gesamtbindemittelgehalt also
12,9 / 92,5 · 100 Gew.-% = 14,0 Gew.-%
und ist somit deutlich größer als die dafür angegebene Obergrenze in Anspruch 1. Daraus folgt, dass die Zusammensetzung von Beispiel 1 der D5p bzw. der D5 aufgrund ihres zu hohen Gesamtbindemittelgehalts nicht in den Gegenstand von Anspruch 1 fällt. Es ist somit irrelevant, ob es sich bei den Dokumenten D5 und D5p nun wirklich um Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ handelt oder nicht.
Anspruch 1 ist mithin neu gegenüber D5 und D5p.
3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1 In ihrer Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin Einwände ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik vor. Sie verwies dabei unter anderem auf D23 bis D25, welche von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen worden waren (angefochtene Entscheidung, Seite 6, erster Absatz).
In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, dass diese Einwände ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik wegen mangelnder Substantiierung nicht ins Verfahren zuzulassen sind. Zu dieser Mitteilung hatte die Beschwerdeführerin inhaltlich nicht mehr Stellung genommen. In ihrer Abwesenheit entschied die Kammer in der mündlichen Verhandlung daher, die Einwände der Beschwerdeführerin ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik einschließlich der Kombination mit D23 bis D25 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 12 (4) und Artikel 12 (2) VOBK 2007).
3.2 In ihrer Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin pauschal auf "die Argumentation des erstinstanzlichen Verfahrens, insbesondere auch auf die Würdigung der Dokumente D1 und D2" (Beschwerdebe-gründung, Seite 9, letzter Absatz).
Auch diesbezüglich vertrat die Kammer in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 die vorläufige Auffassung, dass diese Einwände wegen mangelnder Substantiierung nicht ins Verfahren zuzulassen sind. Zu dieser Mitteilung hatte die Beschwerdeführerin inhaltlich nicht mehr Stellung genommen. In ihrer Abwesenheit entschied die Kammer in der mündlichen Verhandlung daher, diesen Einwand mit pauschalem Bezug auf D1 und D2 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 12 (4) und Artikel 12 (2) VOBK 2007).
3.3 In ihrer Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin ebenfalls einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D13 als nächstliegendem Stand der Technik vor. Sie argumentierte, dass der Fachmann das Pigment der in D13 offenbarten Zusammensetzung durch das der D26 austauschen würde. Er würde somit zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen, ohne dass er erfinderisch tätig werden müsse.
Der Einwand der Beschwerdeführerin basierend auf D13 als nächstliegendem Stand der Technik erfolgte wiederum in pauschalisierender, d. h. unsubstantiierter, Art und Weise. Zwar offenbart D13 einen "Metallic-Base-Coat", doch sind viele der Inhaltsstoffe nur in Form ihres Handelsnamens aufgeführt. Darüber hinaus finden sich bei einigen dieser Handelsnamen keine Angaben darüber, wie hoch der Feststoff-/Aktivstoffgehalt im eingesetzten Handelsprodukt ist. Es war daher für die Kammer überhaupt nicht nachvollziehbar, welche dieser Inhaltsstoffe von der Beschwerdeführerin als Bindemittel angesehen wurden und ob und wenn ja weshalb der Gesamtbindemittelgehalt als anspruchsgemäß angesehen wurde. In ihrer Abwesenheit entschied die Kammer in der mündlichen Verhandlung daher, diesen Einwand ausgehend von D13 als nächstliegendem Stand der Technik einschließlich der Kombination mit D26 wegen mangelnder Substantiierung nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 12 (4) und Artikel 12 (2) VOBK 2007).
3.4 Da keiner der Einwände der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit ins Verfahren zugelassen wurde, liegen keine im Verfahren befindlichen Einwände gegen die erfinderische Tätigkeit vor. Es ergibt sich daraus, dass der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags als die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ erfüllend angesehen werden muss.
4. Der Hauptantrag ist somit gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.