T 0903/15 () of 21.3.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T090315.20190321
Datum der Entscheidung: 21 März 2019
Aktenzeichen: T 0903/15
Anmeldenummer: 09165933.4
IPC-Klasse: A01F 29/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Landwirtschaftliche Erntemaschine
Name des Anmelders: CLAAS Selbstfahrende Erntemaschinen GmbH
Name des Einsprechenden: Deere & Company
Maschinenfabrik Bernard Krone GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - Erweiterung des Schutzbereichs (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 16. Februar 2015, das europäische Patent Nr. 2 179 642 nach Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin am 22. April 2015 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. Mai 2015 eingereicht.

III. Die Einsprüche gegen das Patent waren auf die Gründe der Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ und Artikel 100(b) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge wegen mangelnder Neuheit nicht die Erfordernisse des Artikels 100 (a) EPÜ erfüllten, und hat daher das Patent widerrufen. Dabei hat sie unter anderen die folgenden Druckschriften berücksichtigt:

D2: EP 1 862 057 B1

D6: EP 1 609 351 B1

IV. In einer Mitteilung vom 25. Januar 2019 gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 21. März 2019 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis des Hauptantrags, der mit Schreiben vom 20. Mai 2015 vorgelegt wurde. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung gemäß einem der mit Schreiben vom 17. Januar 2019 eingereichten Hilfsanträge 1-3, oder dem Hilfsantrag 4 (eingereicht am 20. Mai 2015, damals als Hilfsantrag beziehungsweise im Schreiben vom 17. Januar 2019 als Hilfsantrag 1 tituliert).

VI. Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechende 1 und 2 beantragen jeweils die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Der unabhängige Anspruch des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"1. Landwirtschaftliche Erntemaschine, mit einer Erntegutaufnahmeeinrichtung und einer Einzugsvorrichtung, die zur Beseitigung einer Verstopfung und/oder eingedrungener unerwünschter Fremdkörper reversierbar sind und einer Steuereinrichtung für den Antrieb der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung, wobei die Steuereinrichtung (20) derart auf den Antrieb der Erntegutaufnahmeeinrichtung (3,4) und Einzugsvorrichtung (9) einwirkt, dass beim Auftreten einer Verstopfung und/oder eingedrungener Fremdkörper ein getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung (3,4) und der Einzugsvorrichtung (9) bewirkt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuereinrichtung (20) mit einem in einer Fahrerkabine (23) angeordneten Bedienelement (21) in Wirkverbindung steht und die Steuereinrichtung (20) das getrennte Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung (3,4) und der Einzugsvorrichtung (9) bewirkt, wenn das eine Bedienelement (21) betätigt wird, wobei das Bedienelement (21) zwei Schaltstellung [sic] aufweist und das Reversieren der Einzugsvorrichtung (9) aktiviert wird, wenn die erste Schaltstellung eingenommen wird, und zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung (3,4) aktiviert wird, wenn die zweite Schaltstellung eingenommen wird."

VIII. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags erfülle die Erfordernisse der Artikel 83, 123 und 54 EPÜ.

IX. Die Beschwerdegegnerinnen Einsprechende 1 und 2 haben zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags erfülle nicht die Erfordernisse der Artikel 83, 123 und 54 EPÜ.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Das Streitpatent betrifft eine landwirtschaftliche Erntemaschine mit einer Erntegutaufnahmeeinrichtung und einer Einzugsvorrichtung, die zur Beseitigung einer Verstopfung und/oder eingedrungener unerwünschter Fremdkörper getrennt reversierbar sind. Dazu ist eine Steuereinrichtung mit einem in einer Fahrerkabine angeordneten Bedienelement vorgesehen, wobei das Bedienelement zwei Schaltstellungen aufweist und das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert wird, wenn die erste Schaltstellung eingenommen wird, und zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung aktiviert wird, wenn die zweite Schaltstellung eingenommen wird. Dadurch können Ernteverluste vermieden werden, und zusätzlich kann der Bediener im Störungsfall komfortabel das getrennte Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung bewirken, ohne weitere Aktionen vornehmen zu müssen bzw. mehrere Bedienelemente bedienen zu müssen (Patentschrift, Absätze 9 und 11).

3. Ausreichende Offenbarung

Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 bestreitet, dass das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach ihrer Auffassung schließt das Merkmal "getrenntes Reversieren" ein gleichzeitiges Reversieren der Einzugsvorrichtung und der Erntegutaufnahme-einrichtung aus. Daher stehe der Fachmann vor einem unmöglich zu lösenden Problem.

Die Kammer kann sich dieser Sichtweise aus den folgenden Gründen nicht anschließen:

3.1 Der gegen das Merkmal "getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung" in Anspruch 1 des Hauptantrags erhobene Einwand beruht auf einem vermeintlichen Widerspruch zum Merkmal "zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung (aktiviert wird)" (Hervorhebung der Kammer). Letzteres Merkmal ist unbestritten auf ein gleichzeitiges Reversieren beider Vorrichtungen gerichtet. Daher muss die Kammer zuerst die Bedeutung des Merkmals "getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung" klären, um diesen vermeintlichen Widerspruch zu untersuchen.

3.1.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 darin zu, dass das Merkmal ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahmevorrichtung umfasst, wie es im Absatz 9 der Patentschrift offenbart wird. In Verbindung mit der Aussage "nicht gleichzeitig die Erntegutaufnahmeeinrichtung und Einzug reversiert werden müssen, sondern auch getrennt" in Absatz 9 kann daraus aber nicht gefolgert werden, dass das Merkmal ein gemeinsames Reversieren beider Vorrichtungen grundsätzlich ausschließt. Das geht bereits aus der zitierten Passage ("sondern auch getrennt"; Hervorhebung durch die Kammer) hervor. Außerdem wäre es sowohl im Lichte der Patentschrift als auch aus logischen Gründen keine korrekte Merkmalsauslegung, ein gemeinsames Reversieren völlig auszuschließen. Bereits die Patentschrift hebt in Absatz 11 hervor, dass das getrennte Reversieren auch das in Anspruch 1 des Hauptantrags genannte alleinige Reversieren der Einzugsvorrichtung (oder das nicht mehr beanspruchte alleinige Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung) in Verbindung mit einem danach stattfindenden gleichzeitigen Reversieren beider Vorrichtungen umfasst. Dabei handelt es sich auch aus logischen Gründen um ein getrenntes Reversieren, da das Reversieren einer einzigen Vorrichtung zeitlich getrennt vom gleichzeitigen Reversieren beider Vorrichtungen erfolgt.

3.1.2 Das Argument, wonach getrenntes Reversieren auch ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung verlange, was aber nach Anspruch 1 des Hauptantrags wegen eines Bedienelements mit nur zwei Schaltstellungen nicht möglich sei, führt zu keiner anderen Sichtweise. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 darin zu, dass der erteilte Anspruch 3 auf "wenigstens zwei Schaltstellungen" gerichtet war, während Anspruch 1 des Hauptantrags das Merkmal "zwei Schaltstellungen" enthält. Wegen der offenen Formulierung "zwei Schaltstellungen" ist dieses Merkmal jedoch nicht auf ein Bedienelement mit nur zwei Schaltstellungen beschränkt. Stattdessen umfasst es auch Bedienelemente mit mehr als zwei Schaltstellungen. Bei der Ausführung der beanspruchten Erfindung könnte der Fachmann daher beispielsweise einer dritten Schaltstellung ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung zuordnen.

Davon abgesehen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass das beanspruchte "getrennte[s] Reversieren" zwingend auch ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung verlangt. Laut Absatz 9 der Patentschrift reicht es nämlich aus, dass nur die Einzugsvorrichtung reversiert wird. Zur Implementierung dieser Variante des "getrennten Reversierens" genügt sogar ein Bedienelement mit nur zwei Schaltstellungen, von denen eine das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert, und die andere zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung aktiviert.

3.1.3 Aus diesen Gründen legt die Kammer das Merkmal "getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung" in dem Sinne aus, dass ein gleichzeitiges Reversieren beider Vorrichtungen nicht ausgeschlossen ist, solange zusätzlich auch das alleinige Reversieren mindestens einer der beiden Vorrichtungen durchführbar ist. Anspruch 1 des Hauptantrags genügt dieser Merkmalsauslegung, da ein alleiniges Reversieren der Einzugsvorrichtung zeitlich vor dem gleichzeitigen Reversieren der Einzugsvorrichtung und der Erntegutaufnahmeeinrichtung beansprucht wird.

3.2 Die Kammer muss nun prüfen, ob die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung bei obiger Anspruchsauslegung ausführbar ist. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 verneint das mit dem Argument, dass das Merkmal "Antrieb der Erntegutaufnahmeeinrichtung und Einzugsvorrichtung" einen gemeinsamen Antrieb betreffe, der nicht getrennt zum alleinigen Reversieren der Einzugseinrichtung ansteuerbar sei.

Die Kammer sieht das anders. Für ein getrenntes Reversieren kann der Fachmann die Erntegutaufnahme-einrichtung und die Einzugsvorrichtung jeweils mit einem eigenen Antrieb versehen. Wenn jeder dieser Antriebe zudem unabhängig vom anderen Antrieb ansteuerbar ist, kann die Einzugsvorrichtung getrennt reversiert werden, indem nur ihr Antrieb von der Steuereinrichtung angesteuert wird. Es wurde nicht vorgetragen, dass eine solche Lösung das Können des Fachmannes übersteigt, und das ist aus Sicht der Kammer auch nicht der Fall. Schließlich findet der Fachmann eine solche Lösung mit zwei separaten, unabhängig voneinander regelbaren Hydraulikmotoren bereits in der Patentschrift (Absatz 11; Spalte 4, Zeilen 45-51). Aus diesem Grund ist es auch nicht kritisch, dass Anspruch 1 des Hauptantrags - wie von der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 vorgetragen - die Steuereinrichtung nur über ihre Wirkung oder Funktion definiert. Sollte der Fachmann nicht bereits anhand des Anspruchswortlauts zu einer konkreten Lehre zum technischen Handeln gelangen, wird er sich an der oben genannten Lösung mit zwei separaten, unabhängig voneinander regelbaren Hydraulikmotoren orientieren.

3.3 Daher offenbart die Patentschrift die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

4. Änderungen

Mit dem Schreiben vom 22. Februar 2019, und damit nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung, erhob die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 erstmals Einwände gegen die Änderungen im Hauptantrag. Dabei handelt es sich unbestritten um eine Änderung des Vorbringens eines Beteiligten nach Artikel 13 VOBK.

4.1 Im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ beruht der Anspruch 1 auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 2 und 3. Außerdem wurden die Merkmale "wenigstens [ein] Bedienelement" und "wenigstens zwei Schaltstellungen" durch "[ein] Bedienelement" bzw. "zwei Schaltstellungen" ersetzt.

4.1.1 Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 vertritt die Auffassung, dass der Anspruch durch diese Änderungen auf ein Bedienelement mit nur zwei Schaltstellungen beschränkt worden sei. Mit einem solchen Bedienelement sei ein getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung und der Einzugsvorrichtung nicht mehr möglich, so dass der Hauptantrag auf unzulässige Weise geändert worden sei.

4.1.2 Die Kammer sieht das anders. Die Offenbarung "wenigstens zwei Schaltstellungen" im ursprünglich eingereichten Anspruch 3 ist gleichbedeutend mit "zwei oder mehr Schaltstellungen". Die Änderungen können einerseits lediglich als die Streichung der Alternative "mehr als zwei Schaltstellungen" gesehen werden, und so gesehen wären sie zweifellos zulässig. Andererseits, und für die Kammer ist das das entscheidende Argument, ist das Merkmal "zwei Schaltstellungen" aus den in Absatz 3.1.2 genannten Gründen nicht auf ein Bedienelement mit nur zwei Schaltstellungen beschränkt, sondern umfasst auch Bedienelemente mit mehr als zwei Schaltstellungen. Da der Einwand einer unzulässigen Änderung auf der Annahme beruht, dass solche Bedienelemente nicht mehr von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst seien, überzeugt dieser Einwand auch nicht aus logischen Gründen.

4.2 Im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ beruht Anspruch 1 des Hauptantrags auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 2 und 3 der Patentschrift. Außerdem wurden die Merkmale "wenigstens [ein] Bedienelement" und "wenigstens zwei Schaltstellungen" durch "[ein] Bedienelement" bzw. "zwei Schaltstellungen" ersetzt.

4.2.1 Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 vertritt die Auffassung, dass bei einer Erntemaschine nach Anspruch 1 des erteilten Patents, die zum getrennten Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung ausgebildet ist, sowohl ein alleiniges Reversieren der Einzugseinrichtung als auch ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung möglich sein müssen. Da Anspruch 1 des Hauptantrags nur noch ein alleiniges Reversieren der Einzugsvorrichtung verlange, sei der Schutzbereich des Patents erweitert worden.

4.2.2 Die Kammer sieht das anders, da sie das Merkmal "getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung" aus den in Absatz 3.1.3 genannten Gründen in dem Sinne auslegt, dass (neben dem für diese Frage unerheblichen gleichzeitigen Reversieren beider Vorrichtungen) das alleinige Reversieren mindestens einer der beiden Vorrichtungen durchgeführt wird. Bei dieser Anspruchsauslegung verlangt der erteilte Anspruch 1 überhaupt nicht, dass neben dem beanspruchten alleinigen Reversieren der Einzugsvorrichtung auch noch ein alleiniges Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung möglich sein muss. Da der Einwand einer Erweiterung des Schutzbereichs auf genau diesem Argument beruht, kann er aus logischen Gründen nicht überzeugen. Das Argument, wonach eine landwirtschaftliche Erntemaschine, bei der kein getrenntes Reversieren der Erntegutaufnahmevorrichtung möglich ist, das nach Hauptantrag geänderte Patent, nicht jedoch das erteilte Patent verletze, führt zu keiner anderen Sicht. Eine solche Erntemaschine war bereits vom erteilten Anspruch 3 umfasst, so dass der Schutzbereich des gemäß dem Hauptantrag geänderten Patents nicht erweitert worden ist.

4.3 Aus diesen Gründen erfüllt der Hauptantrag sowohl die Erfordernisse von Artikel 123(2) als auch 123(3) EPÜ. Die Frage der Zulassung eines geänderten Vorbringens der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 zum Beschwerdeverfahren, das auf Einwänden nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ beruht, kann folglich dahingestellt bleiben.

5. Neuheit

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach die landwirtschaftliche Erntemaschine nach Anspruch 1 des Hauptantrags (Hilfsantrag 1 in der angegriffenen Entscheidung) nicht neu gegenüber D2 oder D6 sei.

5.1 Dokument D2

5.1.1 Das Dokument D2 offenbart unbestritten eine landwirtschaftliche Erntemaschine mit einer Erntegutaufnahmeeinrichtung und einer Einzugsvorrichtung, die getrennt reversierbar sind. Dabei steht eine Steuereinrichtung mit einem in der Fahrerkabine angeordneten Bedienelement in Wirkverbindung, um ein Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung zu bewirken (Absatz 7: "zentrale Steuereinheit", "manuell vom Fahrer ... selektiv ausgelöst werden"; Absatz 9: die "Mäh- und Förderscheiben" bilden die Erntegutaufnahmevorrichtung, und die "Vorpresswalzen" die Einzugsvorrichtung).

Die Entscheidung, siehe Absatz 3.1 der Gründe, befand, wie auch von der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 vertreten, dass D2 auch die übrigen Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags offenbare, da die zwei Schaltstellungen des Bedienelements implizit in den Absätzen 6 und 9 genannt seien. Zudem sei die Reihenfolge der Schaltstellungen eine reine Wirkungsangabe und kein strukturelles Merkmal.

5.1.2 Das Argument, wonach D2 implizit in den Absätzen 6 und 9 ein Bedienelement mit zwei Schaltstellungen offenbare, überzeugt die Kammer nicht. Das Dokument offenbart zwar implizit ein Bedienelement am Führerstand, da anderenfalls die als Erntegutaufnahme-einrichtung angesehenen Mäh- und Förderscheiben nicht vom Fahrer in der Kabine manuell reversiert werden können (Absätze 6 und 7). Im Hinblick auf die als Einzugsvorrichtung angesehenen Vorpresswalzen lehrt D2 dagegen nur, dass sie beim Reversieren durch Algorithmen mit einbezogen werden (Absatz 9). Da Algorithmen im Programmspeicher eines Mikroprozessors hinterlegt sind, erfolgt das Reversieren der Einzugsvorrichtung mittels eines solchen Mikroprozessors. Damit fehlt in D2 - im Gegensatz zum Befund in der angegriffenen Entscheidung - bereits ein Bedienelement, mit dem das Reversieren der Einzugsvorrichtung (Vorpresswalzen) aktiviert wird. Folglich kann D2 kein spezifisches Bedienelement mit zwei Schaltstellungen offenbaren, von denen die erste das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert.

Ungeachtet der Frage des Bedienelements ist die Erntemaschine gemäß D2 auch nicht dazu ausgebildet, einerseits nur das Reversieren der Einzugsvorrichtung, und andererseits das Reversieren der Einzugsvorrichtung und der Ernteaufnahmeeinrichtung zu aktivieren. Das in Absatz 9 genannte alleinige Reversieren der Mäh- und Förderscheiben bezieht sich nämlich wegen deren Funktion und Anordnung nur auf ein Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung. In diesem Zusammenhang ist es nach Anspruch 1 des Hauptantrags gerade nicht ins Belieben des Fachmannes gestellt, hinsichtlich der Reihenfolge der Schaltvorgänge zu wählen. Im Gegensatz zum Befund in der angegriffenen Entscheidung handelt es sich bei den beiden Schaltstellungen des Bedienelements nämlich nicht um reine Wirkungsangaben.

Mit dem Reversieren der Einzugsvorrichtung bzw. dem zusätzlichen Reversieren der Erntegutaufnahme-vorrichtung, und damit dem Reversieren beider Vorrichtungen, werden zwar Wirkungen beansprucht. Diese Wirkungen sind jedoch in Anspruch 1 des Hauptantrags eindeutig jeweils einer der beiden Schaltstellungen des Bedienelements zugeordnet. Daher muss eine anspruchsgemäße Erntemaschine strukturell angepasst sein, damit ihre Steuereinrichtung in der ersten Schaltstellung des Bedienelements nur das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert, während sie in der zweiten Schaltstellung - desselben Bedienelements - das Reversieren beider Vorrichtungen aktiviert. Außerdem muss die Steuereinrichtung so ausgebildet sein, dass sie die unterschiedlichen Schaltstellungen des Bedienelements verarbeitet, um das Reversieren der zugeordneten Vorrichtung/en zu aktivieren.

5.1.3 Aus diesen Gründen offenbart D2 nicht, dass das Bedienelement zwei Schaltstellungen aufweist, und das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert wird, wenn die erste Schaltstellung eingenommen wird, und zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung aktiviert wird, wenn die zweite Schaltstellung eingenommen wird.

5.2 Dokument D6

5.2.1 Das Dokument D6 offenbart unbestritten eine landwirtschaftliche Erntemaschine mit einer Erntegutaufnahmeeinrichtung und einer Einzugsvorrichtung, die getrennt reversierbar sind. Dabei steht eine Steuereinrichtung mit einem in der Fahrerkabine angeordneten Bedienelement in Wirkverbindung, um ein Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung und der Einzugsvorrichtung zu bewirken (Absatz 20: "die Bedienung ... erfolgt von einer Fahrerkabine aus"; Absatz 21: der Aufnahmeförderer 34 bildet die Erntegutaufnahmevorrichtung; Absatz 23: die Einzugsförderer 42 mit Vorpresswalzen 74, 76 bilden die Einzugsvorrichtung; Absätze 30, 31: Eingabeeinrichtung).

Die Entscheidung befand (Absatz 3.2 der Gründe), wie auch von der Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 vertreten, dass D6 auch die übrigen Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags offenbare. Ein voneinander getrenntes und damit unabhängiges Reversieren sei in den Absätzen 33 und 34 beschrieben ("zunächst den Aufnahmeförderer 34 ... anschließend ... dann der Einzugsförderer 42". Ein Bedienelement mit Schaltstellungen sei einerseits implizit in Absatz 20 enthalten. Andererseits offenbarten die Absätze 33 und 34 eine Eingabevorrichtung als Ganzes, und damit auch ein Bedienelement. Zudem sei die Reihenfolge der Schaltstellungen eine reine Wirkungsangabe und kein strukturelles Merkmal.

5.2.2 Die Kammer kann sich dieser Auffassung aus den folgenden Gründen nicht anschließen:

Zum Ansteuern der Einzugsvorrichtung und der Erntegutaufnahmeeinrichtung offenbart D6 zwei getrennte Bedienelemente, nämlich eine erste Eingabeeinrichtung zur Einstellung der Drehzahl des Hydraulikmotors 128 und eine zweite Eingabeeinrichtung zur Einstellung der Drehzahl des Hydraulikmotors 144, wobei der Hydraulikmotor 128 den als Einzugsvorrichtung angesehenen Einzugsförderer 42 antreibt, und der Hydraulikmotor 144 den als Erntegutaufnahmeeinrichtung angesehenen Aufnahmeförderer 34 (Absätze 30, 31). Ungeachtet der Anzahl der Bedienelemente enthält D6 keinen Hinweis darauf, dass darüber das Reversieren aktiviert wird. Nur im Zusammenhang mit dem Mähbetrieb offenbart D6 ein Einwirken des Bedieners mittels der Bedienelemente auf die Antriebe, um die Schnittlänge bzw. die Geschwindigkeit des Aufnahmeförderers einzustellen (Absätze 30, 31). Dagegen werden im Zusammenhang mit dem Reversieren an den entscheidenden Stellen der Beschreibung nur Passivformen verwendet (Absatz 34: "Hydraulikmotore ... werden .. in Drehung gebracht"; Absatz 45: "Beim Reversieren werden die Hydraulikmotoren ... angetrieben"). Da offen bleibt, ob das Reversieren vom Bediener mittels des Bedienelements, oder von der Steuerung der Erntemaschine aktiviert wird, offenbart D6 nicht unmittelbar und eindeutig, dass die Bedienelemente zum Aktivieren des Reversierens ausgebildet sind.

Ungeachtet der Frage des Bedienelements ist die Erntemaschine gemäß D6 auch nicht dazu ausgebildet, einerseits nur das Reversieren der Einzugsvorrichtung, und andererseits das gleichzeitige Reversieren der Einzugsvorrichtung und der Ernteaufnahmeeinrichtung zu aktivieren. In Absatz 5.1.2 hat die Kammer bereits festgestellt, dass die beiden Schaltstellungen des Bedienelements in Anspruch 1 des Hauptantrags strukturelle Merkmale der Erntemaschine sind. Im Hinblick auf diese Schaltstellungen offenbart D6 ein alleiniges Reversieren des Aufnahmeförderers (Absatz 45). Wegen der Funktion und Anordnung des Aufnahmeförderers betrifft diese Offenbarung nur das alleinige Reversieren der Erntegutaufnahmeeinrichtung. In diesem Zusammenhang teilt die Kammer ausdrücklich nicht den Befund der angegriffenen Entscheidung, wonach D6 mehr als die in Absatz 45 explizit genannte Reihenfolge offenbart. Die Aussage "[d]ie zeitliche Reihenfolge kann derart gewählt werden" ist zwar wegen des Wortes "kann" als Möglichkeit formuliert, so dass noch andere Reihenfolgen möglich sein können. Unmittelbar und eindeutig wird dagegen nur die angegebene Reihenfolge offenbart, nämlich dass zuerst der Aufnahmeförderer 34, danach der Abgabeförderer 36, und schließlich der Einzugsförderer 42 reversiert werden.

Aus diesen Gründen offenbart D6 nicht, dass das Bedienelement zwei Schaltstellungen aufweist und das Reversieren der Einzugsvorrichtung aktiviert wird, wenn die erste Schaltstellung eingenommen wird, und zusätzlich das Reversieren der Erntegutaufnahme-einrichtung aktiviert wird, wenn die zweite Schaltstellung eingenommen wird.

5.3 Weitere Neuheitseinwände sind von den Beschwerdegegnerinnen-Einsprechende 1 und 2 nicht erhoben worden. Daher ist die Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrags zu bejahen, Artikel 52 und 54 EPÜ.

6. Zurückverweisung

Da ein Beschwerdeverfahren in erster Linie dazu dient, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu prüfen, ist eine Zurückverweisung an die erste Instanz gemäß Artikel 111(1) EPÜ in den Fällen in Betracht zu ziehen, in denen die erste Instanz ihre Entscheidung auf der Basis eines Einspruchsgrundes (hier ausreichende Offenbarung und Neuheit) getroffen, jedoch über weitere erhobene Einspruchsgründe (hier erfinderische Tätigkeit) nicht entschieden hat.

Da im vorliegenden Fall die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 1 eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung beantragt hat, und da die anderen Parteien dem Antrag zustimmen, hält die Kammer eine solche Zurückverweisung für angebracht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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