T 0892/15 () of 4.12.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T089215.20201204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2020
Aktenzeichen: T 0892/15
Anmeldenummer: 07785091.5
IPC-Klasse: A61M5/315
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: INJEKTIONSVORRICHTUNG MIT KLAUENSICHERUNG
Name des Anmelders: Tecpharma Licensing AG
Name des Einsprechenden: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
Schlagwörter: Änderungen
Ausreichende Offenbarung
Klarheit
Neuheit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. In der am 18. Februar 2015 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass das europäische Patent Nr. 2054112 in der Fassung gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1, das heißt unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen sowie die Erfindung, die das Patent zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 4. Dezember 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung. Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hilfsanträgen 1-3, eingereicht am 15. Januar 2016, und Hilfsanträgen 4-15, eingereicht am 3. Oktober 2020.

VI. Folgende Entgegenhaltungen sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: EP 1 888 149 A1 (veröffentlicht als WO 2006/125329 A1)

D2: EP 1 855 742 A1 (veröffentlicht als WO 2006/089734 A1)

D7: EP 1 923 085 A1

D8: US 2005/0261634 A1

E2: DE 10 2006 038 101.7 (Prioritätsdokument des Streitpatents)

VII. Anspruch 1 des Hauptantrags, mit hinzugefügten Merkmalsbezeichnungen, lautet wie folgt:

A) "Injektionsvorrichtung mit einem Gehäuse (10),

B) einer Führungshülse (3), die mit dem Gehäuse (10) verbunden und relativ zu dem Gehäuse verdrehsicher gelagert ist, und

C) einer Gewindestange (5), die verdrehbar und aufgrund einer Gewindekopplung axial verschiebbar ist,

D) wobei die Gewindekopplung zwischen der Führungshülse (3) und der Gewindestange (5) besteht

E) wobei die Gewindestange (5) eine Verdreh- oder Klauensicherung (5g) umfasst,

F) welche in Ausnehmungen, Einbuchtungen, Einkerbungen, Nuten oder Klauen der Injektionsvorrichtung eingreift,

G) wenn die Gewindestange (5) in eine distale Endposition innerhalb der Injektionsvorrichtung

verschoben wurde,

H) um eine Verdrehung der Gewindestange (5) und dadurch eine axiale Verschiebung der Gewindestange (5) relativ zur Injektionsvorrichtung zu verhindern."

VIII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Einwand der unzulässigen Erweiterung

Das Merkmal B im Anspruch 1 des Hauptantrags sei nur in einem Ausführungsbeispiel offenbart, in dem das durch den erteilten Anspruch 1 definierte technische Wirkprinzip gemäß Merkmal H nicht verwirklicht sei: die Klauensicherung des Ausführungsbeispiels verhindere keine Verdrehung der Gewindestange, wie von Merkmal H verlangt; vielmehr werde im Ausführungsbeispiel, wie aus der Figur 6 zu entnehmen sei, lediglich eine Verdrehung der Drehhülse durch die Gewindestange verhindert. Das Ausführungsbeispiel könne somit nicht als Offenbarungsgrundlage dienen.

Darüber hinaus sei die Führungshülse im Ausführungsbeispiel der Fig. 2 nicht nur verdrehsicher sondern auch verschiebesicher am Gehäuse fixiert. Merkmal H im Anspruch 1 erfordere ebenfalls die axiale Fixierung der Führungshülse. Das Merkmal der axialen Fixierung fehle jedoch im Anspruch 1.

Das Merkmal C sei in Zusammenhang mit Merkmal B nicht offenbart. Die Gewindestange sei im Ausführungsbeispiel zumindest während des Aufziehvorgangs durch ein Schnappelement 3b in der Führungshülse verdrehsicher gelagert und somit nicht verdrehbar.

Das Merkmal F sei in dieser Breite nicht offenbart. Im beschriebenen Ausführungsbeispiel greife die Verdreh- oder Klauensicherung in die Drehhülse ein. Ein Eingreifen in andere Elemente der Injektionsvorrichtung gemäß Merkmal F sei im Ausführungsbeispiel weder offenbart noch mit dem Ausführungsbeispiel vereinbar. Die Führungshülse könne also nicht ohne die Drehhülse in den Anspruch 1 aufgenommen werden.

Einwand der fehlenden Ausführbarkeit

Das Streitpatent offenbare keine Ausführungsform, die den Gegenstand des Anspruchs 1 verwirklicht. Im Ausführungsbeispiel erfolge keine Verhinderung der Verdrehung der Gewindestange durch die Klauensicherung.

Darüber hinaus könne der Fachmann die Erfindung nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführen: viele von Anspruch 1 umfasste Ausführungsformen seien entweder nicht offenbart oder zumindest nicht im Ausführungsbeispiel und somit nicht in Kombination mit der Führungshülse gemäß Merkmal B offenbart.

Einwand unter Artikel 84 EPÜ

Die während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen führten zu folgenden Unklarheiten im Anspruch 1.

Das wesentliche Merkmal der axialen Fixierung der Führungshülse fehle im Anspruch 1. Ohne axiale Fixierung könne keine Kausalität gemäß Merkmal H vorhanden sein. Dies sei auch nicht durch die Beschreibung gestützt.

Es sei unklar, ob die Verhinderung der axialen Verschiebung (Merkmal H) in irgendeinem Zusammenhang mit der Gewindekopplung (Merkmal C) steht.

Es sei unklar, zu welchem Element der Injektionsvorrichtung sich die Gewindestange gemäß den Merkmalen G und H relativ bewegt.

Es sei unklar, in welches Element der Injektionsvorrichtung ein Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung erfolgt.

Es sei unklar, zu welchem Zeitpunkt eine Verdrehbarkeit und axiale Verschiebbarkeit der Gewindestange gemäß Merkmal C vorhanden ist, da Merkmal H diese Verdrehbarkeit einschränkt.

Durch den Einschub des Merkmals G sei es unklar, ob die Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmal E) eine Rolle bei der Verhinderung der Verdrehung und Verschiebung der Gewindestange (Merkmal H) spielt.

Merkmal G beschreibe die Injektionsvorrichtung durch ein "product-by-process" Merkmal. Es sei nicht klar, wie und ob dieses Merkmal im Produkt erkennbar sei.

Es sei unklar, welche Position die "distale Endposition" sein soll. Unterschiedliche Positionen können als distale Endpositionen verstanden werden.

Zeitrang des Streitpatents

Der Gegenstand des Anspruchs 1 lasse sich nicht unmittelbar und eindeutig der Prioritätsanmeldung entnehmen, sodass die Priorität nicht wirksam sei. Insbesondere sei das Merkmal H in dieser Breite nicht in der Prioritätsanmeldung offenbart, da Anspruch 1 des Streitpatents eine Verhinderung der Verschiebung der Gewindestange ohne Beteiligung der Gewindekopplung einschließe, die Prioritätsanmeldung diese Verhinderung aber lediglich mit Beteiligung der Gewindekopplung offenbare.

Einwand der mangelnden Neuheit

Dokument D1 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Insbesondere stelle das hülsenförmige Gehäuseelement 1a die Führungshülse dar. Es sei aus S. 22, 2. Absatz klar, dass ein weiteres Gehäuseteil notwendig sei. Der Kartuschenhalter (Fig. 1D) sei als weiteres Gehäuseelement anzusehen. Es sei bei einem Wegwerfpen wie in D1 offenbart absolut üblich, dass der Kartuschenhalter fest verbunden sei. Eine unlösbare Verbindung sei auch notwendig und für den Fachmann somit implizit in D1 offenbart.

Dokument D2 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Das Gehäuseteil 10a stelle die Führungshülse dar. Ein Gehäuse sei offensichtlich am distalen Ende des Gehäuseteils 10a (Fig. 5a) zu befestigen, um die Funktionsfähigkeit herzustellen.

Dokument D8 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Insbesondere können die lock nut 46, die dose nut 62 oder die stop means 43 eine Verdreh- oder Klauensicherung gemäß Merkmal E darstellen.

Dokument D7 sei ebenfalls Stand der Technik, da der Prioritätsanspruch des Anspruchs 1 nicht gültig sei. D7 offenbare ebenfalls alle Merkmale des Anspruchs 1.

IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Zum Einwand der unzulässigen Erweiterung

Das Merkmal B sei auf S. 16, Z. 15-16 offenbart. S. 14, Z. 16-19 erwähne eine Gewindekopplung, es sei nur nicht angegeben, zwischen welchen Teilen sie bestehe. Ergänzend zu dieser Lehre würde der Fachmann die Gewindekopplung zwischen der Gewindestange und der Führungshülse identifizieren.

Das Ausführungsbeispiel offenbare auch Merkmal H und sei eindeutig unter den Anspruch 1 lesbar. Das Beispiel könne somit als Offenbarungsgrundlage für das hinzugefügte Merkmal B dienen.

Die Anmeldung zeige auf S. 20, Z. 17-20, dass die Führungshülse im Ausführungsbeispiel nicht axial fixiert, sondern axial verschiebbar sei.

Das Merkmal C sei aus dem Ausführungsbeispiel der Fig. 2 und der Funktion einer Gewindekopplung eindeutig entnehmbar.

Das Merkmal F sei bereits im ursprünglichen Anspruch 1 enthalten. Die in Fig. 2 gezeigten Gegenanschläge 2g seien ohne Weiteres als Ausnehmungen, Einbuchtungen, Einkerbungen, Nuten oder Klauen der Injektionsvorrichtung zu identifizieren. Die Beschreibung offenbare zudem auf S. 14, 3. Absatz, 1. Satz, dass diese Elemente an der Injektionsvorrichtung oder an Teilen der Injektionsvorrichtung ausgebildet sein können.

Zum Einwand der fehlenden Ausführbarkeit

Die Ausführbarkeit des Anspruchs 1 ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Anspruchs. Eine nacharbeitbare Lehre stelle auch die im Zusammenhang mit Fig. 2 beschriebene Injektionsvorrichtung dar. Diese Ausführungsform sei unter den Anspruch 1 lesbar.

Zum Einwand unter Artikel 84 EPÜ

Die Beschreibung zeige auf Seite 20, Z. 17-20, dass es nicht darauf ankommt, ob die Führungshülse axial fixiert ist. Folglich könne dies kein wesentliches Merkmal darstellen.

Es sei für den Fachmann klar, dass Merkmal H eine Einschränkung der allgemeinen Bewegbarkeit der Gewindestange gemäß Merkmal C darstelle. Es sei somit ebenfalls klar, dass die Kausalität gemäß Merkmal H aufgrund der Gewindekopplung erfolge.

Die relative Bewegung der Gewindestange bezogen auf die Injektionsvorrichtung sei bereits in dem erteilten Anspruch 1 vorhanden. Dies gelte ebenfalls für das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmale E und F).

In Anspruch 1 sei kein Zeitpunkt angegeben. Vielmehr gebe Merkmal G an, in welcher Position die Verdrehung und dadurch die Axialverschiebung (Merkmal H) der Gewindestange verhindert werden soll.

Anspruch 1 sei mit der Bereitschaft auszulegen, ihn zu verstehen. Bei einer synthetischen Auslegung des Anspruchs sei der Zusammenhang zwischen dem Merkmal H und den Merkmalen C und D des Anspruchs 1 vorhanden.

Funktionelle Merkmale seien in Ansprüchen, die ein mechanisches System betreffen, unabdingbar. Merkmal G sei ein funktionelles Merkmal und betreffe somit kein durch einen Verfahrensschritt hergestelltes Produkt.

Die distale Endposition sei durch das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmale E und F) definiert.

Zum Zeitrang des Streitpatents

Der Freiheitsgrad der Gewindestange sei durch die Gewindekopplung im Anspruch 1 fest vorgegeben. Eine Verhinderung der Verdrehung bewirke somit zwangsläufig eine Verhinderung der axialen Verschiebung. Dieser Wirkzusammenhang gehe sowohl aus den ursprünglichen Unterlagen als auch aus dem Prioritätsdokument hervor. Die Priorität sei daher gültig.

Zum Einwand der mangelnden Neuheit

Zumindest das Merkmal B sei in D1 nicht offenbart, da D1 nicht offenbare, wie der Kartuschenhalter mit dem Gehäuseelement 1a verbunden sei. Auch bei einer unlösbaren Verbindung könne der Kartuschenhalter drehbar sein.

D2 offenbare kein Gehäuse, wie von Merkmal A verlangt. Dass ein Gehäuse offensichtlich am distalen Ende des Gehäuseteils 10a befestigt werden müsse, sei reine Spekulation und nicht durch die D2 gestützt.

Die in D8 als Verdreh- oder Klauensicherung identifizierten Elemente "lock nut 46" und "dose nut 62" könnten, anders als im Merkmal E gefordert, nicht als zur Gewindestange gehörig angesehen werden. Die als Verdreh- oder Klauensicherung identifizierten "stop means 43" verhinderten keine Verdrehung der Gewindestange, anders als im Merkmal H gefordert.

Dokument D7 sei kein Stand der Technik.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung

Das Streitpatent betrifft eine Injektions­vorrichtung. Die Injektionsvorrichtung umfasst eine Gewindestange mit einer Verdreh- oder Klauen­sicherung, welche in Ausnehmungen, Einbuchtungen, Einkerbungen, Nuten oder Klauen der Injektions­vorrichtung eingreift, wenn die Gewindestange in eine distale Endposition innerhalb der Injektionsvorrichtung verschoben wurde, um eine Verdrehung der Gewindestange und dadurch eine axiale Verschiebung der Gewindestange relativ zur Injektionsvorrichtung zu verhindern (Merkmale E bis H des Anspruchs 1).

Die Beschreibung offenbart ein Ausführungsbeispiel, das in Figur 2 (siehe hier unten) in einer perspektivischen Querschnittansicht dargestellt wird.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

2. Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Merkmal B

Das Merkmal B in Anspruch 1 des Hauptantrags wurde der ursprünglich eingereichten Beschreibung (S. 16, Z. 15-16) des Ausführungsbeispiels der Fig. 2 entnommen.

2.1.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin verwirklicht das Ausführungsbeispiel auch das Merkmal H. Schnitt B-B der Fig. 6 zeigt die Lagerung des proximalen Endes der Gewindestange und der Drehhülse nach dem Ausschütten der letzten Dosis, d.h. wenn die Gewindestange in eine distale Endposition innerhalb der Injektionsvorrichtung verschoben wurde. Die Gewindestange hat in ihrem proximalen Ende eine radiale Erweiterung 5f. Von dieser Erweiterung stehen vier Stege 5g in axialer Richtung nach distal weisend vor. Diese Stege/Klauen 5g schnappen in entsprechende Gegenschläge 2g der Drehhülse (Fig. 12B und S. 19, 3. Absatz - S. 20, Z. 6). Durch dieses Schnappen wird - wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht - lediglich eine relative Drehbewegung zwischen der Gewindestange und der Drehhülse verhindert.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Links: Schnitt B-B der Fig. 6. Rechts: Fig. 12A-12B.

Die jeweilige Drehbarkeit der Gewindestange und der Drehhülse ist jedoch weiter eingeschränkt. Zum einen kann die Drehhülse nach der Ausschüttung nicht weiter in Ausschüttrichtung drehen; dies erfolgt aufgrund der Nocken 2a/20a, 2b/20b und der Nocken 3c (Schnitt C-C der Fig. 3 und S. 18, 2. Absatz). Zum anderen verhindert ein Schnappelement 3b eine Verdrehung der Gewindestange entgegen der Ausschüttrichtung (S. 17, letzter Absatz, Z. 1-7, Fig. 2 und Fig. 10B).

Da durch die Verdreh- oder Klauensicherung eine relative Drehbewegung zwischen der Gewindestange und der Drehhülse verhindert wird und beide Elemente jeweils nur in Gegenrichtungen drehen können, wird jegliche Drehung der Gewindestange und der Drehhülse verhindert (S. 20, Z. 6-14). Das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung in der distalen Endposition der Gewindestange verhindert daher eine Verdrehung der Gewindestange. Dadurch wird, aufgrund der Gewindekopplung zwischen der Gewindestange und der Führungshülse, eine axiale Verschiebung der Gewindestange verhindert. Merkmal H wird also im Ausführungsbeispiel verwirklicht. Folglich ist das Ausführungsbeispiel unter Anspruch 1 lesbar und kann als Offenbarungsgrundlage für die Kombination der Merkmale B und H dienen.

2.1.2 Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument, dass eine nicht axial fixierte Führungshülse über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, kann die Kammer nicht überzeugen. Im Ausführungsbeispiel ist die Führungshülse nicht axial fixiert, sondern zwischen zwei Stellungen verschiebbar gelagert, jeweils vor und nach dem Hineinschrauben der Ampulle (S. 20, Z. 17-20, Detail X der Fig. 3 und Detail D der Fig. 4). Eine nicht axial fixierte Führungshülse ist also im Ausführungsbeispiel offenbart. Dies wird auch nicht dadurch geändert, dass eine anschließende Verhinderung der axialen Verschiebung in der zweiten Stellung nach dem Hineinschrauben der Ampulle erfolgt (Detail D in der Fig. 4). Für den Fachmann ist klar, dass diese Verhinderung lediglich eine von vielen Möglichkeiten ist, die die Verschiebbarkeit der Gewindestange durch ihre Drehung bewirken.

2.2 Merkmal C

Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Gewindestange im Ausführungsbeispiel zumindest während des Aufziehvorgangs durch ein Schnappelement 3b in der Führungshülse verdrehsicher gelagert sei und somit nicht verdrehbar, entgegen dem Wortlaut des Merkmals C. Das Merkmal C sei daher nicht in Zusammenhang mit dem Merkmal B ursprünglich offenbart.

Die Gewindestange wird jedoch sowohl im Ausführungs­beispiel (S. 18, 3. Absatz, Z. 3-6) wie im generellen Teil der ursprünglich eingereichten Beschreibung (S. 14, Z. 10-19) als verdrehbar gelagert offenbart. Ähnlich wie für Merkmal B ausgeführt, wird dies nicht dadurch geändert, dass eine Verdrehung der Gewindestange in bestimmten Phasen der Verwendung der Injektionsvorrichtung verhindert wird.

2.3 Merkmal F

Das Merkmal F war bereits im ursprünglichen Anspruch 1 enthalten. Zwar erfolgt - wie von der Beschwerde­führerin vorgebracht - im Ausführungsbeispiel das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung in Gegenelemente, die der Drehhülse zugehörig sind. Dass diese Gegenelemente an der Injektionsvorrichtung oder an Teilen davon ausgebildet sein können, wird jedoch im generellen Teil der Beschreibung ausdrücklich offenbart; die Drehhülse wird lediglich als eine Option erwähnt (S. 14, 3. Absatz, 1. Satz).

Dass durch das Eingreifen in Gegenelemente der Drehhülse gemäß Ausführungsbeispiel auch ein weiterer Effekt erreicht wird, nämlich die Verhinderung der Verdrehung der Drehhülse (S. 20, Z. 11-14), führt keinesfalls dazu, dass die anderen Alternativen gemäß dem generellen Teil der Beschreibung ausgeschlossen oder damit unvereinbar wären. Im Ausführungsbeispiel wäre ein Eingreifen in Gegenelemente, die an anderen Teilen der Injektionsvorrichtung ausgebildet sind, ebenfalls geeignet, eine Verdrehung der Gewindestange und dadurch eine axiale Verschiebung der Gewindestange zu verhindern.

2.4 Folglich genügt Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.

3. Ausführbarkeit

Wie unter Punkt 2.1.1 dargelegt, ist die im Zusammenhang mit Figur 2 beschriebene Injektions­vorrichtung im Einklang mit Anspruch 1 und darunter lesbar. Insbesondere erfolgt - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - im Ausführungsbeispiel sehr wohl eine Verhinderung der Verdrehung der Gewindestange durch die Klauensicherung (im Kombination mit den weiteren Einschränkungen der jeweiligen Drehbarkeit der Gewindestange und der Drehhülse). Dadurch wird ein Weg zur Ausführung der Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann. Ferner ist es für die Beurteilung der Ausführbarkeit der Erfindung nicht maßgeblich, ob alle denkbaren Ausführungsformen offenbart sind. Eine explizite Beschreibung aller Ausführungsformen, die nicht ausdrücklich im Anspruch 1 definiert sind, sondern möglicherweise darunter lesbar, ist weder erforderlich noch sinnvoll.

Die beanspruchte Erfindung ist daher ausführbar.

4. Artikel 84 EPÜ

4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass die in Anspruch 1 fehlende axiale Fixierung der Führungshülse für die Kausalität gemäß Merkmal H notwendig sei und ein wesentliches Merkmal darstelle. Eine nicht axial fixierte Führungshülse sei auch nicht durch die Beschreibung gestützt.

Erstens ist es fraglich, ob dieser Einwand überhaupt zu prüfen ist, da das angeblich wesentliche Merkmal bereits im erteilten Anspruch 1 nicht vorhanden war (siehe G 3/14, Entscheidungsformel). In jedem Fall ist die Führungshülse in der Injektionsvorrichtung des Ausführungsbeispiels - wie unter Punkt 2.1.2 ausgeführt - nicht axial fixiert, sondern zwischen zwei Stellungen axial verschiebbar gelagert. Die axiale Fixierung der Führungshülse kann somit kein wesentliches Merkmal darstellen.

4.2 Der Fachmann versteht, dass die Gewindestange aufgrund der Gewindekopplung einer Schraubbewegung folgt (Merkmal C). Wenn eine Verdrehung nicht möglich ist, ist auch eine Verschiebung nicht möglich; es ist somit klar, dass die im Merkmal H definierte Kausalität aufgrund der Gewindekopplung erfolgt.

4.3 Die Beschwerdeführerin bringt vor, es sei unklar, zu welchem Element der Injektionsvorrichtung sich die Gewindestange gemäß den Merkmalen G und H relativ bewegt. Darüber hinaus sei es unklar, in welches Element der Injektionsvorrichtung ein Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung erfolgt.

Diese angebliche mangelnde Klarheit ist jedoch in beiden Fällen bereits in der erteilten Fassung des Anspruchs 1 vorhanden und somit nicht zu überprüfen (siehe G 3/14, Entscheidungsformel).

4.4 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass es unklar sei, zu welchem Zeitpunkt eine Verdrehbarkeit und axiale Verschiebbarkeit der Gewindestange gemäß Merkmal C vorhanden ist, da Merkmal H diese Verdrehbarkeit einschränkt.

Anspruch 1 gibt diesbezüglich jedoch keinen Zeitpunkt an. Das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung und die Einschränkung der Bewegbarkeit der Gewinde­stange gemäß Merkmal H erfolgt in der distalen Endposition der Gewindestange (Merkmal G), die generelle Bewegbarkeit gemäß Merkmal C bleibt somit klar definiert.

4.5 Es ist im vorliegenden Fall bei der Auslegung der Merkmale E-H klar, dass die Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmal E) eingreift, um eine Verdrehung der Gewindestange zu verhindern (Merkmal H); das Merkmal G definiert lediglich die Position des Eingreifens. Es ist somit entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin trotz des Einschubs des Merkmals G klar, dass die Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmal E) eine Rolle bei der Verhinderung der Verdrehung und Verschiebung der Gewindestange (Merkmal H) spielt.

4.6 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass das Merkmal G einen Verfahrenschritt beschreibt, der dem beanspruchten Zustand der Injektionsvorrichtung zeitlich vorangeht ("verschoben wurde"). Die Injektionsvorrichtung sei somit als "product-by-process" beschrieben, das Merkmal G lasse sich jedoch im Produkt nicht erkennen. Darüber hinaus sei die "distale Endposition" nicht klar definiert.

Bei der Auslegung des Anspruchs 1 ist jedoch klar, dass das Merkmal G ein funktionelles Merkmal darstellt, das einen Zusammenhang zwischen der Position der Gewindestange und dem Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung feststellt. Die distale Endposition wird in Anspruch 1 durch das Eingreifen der Verdreh- oder Klauensicherung (Merkmale E und F) klar definiert. Die Injektionsvorrichtung in Anspruch 1 stellt somit kein durch einen Verfahrensschritt hergestelltes Produkt dar.

4.7 Folglich sind die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ erfüllt.

5. Zeitrang

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1, und insbesondere die Kausalität gemäß Merkmal H ohne Beteiligung der Gewindekopplung, sich in dieser Breite nicht unmittelbar und eindeutig der Prioritätsanmeldung entnehmen lasse, sodass die Priorität nicht wirksam sei.

Wie bereits für Klarheit unter Punkt 4.2 ausgeführt, folgt die Gewindestange aufgrund der Gewindekopplung einer Schraubbewegung (Merkmal C). Wenn eine Verdrehung nicht möglich ist, ist auch eine Verschiebung nicht möglich. Es ist somit für den Fachmann klar, dass die Kausalität gemäß Merkmal H aufgrund der Gewindekopplung erfolgt. Dies entspricht der Offenbarung der Prioritätsanmeldung auf S. 14, 1. Absatz, letzter Satz. Die für Anspruch 1 beanspruchte Priorität ist somit gültig.

6. Neuheit

6.1 D1 (Stand der Technik unter Artikel 54(3) EPÜ) offenbart in den Figuren 1B und 1D eine Injektions­vorrichtung mit einem Gehäuseteil 1a und einem Kartuschenhalter (ohne Bezugszeichen), um eine Ampulle 8 zu halten. Laut der Beschwerdeführerin stelle der Kartuschenhalter das Gehäuse des Anspruchs 1 und das Gehäuseteil die Führungshülse des Anspruchs 1 dar.

In der Beschreibung von D1 wird weder der Kartuschenhalter erwähnt noch gesagt, wie dieser mit dem Gehäuseteil 1a verbunden ist. Die Beschwerde­führerin bringt vor, dass bei dem Wegwerfpen gemäß D1 der Fachmann es als implizit erachten würde, dass der Kartuschenhalter unlösbar mit dem Gehäuseteil verbunden ist. Allerdings könnte die unlösbare Verbindung auch in diesem Fall drehbar sein. Somit ist es in D1 nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass der Kartuschenhalter drehfest mit dem Gehäuseteil verbunden ist, wie von Merkmal B des Anspruchs 1 verlangt.

6.2 D2 (ebenfall Stand der Technik unter Artikel 54(3) EPÜ) offenbart eine Injektionsvorrichtung (Figur 5A), wobei das Gehäuseteil 10a der Figur 5A laut der Beschwerde­führerin eine Führungshülse darstellt; dieses Gehäuseteil 10a soll mit einem an seinem distalen Ende anzuordnenden Gehäuse verbunden und verdrehsicher gelagert sein.

Dieses distal anzuordnende Gehäuse wird in D2 nicht ausdrücklich offenbart. Auch wenn man dieses Gehäuse als implizit offenbart ansehen würde, um die Funktionsfähigkeit der Injektionsvorrichtung herzustellen, wäre weiterhin nicht offenbart, dass das Gehäuseteil 10a relativ zu diesem implizit offenbarten, distal anzuordnenden Gehäuse verdrehsicher gelagert ist. Folglich ist zumindest das Merkmal B in D2 nicht offenbart.

6.3 D8 offenbart im Ausführungsbeispiel der Figuren 1-12 eine Injektionsvorrichtung mit einem Gehäuse (main housing 12) und einer Führungshülse (container holding housing 14).

Die Kombination der Merkmale E-H wird jedoch in D8 nicht offenbart. Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass die "lock nut 46" in Fig. 1A, die "dose nut 62" in Fig. 2A oder die "stop means 43" in [0036] und Fig. 1A die Verdreh- oder Klauensicherung gemäß Merkmal E darstellen.

Jedoch gehören weder die lock nut 46 noch die dose nut 62 zur Gewindestange 42, wie vom Merkmal E verlangt; vielmehr handelt es sich dabei um getrennte Elemente, die auf der Gewindestange bewegbar angeordnet sind (siehe [0026], Z. 1-5; [0027], Z. 1-7 und [0034], Z. 6-9).

Zwar gehören die "stop means 43" zur Gewindestange 6 (Fig. 1A und [0025], Z. 8-11) und können deshalb eine Verdreh- oder Klauensicherung gemäß Merkmal E darstellen. Wenn die "dose nut 62" gegen die "stop means 43" geschraubt wird, verhindern die "stop means" eine Verdrehung der "dose nut" relativ zur Gewindestange ([0036], Z. 1-7, siehe auch [0034], Z. 6-9). Dadurch wird aber keine Verdrehung der Gewindestange verhindert, wie vom Merkmal H verlangt: die Injektionsvorrichtung kann weiterhin für eine Ausschüttung verwendet werden, einschließlich der Schraubbewegung der Gewindestange ([0036], letzten 7 Zeilen). Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber D8.

6.4 D7 hat einen Anmeldetag vom 17. November 2006. Die vom Streitpatent beanspruchte Priorität vom 14. August 2006 ist, wie unter Punkt 5. dargelegt, gültig. Folglich ist D7 kein Stand der Technik.

6.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ.

7. Keiner der von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents gemäß Hauptantrag entgegen. Unter diesen Umständen ist es nicht nötig, die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin zu berücksichtigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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