T 0799/15 () of 30.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T079915.20181130
Datum der Entscheidung: 30 November 2018
Aktenzeichen: T 0799/15
Anmeldenummer: 11158709.3
IPC-Klasse: F16D 65/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bremsbelag für eine selbstverstärkende Scheibenbremse
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: VRI-Verband der Reibbelagindustrie e.V.
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 11. Februar 2015 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1 das europäische Patent Nr. 2 327 902 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

III. Am 30. November 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 327 902.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:

E1: WO-A-03/071150;

E2: WO-A-2008/014927;

E3: DE 10 2006 029 943 A1;

E4: Braun et al. Fachbuch Metall 1999 42781 Haan-Gruiten: Europa-Lehrmittel, Nourney, Vollmer GmbH & Co. , ISBN 3-8085-1153-2, Seiten 382, 383;

E5: WO-A-2004/013510.

V. Anspruch 1 des der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegenden Hilfsantrags 1 lautet:

"Bremsbelag für eine selbstverstärkende Scheibenbremse, mit einer Belagdruckplatte (3), die einen Reibbelag trägt, mit folgenden Merkmalen:

a) an der Belagdruckplatte (3) oder an einer an der Belagdruckplatte anbringbaren weiteren Platte ist auf der von dem Reibbelag abgewandten Seite zumindest eine Vertiefung ausgebildet, die eine Rampenkontur hat,

b) die Belagdruckplatte (3) oder die weitere Platte weist auf der von dem Reibbelag abgewandten Seite einen Ansatz (17) auf, mit einer Aufnahme (18), in der ein Bremsstempel (6) halterbar ist,

c) die Aufnahme (18) weist an ihrer Innenfläche wenigstens eine Hinterschneidung (19) auf,

dadurch gekennzeichnet, dass

d) die Aufnahme (18) eine trichterförmige Einschuböffnung (22) aufweist."

VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Zulassung der E5 sowie des Angriffs ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik

Die Einreichung der E5 sei gerechtfertigt, da sie eine adäquate Reaktion auf die Kombination der Gegenstände der ursprünglich erteilten Ansprüche 1,5 und 6 in Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 1 darstelle. E5 offenbare eine naheliegende alternative Kopplung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte, welche auch die nun beanspruchte Hinterschneidung aufweise. Das Dokument sei zudem ganz zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereicht worden und stamme von der Beschwerdegegnerin selbst, so dass diese von seinem Inhalt nicht überrascht sein könne. Es solle daher in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

Auch der Angriff ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik sei zuzulassen, da dieser im Einspruchsverfahren bereits ausführlich diskutiert worden sei.

Mangelnde erfinderische Tätigkeit - E1 als nächstliegender Stand der Technik

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe ausgehend von Dokument E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. E1 offenbare in Figur 3 alle Merkmale des Anspruchs abgesehen davon, dass die Aufnahme eine trichterförmige Einschuböffnung aufweise. Diese Trichterform sei aber nichts anderes als eine Fase, wie sie im technischen Gebiet - vgl. dazu den in der Verhandlung vorgelegten Auszug aus Wikipedia - üblicherweise angebracht werde, um zu verhindern, dass sich jemand an bei der Herstellung entstehenden scharfen Kanten verletze. Das Vorsehen einer Trichterform könne daher keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Weiter aufrechterhalten würden auch die in der Beschwerdebegründung schriftlich geäußerten Einwände. Demnach könne zum einen im Rahmen der Anwendung des beanspruchten Bremsbelags im Zusammenhang mit einem beliebig ausgebildeten fiktiven Stempel, von dessen Art und Weise der Montage an dem Bremsbelag nichts Konkretes bekannt sei, dem Merkmal einer trichterförmigen Einschuböffnung keinerlei (technische) Wirkung zugewiesen werden.

Zum anderen weise die aus E1 bekannte Aufnahme bereits eine Hinterschneidung auf und es sei für den Fachmann naheliegend, um das Einschieben des Bremsstempels zu erleichtern, die entsprechende Einschuböffnung trichterförmig auszuführen, insbesondere im Zusammenhang mit einer dem Fachmann z.B. aus E4 hinlänglich bekannten Sicherung des Bremsstempels mittels eines axialen Sicherungsrings. Jedenfalls müsse der Bremsstempel irgendwie in die Aufnahme eingebracht werden und es sei naheliegend zumindest diejenige Öffnung, durch die dies erfolge, trichterförmig auszubilden, um die Montierbarkeit der Bremse zu verbessern.

Mangelnde erfinderische Tätigkeit - E2 als nächstliegender Stand der Technik

Auch Dokument E2 offenbare eine selbstverstärkende Scheibenbremse mit allen beanspruchten Merkmalen, außer der trichterförmigen Ausgestaltung der Einschuböffnung. Dabei sei - vgl. Abbildung 1 und 2 der E2 - als die beanspruchte Aufnahme der Bereich zwischen den mit den Bohrungen zur Aufnahme des Bolzens 33 versehenen Lagern der Belagdruckplatte anzusehen, einschließlich der Bohrungen und der in der Kontur der Platte liegenden Aussparung. Diese Aussparung stelle gerade die beanspruchte Hinterschneidung dar (vgl. diesbezüglich die von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung angefertigte Skizze, wie sie in Punkt 2.2 wiedergegeben ist). Es sei naheliegend, die Einführung des Bolzens in die an den Lagern vorgesehenen Bohrungen durch eine Trichterform zu erleichtern. Der Anspruch spezifiziere nämlich nicht, dass es sich bei der trichterförmigen Einschuböffnung gerade um die Einschuböffnung für den Bremsstempel handle. Insbesondere für die von der Beschwerdegegnerin genannte Funktion einer durch die Trichterform weiter geförderten Verschwenkbarkeit des Bremsstempels gebe es zudem keinerlei Offenbarung. Daher falle eine beliebige, trichterförmig ausgebildete Einschuböffnung, wie sie z.B. zum Einführen des Bolzens 33 als naheliegend anzusehen sei, unter den Anspruch. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit ausgehend von E1 schon unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Weiterhin sei es für den Fachmann naheliegend, die aus E2 bekannte axial gesicherte Verbindung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte durch die in E5, Abbildung 8, offenbarte alternative derartige Verbindung zu ersetzen. Die dort vorgeschlagene Verbindung offenbare eine Aufnahme, in der ein Bremsstempel z.B. mittels Blattfedern halterbar ist, wobei die Aufnahme an ihrer Innenfläche wenigstens eine Hinterschneidung aufweise. Dabei sei klar, dass die entsprechende Öffnung durchaus trichterförmig sein könne.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit auch nicht erfinderisch über die Lehre der E2 unter Berücksichtigung der Lehre der E5.

Das Patent sei daher zu widerrufen.

VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Zulassung der E5 sowie des Angriffs ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik

Die in E5 offenbarte Scheibenbremse sei nicht selbst- verstärkend und erlaube somit auch keine laterale Verschiebung der Belagdruckplatte, bzw. keine Verschwenkung des Bremsstempels wie sie in E2 für das Erzielen einer verstärkenden Wirkung an der beanspruchten Rampenkontur unerlässlich sei. E5 zeige weiterhin keine Trichterform. Das Dokument sei verspätet eingereicht und zudem auf den ersten Blick nicht relevant. Es solle nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Ein Angriff basierend auf E3 als nächstliegendem Stand der Technik sei bislang im gesamten Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden. Die Beschwerdegegnerin werde also in der mündlichen Verhandlung erstmals mit dieser Angriffslinie konfrontiert, auf die sie sich nicht habe vorbereiten können. Diese würde eine prozedurale Benachteiligung der Beschwerdegegnerin darstellen, so dass dieser Angriff nicht in das Verfahren zuzulassen sei.

Mangelnde erfinderische Tätigkeit - E1 als nächstliegender Stand der Technik

Die Aufnahme aus Dokument E1 weise zumindest keine trichterförmige Einschuböffnung auf. Eine derartige Einschuböffnung vereinfache zum einen die Einführung des Bremsstempels, sie ermögliche aber auch eine bessere Verschwenkbarkeit des Bremsstempels relativ zur Belagdruckplatte, wie sie bei der erfinderischen Lösung erforderlich sei, um durch Verschiebung der Rampenkontur der Belagdruckplatte relativ zu den Lagerkugeln eine Selbstverstärkung der Bremse zu erreichen.

Die zu lösende Aufgabe bestehe somit darin, den Montageprozess der Bremse, sowie deren Funktionalität zu verbessern.

Für diese aus der Patentschrift ableitbare Aufgabe sei E1 als nächstliegender Stand der Technik ungeeignet. Der dort offenbarte Bremsstempel werde überhaupt nicht verschwenkt. Stattdessen sei die Aufnahme der Belagdruckplatte so ausgebildet, dass die Belagdruckplatte relativ zu dem in seiner Achse fix in einem Gewinde gelagerten Bremsstempel kugelgelagert lateral verschieblich bleibe. Die Funktionalität der Bremse durch eine auf der trichterförmigen Ausbildung der Einschuböffnung beruhende, verbesserte Verschwenkbarkeit des Bremsstempels zu erhöhen, sei ausgehend von dem gerade nicht verschwenkbar gelagerten Bremsstempels der E1 sinnlos. Auch könne der Bremsstempel der E1 aus geometrischen Gründen offensichtlich nicht 'von unten' in die Aufnahme eingebracht werden. Er sei einerseits zu groß, andererseits seien dort die Kugeln für die Lagerung des Stempels im Weg. Ohne Einschiebbarkeit des Stempels in die Öffnung der Aufnahme gebe es aber auch keinerlei Grund, die Öffnung mit einer Trichterform zu versehen.

Die von der Beschwerdeführerin angeführte Aufgabe eine Verletzung von Nutzern oder Monteuren des Bremsbelags zu vermeiden, sei aus der Luft gegriffen. Von der Ausführungsform gemäß E1, Abbildung 3 gehe keinerlei Verletzungsgefahr aus, schon gar nicht von der an der Aufnahme vorgesehenen Öffnung.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher erfinderisch über E1 als nächstliegendem Stand der Technik.

Mangelnde erfinderische Tätigkeit - E2 als nächstliegender Stand der Technik

E2 sei zumindest dahingehend ein besserer Ausgangspunkt, als hier die Betätigung der selbstverstärkenden Bremse durch einen verschwenkbaren Bremsstempel erfolge. Die Aufnahme des Bremsstempels weise allerdings weder eine Hinterschneidung auf, noch eine trichterförmige Einschuböffnung. Dabei sei aus dem Anspruchswortlaut klar, dass die trichterförmige Einschuböffnung zum Einschieben des Bremsstempels geeignet sein müsse. Kein anderes einzuschiebendes Objekt werde im Anspruch genannt und der Bremsstempel werde im Anspruch explizit als in der Aufnahme halterbar definiert.

Auch ausgehend von diesem Dokument stelle sich die Aufgabe die Montierbarkeit und die Funktionalität der Bremse zu erhöhen. Der Fachmann würde somit allenfalls angeregt, die aus Gabelkopf und Bolzengleitlager bestehende Verbindung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte weiterzubilden, z.B. weil ein derartiges Gleitdrehlager aufwendig zu warten sei.

Es gebe jedoch keinerlei Lehre oder Veranlassung, das Gabelkopf- /Bolzengleitlager der E2 dahingehend zu verändern, dass an der Aufnahme für den Bremsstempel eine Hinterschneidung angebracht oder die Einschuböffnung für den Bremsstempel trichterförmig ausgebildet werde.

Auch die Offenbarung der E5 ändere daran nichts. Zunächst würde der Fachmann die E5 gar nicht berücksichtigen, da sie keine selbstverstärkende Scheibenbremse offenbare. Ohne laterale Verschiebbarkeit der Belagdruckplatte und eine diese ermöglichende Verbindung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte sei keine Selbstverstärkung möglich. Der Fachmann würde daher die Verbindung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte gemäß E5 gar nicht als für die selbstverstärkende Bremse gemäß E2 geeignet in Betracht ziehen. Weiterhin weise die in E5 offenbarte Verbindung keine trichterförmige Einschuböffnung auf.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit auch ausgehend von E2, sowohl in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, als auch mit E5, als erfinderisch anzusehen.

Die Beschwerde sei daher zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der E5 sowie des Angriffs ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik

1.1 E3 als nächstliegender Stand der Technik

Die Beschwerdeführerin kündigte erst in der mündlichen Verhandlung an, einen Angriff der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik führen zu wollen.

In der Beschwerdebegründung wurde weder Neuheit noch erfinderische Tätigkeit ausgehend von E3 angegriffen.

Auch in der Beschwerdeerwiderung oder der Mitteilung der Kammer vom 3. Juli 2018 wird E3 nicht genannt. Sowohl die Kammer, als auch die Beschwerdegegnerin wären somit gezwungen, sich in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal mit einer völlig neuen Angriffslinie ausgehend von einem bisher im Beschwerdeverfahren nicht verwendeten, nächstliegenden Stand der Technik auseinanderzusetzen. Dies ist zu diesem späten Verfahrenszeitpunkt weder der Kammer, noch der Beschwerdegegnerin zuzumuten. Das geänderte Vorbringen wird daher nicht zugelassen (Artikel 13 (1) und 13 (3) VOBK).

1.2 Zulassung der E5 in das Verfahren

Dokument E5 wurde dagegen mit der Beschwerdebegründung zu einem frühen Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens eingereicht. Die Einreichung dieses Dokuments stellt eine Reaktion auf die in Punkt 5.7 der Entscheidung der Einspruchsabteilung dargelegte Begründung dar, gemäß der ausgehend von E2 eine erfinderische Tätigkeit vorliege. Die Einreichung der E5 soll begründen, warum der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von E2 (im Lichte der Lehre der E5) dennoch naheliegend war. Dies sieht die Kammer als adäquate Reaktion einer unterlegenen Partei an. Dokument D5 wird daher in das Beschwerdeverfahren zugelassen (Artikel 12 (2) und 12 (4) VOBK).

2. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ

2.1 E1 als nächstliegender Stand der Technik

2.1.1 E1 zeigt in Figur 3 einen Bremsbelag für eine selbstverstärkende Scheibenbremse, mit einer Belagdruckplatte (2), die einen Reibbelag (3) trägt mit folgenden Merkmalen:

a) an der Belagdruckplatte (2) ist auf der von dem Reibbelag (3) abgewandten Seite zumindest eine Vertiefung ausgebildet (Vertiefungen, in welchen die "roller" (6) aufgenommen sind), die eine Rampenkontur hat;

b) die Belagdruckplatte (2) weist auf der von dem Reibbelag abgewandten Seite einen Ansatz auf, mit einer Aufnahme (2', "cage"), in der ein Bremsstempel (9, 9') halterbar ist;

c) die Aufnahme (2') weist an ihrer Innenfläche wenigstens eine Hinterschneidung auf (der Bereich des "cage", in dem die "return rollers (12)" zur Anlage kommen).

Die Ansicht, gemäß derer die Belagdruckplatte der E1 keinen Ansatz mit einer Aufnahme aufweise, in der ein Bremsstempel halterbar ist (Merkmale b) und c)), bzw. gemäß derer die Elemente 9, 9' nicht als Bremsstempel anzusehen seien, hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht weiter vertreten.

2.1.2 E1 zeigt unstreitig keine Aufnahme, die eine trichterförmige Einschuböffnung aufweist. Anspruchsgemäß handelt es sich bei der die trichterförmige Einschuböffnung aufweisenden Aufnahme um diejenige Aufnahme, in der der Bremsstempel halterbar ist.

2.1.3 Der aus dem Patent (Absatz [0031]) ableitbare technische Effekt liegt daher in einer vereinfachten Einsteckbarkeit des Bremsstempels. Die Aufgabe kann somit darin gesehen werden, die Montierbarkeit des Bremsbelags zu verbessern.

Die beanspruchten technischen Merkmale "Hinterschneidung" und "trichterförmige Einschuböffnung" sind dabei nicht etwa deshalb ohne technischen Effekt, weil der zu haltende Bremsstempel nicht mit beansprucht war, oder weil Bremsstempel denkbar wären, die nicht mit einer anspruchsgemäßen Aufnahme kompatibel wären. Der Anspruch definiert, dass der Bremsstempel in der Aufnahme halterbar ist und der Begriff "Einschuböffnung" impliziert eine Eignung etwas dort hineinzuschieben. Für den konstruktiv lesenden Fachmann gibt es ein einziges im Anspruch genanntes Objekt, welches in der Aufnahme halterbar ist, nämlich den Bremsstempel. Beanspruchte Merkmale und Eignung bedingen somit durchaus eine technische Wirkung.

Dass die technische Wirkung dabei nur mit "passenden" Stempeln auftritt, ist für den Fachmann selbstverständlich. Entscheidend ist eine entsprechende Eignung der beanspruchten Strukturen.

2.1.4 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin hat die Trichterform zusätzlich den Effekt, die Verschwenkbarkeit des Bremsstempels relativ zur Belagdruckplatte zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Dies steht so aber weder in der Patentschrift (vgl. insbesondere Absatz [0031]), noch ist eine derartige technische Wirkung aus der Bezeichnung "Einschuböffnung" abzuleiten. Dieser Effekt ist daher nach Ansicht der Kammer für die Formulierung der technischen Aufgabe nicht zu berücksichtigen.

2.1.5 Die Beschwerdeführerin hat ihrerseits vorgebracht, dass die trichterförmige Öffnung lediglich einer im Gebiet weit verbreiteten Fase entspreche, die an Kanten angebracht werde, um einer Verletzung der Benutzer vorzubeugen. Die Aufgabe wäre somit darin zu sehen, Verletzungen des Benutzers bzw. Monteurs der Bremse zu vermeiden. Das Vorsehen einer Fase - nichts anderes sei die trichterförmige Einschuböffnung - sei zur Lösung dieser Aufgabe fachüblich und daher naheliegend.

Für diese von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe gibt es allerdings weder in der Patentschrift, noch im Stand der Technik eine Grundlage. Die Einschuböffnung befindet sich außerdem in wenig exponierter Lage an der Käfigstruktur ("cage"), mitten in der Bremse der E1. Eine Verletzung an dieser Struktur sieht die Kammer daher nicht als ein dem Fachmann aus der Offenbarung der E1 ersichtliches Problem an. Die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe ist rückschauend gewählt und kann einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit nicht begründen.

2.1.6 Auch zur Verbesserung der Montierbarkeit des Bremsstempels ist eine trichterförmige Ausgestaltung der Öffnung im "cage" nicht naheliegend.

Zunächst ist aufgrund der Geometrie (vgl. Abbildung 3 der E1) und der "return rollers", 12 nicht davon auszugehen, dass "control rod", 9 und "rod plate", 9' in der Zeichnung 'von unten', d.h. durch die das "control rod" aufnehmende Öffnung im "cage", 2' eingesteckt werden. Eine trichterförmige Ausgestaltung dieser Öffnung ergibt daher keinen Sinn. Da der in E1 offenbarte Bremsstempel überdies nicht mittels eines Sprengrings gesichert ist, kann auch daraus keine Trichterform zur erleichterten Montage eines mit einem Sprengring zu sichernden Bremsstempels abgeleitet werden.

Ob "control rod", 9 und "rod plate", 9' auf andere Weise, z.B. durch eine seitliche Öffnung, eingesteckt werden, oder "roller", 10, 12, "control rod", 9 und "rod plate", 9' 'von oben' in den "cage" eingebracht werden, bevor dieser an der Belagdruckplatte, 2 befestigt wird, bleibt letztlich spekulativ.

Für eine seitliche Einschuböffnung und deren mögliche Ausgestaltung gibt es in E1 keinerlei Hinweis. Somit kann es auch nicht als naheliegend angesehen werden, eine solche, nicht offenbarte, sondern lediglich spekulativ vorhandene Öffnung trichterförmig auszugestalten.

Hinsichtlich eines Einsteckens 'von oben' in den "cage" - vor einer eventuellen Befestigung desselben an der Belagdruckplatte - wäre zu berücksichtigen, dass ein relativ großes Spiel zwischen "control rod" und der das "control rod" aufnehmenden Öffnung funktionell notwendig ist. Dieses Spiel ermöglicht erst die seitliche Verschiebbarkeit der Belagdruckplatte relativ zum in einem Gewinde ("ball screw arrangement", 13) gelagerten Bremsstempel, wobei durch diese Verschiebbarkeit die selbstverstärkende Wirkung der Rampenkonturen überhaupt erst möglich wird. Aufgrund des großen Spiels des "control rod" in der das "control rod" aufnehmenden Öffnung ist jedoch eine Trichterform der Öffnung für eine bessere Montierbarkeit ohne Bedeutung und daher auch keine in dieser Hinsicht naheliegende Modifikation.

2.1.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit ausgehend von E1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.2 E2 als nächstliegender Stand der Technik

E2 offenbart eine gattungsgemäße selbstverstärkende Scheibenbremse. Der Bremsstempel ist als Gabelkopf (Figur 1, 2, 34) ausgebildet, welcher mittels eines "pin" (33) an der Belagdruckplatte gehalten ist. Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass E2 eine Aufnahme offenbare, die an ihrer Innenfläche wenigstens eine Hinterschneidung aufweise. Diese Ansicht hat sie in der Verhandlung durch die links wiedergegebene Skizze illustriert:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die Skizze zeigt einen Schnitt entsprechend dem der Abbildung 1 der E2 (der relevante Bereich der Abbildung 1 ist zum Vergleich rechts daneben wiedergegeben).

Eingezeichnet sind in der Skizze links die Druck-

platte 4 und die an ihr vorgesehenen Lager für den Bolzen 33 (welcher entlang der eingezeichneten Bolzenachse platziert wird). Nach Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei dem Bereich zwischen den Lagern, einschließlich der Bohrungen zur Aufnahme des Bolzens und der Aussparung in der Druckplatte, um eine Aufnahme im Sinne des Anspruchs, wobei der innerhalb der Kontur der Platte liegende Bereich als "Hinterschneidung" anzusehen sei.

Dieser Ansicht kann sich die Kammer nicht anschließen. Eine Aufnahme würde dann eine Hinterschneidung aufweisen, wenn sie in einem bestimmten Bereich nach außen vorspränge. Die von der Beschwerdeführerin in der Skizze eingezeichnete sog. "Hinterschneidung" springt hingegen nach innen zurück. Davon abgesehen lässt sich in der Abbildung 1 der E2 (vgl. die rechte der obigen Figuren) der von der Beschwerdeführerin eingezeichnete Kaliberunterschied zwischen dem Bereich zwischen den Bolzenaufnahmen und dem Bereich in der Kontur der Druckplatte nicht nachvollziehen (Platte und Bolzen sind zur besseren Sichtbarmachung grau hinterlegt, die Begrenzung der von der Beschwerdeführerin identifizierten Aufnahme ist - ohne die Löcher zur Bolzenaufnahme - zusätzlich durch Doppelpfeile markiert).

Die Aufnahme der E2 weist daher keine Hinterschneidung auf, und es ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum der Fachmann veranlasst wäre, eine dahingehende Modifikation vorzunehmen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine trichterförmige Ausbildung der Bolzen-Einschuböffnungen für den Fachmann als naheliegend anzusehen wäre oder nicht.

2.3 E2 + E5

Die Beschwerdeführerin war weiterhin der Ansicht, dass es für den Fachmann naheliegend wäre, die in E2 offenbarte Befestigung zwischen Bremsstempel und Belagdruckplatte (bestehend aus einem über einen Bolzen an der Platte angelenkten Gabelkopf, vgl. Punkt 2.2) durch eine Befestigung gemäß E5, Abbildung 8 zu ersetzen. In E5, Abbildung 8, sei der Bremsstempel 11 über eine Blattfeder 42 hinter einem Steg 43 gehalten, d.h. in einer Aufnahme, die an ihrer Innenfläche wenigstens eine Hinterschneidung aufweise. Eine Trichterform der Einschuböffnung sei zwar nicht explizit offenbart, könne aber vorgesehen werden.

Diese Argumentation ist nach Ansicht der Kammer nicht überzeugend. Zum einen fehlt es bereits an der Trichterform der Einschuböffnung, bzw. an einer Begründung, warum der Fachmann diese vorgesehen hätte und nicht nur vorsehen hätte können ("could - would").

Zum anderen erfordert die selbstverstärkende Funktion der Scheibenbremse gemäß E2, dass Bremsbelag und Belagdruckplatte beim Bremsen ein Stück weit von der Bremsscheibe 'mitgenommen' werden, so dass durch die so vermittelte Bewegung der Rampenkontur ein selbstverstärkender Effekt auftreten kann. Dies erfordert wiederum, dass der Bremsstempel eine derartige Bewegung der Belagdruckplatte zulässt und entsprechend an der Platte befestigt ist. Gemäß E2 ist der Bremsstempel dazu an seiner Basis verschwenkbar gelagert und mittels Gabelkopf / Bolzen gelenkig an der Belagdruckplatte angebracht. Der Bremsstempel gemäß E5 ist dagegen - wie auch von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zugestanden - nicht verschwenkbar. Auch eine laterale Verschwenkbarkeit der Belagdruckplatte relativ zum Bremsstempel (also senkrecht zur Stempelachse) ist nicht offenbart. Dies ist bei E5 auch nicht notwendig, da dieses Dokument keine selbstverstärkende Wirkung vermittels einer Rampenkontur beschreibt.

Selbst wenn der Fachmann also auf der Suche nach einer alternativen Befestigung für den Bremsstempel gemäß E2 an der Belagdruckplatte auf die Lehre der E5 stieße, so hätte er keinerlei Veranlassung, die dort offenbarte Befestigung als alternative Befestigung zwischen einem verschwenkbaren Druckstempel und einer sich lateral bewegenden Belagdruckplatte anzusehen. Es ist auch nicht davon auszugehen (geschweige denn offenbart), dass die Halterung des Bremsstempels über eine Blattfeder wie in E5 dazu geeignet wäre, den Stempel trotz Verschwenkung (und damit Verkippung in der Aufnahme) sicher zu halten.

Selbst eine Verknüpfung der Lehren der E2 und der E5 führt somit nicht in naheliegender Weise zum Anspruchsgegenstand.

2.4 Zusammenfassend kann keine der vorgetragenen Angriffslinien das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit in Frage stellen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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